Leitsatz (amtlich)
Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfange "seelische Begleiterscheinungen" im Sinne des BVG § 30 Abs 1 S 1 Halbs 2 bei der Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen sind.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1956-06-06, S. 2 Fassung: 1956-06-06
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 16. Januar 1957 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger, geboren am 27. August 1902, wurde am 9. September 1941 durch Granatsplitter verwundet und am 17. September 1943 aus dem Wehrdienst entlassen. Als Körperschäden erkannte das Wehrmachtsfürsorge- und Versorgungsamt durch Bescheid vom 6. Oktober 1943 an: "Granatsplitter an der Wand der großen Schlagader nach Bruststeckschuß, reizlose Narben am linken Oberarm sowie am 4. Finger der linken Hand", der Kläger erhielt Rente nach der Versehrtenstufe II. Vom 1. August 1947 an bewilligte ihm die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Schleswig-Holstein nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 Rente auf Grund derselben Leiden nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 50 v.H. (in dem Bescheid vom 25. Februar 1948 hieß es dann allerdings unrichtig "Bauchsteckschuß" statt richtig "Bruststeckschuß"). Bei der Umanerkennung gewährte das Versorgungsamt (VersorgA.) Schleswig durch Bescheid vom 22. Oktober 1951 unter derselben Leidensbezeichnung vom 1. Oktober 1950 an auch nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) Rente für eine MdE. um 50 v.H. Den Einspruch des Klägers wies der Beschwerdeausschuß des VersorgA. Schleswig durch Bescheid vom 9. Mai 1952 zurück. Mit der Berufung begehrte der Kläger die Aufhebung der Bescheide vom 22. Oktober 1951 und 9. Mai 1952, die Anerkennung einer Malaria tertiani und Rente nach einer MdE. von mehr als 50 v.H. Das Oberversicherungsamt (OVA.) Schleswig wies die Berufung durch Urteil vom 13. Mai 1953 zurück; dieses Urteil wurde rechtskräftig.
Im Juni 1953 wurde der Kläger vom ärztlichen Dienst des VersorgA. Schleswig nachuntersucht; er gab an, er sei nach. der Verwundung bis Ende 1944 von Prof. Dr. S... etwa alle drei Monate untersucht worden, seither werde in etwa einem Vierteljahr Abstand ein Röntgenbefund im Gesundheitsamt Eckernförde gemacht. Der Röntgenbefund der Medizinischen Abteilung des Landeskrankenhauses Schleswig-Stadtfeld vom 22. Juni 1953, den der ärztliche Dienst des VersorgA. beizog, ergab einen etwa 2 cm großen, länglich geformten und unregelmäßig begrenzten Metallsplitter hinter der Hauptschlagader in einem Abstand von einer Querfingerbreite von der Gefäßwand, der eine deutliche Mitpulsation zeige. Dr. H... vom ärztlichen Dienst des VersorgA. kam anhand des Röntgenbefundes zu dem Ergebnis, eine Verbindung des Splitters zur Gefäßwand und zur Lungenwurzel bestehe nicht, Komplikationen seien auch in den folgenden Jahren nicht zu erwarten, ein Herzmuskelschaden sei nicht festzustellen; die Narben am linken Arm und an der linken Hand seien bedeutungslos; daß der Kläger immer noch Malariaanfälle habe, sei unwahrscheinlich. Die MdE. infolge des reizlos eingeheilten Stecksplitters am Herzen betrage 20 v.H. Durch Bescheid vom 15. Januar 1954, den das VersorgA. Schleswig auf § 86 Abs. 3 BVG stützte, wurden die Schädigungsfolgen bezeichnet mit "nahe der Gefäßwand der Hauptschlagader gelegener Stecksplitter nach Bruststeckschuß, reizlose Narben am linken Oberarm und vierten Finger der linken Hand"; die Rente wurde mit Ablauf des Monats Februar 1954 eingestellt, da die Erwerbsfähigkeit nicht mehr um wenigstens 25 v.H. gemindert sei. Den Widerspruch des Klägers wies das Landesversorgungsamt Schleswig-Holstein am 1. Juni 1954 zurück. Der Kläger erhob Klage beim Sozialgericht (SG.) Schleswig und legte neben einem Zeugnis von Dr. W... ein Zeugnis von Dr. B... vom 29. März 1956 vor, der seinen Zustand als "immer noch lebensbedrohlich" bezeichnete; der Kläger leide an Beschwerden ähnlich einer Angina pectoris und an einer exsudativen Pleuritis, beides gehe auf Reizungen durch das Einwachsen des Splitters in der Aortenwand zurück. Das SG. wies die Klage durch Urteil vom 20. Juni 1956 ab. Der Kläger legte Berufung beim Landessozialgericht (LSG.) Schleswig ein; er trug vor, Prof. Dr. S... habe ihm gesagt, er (der Kläger) sei einer von drei Patienten, die eine derartige Verwundung überstanden hätten; Prof. Dr. S... habe ihm dringend geraten, jegliches Heben und jede Erschütterung des Körpers zu vermeiden, dies müsse er auch noch nach 15 oder 2 Jahren beachten; der Splitter sei inoperabel; er sei der Meinung, die Herzbeschwerden und die angina-pectoris-ähnlichen Anfälle seien eine Folge des Steckschusses; er befinde sich nach den Ausführungen von Prof. Dr. S... auch jetzt noch in ständiger Gefahr, der Splitter könne sich jederzeit in Bewegung setzen, dies würde binnen kürzester Frist zu seinem Tode führen; insoweit leide er unter seelischen Begleiterscheinungen seiner Verwundung, die nach § 30 BVG bei der Bemessung des Grades der MdE. zu berücksichtigen seien. Das LSG. hörte als Sachverständige im Termin am 16. Januar 1957 den Facharzt für innere Krankheiten Prof. Dr. G... und den Oberarzt an der chirurgischen Universitätsklinik Kiel, Prof. Dr. J... ferner auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG Dr. B... es ließ den Kläger außerdem, nachdem die Sitzung unterbrochen worden war, am Sitzungstag durch Dr. D... im Beisein von Prof. Dr. J... und Dr. B... nochmals röntgen. Durch Urteil vom 16. Januar 1957 wies das LSG. die Berufung zurück: Nach dem Gutachten der ärztlichen Sachverständigen könnten gelegentlich Schmerzen in der Brust beim Kläger auftreten, sie seien aber nur zu einem geringen Teil auf leichtere Narben und den Zustand nach Durchschuß des Brustbeins zurückzuführen und sie beeinträchtige die MdE. nicht um wenigstens 25 v.H.; der Kläger sei durch den Splitter nach dem Gutachten von Prof. Dr. J... nicht mehr gefährdet, er brauche sich nicht mehr zu schonen und könne ohne Bedenken jede seinem Alter entsprechende Tätigkeit ausüben; sein Zustand habe sich gegenüber den Jahren 1944 - 1946 (richtig: 1941 - 1944), in denen ihn Prof. Dr. S... untersucht habe, entscheidend geändert und günstig entwickelt; entgegen der Auffassung von Dr. B... sei nicht zu befürchten, daß der Splitter sich einmal noch lebensbedrohlich auswirke; seelische Begleiterscheinungen, die durch die erlittene körperliche Beeinträchtigung nicht mehr motivierbar seien und von Beschädigten mit einer normalen seelischen Reaktionslage nicht empfunden würden, sondern neurotischen Ursprungs seien, könnten nicht nach § 30 BVG berücksichtigt werden; unbegründete Befürchtungen, von deren Grundlosigkeit der Verletzte sich habe überzeugen können, dürften ebensowenig als "seelische Begleiterscheinungen" angesehen werden wie seelische Erscheinungen, welche nicht durch die körperliche Beeinträchtigung, sondern in anderer Weise motiviert seien; der Kläger sei seit der Entziehung der Rente durch viele Gutachter beruhigt worden und brauche seither nicht mehr mit einer ernsten Lebensgefährdung durch den Splitter zu rechnen; er habe im Termin auch den Eindruck gemacht, daß er logisch begründeten Darlegungen gegenüber einsichtig sei; bei dieser Sachlage sei für eine zusätzliche Berücksichtigung seelischer Begleiterscheinungen kein Raum. Das LSG. ließ die Revision zu. Das Urteil wurde dem Kläger am 18. Februar 1957 zugestellt.
Am 13. März 1957 legte der Kläger Revision ein. Er beantragte,
unter Aufhebung des Urteils des LSG. Schleswig vom 16. Januar 1957, des Urteils des SG. Schleswig vom 20. Juni 1956, des Widerspruchsbescheids vom 1. Juni 1954 und des Bescheids vom 15. Januar 1954 den Beklagten zu verurteilen, ihm über den 28. Februar 1954 hinaus Rente nach einer MdE. um 50.v.H. zu gewähren;
hilfsweise beantragte er,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.
Nach Verlängerung der Frist für die Begründung der Revision bis zum 18. Mai 1957 begründete der Kläger die Revision am 17. Mai 1957: Er sei jetzt 55 Jahre alt, Drogist und betreibe ein eigenes Ladengeschäft, in dem er "dann und wann einmal" in die Lage komme, schwere Pakete und Kisten anzuheben und zu tragen; dies habe er bisher nicht getan, deshalb habe sich die Lage des Splitters seit 1947 nicht geändert; Prof. Dr. J... hätte vom LSG. als Sachverständiger noch darüber gehört werden müssen, ob der Kläger sich ohne Schaden für seine Gesundheit auch das Anheben und Tragen von schweren Paketen und Kisten und die ständigen Auf- und Abwärtsbewegungen beim Bedienen der Kundschaft an Regalen und Schubfächern zumuten könne, insoweit sei der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt; wenn er aber entgegen der Auffassung des LSG. damit rechnen müsse, daß ein Abweichen von seiner bisherigen Lebensführung den Splitter zum Wandern bringen könne, so wäre die Folge seines Verhaltens ein sehr schneller Tod; dies ständig vor Augen zu haben, bedeute eine schwere seelische Belastung, die nach § 30 BVG berücksichtigt werden müsse; er leide auch an Herzbeschwerden; diese Beschwerden müßten, da eine andere Ursache von den Ärzten nicht festzustellen sei, auf den Splitter zurückgehen; sie erinnerten ihn ständig an den Splitter, auch die besten Fachärzte könnten ihm die ständige Sorge um sein Leben nicht abnehmen.
Der Beklagte beantragte,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II
1.) Die Revision ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt, und sie ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft, da das LSG. sie zugelassen hat. Das LSG. hat sie zugelassen, weil es sich "insbesondere bei der Entscheidung darüber, in welchem Ausmaß seelische Begleiterscheinungen zu berücksichtigen seien", um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handele. Wie weit seelische Begleiterscheinungen bei der Bewertung des Grades der MdE. nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG (in der Fassung der 5. Novelle zum BVG) zu berücksichtigen sind, ist an sich zwar nicht eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern bestimmt sich nach dem Ergebnis der richterlichen Beweiswürdigung im Einzelfall. Das LSG. hat aber, wie sich aus der Begründung des Urteils ergibt, die Revision offenbar deshalb zulassen wollen, weil es bei der Entscheidung des vorliegenden Falles nach seiner Meinung darauf angekommen ist, ob auch Befürchtungen, die nur der Verletzte selbst hegt, die aber nach allgemeiner ärztlicher und richterlicher Erfahrung nicht begründet sind, als "seelische Begleiterscheinungen" anzusehen und deshalb bei der Bewertung des Grades der MdE. zu berücksichtigen sind; damit handelt es sich aber um den rechtlichen Inhalt eines Tatbestandsmerkmals des § 30 BVG und sonach um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Die Zulassung der Revision ist daher nicht etwa "offensichtlich unbegründet" (vgl. BAG NJW. 1955 S. 1128), sie ist deshalb für das BSG. bindend (vgl. BSG. 2 S. 81 ff. [83]; Urteil des BSG. vom 20.2.1957, SozR. Nr. 19 zu § 150 SGG).
2.) Nach dem angefochtenen Bescheid vom 15. Januar 1954 und nach dem Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 1954 ist - neben den reizlosen Narben am linken Oberarm und vierten Finger der linken Hand, deren Bewertung für den Grad der MdE. ohne Bedeutung ist - als Schädigungsfolge anerkannt "nahe der Gefäßwand der Hauptschlagader gelegener Stecksplitter nach Bruststeckschuß". Das LSG. hat nach eingehender Beweisaufnahme festgestellt, daß der Splitter nicht, wie bis zu der Röntgenuntersuchung am 16. Januar 1957 angenommen worden ist, hinter der Aorta liegt, sondern vor ihr, daß er keine direkte Beziehung zur Aortenwand hat, daß er sich in der Lage mindestens seit 1947 trotz des Mitpulsierens mit der Aorta nicht mehr verändert hat und im Narbengewebe fest verwachsen ist; auf Grund der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. J... hält das LSG. eine Verletzung des Herzens und eine Mitbeteiligung des Herzbeutels für ausgeschlossen, auch eine Gefäßbeteiligung und narbige Reaktionen entzündlicher Art sind nach den Feststellungen des LSG. nicht aufgetreten; neu festgestellt hat das LSG. nach der Röntgenuntersuchung am 16. Januar 1957, daß der Splitter das knöcherne Brustbein durchdrungen hat. Das LSG. ist weiter nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, daß die vom Kläger behaupteten gelegentlichen Schmerzen in der Brust bestehen können, daß sie insoweit auf die Schußverletzung zurückgehen, als sie sich infolge der Verletzung des Brustbeines und geringer Narbenbildung durch den eingeheilten Splitter bei Drehbewegungen bemerkbar machen, daß es sich dabei aber nur um leichtere Schmerzen handeln könne. Diese Feststellungen sind mit der Revision nicht angefochten, sie sind daher für das BSG. bindend (§ 163 SGG). Das LSG. hat hieraus zu Recht den Schluß gezogen, daß eine Gefährdung des Klägers durch den Splitter bei einer seinem Alter entsprechenden Betätigung nicht mehr gegeben ist; wenn das LSG. sich insoweit auf die Gutachten von Prof. Dr. G... und Prof. Dr. J... und die letzte Röntgenuntersuchung durch Dr. D... gestützt hat, so hat es weder sein Recht, die Beweise frei zu würdigen (§ 128 SGG), überschritten noch hat es seine Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG), verletzt; es hat insbesondere nicht etwa deshalb zu einem anderen Ergebnis kommen müssen, weil der als weiterer Sachverständige gehörte Dr. B... der sich im wesentlichen auf seine schriftliche Äußerung vom 29. März 1956 berufen hat, der Auffassung ist, die "angina-pectorisähnlichen" Herzbeschwerden seien ausschließlich Folgen der Reizzustände durch das Einwachsen des Splittere in der Aortenwand, auch die bronchitischen Beschwerden des Klägers seien Folgen eines dauernden Splitterreizes, der Zustand des Klägers sei auch jetzt noch "lebensbedrohlich". Diese Auffassung hat dem LSG., da sie insbesondere durch den letzten Röntgenbefund nicht getragen war und auch nicht mit der Feststellung vereinbar ist, daß der Splitter fest eingeheilt und vernarbt ist und trotz des ständigen Mitpulsierens mit der Aorta mindestens seit 1947 seine Lage nicht verändert hat, zu einer anderen Beurteilung keinen Anlaß geben müssen. Auch die vom LSG. als richtig unterstellte Tatsache, daß Prof. Dr. S... dem Kläger zu ständiger Schonung geraten hat, steht den Feststellungen und Schlußfolgerungen des LSG. nicht entgegen; das LSG. ist zu Recht davon ausgegangen, daß seit den Befunden und Äußerungen von Prof. Dr. S... etwa 15 Jahre vergangen sind und daß Prof. Dr. S... von dem damaligen Zustand des Klägers ausgegangen ist, daß die damalige ärztliche Beurteilung aber durch den jetzigen Zustand des Klägers nicht mehr getragen wird.
Das LSG. hat daher zunächst darüber zu entscheiden gehabt, wie weit auf Grund dieser medizinisch festgestellten Tatsachen die Erwerbsfähigkeit des Klägers im allgemeinen Erwerbsleben beeinträchtigt ist, "dabei" sind nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG, zweiter Halbsatz, seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen "in ihrer Auswirkung" zu berücksichtigen gewesen. Da der Splitter unstreitig noch im Körper des Klägers vorhanden ist, eine körperliche Beeinträchtigung also vorliegt, ist nicht darüber zu entscheiden gewesen, ob seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen, wenn sie durch eine Gesundheitsstörung ausgelöst sind, die zwar nach der Meinung eines Versorgung Begehrenden vorhanden ist, nach der Überzeugung der Ärzte oder des Gerichts aber nicht besteht, bei der Bewertung des Grades der MdE. zu berücksichtigen sind (vgl. hierzu Urteil des LSG. Rheinland-Pfalz vom 2. Juli 1956, BVBl. 1954 S. 4 ff. = "Der Versorgungsbeamte" 1956 S. 90 und Urteil des LSG. Schleswig vom 12. Juli 1956, Breithaupt 1956 S. 1057 ff.). Übereinstimmend mit der Auffassung, die in dem Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit vom 25. August 1956 (BVBl. 1956 S. 162) unter Buchst. b Abs. 3 vertreten worden ist, geht der Senat auch davon aus, daß jede Störung der körperlichen Unversehrtheit "in mehr oder weniger großem Ausmaß das seelische Gleichgewicht" beeinträchtigt, und daß die Durchschnittssätze, nach denen anhand der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit" - herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Neuausgabe 1954, - und kraft ärztlicher und richterlicher Beurteilung im Einzelfall die MdE. wegen der körperlichen Beeinträchtigung bewertet wird, auch die "üblichen" seelischen Begleiterscheinungen mitumfassen. Es läßt sich aber nach der Überzeugung des Senats nicht, wie das LSG. dies in dem angefochtenen Urteil getan hat und wie dies auch aus dem Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit vom 25. August 1956 a.a.O. entnommen werden könnte, sagen, daß bei der Bewertung seelischer Begleiterscheinungen stets nur von einer "normalen seelischen Reaktionslage" auszugehen ist; auch der Bundesminister für Arbeit ist (unter Buchst. b Abs. 2 a.a.O.) davon ausgegangen, daß das "Leiden" an einer Störung der körperlichen Unversehrtheit stets auf einem organischen und einem psychischen Prozeß beruht; gerade der psychische Prozeß kann bei den einzelnen Menschen nach ihrer von der Natur gegebenen psychischen Widerstandsfähigkeit verschieden verlaufen; er kann ein stärkeres oder schwächeres "Leiden" an einem körperlichen Zustand hervorrufen, ohne daß es sich dabei notwendig bei dem Betroffenen, der seelisch stärker belastet wird, um - nur - "psychogene oder neurotische Erscheinungen" handelt (so das Rundschreiben a.a.O. unter b Abs. 5) und ohne daß man schon deshalb im einen Fall von einem "wehleidigen", im anderen Fall von einem "beherrschten" Beschädigten sprechen dürfte, wie dies das LSG. Rheinland-Pfalz a.a.O. getan hat; es wird zwar nicht immer leicht sein, seelische B Begleiterscheinungen "bei denen der Beschädigte Objekt eines Geschehens ist", "scharf zu trennen" von "Erscheinungen...., bei denen der Träger der psychogenen oder neurotischen Reaktion Subjekt ist" (so das Rundschreiben a.a.O. unter Buchst. b Abs. 5); erfahrene Psychologen, Psychiater und Neurologen werden aber den Gerichten in aller Regel die medizinischen Unterlagen für die Abgrenzung der in der "normalen" Einzelpersönlichkeit liegenden, wenn auch über die "Durchschnittsempfindlichkeit" hinausgehenden seelischen Begleiterscheinungen von psychisch oder nervös abnormen Reaktionen zu geben vermögen. Daß eine solche, auf die Einzelpersönlichkeit abgestellte Betrachtungsweise dem entspricht, was der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG in der Bekanntmachung vom 6. Juni 1956 (BGBl. I S. 469) beabsichtigt hat, ergibt sich auch aus dem Inhalt des Kurzprotokolls über die 95. Sitzung des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen vom 12. November 1956, in der sich der Ausschuß eingehend mit der Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG und mit dem Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit vom 25. August 1956 befaßt hat (Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, 1953, 29. Ausschuß, Protokoll Nr. 95; vgl. auch das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit vom 20. Februar 1957, BVBl. 1957 S. 34, das auf das Ergebnis dieser Ausschußsitzung zurückgeht). Auch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Juni 1958 (NJW. 1958 S. 1579), das den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallfolgen und dem Entschluß zur Selbsttötung betrifft, führt aus, die ärztliche Einschätzung der Einwirkung von Unfallfolgen decke sich nicht notwendig mit dem "Standpunkt des Rechts", die ursächliche Bedeutung einer Verletzung dürfe nicht nur isoliert nach dem vorliegenden organischen Befund bewertet werden, vielmehr sei zu fragen, "wie sich die vom Gutachter bestätigten körperlichen und seelischen Gesundheitsstörungen auf den Betroffenen unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeitsartung und seiner konkreten Lebensverhältnisse... ausgewirkt haben". Es darf deshalb nicht allein darauf abgehoben werden, ob die seelischen Begleiterscheinungen dann, wenn ein genereller Maßstab angelegt wird, nach Art und Ausmaß des Leidens medizinisch begründet sind. Die seelische Reaktion erhält notwendig stets ein subjektives Moment, das deshalb auch nicht nur nach einem als "normal" unterstellten Durchschnittsmaßstab und damit generell, sondern individuell bewertet werden muß. Eine Begrenzung für die höhere Bewertung der MdE. infolge von seelischen Begleiterscheinungen wird in einer eindeutig abnormen Reaktionslage zu erblicken sein, auch der Bundesgerichtshof (a.a.O.) hat "außerhalb des adäquaten Zusammenhangs liegende Umstände" ausgenommen. Eine solche Begrenzung ergibt sich aber für das Versorgungsrecht im besonderen daraus, daß die seelischen Begleiterscheinungen nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG, 2. Halbsatz, "in ihrer Auswirkung" zu berücksichtigen sind. Das kann nur so verstanden werden, daß sie sich im konkreten Fall für das allgemeine Erwerbsleben bemerkbar machen, also auch insoweit nach objektiven Maßstäben feststellbar sein müssen (ebenso Hess. LSG., Urteil vom 24.10.1956, ZfS. 1957 S. 270). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und inneren Zusammenhang der §§ 29, 30 BVG, aber auch aus dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung des Versorgungsrechts im BVG. Nach § 29 Abs. 1 BVG hat nur der Beschädigte Anspruch auf eine Grundrente, dessen Erwerbsfähigkeit infolge einer Schädigung um wenigstens 25 v.H. gemindert ist; nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG, 1. Halbsatz, ist die MdE. nach der körperlichen Beeinträchtigung "im allgemeinen Erwerbsleben" zu beurteilen; § 30 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz, ist eine Erweiterung und Ergänzung des Begriffs der "Beeinträchtigung", nicht aber eine Ausnahme davon, daß sich die Bewertung der Beeinträchtigung nach dem Maße ihrer Bedeutung für das allgemeine Erwerbsleben richtet; anders wäre das Wort "dabei", das zudem nur einen Halbsatz einleitet, nicht zu erklären; wenn seelische Beeinträchtigungen ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung für das allgemeine Erwerbsleben für den Versorgungsanspruch Bedeutung hätten haben sollen, hätte es mindestens heißen müssen, daß "außerdem" auch seelische Begleiterscheinungen zu berücksichtigen sind. Dem Versorgungsrecht ist aber auch allgemein die Berücksichtigung "immateriellen" Schadens, der sich auf das allgemeine Erwerbsleben nicht auswirkt, fremd. Auch im bürgerlichen Recht kann "wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist", Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden (§ 253 BGB); § 847 BGB, wonach u.a. "im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist", also z.B. auch wegen seelischer Bedrückung und Sorgen, Entschädigung in Geld verlangt werden kann, ist eine solche gesetzliche Ausnahme. Abgesehen davon, daß der öffentlich-rechtliche Versorgungsanspruch nicht dasselbe ist wie der bürgerlichrechtliche Anspruch auf Schadensersatz, bedeutet § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG, 2. Halbsatz, nicht, daß der Gesetzgeber von der Grundlage jedes Versorgungsanspruchs, daß das schädigende Ereignis sich auf das allgemeine Erwerbsleben auswirken muß, hätte abweichen wollen.
3.) Wird der vom LSG. bisher festgestellte Sachverhalt unter diesen Gesichtspunkten gewürdigt, so ist das Urteil des LSG. nicht zu beanstanden, wenn es für die körperliche Beeinträchtigung des Klägers im allgemeinen Erwerbsleben unter Berücksichtigung etwaiger seelischer Begleiterscheinungen eine Erhöhung des Grades der MdE. über 20 v.H. nach dem Ergebnis der ärztlichen Begutachtungen im Verfahren vor dem LSG. nicht für vertretbar gehalten hat. Das LSG. hat zur Recht angenommen, daß die Herzbeschwerden, die durch die Verletzung des Brustbeines und die Narbenbildung infolge des Stecksplitters auftreten, nach dem Ergebnis der ärztlichen Untersuchungen nicht so erheblich sein können, daß sie eine Betätigung des Klägers im allgemeinen Erwerbsleben in einer seinem Alter entsprechenden Weise ausschließen, jedenfalls dann nicht, wenn der Kläger, wie er dies offenbar in den langen Jahren seit seiner Verletzung sich angewöhnt hat, keine schweren körperlichen Arbeiten verrichtet. Der Kläger hat auch nichts dafür dargetan und es ist nach den ärztlichen Ermittlungen auch nicht wahrscheinlich, daß er bei einer Betätigung im allgemeinen Erwerbsleben durch seelische Begleiterscheinungen, die auf die Vorstellung einer mit dem Splitter verbundenen Gefahr zurückgehen, in weitergehendem Maße behindert sei, als es seiner körperlichen Beeinträchtigung entspricht. Er hat mit der Revision nur geltend gemacht, daß er in ständiger Sorge um sein Leben sein müsse, wenn er sich nicht Schonung auferlege, sondern alle, auch schwere körperliche Arbeiten in seinem Beruf zu verrichten habe. Die Revisionsrügen des Klägers sind sonach unbegründet, soweit das LSG. sein Urteil auf § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG gestützt hat.
Nicht ausreichend gewürdigt hat das LSG. aber die Frage, ob die MdE. des Klägers höher zu bewerten ist, weil er durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung und auch jetzt noch ausgeübten Beruf besonders betroffen ist, ob also der Grad der MdE. etwa nach § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG höher als mit 20 v.H. zu bewerten ist. Wenn das LSG. davon ausgegangen ist, daß, wie Prof. Dr. J... ausgeführt hat, Bedenken gegen eine dem Alter des Klägers entsprechende körperliche Belastung nicht bestellen, und wenn es weiter daraus gefolgert hat, daß der Kläger sich nicht mehr zu schonen brauche, so hat es damit im Ergebnis, ohne auf die Frage der beruflichen Betätigung des Klägers näher einzugehen, auch bejaht, daß der Kläger im wesentlichen alle Arbeiten in seinem Beruf ausüben kann. Für diese Schlußfolgerung reichen aber die bisherigen Ermittlungen des LSG. nicht aus. Das LSG. hat keine Erhebungen darüber angestellt, welche Arbeiten der Kläger in seinem Betrieb bisher verrichtet hat, ob es richtig ist, daß er - trotz der Größe des Betriebes und der Zahl der von ihm beschäftigten Arbeitskräfte - dann, wenn er nicht verwundet worden wäre, auch schwere körperliche Arbeiten verrichten würde, ob er diese Arbeiten bisher nur deshalb nicht verrichtet hat, weil er sich wegen der Folgen seiner Verwundung bewußt geschont hat, ob er diese Arbeiten trotz seiner Verwundung unbedenklich verrichten kann und ob sich, wenn dies nicht der Fall ist, daraus wirtschaftliche Auswirkungen für sein Berufsleben ergeben würden. Der Kläger rügt zu Recht, daß sich auch die vom LSG. gehörten ärztlichen Sachverständigen zu diesen Fragen nicht geäußert haben und daß die von Prof. Dr. J... vertretene Auffassung, daß Bedenken gegen eine dem Alter des Klägers entsprechende körperliche Belastung nicht bestehen, nicht ohne weiteres den Schluß rechtfertigt, der Kläger sei auch zu etwa durch seinen Beruf bedingten schweren körperlichen Arbeiten in der Lage, ohne daß er sich gesundheitlich gefährden und ohne daß er dabei in seiner Erwerbsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt würde. Auch bei der Prüfung der Frage, ob der Kläger durch die Folgen seiner Verwundung in der Ausübung seines Berufs besonders betroffen ist (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG), sind aber die im § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG erwähnten "seelischen Begleiterscheinungen und Schmerzen in ihrer Auswirkung" zu berücksichtigen. Es wäre denkbar, daß der Kläger, wenn er sich körperlich in seinem Beruf ebenso betätigt wie ein körperlich unverletzter Betriebsinhaber sich einer Gefährdung aussetzt. Es wäre auch denkbar, daß die Schmerzen infolge der Verletzung des Brustbeins und infolge der Narben, die auch das LSG. als möglich angenommen habe, sich bei körperlicher beruflicher Betätigung stärker bemerkbar machen, daß dadurch auch die seelischen Begleiterscheinungen, nämlich die Angst, es könne infolge des Splitters doch noch zu einer ernsten Komplikation kommen, "in ihrer Auswirkung" stärker bemerkbar würden, und daß dies auch wirtschaftliche Folgen für den Kläger haben würde. Es wäre schließlich aber auch denkbar, daß sich der Kläger, obwohl die ärztlichen Sachverständigen möglicherweise davon überzeugt wären, daß er auch in seinem Beruf sich ohne Gefahr schweren körperlichen Arbeiten aussetzen kann, trotzdem nicht von der Befürchtung frei machen könnte, daß er sich damit in eine ernsthafte Gefahr begebe und daß sich diese Angst bei der Betätigung in seinem Beruf auswirkt; in diesem Falle würde allerdings - notfalls anhand des Gutachtens eines Neurologen oder Psychiaters - noch besonders zu untersuchen sein, ob es sich um nur "neurotische oder psychogene" Reaktionen handelt, die nicht mehr mit den Folgen des Wehrdienstes - zu denen auch die seelischen Begleiterscheinungen gehören - zusammenhängen, sondern die außerhalb dieser Folgen allein in einer "nicht normalen seelischen Reaktionslage" und damit in einer Bedingung zu suchen sind, die gegenüber der durch den Wehrdienst ausgelösten Kausalkette selbständige Bedeutung hat. Insoweit wird das LSG. noch weitere Feststellungen zu treffen haben. Es handelt sich dabei nicht nur um "prognostische Beschwerden" (vgl. LSG. Stuttgart, Urteil vom 23.11.1955, SozR. Nr. 8 zu § 30 BVG); auch der Senat geht davon aus, daß für die Beurteilung der MdE. nur die in der Gegenwart bestehende Beeinträchtigung maßgebend sein darf. Es kann deshalb auch im vorliegenden Falle bei den weiteren Ermittlungen nur darauf ankommen, ob nach dem gegenwärtigen körperlichen Zustand, aber auch nach den damit verbundenen seelischen Begleiterscheinungen eine andere Bewertung des Grades der MdE. mit Rücksicht auf die Ansprüche, die an den Kläger in seinem Beruf gestellt werden, erforderlich ist. Bei den vom Senat für geboten erachteten Ermittlungen handelt es sich indessen nicht um Auswirkungen des körperlichen und seelischen Zustandes des Klägers für die Zukunft, sondern um die Frage, ob sich der Kläger in der Gegenwart in seinem Beruf einer über das allgemeine Erwerbsleben hinausgehenden Beanspruchung aussetzen kann.
4.) Das LSG. hat sonach die Berufung zurückgewiesen, obwohl der Sachverhalt zur Entscheidung noch nicht reif ist. Da die Möglichkeit besteht, daß das LSG., wenn es weitere Erhebungen anstellt, zu einem anderen Ergebnis kommt, ist das Urteil des LSG. aufzuheben. In der Sache selbst kann der Senat, da die Feststellungen des LSG. für die Beurteilung der Sache nicht ausreichen, nicht entscheiden; die Sache ist daher an das LSG. zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).
5.) Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen