Leitsatz (amtlich)

Förderleistungen nach dem 4. Schwerbehinderten-Sonderprogramm gehören zu den "Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe" iS des § 147 SGG.

 

Normenkette

SGG § 147; SchwbArbAusbPlRL 1981

 

Verfahrensgang

LSG Bremen (Urteil vom 26.06.1986; Aktenzeichen L 5 Ar 54/85)

SG Bremen (Entscheidung vom 14.11.1985; Aktenzeichen S 17 Ar 358/84)

 

Tatbestand

Im Prozeß geht es um die Frage, ob die Förderleistungen, die die Bundesanstalt (BA) nach dem 4. Schwerbehinderten-Sonderprogramm bestimmten Arbeitgebern gewährt, zu den "Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe" iS des § 147 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehören.

Die klagende GmbH beantragte im Februar 1983 bei dem Arbeitsamt Bremen die Gewährung eines Arbeitsentgeltzuschusses für die beabsichtigte Einstellung eines Schwerbehinderten als "Vertriebs-Beauftragten". Mit Bescheid vom 30. Mai 1983 entsprach das Arbeitsamt diesem Antrag in Höhe von 70 vH des ortsüblichen Arbeitsentgelts; es bemaß das ortsübliche Arbeitsentgelt eines Vertriebsbeauftragten in Norddeutschland jedoch nur mit 3.500,-- DM monatlich, während die GmbH 4.500,-- bis 5.500,-- DM monatlich annahm. Der Schwerbehinderte war vom 1. April 1983 bis 31. März 1984 bei der Klägerin beschäftigt. Der auf eine Erhöhung des Arbeitsentgeltzuschusses gerichtete Widerspruch der GmbH blieb erfolglos.

Mit Urteil vom 14. November 1985 hat das Sozialgericht (SG) Bremen die Klage als unbegründet abgewiesen. Der letzte Absatz der Urteilsgründe lautet: "Die Zulässigkeit der Berufung gegen dieses Urteil ergibt sich aus § 143 SGG. Sie ist insbesondere nicht ausgeschlossen nach § 144 SGG. Der Streit betrifft auch keine Angelegenheit der Arbeitslosenversicherung oder der Arbeitslosenhilfe (§ 147 SGG)."

Das LSG Bremen hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Berufung sei nach § 147 SGG als Höhenstreit nicht zulässig, da die Leistungen nach dem Sonderprogramm im engen Zusammenhang mit dem Sachbereich der Arbeitslosenversicherung stünden und in § 147 SGG einbezogen werden müßten. Die Berufung sei auch nicht nach § 150 Nr 2 SGG zulässig, weil kein wesentlicher Mangel des Verfahrens vorliege.

Mit der Revision rügt die klagende GmbH die Verletzung der §§ 143, 147 SGG und trägt vor: Die Leistung nach dem Sonderprogramm sei keine Angelegenheit der Arbeitslosenversicherung, da sie sich nicht unmittelbar aus dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ergebe und auch nicht, wie in den §§ 167 ff AFG vorgesehen, aus dem Beitragsaufkommen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern zu 40 vH aus dem Ausgleichsfonds beim Bundesarbeitsminister und zu 60 vH von den Hauptfürsorgestellen der Länder gedeckt würde. Hauptgrund für die besondere finanzielle Förderung Schwerbehinderter sei nicht die Beseitigung von Arbeitslosigkeit, sondern die soziale Förderung einer gesellschaftlichen Randgruppe. Der Begriff "Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe" sei nicht als Spartenbezeichnung zu verstehen, was sich daraus ergebe, daß die Arbeitslosenhilfe, die nicht aus Beiträgen, sondern aus Mitteln des Bundes gezahlt werde, in § 147 SGG neben der Arbeitslosenversicherung gesondert aufgeführt werde. Bei den Förderleistungen nach dem Sonderprogramm sei auch keine Verbindung zum Versicherungsprinzip der Arbeitslosenversicherung gegeben.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, den Bescheid des Arbeitsamtes Bremen vom 30. Mai 1983 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. April 1983 bis 31. März 1984 einen restlichen Arbeitgeberzuschuß von 1.050,-- DM monatlich zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie führt aus, der Begriff "Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe" sei weit auszulegen. Im übrigen folge der Berufungsausschluß bereits aus § 144 Abs 1 Nr 1 SGG, da die Bewilligung des Entgeltzuschusses eine einmalige Leistung darstelle.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Berufung der Klägerin als nach § 147 SGG unzulässig verworfen.

Da eine irrtümlich erteilte Rechtsmittelbelehrung keine Anfechtungsmöglichkeit nach ihrem unrichtigen Inhalt eröffnet (BSGE 5, 92, 95), kommt es auf die vom SG erteilte Rechtsmittelbelehrung in diesem Punkt nicht an.

§ 147 SGG bestimmt, daß in Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe die Berufung nicht zulässig ist, soweit sie Beginn oder Höhe der Leistung betrifft. Der von der Klägerin begehrte Arbeitsentgeltzuschuß nach dem 4. Schwerbehinderten-Sonderprogramm des Bundes und der Länder aus Mitteln der Ausgleichsabgabe (Bundesanzeiger Nr 223 vom 28. November 1981) ist in diesem Sinn eine Leistung, nämlich eine "vom Staat oder von einem öffentlich-rechtlichen Versorgungs- oder Versicherungsträger zu bewirkende Handlung, die dieser Träger aufgrund seiner zum Sozialrecht gehörenden Aufgabenstellung vorzunehmen hat und aus der für den einzelnen ein rechtlicher Vorteil erwächst" (BSG SozR Nr 30 zu § 144 SGG). Daß die Berufung die Höhe dieser Leistung betrifft, ist offensichtlich und wird von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen. Es handelt sich aber auch um einen Streit um eine der in § 147 SGG bezeichneten Angelegenheiten. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen.

Die Formulierung des § 147 SGG ist als Spartenbezeichnung zu verstehen und meint alle Angelegenheiten der BA. Das hat der Senat am 8. September 1986, der bisherigen Rechtsprechung folgend, mit eingehender Begründung entschieden (SozR 1500 § 147 Nr 12 S 20); hieran ist festzuhalten. Die Klägerin, der bei Abgabe der Revisionsbegründung am 5. November 1986 dieses Urteil wohl noch nicht bekannt war, weist darauf hin, daß es, wenn § 147 SGG als Spartenbezeichnung weit aufzufassen sei, keinen Grund gebe, die Arbeitslosenhilfe in dieser Vorschrift gesondert aufzuführen. Mit diesem Argument hat sich der Senat in der genannten Entscheidung dahin auseinandergesetzt, daß die Einfügung der Worte "und der Arbeitslosenhilfe" in § 147 SGG durch das 2. SGG-ÄndG als Bestätigung der Rechtsprechung zur Spartenbezeichnung (insbesondere BSGE 4, 211, 215 = SozR Nr 3 zu § 147 SGG) aufzufassen sei. Auf die Verbindung zum Versicherungsprinzip der Arbeitslosenversicherung kommt es entgegen der Auffassung der Revision nicht an. Sollten einzelne Aufgaben der BA nicht zum Versicherungsprinzip passen, so handelte es sich bei diesen trotzdem um Angelegenheiten iS des § 147 SGG als Spartenbezeichnung. Im übrigen ist das erwähnte 4. Sonderprogramm sehr wohl (auch) in Ausführung des Versicherungsprinzips erlassen worden. Den Beiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber stehen als Äquivalent nicht nur die Sozialleistungen an den Versicherten nach Eintritt des Versicherungsfalles, sondern auch die Leistungen gegenüber, die der Versicherungsträger an andere Personen oder Stellen zur Vermeidung oder zur vorzeitigen Rückgängigmachung des Versicherungsfalles (Prävention, Rehabilitation oder Schadensverhütung) erbringt; solche Leistungen müssen nicht unbedingt von der vorherigen Beitragsleistung - zB des Schwerbehinderten - abhängig sein. Daß das 4. Sonderprogramm möglicherweise auch der Förderung der "Randgruppe" der Schwerbehinderten diente, ändert an dem Hauptzweck der Arbeitsvermittlung nichts. Die Gewährung des Arbeitsentgeltzuschusses ist schließlich auch eine Angelegenheit der BA.

Nach den Richtlinien (RL) für die Durchführung des 4. Schwerbehinderten-Sonderprogramms vom 19. November 1981 (Bundesanzeiger aaO) wurden Arbeitgebern, die unter bestimmten Bedingungen Schwerbehinderte einstellten, besondere Förderungsleistungen (§ 2) als Zuschüsse zum Arbeitsentgelt (§ 4) gewährt. Die Mittel hierzu stammten aus dem Ausgleichsfonds des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung und von den Hauptfürsorgestellen der Länder (§ 1). Dazu wurden die von den Arbeitgebern, die die vorgeschriebene Zahl Schwerbehinderter nicht beschäftigten, entrichteten Ausgleichsabgaben (§ 8 Abs 1 des Schwerbehinderten-Gesetzes -SchwbG- in der bis zum 1. August 1986 geltenden Fassung vom 8. Oktober 1979 - aF -) verwendet, die an die Hauptfürsorgestellen zu zahlen und von diesen zu 40 vH an den Ausgleichsfonds weiterzuleiten waren (§ 8 Abs 4, § 9 SchwbG aF). Die Ausgleichsabgabe war für Zwecke der Arbeits- und Berufsförderung Schwerbehinderter zu verwenden (§ 8 Abs 3). Sie konnte Arbeitgebern für die Bereitstellung zusätzlicher Arbeitsplätze für Schwerbehinderte gewährt werden (§ 3 der 2. DVO zum SchwbG vom 8. August 1978, BGBl I, 1228). Das SchwbG war von den Hauptfürsorgestellen und der BA in enger Zusammenarbeit durchzuführen (§ 27 Abs 1).

Daß das Sonderprogramm von der BA durchzuführen war, ist auch von der Rechtsprechung anerkannt. Die BA war nämlich nach § 30 Abs 1 Nr 3 SchwbG aF befugt, anläßlich der Arbeitsvermittlung Leistungen zur verstärkten Bereitstellung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen für Schwerbehinderte aus der Ausgleichsabgabe zu gewähren, sofern ihr solche Mittel zur Verfügung gestellt wurden, wie das durch die Sonderprogramme geschehen war. Das hat der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) für die RL zum 2. und 3. Sonderprogramm idF der Bekanntmachung vom 28. März 1979 (Bundesanzeiger Nr 64 vom 31. März 1979) entschieden (BSGE 54, 286, 289 = SozR 3870 § 8 Nr 1 S 4). Angesichts der weitgehenden Übereinstimmung zwischen diesen RL und den RL für das 4. Sonderprogramm übernimmt der erkennende Senat diese Rechtsauffassung auch für den vorliegenden Fall. Daß die RL als solche keine Rechtsnorm darstellen (der erkennende Senat in SozR 3870 § 8 Nr 2 S 10), ist dabei ohne Bedeutung.

Ist die Berufung sonach nach § 147 SGG unzulässig, so ergibt sich ihre Zulässigkeit auch nicht aus anderen Bestimmungen. Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz als Verfahrensrüge iS des § 150 Nr 2 SGG geltend gemacht, das SG sei seiner Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen. Dazu hat das LSG ausgeführt, das SG hätte aus seiner rechtlichen Sicht keine weiteren Ermittlungen vornehmen müssen. Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 150 SGG nicht und geht auch in der Revisionsbegründung auf diese Vorschrift nicht ein. Deshalb ist auf diese Rüge nicht einzugehen.

Die Revision war als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663519

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