Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsausbildungsbeihilfe. Ausschluss der Förderung der Zweitausbildung. gleichwertige schulische Ausbildung als Erstausbildung. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Ein Anspruch auf eine Berufsausbildungsbeihilfe bei betrieblicher Ausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf besteht dann nicht, wenn der Auszubildende zuvor eine schulische Ausbildung absolviert hat, die in Ausbildungszeit und Ausbildungsabschluss einer betrieblichen Ausbildung gleichwertig ist (Anschluss an BSG vom 29.1.2008 - B 7/7a AL 68/06 R = SozR 4-4300 § 60 Nr 1).
2. Die am 30.8.2008 in Kraft getretene Regelung des § 60 Abs 2 S 2 SGB 3 idF vom 26.8.2008, nach der unter bestimmten Voraussetzungen eine zweite Ausbildung gefördert werden kann, ist nicht rückwirkend anwendbar.
3. § 60 Abs 2 S 1 SGB 3 in der bis zum 29.8.2008 geltenden Fassung verletzt weder das Sozialstaatsgebot des Art 20 Abs 1 GG noch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG (Anschluss an BSG aaO).
Normenkette
SGB 3 § 59 Nr. 1 Fassung: 1997-03-24; SGB 3 § 60 Abs. 1 Fassung: 1997-03-24, Abs. 2 S. 1 Fassung: 1997-03-24, S. 2 Fassung: 2008-08-26; SGB 3 § 77 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1997-03-24; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) ab 1. September 2000.
Die 1978 geborene Klägerin besuchte vom 14. August 1995 bis zum 2. Juli 1998 das Oberstufenzentrum E und erwarb dort nach einer zweijährigen Ausbildung an einer Berufsfachschule für Wirtschaft bis zum 18. Juni 1997 zunächst den Abschluss in dem Bildungsgang "Berufsfachschule für Wirtschaft/Wirtschaftsassistent/in Schwerpunkt Bürowirtschaft/Sekretariat", anschließend nach einem weiteren Bildungsgang in Vollzeitform die Fachhochschulreife.
Am 24. August 2000 beantragte die Klägerin BAB ab 1. September 2000 für eine Ausbildung zur Hotelfachfrau, die sie inzwischen abgeschlossen hat. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Förderungsfähig sei lediglich eine erstmalige Ausbildung. Erstmalige Ausbildung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei stets nur die erste zu einem Abschluss führende Bildungsmaßnahme nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG), der Handwerksordnung (HwO) oder sonstigen bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften mit einer Mindestausbildungszeit von zwei Jahren. Diesen Anforderungen genüge bereits die nach Landesrecht zweijährige Berufsausbildung zum Wirtschaftsassistenten, so dass eine Förderung der weiteren Ausbildung zur Hotelfachfrau nicht in Betracht komme (Bescheid vom 12. Januar 2001; Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2001).
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts vom 20. November 2002, Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 24. Oktober 2006). Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt:
Die Förderung der Ausbildung zur Hotelfachfrau scheitere unbeschadet der weiteren Förderungsvoraussetzungen, weil nach § 60 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) lediglich die erstmalige Ausbildung förderungsfähig sei, die Klägerin aber bereits 1997 die Ausbildung zur staatlich geprüften Wirtschaftsassistentin erfolgreich abgeschlossen habe. Hierbei handele es sich ihren Rechtsgrundlagen nach um eine zweijährige berufliche Erstausbildung nach dem Schulrecht für das Land Brandenburg. Auch das Tätigkeitsfeld einer Wirtschaftsassistentin spreche für die Erlangung einer Ausbildung, die den Eintritt in das Erwerbsleben ermögliche. Dahinstehen könne, dass die Ausbildung keine berufliche Ausbildung iS des § 60 Abs 1 SGB III sei. Denn die erstmalige Ausbildung müsse keine berufliche Ausbildung sein. Auch unter Gleichheitsgesichtspunkten bestehe weder ein Anspruch auf Förderung für jedwede Berufsausbildung noch bestehe ein Förderanspruch auf eine Erstausbildung, wenn bereits eine Ausbildung absolviert worden sei.
Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Das BSG habe im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung den Begriff der Ausbildung iS des § 60 Abs 2 SGB III nicht abweichend von der beruflichen Ausbildung iS des § 60 Abs 1 SGB III bewertet.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Oktober 2006 und des Sozialgerichts Cottbus vom 20. November 2002 sowie den Bescheid vom 12. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Berufsausbildungsbeihilfe für die Ausbildung zur Hotelfachfrau ab 1. September 2000 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält den Standpunkt der Vorinstanz für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
1. Gegenstand der Revision ist der Bescheid vom 12. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 2001, mit welchem die Beklagte die von der Klägerin begehrte BAB für die Zeit ab dem 1. September 2000 abgelehnt hat. Weitere Bescheide sind nicht ergangen.
2. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs sind die §§ 59 ff SGB III. Nach § 59 SGB III haben Auszubildende während einer beruflichen Ausbildung oder berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme Anspruch auf BAB, wenn eine ausbildungsbezogene und persönliche Förderungsfähigkeit bestehen (§ 59 Nr 1 und 2 SGB III) und die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrkosten, die sonstigen Aufwendungen und die Lehrgangskosten (Gesamtbedarf) nicht anderweitig zur Verfügung stehen (§ 59 Nr 3 SGB III). Unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen scheitert der Anspruch danach jedenfalls an der fehlenden ausbildungsbezogenen Förderungsfähigkeit.
Eine berufliche Ausbildung ist förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem BBiG, der HwO oder dem Seemannsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist (§ 60 Abs 1 SGB III). Förderungsfähig ist jedoch nur die erstmalige Ausbildung (§ 60 Abs 2 Satz 1 SGB III). Es unterliegt keinem Zweifel, dass die auf der Grundlage des Berufsausbildungsvertrags vom 15. Mai 2000 durchgeführte und inzwischen abgeschlossene Ausbildung zur Hotelfachfrau eine betriebliche Ausbildung iS des § 60 Abs 1 SGB III darstellt. Gleichwohl scheitert die ausbildungsbezogene Förderungsfähigkeit an der fehlenden Erstmaligkeit dieser Ausbildung. Denn ein Anspruch auf BAB ist nach § 60 Abs 2 Satz 1 SGB III nicht erst ausgeschlossen, wenn zuvor unter den Voraussetzungen des § 60 Abs 1 SGB III ausgebildet wurde, also eine Ausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich auf der Grundlage eines Berufsausbildungsvertrags durchgeführt wurde. Ein Anspruch auf BAB entfällt vielmehr bereits dann, wenn der Auszubildende zuvor eine schulische Ausbildung absolviert hat, die in Ausbildungszeit und Ausbildungsabschluss einer betrieblichen Ausbildung gleichwertig ist. Dies hat der 7. Senat bereits in seinem Urteil vom 29. Januar 2008 - B 7/7a AL 68/06 R (= SozR 4-4300 § 60 Nr 1, zur Veröffentlichung vorgesehen auch in BSGE) entschieden. Wesentlich ist danach entgegen der Auffassung der Klägerin nicht, ob die zuvor schon durchlaufene Ausbildung als rein schulische Maßnahme ausgestaltet war. Maßgeblich ist allein die Gleichwertigkeit der Ausbildungszeit und des Ausbildungsabschlusses. Hinsichtlich der Ausbildungszeit liegt es nahe, auf den Grenzwert von "mindestens zwei Jahren" abzustellen, den § 77 Abs 2 Nr 1 SGB III (ab 1. Januar 2003 § 77 Abs 2 Nr 2 Satz 1 SGB III) als Voraussetzung der Förderungsfähigkeit einer beruflichen Weiterbildung wegen fehlenden Berufsabschlusses verlangt. Die Vergleichbarkeit des Abschlusses erfüllt jedenfalls eine auf landesrechtlichen Vorschriften beruhende und landesrechtlich anerkannte Ausbildung.
Dieser funktionsdifferenten Auslegung von § 60 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 SGB III schließt sich der erkennende Senat in vollem Umfang an. Nach den bindenden Feststellungen des LSG zum nichtrevisiblen brandenburgischen Landesrecht (vgl § 162 SGG) und zur arbeitsmarktlichen Verwertbarkeit des erworbenen Abschlusses (§ 163 SGG) entsprach die von der Klägerin zuvor durchlaufene zweijährige Ausbildung mit anerkanntem Abschluss "Wirtschaftsassistentin" den Anforderungen an die Gleichwertigkeit von Ausbildungszeit und Ausbildungsabschluss. Unerheblich ist, ob der Ausbildungsgang auf besonderen staatlichen Sonderprogrammen zur Bekämpfung des Lehrstellenmangels beruhte. Die weitere Ausbildung zur Hotelfachfrau war dementsprechend bereits eine "zweite Ausbildung".
Eine zweite Ausbildung ist - im Rahmen einer Ermessensleistung - erst seit Inkrafttreten des Fünften SGB III-Änderungsgesetzes vom 26. August 2008 (BGBl I 1728) am 30. August 2008 förderungsfähig, wenn zu erwarten ist, dass eine berufliche Eingliederung dauerhaft auf andere Weise nicht erreicht werden kann und durch die zweite Ausbildung die berufliche Eingliederung erreicht wird (§ 60 Abs 2 Satz 2 SGB III idF des Fünften SGB III-Änderungsgesetzes, aaO). Die Regelung ist indessen nicht rückwirkend auf den Fall der Klägerin anwendbar. Die Gesetzesmaterialien lassen keinen Zweifel daran, dass mit dieser Änderung in besonders gelagerten Fällen eine bis dahin bestehende Lücke im Arbeitsförderungsrecht für die Zukunft geschlossen werden sollte (BT-Drucks 16/9456 S 7). Aus diesem Grund kommt eine Förderung für die Vergangenheit nicht in Betracht (zur Problematik im Rahmen des § 7 Abs 5 Sozialgesetzbuch Zweites Buch vgl auch BSG, Urteil vom 30. September 2008 - B 4 AS 28/07 R, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR).
3. Die von der Klägerin geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken teilt der Senat nicht. Weder verstößt § 60 Abs 2 SGB III in der Fassung bis zum Inkrafttreten des Fünften SGB III-Änderungsgesetzes (aaO) gegen das Sozialstaatsgebot (Art 20 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫) noch bestehen Vorbehalte im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG). Auch insoweit schließt sich der erkennende Senat dem 7. Senat an, der in seiner Entscheidung vom 29. Januar 2008 (aaO) bereits darauf hingewiesen hat, dass das Sozialstaatsprinzip einen weiten Gestaltungsspielraum begründet und angesichts der - damaligen - Entscheidung des Gesetzgebers zur Förderung (allein) von Erstausbildungen auch unter Gleichheitsgesichtspunkten keine Förderung einer Zweitausbildung beansprucht werden kann. Anders als die Klägerin meint, muss nicht bereits deshalb eine weitere Ausbildung gefördert werden, weil schon ihre Erstausbildung ohne Förderung geblieben ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2126426 |
SGb 2008, 721 |
Weiterbildung 2009, 52 |
info-also 2009, 119 |