Beteiligte
AOK Westfalen-Lippe – Die Gesundheitskasse |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Juni 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Gestritten wird um die Wiederaufnahme der Krankengeldzahlung nach Ablauf einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit.
Der bei der Beklagten krankenversicherte Kläger ist seit dem 22. Januar 1991 mit Unterbrechungen und seit dem 19. April 1993 durchgehend arbeitsunfähig und erhält Krankengeld. Bis zum Ende des ersten Dreijahreszeitraums am 21. Januar 1994 war die Höchstbezugsdauer von 78 Wochen nicht erreicht, so daß eine Unterbrechung im Krankengeldbezug nicht eintrat. Mit Bescheid vom 5. April 1994 wurde dem Kläger vom zuständigen Rentenversicherungsträger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit vom 1. November 1993 bis zum 31. August 1995 bewilligt. Daraufhin stellte die Beklagte am 6. April 1994 die Krankengeldzahlung ein.
Der Kläger beantragte, die Krankengeldzahlung nach dem Ende der Zeitrente zum 1. September 1995 wieder aufzunehmen. Mit Bescheid vom 12. September 1995 (bestätigt mit Schreiben vom 16. November 1995 und Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 1996) lehnte die Beklagte eine Weitergewährung ab. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 28. November 1996 der Klage stattgegeben, das Landessozialgericht (LSG) hat sie mit Urteil vom 5. Juni 1997 abgewiesen. Es hat dem geltend gemachten Anspruch § 50 Abs 1 Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) entgegengehalten. Der Kläger sei beim Wegfall der Zeitrente als Rentner nicht mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen; außerdem habe es sich bei ihm nicht um eine erneute, sondern um dieselbe ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit wie bei Rentenbeginn gehandelt. Das Ergebnis, daß bei zwischenzeitlichem Rentenbezug der frühere Krankengeldanspruch nicht wiederauflebe, entspreche auch dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 50 SGB V bzw des Art 14 Grundgesetz (GG). § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V müsse im Zusammenhang mit § 48 Abs 2 SGB V gesehen werden. Typischerweise werde der Krankengeldanspruch bis zur Höchstdauer von 78 Wochen ausgeschöpft, bevor eine der in § 50 Abs 1 Nr 1 bis 5 SGB V genannten konkurrierenden Leistungen in Anspruch genommen werde, so daß nach deren Ende die Wiederaufnahme der Krankengeldzahlung nur unter den verschärften Voraussetzungen des § 48 Abs 2 SGB V zulässig sei. Bei nicht erschöpftem Krankengeldanspruch und ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit sei allein § 48 Abs 1 SGB V maßgebend. Andernfalls greife § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V in eine eigentumsgeschützte Rechtsposition des Versicherten in enteignender Weise ein, indem ihm ein bereits erworbener Krankengeldanspruch entzogen werde. Gründe hierfür habe der Gesetzgeber nicht angeführt; der angeblich beabsichtigte Ausschluß von Doppelleistungen treffe seinen Fall nicht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 5. Juni 1997 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 28. November 1996 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Die vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen schließen den Anspruch auf Krankengeld nicht aus. Ob ihm andere Hindernisse entgegenstehen, hängt von Umständen ab, zu denen das LSG – von seinem Standpunkt zu Recht – keine Feststellungen getroffen hat.
Versicherte haben nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB V besteht dieser Anspruch ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an.
Durch die am 22. Januar 1991 erstmals eingetretene und seit dem 19. April 1993 ununterbrochen andauernde Arbeitsunfähigkeit hat der Kläger für den am 21. Januar 1994 endenden Dreijahreszeitraum (Rahmenfrist) einen Krankengeldanspruch für die Dauer von bis zu 78 Wochen erworben. Da er den Anspruch in der ersten Rahmenfrist nicht ausgeschöpft hatte, bestand im folgenden Dreijahreszeitraum vom 22. Januar 1994 bis zum 21. Januar 1997 wiederum ein Anspruch für 78 Wochen. Dem steht nicht entgegen, daß die Arbeitsunfähigkeit vermutlich durchgehend auf derselben Krankheit beruht hat, was den Feststellungen des LSG allerdings nicht ausdrücklich zu entnehmen ist. Denn mangels Erschöpfung des Anspruchs in einem früheren Dreijahreszeitraum greift die Regelung des § 48 Abs 2 SGB V, die das Wiederentstehen des Krankengeldanspruchs wegen derselben Krankheit in allen späteren Rahmenfristen (dazu Senatsurteil vom 29. September 1998 - B 1 KR 2/97 R, zur Veröffentlichung bestimmt) an besondere Voraussetzungen knüpft, nicht ein. Der erworbene Krankengeldanspruch hätte dem Kläger auch nach Unterbrechungen durch Ruhenszeiten – etwa wegen des Bezugs von Übergangs- oder Verletztengeld – wieder zugestanden, es sei denn, dadurch wäre die Höchstbezugsdauer erreicht worden (vgl § 48 Abs 3 Satz 2, § 49 Abs 1 Nr 3 und Nr 3a SGB V); trotz solcher Unterbrechungen wären die Voraussetzungen für einen „neuen” Anspruch wegen derselben Krankheit nach § 48 Abs 2 SGB V nicht zu prüfen gewesen.
Der Bezug der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit hat ebenfalls nicht zum Verlust des ursprünglich erworbenen Anspruchs geführt. Allerdings ordnet das Gesetz insoweit nicht nur ein vorübergehendes „Ruhen” an, sondern bestimmt in § 50 Abs 1 Satz 1 SGB V in der am 19. Mai 1995 in Kraft getretenen Fassung des 3. SGB V-Änderungsgesetzes (3. SGB V-ÄndG) vom 10. Mai 1995 (BGBl I 678), daß ein Anspruch auf Krankengeld mit Beginn einer der in Nr 1 bis 5 genannten konkurrierenden Leistungen „endet” und daß nach deren Beginn ein neuer Anspruch nicht entsteht. Ergänzend ist in § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V festgelegt, daß nach dem Wegfall der konkurrierenden Leistung ein Anspruch auf Krankengeld (nur) entsteht, wenn der Versicherte bei Eintritt einer erneuten Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld versichert ist. Diese Vorschriften schließen ein Wiederaufleben des ursprünglichen Krankengeldanspruchs des Klägers nach dem Ende der Erwerbsunfähigkeitsrente jedoch nicht aus.
Das Gesetz umschreibt nicht näher, was mit dem „Ende” des Anspruchs iS von § 50 Abs 1 Satz 1 SGB V gemeint ist. Bis zum 31. Dezember 1988 enthielt das Krankenversicherungsrecht in § 183 Abs 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) eine entsprechende Vorschrift, die das Ende des Anspruchs auf Krankengeld vorsah, wenn (ua) eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt wurde. Der damals verwandte Begriff wurde von der Rechtsprechung so verstanden, daß er einem Wiederaufleben des Anspruchs nach dem Wegfall der Rente nicht entgegenstand (BSGE 27, 66 = SozR Nr 23 zu § 183 RVO; SozR Nr 24 zu § 183 RVO Bl Aa 26; BSGE 32, 18, 19). Eine weitergehende Ausschlußwirkung wurde mit dem alleinigen Zweck der Vorschrift, einen Doppelbezug von Leistungen mit voller Lohnersatzfunktion zu verhindern, als unvereinbar angesehen (BSGE 27, 66, 67 = SozR Nr 23 zu § 183 RVO Bl Aa 24).
In § 50 Abs 1 Satz 1 SGB V wird seit der Novellierung durch das 3. SGB V-ÄndG vom 10. Mai 1995 derselbe Begriff verwendet wie in der RVO; die laut Gesetzesbegründung (vgl BT-Drucks 13/340 S 9) unveränderte Zwecksetzung spricht zusätzlich dafür, daß die damalige Auslegung auf die neue Rechtslage zu übertragen ist. Allerdings ist die Kontinuität zwischen der RVO und der jetzigen Regelung durch eine vom 1. Januar 1989 bis zum 18. Mai 1995 geltende andere Fassung des § 50 Abs 1 Satz 1 SGB V unterbrochen; außerdem enthielt die RVO keine dem heutigen § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V entsprechende Vorschrift. Diese Umstände hindern jedoch nicht, bei der Auslegung der jetzigen Fassung an die Rechtsprechung zur RVO anzuknüpfen. Mit der bei Inkrafttreten des SGB V am 1. Januar 1989 in das Gesetz aufgenommenen Wendung „Versicherte haben vom Beginn der nachstehenden Leistungen an keinen Anspruch … ” wurde über das Wiederaufleben des Krankengeldes nach dem Wegfall der konkurrierenden Leistung ebensowenig etwas ausgesagt wie mit der früheren bzw mit der ab 1995 geltenden Regelung über das Ende des Anspruchs. Mangels sonstiger Anhaltspunkte wäre die ab dem 1. Januar 1989 geltende Gesetzesfassung hinsichtlich des Wiederauflebens infolgedessen im gleichen Sinne auszulegen gewesen wie diejenige der RVO. Davon ist der Senat ohne nähere Erörterung auch im Urteil vom 8. Dezember 1992 (BSGE 71, 294 = SozR 3-2500 § 48 Nr 4) ausgegangen. Denn er ist dort der früheren Rechtsprechung lediglich insoweit entgegengetreten, als danach Zeiten des Krankengeldbezugs, für die nachträglich eine (niedrigere) Rente bewilligt worden war, auf die Höchstbezugsdauer anzurechnen waren. Die Übertragbarkeit der zu § 183 Abs 3 RVO entwickelten Grundsätze, die das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs ermöglichten, hat er nicht in Zweifel gezogen.
Auch § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V ist nicht zu entnehmen, daß bei zwischenzeitlichem Bezug einer Rente oder einer der anderen in § 50 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Leistungen ein Wiederaufleben des früheren, nicht ausgeschöpften Krankengeldanspruchs ausgeschlossen sein soll. Der Umstand, daß das Gesetz die rechtlichen Auswirkungen eines Zusammentreffens des Krankengeldes mit einer Rente oder rentenähnlichen Leistung (Satz 1 Halbsatz 2) und die Voraussetzungen für einen (erneuten) Krankengeldbezug nach dem Wegfall einer solchen konkurrierenden Leistung (Satz 4) besonders normiert, scheint allerdings für eine abschließende Regelung in dem Sinne zu sprechen, daß der Krankengeldanspruch stets neu begründet werden muß. Indessen würde bei einem derartigen Verständnis der Vorschrift der systematische Zusammenhang mit § 48 Abs 2 SGB V nicht genügend beachtet, der seinerseits abschließend regelt, wann Krankengeld wieder zu gewähren ist, wenn der Versicherte wegen derselben Krankheit den Anspruch bis zur Höchstbezugsdauer ausgeschöpft hat. Dieser Zusammenhang hindert die Auslegung des § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V als Ausschlußnorm auch und gerade dann, wenn der Anspruch im konkreten Fall in der laufenden Rahmenfrist noch nicht erschöpft ist oder in der vorherigen Rahmenfrist noch nicht erschöpft war.
Sowohl § 50 Abs 1 Satz 4 als auch § 48 Abs 2 SGB V legen Voraussetzungen fest, unter denen Krankengeld nach dem Wegfall eines Ausschlußtatbestands wieder zu gewähren ist. Da die Anforderungen nicht übereinstimmen, andererseits sich aber die Anwendungsbereiche der beiden Vorschriften überschneiden, müssen sie so ausgelegt werden, daß Wertungswidersprüche vermieden werden. Während § 48 Abs 2 SGB V vor dem Eintritt der den Anspruch auslösenden erneuten Arbeitsunfähigkeit eine sechsmonatige Arbeitsfähigkeit und eine entsprechend lange Erwerbstätigkeit oder Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung verlangt, kennt § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V keine derartige Mindestfrist. Wenn die Ausschlußtatbestände, auf die sich die beiden Vorschriften beziehen, zusammentreffen – wenn der Anspruch also nach Erschöpfung der Höchstbezugsdauer außerdem durch eine konkurrierende Leistung ausgeschlossen wird –, kann nur eine der beiden Entstehungsvorschriften gelten.
Hätte § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V den Vorrang, würde sich die Erschöpfung des Krankengeldanspruchs anders auswirken, je nach dem, ob der Versicherte vorübergehend eine der in Satz 1 genannten Leistungen bezieht oder nicht. Im einen Fall könnte er bereits nach eintägiger Arbeitsfähigkeit wieder Krankengeld beziehen, im anderen müßte er mindestens sechs Monate arbeitsfähig gewesen sein und weitere Bedingungen erfüllt haben. Eine Rechtfertigung für eine derartige Besserstellung des zeitweisen Beziehers einer das Krankengeld ausschließenden Leistung ist nicht ersichtlich. Dasselbe gilt umgekehrt für eine Schlechterstellung von Versicherten, die in keiner vorausgegangenen Rahmenfrist wegen derselben Krankheit Krankengeld für 78 Wochen bezogen hatten. In ihrem Fall lebt der früher erworbene Anspruch nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB V mit Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums wieder auf (BSGE 71, 290 = SozR 3-2500 § 48 Nr 3), wohingegen bei einer Unterbrechung durch zeitweisen Rentenbezug wie im Fall des Klägers ein Wiederaufleben ausgeschlossen und ein Wiederentstehen nur im Falle einer Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld möglich wäre. Auch insoweit ließe sich die unterschiedliche Behandlung nicht überzeugend begründen.
Eine Verdrängung von § 48 Abs 2 durch § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V ist auch mit der Entstehungsgeschichte der beiden Vorschriften nicht vereinbar. § 48 Abs 2 SGB V wurde zum 1. Januar 1989 mit dem Gesundheits-Reformgesetz eingeführt, um den Anreiz zu beseitigen, das Krankengeld als unterbrochene Dauerleistung mit Rentenersatzfunktion in Anspruch zu nehmen (BT-Drucks 11/2237 S 181 zu § 47 Abs 2). § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V wurde erst durch das 3. SGB V-ÄndG vom 10. Mai 1995 im Zusammenhang mit der Neufassung von Satz 1 geschaffen, der den Ausschluß jeglichen Krankengeldbezugs neben den anderen dort genannten Lohnersatzleistungen bewirken sollte, nachdem der Senat die frühere Fassung im Sinne eines Ausschlusses lediglich bereits entstandener Krankengeldansprüche ausgelegt hatte (SGb 1994, 523 = NZS 1994, 316 = EzS 90/191). Hierzu sollte „klargestellt” werden, daß bei Wegfall der Erwerbsunfähigkeitsrente oder des Altersruhegeldes ein neuer Krankengeldanspruch entsteht, wenn eine Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld besteht (BT-Drucks 13/340 S 9). Mit der Klarstellungsabsicht wäre es unvereinbar, wenn durch Satz 4 der Anwendungsbereich von § 48 Abs 2 SGB V eingeschränkt worden wäre.
Der begrenzte Regelungsgehalt des § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V ist schließlich auch im Wortlaut angedeutet. Wenn es dort heißt: „bei Eintritt einer erneuten Arbeitsunfähigkeit”, so kann das zwar als schlichte Bezugnahme auf den Zeitpunkt zu verstehen sein, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs zu prüfen sind. In diesem Sinne hat der Senat die ähnliche Wendung in § 48 Abs 2 SGB V aufgefaßt und einer Auslegung widersprochen, welche die Fälle der ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit – zumindest wenn diese bereits vor dem 1. Januar 1989 begonnen hatte – vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgeklammert hätte (Vorlagebeschluß vom 10. Dezember 1991 - 1/3 RK 9/90 = USK 91167 = SGb 1992, 508). Die dazu führenden Erwägungen gelten für § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V jedoch nicht. Abgesehen davon, daß mit § 48 SGB V gerade das Problem der Dauerarbeitsunfähigkeit anders als bisher gelöst werden sollte und § 50 SGB V eine ganz andere Zielrichtung hat, besteht ein nicht unwesentlicher Unterschied im Wortlaut der beiden Vorschriften. In § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V wird der unbestimmte Artikel „einer” verwandt, während § 48 Abs 2 SGB V auf den Eintritt „der” erneuten Arbeitsunfähigkeit abstellt, was unschwer als Bezugnahme auf den im Gesamtzusammenhang der Vorschrift maßgeblichen Zeitpunkt zu verstehen ist. Das bestätigt das bereits aus systematischen Überlegungen gewonnene Ergebnis, daß die in § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V beabsichtigte Klarstellung nur diejenigen Fälle erfaßt, in denen die Höchstbezugsdauer von vornherein keine Rolle spielen kann, weil verschiedene Krankheiten zeitlich getrennt voneinander zur Arbeitsunfähigkeit führen. Geht es demgegenüber um das Wiederaufleben des Anspruchs bei ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit oder wegen einer nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB V einzubeziehenden zusätzlichen Krankheit, kommt es nach § 48 Abs 2 SGB V allein darauf an, ob die Höchstbezugsdauer in der laufenden oder einer früheren Rahmenfrist bereits ausgeschöpft ist. Steht dieses Merkmal dem Anspruch nicht entgegen, bleibt es beim Grundsatz des zeitlich unbegrenzten Anspruchs nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB V.
Der gefundenen Lösung kann nicht mit Erfolg entgegenhalten werden, § 50 Abs 1 Satz 1 und Satz 4 SGB V hätten bei praktisch gleichem Wortlaut unterschiedliche Regelungsgegenstände. Richtig ist, daß die Wendungen „entsteht ein neuer Krankengeldanspruch” bzw „entsteht ein Anspruch auf Krankengeld” nur unwesentlich voneinander abweichen, so daß die unterschiedliche Reichweite im Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck kommt. Das hindert jedoch nicht, die Vorschrift in dem Sinne zu verstehen, daß Satz 1 jeglichen Krankengeldbezug ausschließt, also auch das Wiederaufleben im hier umschriebenen Sinn, während dieses von Satz 4 gerade nicht erfaßt wird. Denn der Begriff des „Wiederauflebens” wird im Gesetz an keiner Stelle verwendet und der Unterschied zum „Entstehen” oder zum „Wiederentstehen” hat sich auch sonst nicht in der Wortwahl niedergeschlagen, wie die in § 48 Abs 2 SGB V benutzte Formulierung „besteht … ein neuer Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Krankheit” zeigt. Auch in der bisherigen Rechtsprechung ist das Wiederentstehen des Anspruchs nach § 48 Abs 2 SGB V trotz der darin vorausgesetzten Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit als „Wiederaufleben unter erschwerten Bedingungen” bezeichnet worden (BSG SozR 3-2500 § 48 Nr 5 S 24). Unter diesen Umständen hält der Senat die aufgezeigten systematischen Argumente gegenüber dem insoweit ungenauen Wortlaut für durchschlagend. Freilich ist nicht zu verkennen, daß bei der für zutreffend gehaltenen Auslegung keine Fallgestaltung verbleiben dürfte, die durch § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V abweichend vom bisherigen Recht geregelt wird. Dieser Einwand trägt jedoch schon deshalb nicht, weil der Gesetzgeber selbst im Zusammenhang mit § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V nicht von einer Rechtsänderung, sondern nur von einer Klarstellung spricht. Ob eine solche mit Blick auf die in der Gesetzesbegründung angeführte Entscheidung des Senats vom 15. Dezember 1993 (SGb 1994, 523 = NZS 1994, 316 = EzS 90/191) oder auf ein denkbares Mißverständnis von § 50 Abs 1 Satz 1 SGB V als Ausschlußgrund auch für zukünftige Krankengeldansprüche veranlaßt war, mag dahinstehen. Eine Rechtsänderung hinsichtlich der Möglichkeit des Wiederauflebens von Krankengeldansprüchen nach Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitsfähigkeit oder durch den Bezug anderweitiger Leistungen oder nach dem Beginn einer neuen Rahmenfrist sollte damit jedenfalls nicht verbunden sein.
Obwohl der geltend gemachte Krankengeldanspruch nach alledem entgegen der Ansicht des LSG durch § 50 Abs 1 SGB V nicht ausgeschlossen ist, kann der Senat über das Klagebegehren nicht abschließend entscheiden. Das SG hatte die Beklagte verurteilt, Krankengeld „nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen” zu gewähren. In Verbindung mit den Urteilsgründen, wonach die Beklagte als verpflichtet angesehen wurde, Krankengeld „im Grundsatz für 78 Wochen” zu gewähren, ergibt dieser Tenor, daß das SG nicht alle Voraussetzungen des Krankengeldanspruchs für die Zeit vom 1. September 1995 bis zur mündlichen Verhandlung am 28. November 1996 bejaht hat. Ein derartiges ”Grundurteil„, bei dem lediglich über ein bestimmtes Anspruchselement entschieden und die Sache im übrigen zur weiteren Klärung an die Verwaltung zurückverwiesen wird, sieht die Prozeßordnung nicht vor. Allein die Höhe der Leistung kann vom Gericht offengelassen werden; die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach müssen auch beim Erlaß eines Grundurteils nach § 130 Sozialgerichtsgesetz sämtlich geprüft und festgestellt werden (BSG USK 83141; Pawlak in: Hennig, Sozialgerichtsgesetz, Stand: März 1998, § 130 RdNr 45 jeweils mwN). Würde die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen, wäre offen, ob und gegebenenfalls für welche Zeiträume dem Kläger tatsächlich Krankengeld gewährt werden müßte. Gegen einen unbeschränkten Anspruch könnte sprechen, daß im Urteil des LSG vom Bezug von Arbeitslosengeld ab dem 5. September 1995 die Rede ist. Außerdem ist das Ergebnis des in diesem Urteil ebenfalls erwähnten Sozialgerichtsverfahrens gegen die Ablehnung einer Verlängerung der Zeitrente nicht geklärt; deshalb ist nicht auszuschließen, daß die Rente verlängert oder in eine Dauerrente umgewandelt worden ist und aus diesem Grund kein Krankengeldanspruch besteht.
Das LSG wird auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Senats die weiteren Voraussetzungen des Krankengeldanspruchs zu klären und sodann über das Begehren des Klägers abschließend zu entscheiden haben. Dabei ist auch das zum 22. Januar 1997 eingetretene Ende der Rahmenfrist zu beachten und die bis dahin erreichte Bezugsdauer zu berechnen. Eine über diesen Stichtag hinausreichende Verurteilung kann außerdem davon abhängen, welche Krankheit(en) die Arbeitsunfähigkeit bisher verursacht haben und weiter verursachen. Grundlage der Entscheidung des Senats ist lediglich die vom LSG festgestellte durchgehende Arbeitsunfähigkeit vom 19. April 1993 bis zum 5. Juni 1997 (dem Tag der mündlichen Verhandlung vor dem LSG).
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der abschließenden Entscheidung durch das LSG vorbehalten.
Fundstellen
BSGE, 13 |
NZS 1999, 397 |
SGb 1998, 652 |
Breith. 1999, 923 |
SozSi 1999, 297 |
SozSi 1999, 341 |