Leitsatz (amtlich)
1. 1. In den Fällen des FAG SV § 5 ist die Frage, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, nach dem im Unfallzeitpunkt geltenden Recht zu beurteilen (Anschluß BSG 1959-07-30 2 RU 278/56 = SozR Nr 2 zu § 5 FremdRG).
2. Unfälle aus der Zeit vor dem 1942-01-01 für die entgegen dem damals geltenden Recht eine Entschädigung gewährt wurde, können nicht lediglich auf Grund des 6. UVÄndG Art 3 § 2 Abs 1 S 2 als Arbeitsunfälle im Sinne des FAG SV § 5 angesehen werden.
3. Hat sich in der Zeit zwischen dem 1938-12-31 und dem 1942-01-01 ein Unfall bei einer Beschäftigung in Österreich ereignet, so ist dieser als Arbeitsunfall im Sinne des FAG SV § 5 anzusehen, wenn für den Beschäftigten nach EV SV Österreich § 12 die Vorschriften des österreichischen Rechts über den Kreis der der UV unterliegenden Personen galten und im übrigen die allgemeinen Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls erfüllt waren.
4. Zur Auslegung des EV SV Österreich § 12 und der AbK Österreich SV Art 23 Nr 1, 24 Abs 1 Nr 1.
Normenkette
SVFAG § 5 Fassung: 1953-08-07; UVGÄndG 6 Art. 3 § 2 Abs. 1 S. 2; SVAUTEV § 12; SVAbk AUT Art. 23 Nr. 1, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1
Tenor
Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. April 1956 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Ehemann der Klägerin ist am 10. April 1941 an den Folgen eines am 1. April 1941 erlittenen Kraftwagenunfalls verstorben. Dieser Unfall war ihm auf einer Dienstfahrt zugestoßen, die er als Gau-Verwaltungsinspektor bei der Deutschen Arbeitsfront (DAF), Gauverwaltung K unternommen hatte. Die Genossenschaft für reichsgesetzliche Unfallversicherung (BG. 68) gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 24. September 1941 die Witwenrente gemäß § 588 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Im Jahre 1942 übernahm die Eigenunfallversicherung (EUV) der NSDAP die Weitergewährung der Rente, die der Klägerin bis einschließlich März 1945 gezahlt wurde.
Mit Schreiben vom 16. August 1949 teilte die Hessische Ausführungsbehörde für Unfallversicherung der Klägerin mit, sie gewähre ihr vom 1. Januar 1949 an ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs vorläufige Fürsorge gemäß § 1735 RVO. Die damit bewilligte Rentenzahlung wurde Ende 1953 eingestellt, da fortan die Beklagte die weitere Bearbeitung des Falles aufgrund des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 (FremdRG) übernahm. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 9. August 1954 die Gewährung der Witwenrente ab: Ein Arbeitsunfall liege nicht vor, denn eine Tätigkeit im Verwaltungsdienst sei erst mit der Einführung der Personenversicherung durch das 6. Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (6. ÄndG) mit Wirkung vom 1. Januar 1942 an in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen worden.
Das Sozialgericht hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG.) hat die Verwaltungs-BG. beigeladen. Diese hat vorgetragen, die BG. 68 habe seinerzeit lediglich Verwaltungshilfe für die noch nicht funktionsfähige EUV der NSDAP geleistet; die DAF als Unternehmen und der Ehemann der Klägerin als Versicherter hätten der BG. 68 (jetzt: Verwaltungs-BG.) niemals angehört. Das LSG. hat durch Urteil vom 27. April 1956 (veröffentlicht in Breithaupt 1956 S. 805) die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Der Ehemann der Klägerin sei zur Zeit seines Unfalles als Verwaltungsangestellter der DAF nicht bei der BG. 68 versichert gewesen. Die Erteilung des Hinterbliebenenrentenbescheides vom 24. September 1941 durch diese BG. ändere hieran nichts und berühre auch nicht die aus der Zuständigkeit der EUV der NSDAP - eines nicht mehr bestehenden Versicherungsträgers im Sinne des § 1 Abs. 2 FremdRG - folgende Anwendbarkeit des FremdRG. Die hiernach anzuwendende Vorschrift des § 5 FremdRG habe den Sinn, Anspruchsteller, die Leistungen von der EUV der NSDAP bezogen haben, rückwirkend dem allgemeinen Recht der RVO zu unterstellen; eine etwaige Besserstellung, die sie gegenüber dem allgemeinen Recht gehabt hätten, sollten sie nicht behalten. Das anwendbare allgemeine Recht sei nach dem Zeitpunkt des Unfalles zu bestimmen. Unfälle aus der Zeit vor dem 1. Januar 1942 seien daher - obwohl § 5 FremdRG den dem 6. ÄndG entstammenden Ausdruck "Arbeitsunfall" verwende - nach der RVO a. F. zu beurteilen. Die durch Art. 3 § 2 Abs. 1 Satz 2 des 6. ÄndG legalisierte besondere, an sich dem allgemeinen Gesetz widersprechende Handhabung des Einzelfalles könne hierbei nicht maßgebend sein; andernfalls hinge der Anspruch nach dem FremdRG im Ergebnis davon ab, daß zur Zeit des Unfalles die EUV der NSDAP und die von ihr beauftragte BG. 68 den Einzelfall nicht gesetzentsprechend behandelt hätten. Nach der 1941 geltenden Fassung des § 537 RVO sei der Unfall des Ehemannes der Klägerin nicht zu entschädigen gewesen; damals habe es sich grundsätzlich um eine Betriebsversicherung gehandelt, die DAF habe nicht zu den versicherten Betrieben, eine bloße Verwaltungstätigkeit nicht zu den versicherten Tätigkeiten gehört. Der Bescheid der BG. 68 von 1941 sei für die erneute selbständige Feststellung nach dem FremdRG ohne Bedeutung; das Schreiben der Hessischen Ausführungsbehörde vom 16. August 1949 enthalte keine bindende Leistungsfeststellung, sondern nur die Gewährung vorläufiger Fürsorge ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs. - Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 19. Mai 1956 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. Juni 1956 Revision eingelegt und sie zugleich mit der Rüge unrichtiger Anwendung des § 5 FremdRG begründet. Sie beantragt,
unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen den Tod ihres Ehemannes als Berufsunfall anzuerkennen und die Beklagte zur Gewährung der Hinterbliebenenrente zu verurteilen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie stimmen dem angefochtenen Urteil zu.
II
Die Revision der Klägerin ist durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG) und somit zulässig. Sie hatte auch Erfolg.
Zutreffend ist das LSG. davon ausgegangen, daß der Anspruch der Klägerin nach dem FremdRG zu beurteilen ist. Dies folgt aus dem Umstand, daß die Klägerin die Witwenrente für den Unfall ihres Ehemannes bis Ende März 1945 von einem jetzt nicht mehr bestehenden Versicherungsträger (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 FremdRG), nämlich der EUV der NSDAP, bezogen hat. Der Standpunkt des L G., daß hieran die anfängliche Rentengewährung durch die BG. 68 nichts ändert, weil diese BG. seinerzeit nur im allgemeinen Auftrag der EUV tätig geworden ist, wird im Schrifttum bestätigt (Hoernigk-Jahn-Wickenhagen, FremdRG, Kommentar, 2. Aufl., Anm. 4 a zu § 7, S. 91/92), auch die Revision zieht ihn nicht in Zweifel. Da es sich mithin bei dem Unfallversicherungsträger im Sinne des § 1 Abs. 2 FremdRG von vornherein um die EUV der NSDAP gehandelt hat, ergibt sich für den jetzigen Anspruch der Klägerin einmal die Zuständigkeit der Beklagten (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 Halbs. 3 FremdRG), zum anderen unterliegt dieser Anspruch den besonderen Voraussetzungen des § 5 FremdRG.
Mit Recht hat das LSG. ferner angenommen, daß der von der BG. 68 erteilte Bescheid vom 24. September 1941 nicht geeignet ist, auf die selbständige Leistungsfeststellung nach dem FremdRG eine bindende Wirkung auszuüben; dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BSG. 9 S. 273 (275); SozR., FremdRG § 5 Bl. Aa 1 Nr. 2). Der formlosen Mitteilung der Hessischen Ausführungsbehörde vom 16. August 1949 hat das LSG. zutreffend keine Bindungswirkung im Sinne des § 17 Abs. 6 FremdRG beigemessen, denn ein Rechtsanspruch der Klägerin wurde darin ausdrücklich nicht anerkannt (vgl. SozR., FremdRG, § 17 Bl. Aa 8 Nr. 13). Damit entfällt für die Klägerin die Möglichkeit (vgl. BSG. 8 S. 57), die Weitergewährung einer bereits rechtskräftig festgestellten Leistung ohne Rücksicht auf die Erfüllung der Voraussetzungen des § 5 FremdRG zu verlangen.
Gemäß § 5 FremdRG kann die Klägerin vielmehr von der Beklagten Leistungen nur beanspruchen, wenn der Unfall ihres Ehemannes ein "Arbeitsunfall im Sinne des 3. Buches der RVO" gewesen ist und die weiter in dieser Vorschrift aufgeführten Ausschlußgründe nicht gegeben sind. Zu Unrecht meint die Revision, der in § 5 FremdRG gebrauchte Begriff "Arbeitsunfall" spreche dafür, daß es ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des Unfallereignisses allein auf den gegenwärtigen, seit dem 1. Januar 1942 geltenden Rechtszustand abzustellen sei. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (SozR., FremdRG, § 5 Bl. Aa 1 Nr. 2, hier Bl. Aa 2), ist in den Fällen des § 5 FremdRG die Frage, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, nach dem im Unfallzeitpunkt geltenden Recht zu beurteilen. Das Revisionsvorbringen gibt keinen Anlaß, hiervon abzuweichen. Die Auffassung des LSG., für die Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen sei das am 1. April 1941 geltende allgemeine Recht der Unfallversicherung maßgebend, trifft hiernach zu.
Mit Recht hat das LSG. einen Versicherungsschutz für den Ehemann der Klägerin verneint, soweit die allgemeinen Vorschriften der §§ 537, 544 RVO in der vor dem Inkrafttreten des 6. ÄndG geltenden Fassung in Betracht kommen. Verwaltungsunternehmen von der Art der DAF waren bei den der Versicherung unterliegenden Betrieben in § 537 Abs. 1 RVO damaliger Fassung nicht mit aufgezählt. Die bisher getroffenen Feststellungen bieten auch keinen ausreichenden Anhaltspunkt dafür, daß die §§ 539 b RVO a. F. und 537 Abs. 1 Nr. 7 RVO a. F. zu Unrecht nicht angewandt worden sind.
Nach Auffassung des Senats ist dem angefochtenen Urteil auch insoweit beizupflichten, als es die Übergangsvorschrift des Art. 3 § 2 Abs. 1 Satz 2 des 6. ÄndG als nicht geeignet bezeichnet hat, den Unfall des Ehemannes der Klägerin rechtswirksam dem Schutz der allgemeinen Unfallversicherung zu unterstellen. Diese Vorschrift, nach der es dabei bewenden sollte, wenn bereits vor dem 1. Januar 1942 "entsprechend", d. h. unter Vorwegnahme der gesetzlichen Neuregelung verfahren wurde, muß allerdings keineswegs schon deshalb außer Betracht bleiben, weil sie nicht Bestandteil des 3. Buches der RVO geworden ist (so irrtümlich Hoernigk-Jahn-Wickenhagen, a. a. O., Anm. 3 zu § 5 FremdRG, S. 77); eine solche am Wortlaut des § 5 FremdRG haftende Auslegung, die zum Beispiel hinsichtlich der ebenfalls nicht in die RVO aufgenommenen Liste der zu entschädigenden Berufskrankheiten sich von selbst verbieten würde, wäre nach Ansicht des Senats nicht vertretbar. Auch erscheint es mindestens fraglich, ob Art. 3 § 2 Abs. 1 Satz 2 des 6. ÄndG - wie in der angeführten Kommentarstelle behauptet wird - seinerzeit auf ausdrückliches Verlangen von Parteidienststellen eingefügt wurde, um eine bevorzugte Regelung gerade der Unfälle von Parteiangestellten aus der Zeit vor dem 1. Januar 1942 zu ermöglichen (vgl. hiergegen Schulte-Holthausen, BG. 1942 S. 57 (62)). Die Übergangsvorschrift kann jedoch, wie das LSG. zutreffend ausgeführt hat, deshalb nicht dem über § 5 FremdRG heranzuziehenden allgemeinen Recht zugerechnet werden, weil ihr nicht die Bedeutung zukommt, für die zurückliegende Zeit allgemein geltendes Recht zu schaffen; in ihr ist vielmehr lediglich angeordnet, daß es bei einer im Einzelfall getroffenen, an sich ungesetzlichen Regelung verbleiben sollte.
Das im Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen vor 1938 geltende Recht bot hiernach keine Grundlage für die Annahme, der Ehemann der Klägerin sei auf seiner für die DAF unternommenen Dienstfahrt unfallversichert gewesen. Diese Fahrt wurde jedoch auf österreichischem Gebiet im Dienste der Gauverwaltung K der DAF ausgeführt. Rechtsirrtümlich hat das LSG. diese von ihm festgestellte Tatsache nicht beachtet. Bei richtiger Anwendung des § 5 FremdRG hätte das LSG. berücksichtigen müssen, daß unter Umständen aufgrund des § 12 der Verordnung über die Einführung der Sozialversicherung im Lande Österreich vom 22. Dezember 1938 - EVO - (RGBl. 1 S. 1912) Versicherungsschutz anzuerkennen war. Nach dieser gemäß § 3 Abs. 1 FremdRG weiter geltenden Bestimmung blieben die Vorschriften des österreichischen Rechts über den Kreis der von der Unfallversicherung erfaßten Personen bestehen, soweit diese Vorschriften über den Rahmen des Reichsrechts hinausgingen. Nach Auffassung des Senats ist § 12 EVO als Bestandteil des vor dem 1. Januar 1942 allgemein geltenden deutschen Sozialversicherungsrechts anzusehen; denn er galt - ohne irgendwelche Hervorhebung von Tätigkeiten im Dienste der NSDAP - für jeden nach dem "Anschluß" in die österreichischen Gebiete entsandten reichsdeutschen Arbeitnehmer. § 5 FremdRG nötigt keinesfalls dazu, diese Regelung auf Bedienstete von DAF-Verwaltungen nicht anzuwenden; denn es soll - wie auch das LSG. ausgeführt hat - lediglich ihre Besserstellung gegenüber anderen Versicherten vermieden werden, umgekehrt entspricht jedoch auch ihre Schlechterstellung nicht dem Zweck des FremdRG. Aus den bereits dargelegten Gründen kommt auch dem Umstand keine Bedeutung zu, daß § 12 EVO nicht im 3. Buch der RVO enthalten ist.
§ 12 EVO bewirkte, daß in dem hier in Betracht kommenden Zeitpunkt aufgrund der insofern weiter geltenden §§ 142, 223 des österreichischen gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes 1938 - GSVG 1938 - (österreichisches Bundesgesetzblatt 1938 S. 1) jeder im damaligen "Land Österreich" aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses berufsmäßig Beschäftigte unfallversichert war (vgl. Steinbach, BG. 1939 S. 89). Nach dieser Regelung, die später das Vorbild für § 537 Nr. 1 RVO in der Fassung des 6. ÄndG abgab (vgl. Jantz, AN. 1942 S. 209), bestand also der Versicherungsschutz auch für alle in reinen Verwaltungsunternehmen Beschäftigten.
Zur Ergänzung der EVO und zur Auslegung des § 12 hat der Reichsarbeitsminister (RAM) mehrere Erlasse herausgegeben: Danach galt § 12 nach rein territorialen Gesichtspunkten, also ohne Rücksicht darauf, ob Unternehmer oder Arbeitnehmer aus dem Altreich oder aus Österreich stammten (Erlaß vom 19.5.1939, AN. 1939 S. 270); der Zeitpunkt des Beginns des Beschäftigungsverhältnisses bzw. der Errichtung des Unternehmens war ohne Bedeutung (Erlasse vom 3.4.1940 und 11.7.1940, AN. 1940 S. 121, 250); die Vorschriften des österreichischen Rechts über die Befreiung von der Unfallversicherung (§ 224 GSVG 1938) waren nicht anzuwenden, stattdessen wurden bestimmte Gruppen von Beschäftigten, zu denen DAF-Angestellte nicht gehörten, für versicherungsfrei erklärt (Erlaß vom 26.6.1941, AN. 1941 S. 264); schließlich führte der RAM, abweichend von früheren Erlassen, in seinem Erlaß vom 23. Februar 1940 (AN. 1940 S. 88) aus, nach seiner Auffassung unterstünden aus dem Altreich entsandte Arbeitnehmer dann der Regelung des § 12 EVO, wenn ihnen ihr Arbeitsentgelt nicht mehr von einer Dienststelle des bisherigen Beschäftigungsortes, sondern von ihrer neuen Dienststelle in Österreich berechnet und ausgezahlt werde; dieses Merkmal sei als Nachweis dafür anzusehen, daß ein Zusammenhang der Diensttätigkeit mit dem bisherigen Beschäftigungsort nicht mehr bestehe.
Obschon diesen Erlassen, soweit sie die Auslegung des § 12 EVO betreffen, eine die Gerichte bindende Wirkung nicht zukommt (vgl. BSG. 6 S. 252; 9 S. 30 (32)), trägt der Senat keine Bedenken, sie als sachgerechte Interpretation des § 12 EVO bei der Anwendung dieser Vorschrift heranzuziehen. Insbesondere der letztgenannte Erlaß vom 23. Februar 1940 ermöglicht eine einwandfreie Abgrenzung des unter § 12 EVO fallenden Personenkreises; auch nach Meinung des Senats genügte es für die Anwendbarkeit des § 12 EVO nicht, daß in Altreich beschäftigte Arbeitnehmer nur ganz vorübergehend - etwa während einer kurzen Dienstreise - beruflich auf österreichischem Gebiet tätig wurden; vielmehr bedurfte es hierfür einer auf längere Sicht in Österreich ausgeübten Beschäftigung. Der vom LSG. festgestellte Sachverhalt spricht mehr dafür, daß der Ehemann der Klägerin zur Zeit des Unfalles nicht nur ganz vorübergehend in Österreich beschäftigt war. Hiernach könnte gemäß § 12 EVO in Verbindung mit § 5 FremdRG der Klageanspruch zu Recht bestehen.
Die bisher getroffenen Feststellungen reichen jedoch zu einer Entscheidung in der Sache selbst nicht aus. Es bedarf vor allem weiterer Ermittlungen über das dienstliche Verhältnis des Ehemannes der Klägerin zur K. Gauwaltung der DAF; von Bedeutung ist hierbei insbesondere, wie lange er vor dem Unfall schon dort arbeitete, ob er nur einen zeitlich eng begrenzten Auftrag (zum Beispiel Kassenrevisionen oder dgl.) auszuführen hatte oder aber für längere Zeit in den Dienst der Gauwaltung K. übergetreten war. Es dürfte naheliegen, hierüber den früheren Abteilungsleiter L. als Zeugen zu vernehmen, dessen schriftliche Erklärung vom 14. Mai 1949 sich in den Verwaltungsakten befindet.
Nach Klärung dieser tatsächlichen Umstände wird sodann die Frage zu prüfen sein, wie sich auf die Ansprüche der Klägerin das am 1. Januar 1953 in Kraft getretene (vgl. BABl. 1953 S. 92) erste deutsch-österreichische Abkommen über Sozialversicherung vom 21. April 1951 (BGBl. II 1952 S. 317) auswirkt. Eine Leistungspflicht der Beklagten wäre gegeben, wenn die Voraussetzungen des Art. 23 Nr. 1 dieses Abkommens erfüllt wären. Danach übernehmen die Unfallversicherungsträger in der Bundesrepublik Deutschland die Ansprüche aus Arbeitsunfällen, die vor dem 1. Mai 1945 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingetreten sind; als Arbeitsunfall in diesem Sinn gilt auch ein solcher, der sich im Zusammenhang mit einer Beschäftigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland außerhalb dieses Gebietes ereignet hat. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 des Abkommens schreibt demgegenüber die Zuständigkeit der österreichischen Unfallversicherungsträger vor für Ansprüche aus Arbeitsunfällen, die vor dem 10. April 1945 im Gebiet der Republik Österreich eingetreten sind. Zur Zeit läßt sich noch nicht beurteilen, welche dieser beiden Vorschriften auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist. Nach Auffassung des Senats würde die Anwendbarkeit des § 12 EVO es jedenfalls nicht schlechthin ausschließen, daß für die Zeit vom 1. Januar 1953 an Art. 23 Nr. 1 des Abkommens Platz greift. Denn die Merkmale des § 12 EVO, aufgrund dessen das österreichische Recht über den unfallversicherten Personenkreis gilt, betreffen - wie bereits dargelegt - mehr die äußerlich räumliche Trennung des Arbeitnehmers von seinem Beschäftigungsort im Altreich; Art. 23 Nr. 1 des deutsch-österreichischen Abkommens stellt es dagegen auf den inneren Zusammenhang mit einer Beschäftigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ab; dieser Zusammenhang könnte auch dann noch als erhalten angesehen werden, wenn der nach Österreich entsandte Arbeitnehmer dorthin umgezogen war und sein Arbeitsentgelt in Österreich gezahlt wurde. Es ist jedenfalls durchaus nicht gänzlich unvereinbar, daß für einen reichsdeutschen Arbeitnehmer seinerzeit die Vergünstigungen des § 12 EVO galten, sein in Österreich erlittener Arbeitsunfall aber doch gemäß Art. 23 Nr. 1 des deutschösterreichischen Abkommens als im Zusammenhang mit einer Beschäftigung im heutigen Gebiet der Bundesrepublik Deutschland stehend anzusehen ist.
Schließlich wird es auch noch einer - vom Standpunkt des LSG. aus bisher entbehrlichen - Prüfung der Frage bedürfen, ob etwa einer der Tatbestände gegeben ist, deren Vorliegen nach § 5 Satz 1 FremdRG zum Ausschluß des Entschädigungsanspruches führt. Dies erfordert eine weitere Erforschung des Sachverhalts im Hinblick auf den Zweck der zum Unfall führenden Dienstfahrt. wegen der Auslegung des Begriffes "Zusammenhang mit politischen Veranstaltungen oder sonstigen politischen Tätigkeiten" wird auf das Urteil des erkennenden Senats vom 30. Juli 1959 (BSG. 10 S. 222) verwiesen.
Da dem Senat eine Entscheidung in der Sache selbst nicht möglich war, mußte die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil des LSG. vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 2391784 |
BSGE, 272 |