Verfahrensgang
SG Stuttgart (Urteil vom 27.07.1992) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Juli 1992 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt vom beklagten Versorgungsträger einen Zuschuß zu den Kosten des Zahnersatzes für seine rentnerkrankenversicherte Ehefrau (Beigeladene zu 1.).
Der Kläger bezieht vom Beklagten ua Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen und Pflegezulage der Stufe 2. Seine Ehefrau, die ihn dauernd unentgeltlich pflegt (Beigeladene zu 1.), ist als Rentnerin Pflichtmitglied der Allgemeinen Ortskrankenkasse Stuttgart (AOK). Nach den Feststellungen des Sozialgerichts (SG) betrug ihre im wesentlichen auf freiwilligen Beiträgen beruhende Erwerbsunfähigkeitsrente monatlich weniger als 100,– DM. Im Jahr 1991 ließ sich die Beigeladene zu 1.) einen Zahnersatz eingliedern. Soweit die Gesamtkosten des Zahnersatzes in Höhe von 4.754,83 DM nicht auf Metallkosten beruhten, übernahm die AOK Stuttgart einen Anteil von 60 vH. Darauf beantragte der Kläger beim Beklagten einen ergänzenden Zuschuß gemäß § 12 Abs 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) von mindestens 20 vH der in Rechnung gestellten Kosten. Mit Bescheid des Versorgungsamtes vom 26. April 1991 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Beigeladene zu 1.) sei kraft Gesetzes krankenversichert, weswegen der Kläger keinen Anspruch auf Zuschuß zu ihrem Zahnersatz nach § 12 Abs 2 BVG habe. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes vom 7. August 1991 zurück.
Das SG Stuttgart hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Juli 1992). In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dem Kläger stehe der begehrte Zuschuß nicht zu, weil seine Ehefrau in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sei. Daß die ausgeschlossene Leistung nach dem BVG höher gewesen wäre als die zum Ausschluß führende Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, sei unerheblich, ebenso daß die Krankenversicherung auf einer Rente und diese im wesentlichen auf freiwilligen Beiträgen beruhe. Der Ausschluß von Pflichtmitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung von Leistungen auf Krankenbehandlung nach dem BVG verstoße nicht gegen Art 3 des Grundgesetzes (GG), da es dem Gesetzgeber unbenommen bleibe, unterschiedliche Lebenssachverhalte unterschiedlich zu regeln und ihm dabei eine weitgehende Ermessensfreiheit zustehe.
Zwar erscheine der nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlende Anteil an den Zahnarztkosten im Verhältnis zu der von der Beigeladenen zu 1.) bezogenen Jahresrente als außerordentlich hoch, doch sei dieses Problem nicht im Rahmen des Versorgungsrechts zu lösen. Denkbar sei dagegen die volle Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenkasse gemäß § 61 des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V).
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt der Kläger die Verletzung des § 12 Abs 2 Satz 2 1. Halbsatz BVG iVm Art 3 und Art 20 GG. Er sieht einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz darin, daß nicht krankenversicherte Familienangehörige von Schwerbeschädigten im Ergebnis höhere Zuschüsse zu den Kosten des Zahnersatzes erhalten als Angehörige, die gesetzlich krankenversichert sind.
Er beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts vom 27. Juli 1992 den Bescheid des Versorgungsamtes vom 26. April 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 1991 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger für seine Ehefrau einen Zuschuß in Höhe der Differenz zwischen 80 vH der Zahnarztrechnung des Dr. S., Stuttgart, über 4.754,83 DM und den von der AOK Stuttgart gezahlten 2.671,50 DM zu zahlen,
hilfsweise Vorlage beim Bundesverfassungsgericht wegen Verfassungswidrigkeit des § 12 Abs 2 Satz 2 1. Halbsatz BVG.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Sprungrevision des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Versorgungsverwaltung ist nicht verpflichtet, dem Kläger den Zuschuß für Zahnersatzkosten von 60 vH, den seine Ehefrau als Pflichtversicherte von ihrer Krankenkasse erhalten hat, auf 80 vH aufzustocken. Grundsätzlich hat zwar ein Schwerbeschädigter, wie der Kläger, für seinen Ehegatten Anspruch auf Zuschuß zu den Kosten der Beschaffung von Zahnersatz bis zur Höhe von 80 vH. Das ist in § 12 Abs 2 Satz 1 iVm § 10 Abs 4 BVG geregelt. In § 12 Abs 2 Satz 2 BVG ist aber festgelegt, daß Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Versorgung mit Zahnersatz für Pflichtversicherte die Leistung nach Satz 1 ganz und für freiwillig Versicherte teilweise ausschließen (§ 12 Abs 2 Satz 2 Halbs 2 BVG). Der Kläger kann nicht so behandelt werden, als trüge seine Ehefrau als freiwilliges Mitglied mehr als die Hälfte der Beitragslast aus eigenen Mitteln. Denn sie ist pflichtversichert und trägt – jedenfalls von ihrer Rente – auch nur die Hälfte der üblichen Beitragslast für Pflichtversicherte (vgl ab 1. Januar 1992 §§ 247, 249a SGB V, vorher § 83e AVG). Der völlige Ausschluß der Pflichtversicherten ist sachgerecht und entspricht dem Zweck der Krankenversorgung für Angehörige von Schwerbeschädigten im System der sozialen Sicherung; verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nicht.
Der Kläger kann sich auch nicht auf die Vorschriften berufen, die das Zusammentreffen von Sozialleistungsansprüchen in der Weise regeln, daß dem Leistungsempfänger die höhere Leistung verbleibt. Richtig ist, daß viele Vorschriften, die das Verhältnis von Leistungsansprüchen regeln, die aus demselben Leistungsgrund entstehen, dafür Sorge tragen, daß dem Leistungsempfänger im Ergebnis die höhere Leistung verbleibt. Der für nachrangig erklärte Anspruch wird nur in Höhe des vorrangigen Anspruchs ausgeschlossen oder ruht nur in dieser Höhe. Es ist auch einzuräumen, daß das Bundesverfassungsgericht für eine Reihe von Vorschriften, in denen die Konkurrenz von Leistungsansprüchen nicht ausdrücklich in dieser Weise geregelt ist, entschieden hat, daß eine verfassungskonforme Auslegung, wenn sie nach dem Wortlaut der betreffenden Vorschriften möglich ist, zu diesem Ergebnis führen muß (BVerfGE 31, 185 = SozR Nr 18 zu Art 14 GG; BVerfGE 53, 313 = SozR 4100 § 168 Nr 12; BVerfGE 79, 87 = SozR 2200 § 183 Nr 54).
Auf diese Weise geschützt sind aber nur Sozialleistungsansprüche, die deshalb gewährt werden, weil der Sozialleistungsempfänger dafür eine Vorleistung erbracht hat und die deshalb auch nicht davon abhängig gemacht werden dürfen, ob im Einzelfall ein Bedarf besteht. Wenn aus demselben Grund – etwa Versicherungs-oder Versorgungsfall – zwei durch Vorleistungen erworbene Ansprüche fällig werden, besteht zwar ein Interesse daran, eine Überversicherung oder Überversorgung, dh eine Doppelleistung zu vermeiden. Der verfassungsgemäß handelnde Gesetzgeber kann aber nicht regeln, daß ein derart erworbener höherer Anspruch deshalb ganz wegfällt oder ruht, weil ein weiterer geringerer Anspruch erworben wird. Derselbe Gedanke gilt, wenn es sich um Ansprüche handelt, die einem Bürger deshalb zustehen, weil von ihm ein besonderes Opfer verlangt worden ist. Dementsprechend werden nach § 65 BVG die Ansprüche auf Versorgungsbezüge und Heilbehandlung des Geschädigten nur insoweit zum Ruhen gebracht, wie entsprechende Ansprüche nach Unfallversicherungsrecht oder Beamtenrecht bestehen.
Die hier umstrittene Vorschrift des § 12 Abs 2 Satz 2 BVG regelt nicht das Verhältnis zweier nebeneinander bestehender erworbener Ansprüche. Sie bekräftigt die Grundentscheidung, die der Gesetzgeber im Rahmen des kriegsopferrechtlichen Krankenschutzes getroffen hat, auch für die Zahnarztleistungen. Nach dieser Grundentscheidung haben einen unbedingten Anspruch auf Krankenschutz nur die Kriegsbeschädigten selbst und diese nur für die Gesundheitsstörungen, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind (§ 10 Abs 1 BVG). Der Anspruch auf den Krankenschutz in diesem Umfang kann als erworben gelten, weil er für das Opfer an Gesundheit gewährt wird, das der Staat von dem Geschädigten verlangt hat (vgl dazu Fehl in Wilke, Soziale Entschädigung, 2. Auflage, § 1 BVG RdNr 2). Dazu gehört der Krankenschutz für die Ehefrau des Geschädigten auch dann nicht, wenn sie zugleich Pflegerin ihres Mannes ist. Es bestehen allerdings beachtliche Gründe, auch der pflegenden Ehefrau den unbedingten versorgungsrechtlichen Krankenschutz zu gewähren. Sie könnte als mittelbar Geschädigte anerkannt werden, wenn sie durch die Pflege gehindert war, sich eine volle eigene soziale Sicherung zu verschaffen. Dabei sollte beachtet werden, daß sie durch ihre Pflege den Staat entlastet, weil insoweit eine fremde Pflegekraft erspart wird (vgl § 35 BVG). Die Rechtsprechung ist aber nicht befugt, den im BVG abschließend aufgeführten Kreis der unbedingt Berechtigten zu erweitern. Der Gesetzgeber, der in der Kriegsopferversorgung einen besonders weiten Spielraum hat (vgl BVerfG SozR 2200 § 175 Nr 6 mwN), hat es bisher unterlassen, die pflegenden Ehefrauen als mittelbar Geschädigte zu behandeln. Das zeigt sich ua auch daran, daß schädigungsbedingte Nachteile der pflegenden Ehefrau in ihrer eigenen Altersversorgung nach dem BVG nicht berücksichtigt werden (vgl § 48 BVG).
Der Gesetzgeber hat aus fürsorgerischen Gesichtspunkten (BSG SozR 3100 § 10 Nrn 6, 13, 18) das Bedürfnis für den Krankenschutz weit über den Kreis der unmittelbar Kriegsbeschädigten hinaus anerkannt. Diese Erweiterung ist aber an typischen Bedarfssituationen orientiert. § 10 Abs 2 – 6 BVG erweitert den Krankenschutz auf nicht schädigungsbedingte Leiden und für nicht, jedenfalls nicht unmittelbar Geschädigte. Die in § 10 Abs 7 BVG aufgeführte Liste der Gründe, die die Erweiterung des Krankenschutzes nach § 10 Abs 2, 4, 5 und 6 BVG ausschließen, zeigt aber, daß der Krankenschutz vom Bedarf abhängig ist. Der Bedarf wird nicht im Einzelfall geprüft, sondern typisierend unterstellt, es sei denn, daß ein Ausschlußgrund vorliegt. Ein Ausschlußgrund liegt vor, wenn ein Sozialleistungsträger zu einer entsprechenden Leistung verpflichtet ist (§ 10 Abs 7 Satz 1 Buchst d BVG). Die Leistungen entsprechen sich schon dann, wenn sie in ihrer Zweckbestimmung und in der Art der Leistungserbringung übereinstimmen (so § 10 Abs 7 Satz 2 BVG). Daraus folgt, daß sie in ihrem Umfang nicht übereinstimmen müssen, also durchaus geringer sein dürfen. Das Gesetz ordnet damit eine strikte Subsidiarität an (BSG SozR 3-3100 § 44 Nr 1).
Diese Regelung ist nicht sachwidrig und verstößt daher nicht gegen den Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG). Zwar leuchtet es auf den ersten Blick vielleicht nicht ein, daß man einen höheren Anspruch dadurch verlieren soll, daß man sich mit eigenen Kosten einen geringeren verschafft. Eine solche Überlegung ist aber im Rahmen des erweiterten Krankenschutzes der Kriegsopferversorgung nicht gerechtfertigt. Die Tatbestände, die zum Ausschluß führen, erfordern nämlich nicht, daß sonstige Sozialleistungsansprüche den Krankenschutz ersetzen. Sie gehen vielmehr von der unwiderleglichen Vermutung aus, daß in bestimmten typisierten Fällen der allgemein unterstellte Bedarf nicht vorliegt. Der erweiterte Krankenschutz soll nicht denjenigen zugute kommen, von denen angenommen werden kann, daß sie entweder durch eigene Kraft (§ 10 Abs 7 Satz 1 Buchst a) und c) BVG) oder durch die Solidargemeinschaft der Sozialversicherten (§ 10 Abs 7 Satz 1 Buchst d BVG) eine ausreichende soziale und wirtschaftliche Sicherheit erlangen konnten. Dieser Krankenschutz soll vielmehr nur denjenigen gewährt werden, die nicht arbeiten konnten und deshalb weder sozialversichert sind, noch ein Einkommen haben, das den Sozialversicherungsschutz erübrigt. Mit den Einzelregelungen des § 10 Abs 2, 4, 5, 6 und 7 BVG wird dieses Ziel in sachgerechter Weise verfolgt. Es ist kein überzeugender Grund dafür ersichtlich, daß der BVG-Krankenschutz nur insoweit von einem Sozialversicherungs-Krankenschutz verdrängt wird, wie beide wirtschaftlich gleichwertig sind, zumal nur Abs 7 Buchst f) die Formulierung „wenn und soweit” enthält.
In das auf diesen Grundvorstellungen beruhende Regelungsgefüge für die Krankenversorgung fügt sich die Regelung über die Leistungen für Zahnersatz des § 12 Abs 2 BVG sinnvoll ein. Insbesondere ist es sachgerecht, alle in der sozialen Krankenversicherung pflichtversicherten Angehörigen von Schwerbeschädigten aus der Versorgung mit Zahnersatz völlig auszuschließen. Auch aus der Regelung des § 12 Abs 2 Satz 2 Halbs 2 BVG, wonach freiwillig Versicherte begünstigt werden, läßt sich nichts zugunsten des Klägers herleiten. Diese Regelung schließt sich an § 10 Abs 7 Satz 1 Buchst e BVG an, wonach privat Krankenversicherte ihre Ansprüche nach BVG behalten. Ob die Begünstigung von privat und freiwillig Versicherten sachlich geboten ist, braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls ist es aber ein sachlicher Grund, ihnen zugute zu halten, daß sie die Beiträge für ihre private oder gesetzliche Krankenversicherung ganz oder überwiegend selbst tragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen