Leitsatz (amtlich)
1. Der Nachlaßpfleger für unbekannte Erben vertritt diese kraft Gesetzes im Rahmen seiner Aufgaben.
2. Ein Zahlungsanspruch gegen den Versicherungsträger nach RVO § 1288 Abs 1 entsteht erst, wenn der eine Leistung feststellende Bescheid wirksam erteilt ist. Dies setzt die Zustellung des Bescheides voraus.
Normenkette
BGB § 1960; RVO § 1288 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1631 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1924-12-15
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 5. Juli 1968 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Nachlaßpfleger für die noch unbekannten Erben des verstorbenen Versicherten F H A K begehrt von der Beklagten die Nachzahlung der bis zum Tode des Versicherten aufgelaufenen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Der ledige, allein wohnende Versicherte hatte im März 1966 beantragt, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Erst nach dessen Tode (12. August 1966) verfaßte die Beklagte den Bescheid vom 14. September 1966, in dem sie Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Februar 1966 an bewilligte. Den Einschreibebrief der Beklagten an den Versicherten, der den Bescheid enthielt, sandte die Post mit dem Vermerk "Empfänger verstorben" an die Beklagte zurück.
Das Amtsgericht (AG) Bremen ordnete durch Beschluß vom 28. November 1966 die Nachlaßpflegschaft für die unbekannten Erben des verstorbenen Versicherten gemäß §§ 1960, 1962, 2017 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) an und bestellte den Nachlaßpfleger mit dem Wirkungskreis der Sicherung und Verwaltung des Nachlasses und der Ermittlung der Erben. Auf Antrag des Nachlaßpflegers erteilte das Nachlaßgericht durch Beschluß vom 17. Februar 1967 diesem "zur Einziehung der Forderung in Höhe von 1.941,40 DM" gegen die Beklagte die nachlaßgerichtliche Genehmigung (§ 1812 BGB). Die Beklagte erklärte, sie sei erst dann bereit, den nachzuzahlenden Betrag von 1.941,40 DM an den Nachlaßpfleger zu überweisen, wenn alle Erben festgestellt seien und ihn bevollmächtigt hätten; einer Sicherstellung des Nachlasses bedürfe es nicht.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 23. August 1967). Auf die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Erben des verstorbenen Versicherten zu Händen des Nachlaßpflegers 1.941,40 DM zu zahlen; es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 5. Juli 1968).
Mit der Revision rügt die Beklagte Verletzung der §§ 1936, 1960, 1962, 2017 BGB, 1288 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG Bremen vom 5. Juli 1968 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Bremen vom 23. August 1967 zurückzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Das LSG hat die Beklagte aufgrund des Beschlusses des AG Bremen als Nachlaßgericht vom 17. Februar 1967 für verpflichtet gehalten, an die Kläger zu Händen ihres Nachlaßpflegers 1.941,40 DM zu zahlen, nachdem es festgestellt hatte, daß der verstorbene Versicherte keine Bezugsberechtigten nach § 1288 Abs. 1 RVO hinterlassen hatte und es ungewiß sei, ob Erbberechtigte nach bürgerlichem Recht vorhanden seien. Dabei hat es sich offenbar, freilich ohne dies auszusprechen, davon leiten lassen, daß das Erbrecht des BGB ergänzend in der Rang- und Reihenfolge nach den Bezugsrechten des § 1288 Abs. 1 RVO anzuwenden ist (BSG 15, 157, 159; 28, 102, 106); denn nur so ist es verständlich, daß es dem Nachlaßpfleger als gesetzlichem Vertreter der unbekannten Erben des Versicherten aufgrund des genannten Beschlusses des Nachlaßgerichts die Rentennachzahlung zuerkannt hat. Zwar ist es zutreffend und allgemein in der Rechtsprechung (RGZ 50, 294; 76, 125; 81, 292; 106, 46; 135, 305; RG JW 1931, 44 = HRR 1930, 1465; DR 1942, 533; BGHZ 49, 1, 5; BFH NJW 1965, 2271; HessVGH ZfSH 1966, 19) und ganz überwiegend im Schrifttum (für viele: Erman/Bartholomeyczik, BGB, 2. Band, 4. Aufl. 1967, § 1960 Anm. 8 a; Johannsen in BGB-RGRK, V. Band 1. Teil, 11. Aufl. 1960, § 1960 Anm. 20, 21, 39; Kipp/Coing, Erbrecht, Ein Lehrbuch, 11. Bearbeitung 1960, § 125 III; Palandt/Keidel, BGB, 28. Aufl. 1969, § 1960 Anm. 5 C c bb); § 2018 Anm. 1; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 29. Aufl. 1966, Grundzüge vor § 50 2 C; Stein/Jonas/Pohle, ZPO, 19. Aufl., Vorbemerkungen II 9 vor § 50; Wieczorek, ZPO, Band I Teil 1, 1957, § 50 G III e 2; a. M. Hellwig, Anspruch und Klagrecht, Beiträge zum Bürgerlichen und zum Prozeßrecht, 1910, S. 73; ders., System des Deutschen Zivilprozeßrechts, 1. Teil, 1912, S. 154) anerkannt, daß der Nachlaßpfleger gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben innerhalb des Bereichs seiner Aufgabe ist, die Interessen einer bestimmten oder doch bedingt bestimmten Person zu wahren und demgemäß den Nachlaß im Interesse und zugunsten des oder der Erben zu sichern (§ 1960 Abs. 1, 2 BGB). Dies folgt daraus, daß das Erbrecht keine ruhende und damit personenfreie Erbschaft kennt, vielmehr dem Nachlaß vom Augenblick des Erbfalls an stets einen Herrn gibt (Koeßler, Ihrings J. 64. 422; Staudinger/Lehmann, V. Band, Erbrecht 1. Teil, 11. Aufl. 1954, § 1960 Anm. 46), mag dieser auch der Person nach noch unbekannt sein. Jedoch hat das LSG die Auszahlungsverpflichtung der Beklagten zu Unrecht festgestellt. Diese Verpflichtung hätte bestanden haben können, wenn die Rentennachzahlung von 1.941,40 DM zum Nachlaß des verstorbenen Versicherten gehört hätte. Das aber ist nicht der Fall.
Ein Anspruch auf Zahlung von Rente wie auch auf Nachzahlung von aufgelaufenen Renten setzt voraus, daß der Rentenfeststellungsbescheid dem Berechtigten wirksam erteilt worden ist (§ 1631 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 RVO). Die Bescheiderteilung im Sinne des § 1631 Abs. 1 Satz 1 RVO bedeutet Zustellung (BSG im SozR Ur. 6 zu § 87 SGG; Gesamtkommentar, Anm. 4 zu § 1631 RVO; Pickel, Das Verwaltungsverfahren, Kommentar zum Sechsten Buch der RVO, § 1631 Anm 5, S. 316). Erst mit der Zustellung des Rentenbescheides entsteht ein Zahlungsanspruch gegen den Versicherungsträger (Pickel, aaO., S. 317; Lehmann, RVO, 5. und 6. Buch, 4. Aufl. 1926, § 1631 Anm. 6). Ein Zahlungsanspruch des Versicherten gegen die Beklagte, der dann nach dessen Tod in den Nachlaß gefallen wäre, ist also von der Zustellung des Bescheides der Beklagten an den Versicherten abhängig. Mit ihr wird der Versicherte zum "Berechtigten" i. S. von § 1288 Abs. 1 RVO. Eine Zustellung des am 14. September 1966 abgefaßten Bescheides der Beklagten an den Versicherten war jedoch ausgeschlossen, weil der Versicherte bereits am 12. August 1966 gestorben war. Damit hatte der Versicherte, als er starb, keinen Anspruch auf Zahlung des Betrages von 1.941,40 DM mit der Folge, daß auch der Nachlaßpfleger, da diese Forderung nicht zum Nachlaß des Versicherten gehörte, keinen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte hat.
Der Nachlaßpfleger versucht zwar, diesem Ergebnis dadurch zu entgehen, daß er den Bescheid der Beklagten vom 14. September 1966 in seiner Eigenschaft als Nachlaßpfleger als zugestellt annehmen will. Damit verkennt er Umfang und Wesen der Nachlaßpflegschaft. Der Nachlaßpfleger findet bei seiner Bestellung einen Nachlaß vor, den er zu erhalten und zu verwalten hat. Selbst wenn Nachlaßgegenstände dem Nachlaßpfleger vorerst unbekannt bleiben, gehören diese zum Nachlaß, weil sie im Erbfall zum Vermögen des Erblassers gehörten (§ 1922 BGB). Was aber im Erbfall nicht zum Nachlaß des Erblassers gehört, wird von der Nachlaßpflegschaft nicht erfaßt. Eine nachträgliche Hereinnahme einer Forderung in den Nachlaß, wie sie der Nachlaßpfleger erstrebt, scheidet also aus.
Auch auf den Beschluß des Nachlaßgerichts vom 17. Februar 1967 kann sich der Nachlaßpfleger bei seinem auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme gerichteten Begehren nicht mit Erfolg berufen. Dem Wortlaut nach gibt dieser Beschluß zwar dem Nachlaßpfleger eine Einziehungsermächtigung, jedoch - und das verkennen die Revision und das LSG, das es auf diesen Beschluß erhoben hat - nur unter der Voraussetzung, daß die Forderung zum Nachlaß gehört. Gerade hieran aber fehlt es, wie oben dargetan ist, so daß es offen bleiben kann, ob die Einziehungsermächtigung des Nachlaßgerichts eine Rechtspflicht der Beklagten zur Zahlung begründet hat, oder aber, wie dies die Beklagte annimmt, dem Nachlaßpfleger nur das Recht gibt, den von ihm behaupteten Zahlungsanspruch gegen die Beklagte gerichtlich zu verfolgen.
Der Nachlaßpfleger hat bisher von der Beklagten nur verlangt, ihm für die unbekannten Erben den Betrag von 1.941,40 DM auszuzahlen, wobei er sich ersichtlich, aber irrig, davon hat leiten lassen, daß die Beklagte dem Versicherten wirksam einen Bescheid erteilt hat. Sein Gesamtbegehren läßt aber erkennen, daß er die Rechte der unbekannten Erben aus dem vom Versicherten erhobenen Anspruch weiterverfolgen will, wenn auch die Beklagte auf den Rentenantrag des Versicherten noch keinen wirksamen Bescheid erteilt hat. Hierauf ist das LSG aufgrund seiner Auffassung nicht eingegangen. Damit es dies nachholen kann, nachdem es einen sachgerechten Antrag des Nachlaßpflegers herbeigeführt hat, der sich an der Vorschrift des § 1288 Abs. 2 RVO orientieren mag, wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen