Leitsatz (amtlich)
Ruht eine Rente schon bei ihrem Beginn, so ist RVO § 1294 nicht anzuwenden; die Rente ist von Anfang an nur in der vom Ruhen freien Höhe zu zahlen (Anschluß an BSG 1972-05-25 5 RKn 61/68 = SozR Nr 4 zu § 1294 RVO).
Normenkette
RVO § 1283 S. 1 Fassung: 1967-12-21, § 1294 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 10. April 1975 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger für den Monat Mai 1973 die damals mit einem Arbeitslosengeld (Alg) zusammengetroffene Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) zu zahlen hat.
Der 1921 geborene Kläger bezog vom 16. April bis 14. Juli 1973 Alg. Am 7. Mai 1973 beantragte er, ihm Rente wegen BU zu gewähren. Die Beklagte stellte den 25. Februar 1971 als Eintritt des Versicherungsfalles fest und gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 26. März 1974 Rente ab 1. Mai 1973. Der Zahlbetrag dieser Rente war niedriger als das dem Kläger gewährte Alg. Die Beklagte zahlte dem Kläger daraufhin die Rente erst ab 15. Juli 1973, weil diese wegen ihres Zusammentreffens mit dem Alg bis zu dessen Wegfall ruhe. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Lübeck mit Urteil vom 10. April 1975 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Mai 1972 (SozR Nr. 4 zu § 1294 RVO) verwiesen und ausgeführt: Wenn eine Rente wegen ihres Zusammentreffens mit Alg schon bei ihrem Beginn ruhe, sei § 1294 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht anzuwenden. Die Rente sei von Anfang an nur in der von dem Ruhen freien Höhe zu zahlen.
Mit der - vom SG zugelassenen - Sprungrevision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1294 RVO. Er meint, nach dieser Vorschrift könne das Ruhen der Rente frühestens vom Ersten des Monats an wirksam werden, der auf den Monat folge, in dem das Ruhen eingetreten sei. Dem vom SG genannten Urteil des BSG könne nicht gefolgt werden, weil ihm ein anderer Sachverhalt zugrunde liege.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm die Rente wegen BU für den Monat Mai 1973 in voller Höhe auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen; die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger für den Monat Mai 1973 die Rente wegen BU zu zahlen.
Nach § 1283 Satz 1 RVO ruht eine mit einem Alg zusammentreffende Rente aus eigener Versicherung bis zur Höhe des Alg für den Zeitraum, für den beide Leistungen zu gewähren sind. Die dem Kläger wegen BU gewährte Rente ist eine solche Rente aus eigener Versicherung. Sie war dem Kläger vom Beginn des Antragsmonats an, also ab 1. Mai 1973, zu gewähren, weil er den Rentenantrag erst am 7. Mai 1973 und damit später als drei Monate nach dem bereits am 25. Februar 1971 erfolgten Eintritt der BU gestellt hat (§ 1290 Abs. 2 RVO). Die Rente traf mithin schon bei ihrem Beginn am 1. Mai 1973 mit dem vom Kläger bereits seit 16. April 1973 bezogenen Alg zusammen. Auch war sie niedriger als dieses. Sie ruhte deshalb nach § 1283 Satz 1 RVO schon bei ihrem Beginn in voller Höhe und war dem Kläger erst nach Beendigung des bis zum 14. Juli 1973 laufenden Alg-Bezuges, also - wie geschehen - erst ab 15. Juli 1973 zu zahlen. Für den Monat Mai 1973 hat der Kläger mithin keinen Anspruch auf Zahlung dieser Rente.
Die Regelung des § 1294 RVO steht dem nicht entgegen. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift wird die Rente für den ganzen Monat gezahlt, in dem ihr Ruhen eintritt. Diese gesetzliche Regelung gilt auch beim Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung mit einem Alg (BSGE 29, 173 = SozR Nr. 3 zu § 1283 RVO). Der Schlüssel für ihr Verständnis liegt aber nicht in einer am Wortlaut des Gesetzes orientierten Auslegung. Vielmehr ist entscheidend auf den Sinn und Zweck des § 1294 RVO abzuheben (BSG Urteil vom 30. April 1975 - 12 RJ 118/74 -; zur Veröffentlichung vorgesehen). Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß in der Sozialversicherung allen Ruhensvorschriften der Gedanke zugrunde liegt, Doppelleistungen aus dem System der sozialen Sicherheit möglichst auszuschließen. Das Ruhen einer Leistung ist deshalb gesetzlich regelmäßig dann angeordnet, wenn aufgrund von zwei selbständigen und gleichzeitig fälligen Leistungsansprüchen eine Doppelleistung eintreten würde, die aus Spargründen vermieden werden soll (vgl. BSGE 29, 173, 175 = SozR Nr. 3 zu § 1283 RVO). Der Rentenanspruch ist aber so gestaltet, daß die kleinste Renteneinheit der Monatsbezug ist. Das hat zur Folge, daß die Verwaltung nicht in der Lage ist, beim Zusammentreffen einer Rente mit einer das Ruhen bewirkenden anderen Leistung während des laufenden Monats, die Rentenzahlung in der vom Ruhen betroffenen Höhe sogleich einzustellen. Sie kann nämlich die andere Leistung nicht sofort erfassen. Überzahlungen und Rückforderungen von Teilen der gezahlten Rente wären unvermeidbar. Der damit bei den Versicherungsträgern verbundene unverhältnismäßig große Aufwand an Zeit, Arbeit und Kosten soll durch § 1294 RVO vermieden werden. Der Grund für die in dieser Vorschrift enthaltene großzügige Zahlungsregelung ist - ebenso wie schon bei den ihr vorausgegangenen früheren Vorschriften (vgl. BSG SozR 2200 § 1294 Nr. 1 S. 2/3) - insbesondere in der durch sie bewirkten kostensparenden Verwaltungsvereinfachung zu finden (Urteil des erkennenden Senats vom 30. April 1975 - 12 RJ 118/74 -; zur Veröffentlichung vorgesehen). Einer solchen Verwaltungsvereinfachung bedarf es jedoch nur dann, wenn der Berechtigte vor dem Beginn des Ruhens eine ruhensfreie Rente bezog, denn nur dann kann es ohne die Zahlungsregelung des § 1294 RVO zu Überzahlungen und deren Rückforderung kommen. Tritt dagegen - wie im Fall des Klägers - das Ruhen der Rente gleichzeitig mit dem Rentenbeginn ein, dann ist vor dem Eintritt des Ruhens noch keine Einzelleistung fällig gewesen, so daß infolge des Ruhens der Rente keine Überzahlungen auftreten können, die zurückgefordert werden müssen. Die Regelung in § 1294 RVO erfaßt deshalb nur Fälle, in denen das Ruhen erst eintritt, nachdem die Rente schon begonnen hat. Ruht die Rente dagegen schon bei ihrem Beginn, so ist diese Vorschrift nicht anzuwenden. Die Rente ist vielmehr von Anfang an nur in der vom Ruhen freien Höhe und damit auch für den ersten Monat schon gekürzt - oder überhaupt nicht - zu zahlen (BSG SozR Nr. 4 zu § 1294 RVO). Eine Rente, die - wie die des Klägers - niedriger ist als das Alg, mit dem sie zusammentrifft, ist deshalb auch für den ersten Monat nicht auszuzahlen.
Nach alledem ist die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen