Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruchskonkurrenz in der Tuberkulosehilfe
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch eines versicherungsfreien Beamten auf stationäre Heilbehandlung gegen den Rentenversicherungsträger für sein unterhaltsberechtigtes Kind wegen Tuberkulose (Tbc) entfällt nach RVO § 1244a Abs 7 S 2 nur, wenn ihm ein entsprechender Tbc-Hilfe-Anspruch gegen seinen Dienstherrn zusteht. Das ist nicht der Fall, wenn der Ehegatte des Beamten einen entsprechenden Familienhilfeanspruch für das Kind gegen den Krankenversicherungsträger hat.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Vorschrift des RVO § 1244a Abs 7 S 2 / AVG § 21a Abs 7 S 2, nach der unter bestimmten Voraussetzungen für Beamte usw ein Anspruch auf Tuberkulosehilfe gegen den Träger der Rentenversicherung nicht besteht, regelt nur die Konkurrenz gleichrangiger Ansprüche. Liegen Ansprüche mit unterschiedlicher Rangordnung vor, so treten die nachgehenden Ansprüche nicht mit in Konkurrenz, da sie bereits auf Grund ihrer Rangfolge verdrängt werden.
2. Soweit Ansprüche auf Tuberkulosehilfe gegen den Träger der Rentenversicherung, den Träger der Krankenversicherung und den Dienstherrn zusammentreffen, entfallen die Ansprüche gegen den Dienstherrn gemäß BSHG § 127 Abs 4 bereits wegen ihrer Subsidiarität. Das dann noch zu regelnde Verhältnis der Leistungsverpflichtungen von Rentenversicherung und Krankenversicherung bestimmt sich nach RVO § 1244a Abs 2 und 3 / AVG § 21a Abs 2 und 3.
Normenkette
AVG § 21a Abs. 7 S. 2 Fassung: 1959-07-23; RVO § 1244a Abs. 7 S. 2 Fassung: 1959-07-23, § 205 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1969-07-27; BSHG § 127 Fassung: 1969-09-18, § 130 Fassung: 1969-09-18; RVO § 1244a Abs. 2-3; AVG § 21a Abs. 2-3
Tenor
Die Revision der Beigeladenen zu 2.) gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Januar 1976 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, welcher Leistungsträger für die stationäre Tbc-Behandlung eines Kindes zuständig ist, wenn - über den Vater - ein Anspruch gegen den beigeladenen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn und - über die Mutter - Ansprüche gegen die beklagte Krankenkasse und den ebenfalls beigeladenen Rentenversicherungsträger in Betracht kommen.
Der klagende Sozialhilfeträger übernahm vorläufig die Kosten der stationären Behandlung des Kindes wegen aktiver behandlungsbedürftiger Tbc von Oktober 1969 bis März 1970 in Höhe von DM 6.283,40. Das Sozialgericht (SG) hat die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) zur Zahlung verurteilt (Urteil vom 31. Oktober 1973). Es hat ausgeführt, wegen der Versicherungsfreiheit des Vaters (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) des kranken Kindes scheide nach § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers aus. Das hätte nur anders sein können, wenn zur Zeit der Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit das kranke Kind selbst versicherungspflichtig beschäftigt gewesen wäre. Dem Anspruch gegen den Dienstherrn gehe der Anspruch gegen die Kasse vor.
Das Landessozialgericht - LSG - (Urteil vom 23. Januar 1976) hingegen hat die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) verurteilt. Es hat sich auf den Standpunkt gestellt, die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers nach § 21 a Absätze 1 bis 3 AVG werde durch § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG dann nicht ausgeschlossen, wenn - wie hier - die an sich anspruchsberechtigte Person - die Mutter - zur Zeit der Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Entgegen der Auffassung des SG verlange diese Vorschrift nicht, daß der kranke Angehörige selbst zu dieser Zeit versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei.
Die BfA hat die zugelassene Revision eingelegt. Sie weist darauf hin, daß nach § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG sogar der eigene Anspruch des kranken Versicherten ausgeschlossen werde, wenn sein Ehegatte oder ein unterhaltsverpflichteter Elternteil Beamter sei. Erst recht sei in einem solchen Fall der abgeleitete Anspruch des Angehörigen ausgeschlossen.
Sie beantragt,
das Urteil des LSG vom 23. Januar 1976 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 31. Oktober 1973 zurückzuweisen.
Die Beklagte und der Kläger beantragen,
die Revision der beigeladenen BfA zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die beigeladene Bundespost stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
Zutreffend hat das LSG entschieden, daß der beigeladene Rentenversicherungsträger, bei dem die Mutter des kranken Kindes versichert ist, für die stationäre Tbc-Hilfe zuständig ist (§ 21 a Absätze 1 bis 3 AVG).
Die in Betracht kommenden Ansprüche gegen die beklagte Krankenkasse, bei der die Mutter ebenfalls versichert ist (§ 205 der Reichsversicherungsordnung - RVO -), und gegen den Dienstherrn des Vaters (§ 127 Abs. 1 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG -) treten gegenüber dem Anspruch gegen den beigeladenen Rentenversicherungsträger zurück. § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG, wonach der Rentenversicherungsträger von der Leistungspflicht freigestellt sein könnte, ist nicht anwendbar.
Das ergibt sich aus der Stellung dieser Vorschrift im System der Vorschriften, die die Konkurrenz der hier in Betracht kommenden Leistungsansprüche regeln: Nach § 205 Abs. 1 Satz 1 RVO gehen dem Anspruch gegen die beklagte Kasse auf Familienkrankenhilfe anderweitige gesetzliche Ansprüche auf Krankenpflege vor. Nach § 127 Abs. 4 Satz 1 iVm § 2 Abs. 2 Satz 1 BSHG ist auch der Anspruch gegen den Dienstherrn auf Tbc-Hilfe im Verhältnis zu dem entsprechenden Anspruch gegenüber Trägern anderer Sozialleistungen nachrangig. Nach § 21 a Abs. 3 Sätze 2 und 3 AVG ist die Aufgabe der Tbc-Bekämpfung im Falle der Verpflichtung von Krankenkasse und Rentenversicherungsträger aufgeteilt in der Weise, daß für die ambulante Behandlung die Krankenkasse und für die stationäre Behandlung der Rentenversicherungsträger zuständig ist.
Auch § 21 a Abs. 7 AVG ist eine Vorschrift, die Fälle der Anspruchskonkurrenz regelt. Das zeigt schon der Wortlaut des Satzes 3, wonach der "Anspruch" auf Tbc-Hilfe gegen die Rentenversicherungsträger wegen der ohnehin vorliegenden Unterbringung - wegen Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Epilepsie oder Suchtkrankheit auf öffentliche Kosten (§ 130 BSHG) - "entfällt". Dasselbe gilt aber auch für die Regelungen der Sätze 1 und 2, wo zwar nicht auf die Ansprüche selbst, aber auf die Voraussetzungen der Ansprüche verwiesen wird. Satz 1 verweist auf die Grundlagen der Ansprüche gegen die Träger der Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung und erklärt für diese Fälle die Absätze 1 bis 6 des § 21 a AVG für unanwendbar. Der für den hier vorliegenden Fall infrage stehende Satz 2 des Absatzes 7 des § 21 a AVG erstreckt die Unanwendbarkeit der Absätze 1 bis 6 auch auf nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 AVG versicherungsfreie und nach §§ 7, 8 Abs. 1 AVG von der Versicherungspflicht befreite Personen sowie auf Versorgungsempfänger. Damit wird erkennbar auf die Voraussetzungen hingewiesen, die für die Freistellung von der Versicherungspflicht maßgebend waren: Die sozialen Versicherungsansprüche aus dem Dienstverhältnis. Der hier in Betracht kommende Anspruch auf Tbc-Hilfe für Beamte und Versorgungsempfänger (§ 127 BSHG) ist zwar nicht Voraussetzung für deren Freistellung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung. Dieser Anspruch, der allen in § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG erwähnten Personen - auch den Versorgungsempfängern - grundsätzlich zusteht, ist aber der entscheidende Grund für den Ausschluß aus der Tbc-Hilfe des Rentenversicherungsträgers. Nicht die in Satz 2 ausdrücklich erwähnten Umstände - Versicherungsfreiheit, Befreiung von der Versicherungspflicht, Versorgungsbezug -, sondern der damit verbundene Anspruch auf Tbc-Hilfe gegen den Dienstherrn nach § 127 BSHG führt zur Freistellung des Rentenversicherungsträgers von dem an sich gegen ihn bestehenden Anspruch auf Tbc-Hilfe.
Der hier entscheidende Inhalt des § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG ist somit die Vorrangigkeit des Tbc-Hilfeanspruchs gegen den Dienstherrn im Verhältnis zu dem Tbc-Hilfeanspruch gegen den Rentenversicherungsträger. § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG weicht insofern von der zugunsten des Dienstherrn geltenden Regelung des § 127 Abs. 4 Satz 1 iVm § 2 Abs. 2 Satz 1 BSHG ab, wonach - umgekehrt - die Ansprüche gegen andere Sozialleistungsträger auf Tbc-Hilfe dem Anspruch gegen den Dienstherrn auf Tbc-Hilfe vorgehen. Von dieser allgemeinen Regelung ist § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG eine Sonderregelung insofern, als der Anspruch gegen einen bestimmten Sozialleistungsträger, nämlich den Rentenversicherungsträger, ausnahmsweise nicht vorgeht.
Anders ist das bei der Konkurrenzregelung des § 205 Abs. 1 Satz 1 RVO. Hierzu hat der Senat (vgl. SozR Nr. 34 zu § 184 RVO) bereits entschieden, daß die Leistungsansprüche für Angehörige nichtversicherungspflichtiger Mitglieder von Ersatzkassen nicht mit dem Hinweis auf den Anspruch nach § 127 BSHG ausgeschlossen werden können. Die für diese Entscheidung maßgeblichen Überlegungen gründen sich aber weder auf das Ersatzkassenrecht, noch auf das Recht der freiwilligen Versicherung; sie stützen sich vielmehr auf das Verhältnis von Tbc-Hilfe zu gesetzlicher Krankenversicherung, wie es bereits in BSG 31, 112, 115 (= SozR Nr. 27 zu § 184 RVO) dargestellt worden ist. Auch der Anspruch eines bei einer gesetzlichen Krankenkasse Pflichtversicherten auf Leistungen der Familienhilfe gegen die Krankenkasse geht dem Anspruch auf entsprechende Leistungen des Dienstherrn vor.
Damit steht aber fest, daß die Voraussetzungen des § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG nicht vorliegen. Diese Vorschrift regelt nur die Konkurrenz gleichrangiger Ansprüche. Liegen Ansprüche mit unterschiedlicher Rangordnung vor, so treten die nachgehenden Ansprüche nicht mit in Konkurrenz, denn sie werden bereits aufgrund ihrer Rangfolge verdrängt. Da vorliegend der Anspruch gegen den Dienstherrn infolge des Bestehens eines krankenversicherungsrechtlichen Anspruchs auf Familienhilfe subsidiären Charakter erhält, also in der Rangordnung zurücktritt, kann er auch nicht mit dem Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger in Konkurrenz treten. Als konkurrierend verbleiben somit nur der Anspruch gegen den Träger der Krankenversicherung und den der Rentenversicherung. Deren Verhältnis wird aber durch § 21 a Abs. 3 AVG abschließend geregelt. Danach ist für die stationäre Tbc-Behandlung der Rentenversicherungsträger zuständig.
Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellen wollte, die Regelung des Rangverhältnisses des Anspruchs gegen den Dienstherrn und des Anspruchs gegen die Krankenkasse sei unerheblich für die in § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG enthaltene Regelung des Anspruchs gegen den Dienstherrn im Verhältnis zu dem Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger, kann kein anderes Ergebnis erzielt werden. Denn die Freistellung des Rentenversicherungsträgers wegen des Anspruchs gegen den Dienstherrn würde in den Fällen der vorliegenden Art zur Verpflichtung der Krankenkasse und nicht zu der des Dienstherrn führen. Es besteht aber kein sachlicher Grund, im Verhältnis Krankenkasse/Rentenversicherungsträger wegen eines nicht realisierbaren Anspruchs gegen den Dienstherrn von der Regelung des § 21 a Abs. 3 Satz 2 AVG abzuweichen. Diese Vorschrift regelt das Verhältnis Krankenkasse/Rentenversicherungsträger im Falle der Tbc-Erkrankung, die Regelung des Verhältnisses Dienstherr/Rentenversicherungsträger in Abs. 7 kann nur zur Klärung der Frage angewendet werden, ob einer dieser Sozialleistungsträger zuständig ist.
Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die in § 21 a Abs. 7 Satz 2 letzter Halbsatz AVG ausdrücklich hervorgehobenen Fälle, in denen die Freistellung des Rentenversicherungsträgers ausnahmsweise nicht durchgreift, die Absätze 1 bis 6 dieser Vorschrift, vor allem die Zuständigkeitsregelung des Absatzes 3, anzuwenden sind. Das sind die Fälle, in denen nicht nur die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Tbc-Hilfe gegenüber dem Rentenversicherungsträger gegeben sind, sondern gerade zur Zeit der Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit auch ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt. Der Grund dafür, daß trotz eines an sich gegebenen Anspruchs gegen den Dienstherrn die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers aufrechterhalten wird, mag zwar darin liegen, daß hier eine besonders enge Verbindung zum Rentenversicherungsträger (vgl. BSG 24, 230, 233 f) honoriert wird. Entscheidend für die systematische Einordnung dieser Regelung in das Konkurrenzverhältnis Rentenversicherung/Dienstherr/Krankenkasse ist aber, daß in praktisch allen diesen Fällen auch ein Anspruch gegen den Träger der sozialen Krankenversicherung besteht und die Freistellung des Rentenversicherungsträgers nicht die Kostentragungspflicht des Dienstherrn, sondern die der Krankenkasse zur Folge hätte. Nur in den Fällen des Überschreitens der Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung (§ 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO) braucht dies nicht zu sein. Die in § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG selbst enthaltene Ausnahmeregelung zugunsten versicherungspflichtig Beschäftigter weist jedenfalls darauf hin, daß es im Falle eines Anspruchs gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung bei der grundsätzlichen Aufgabenverteilung zwischen Rentenversicherungsträger und Krankenversicherungsträger nach Absatz 3 verbleibt.
Das LSG hat daher zutreffend die beigeladene BfA zur Zahlung der Kosten der stationären Tbc-Behandlung verurteilt. Ihre Revision war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen