Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Arbeitslosigkeit. Verfügbarkeit. Teilnahme eines Matrosen an einem Steuermannslehrgang
Orientierungssatz
1. Als verfügbar für den Arbeitsmarkt kann nur angesehen werden, wer für die Vermittlung in dem üblichen Maße bereit steht. Nicht als arbeitslos gilt nach § 87a AVAVG, wer durch persönliche oder vertragliche Bindungen keine anderen als geringfügige Beschäftigungen auszuüben vermag.
2. Zur Versagung des Anspruchs auf Arbeitslosenunterstützung mangels Verfügbarkeit bei einem Matrosen, der nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses für 17 Wochen an einem schulischen Lehrgang zum "Steuermann auf kleiner Fahrt" (Patent A 2) teilnimmt.
Normenkette
AVAVG § 87 Abs. 1, § 87a
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 01.03.1957) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 1. März 1957 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der 1932 geborene Kläger, der in der Seeschiffahrt als Jungmann oder Matrose tätig war, hat seit 1949 wiederholt Arbeitslosenunterstützung beansprucht und erhalten. Zuletzt war er vom 18. Juli 1955 bis 27. März 1956 als Matrose auf dem Schiff "W" einer englischen Reederei beschäftigt. Am 9. April 1956 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Arbeitslosenunterstützung. Als Grund für die Lösung seines Arbeitsverhältnisses wurde von ihm im Formblatt "gegenseitiges Einverständnis, zwecks Schulbesuch" angegeben. Mit einer Bescheinigung der Zweigstelle F der Seefahrtsschule L vom 10. April 1956, daß er sich zur Teilnahme an einem am 16. April 1956 beginnenden Lehrgang zum Steuermann auf kleiner Fahrt angemeldet habe, beantragte der Kläger ferner Befreiung von der Meldekontrolle beim Arbeitsamt für die Zeit vom 16. April bis 15. August 1956.
Mit Verfügung des Arbeitsamts F vom 25. April 1956 wurde der Antrag des Klägers auf Befreiung von der Meldekontrolle unter Fortzahlung der Unterstützung abgelehnt, da er nicht unfreiwillig arbeitslos sei. Zugleich wurde ihm mitgeteilt, daß auch die Unterstützungsgewährung mit Ablauf des 15. April 1956 eingestellt werde.
Hiergegen erhob der Kläger unter dem 11. Mai 1956 Widerspruch und legte dabei eine Bescheinigung der Firma Z, Reeder und Schiffsmakler in H, vom 8. Mai 1956 vor, worin erklärt war, daß er seinen Kontrakt auf dem Tanker "W" erfüllt habe und eine weitere Verwendung seinerzeit nicht möglich gewesen sei. Seine Einwendungen wurden durch Widerspruchsbescheid der Widerspruchsstelle beim Arbeitsamt F vom 24. Mai 1956 zurückgewiesen. Der Kläger habe nicht nur im Unterstützungsantrag selbst angegeben, daß sein bisheriges Arbeitsverhältnis wegen des geplanten Schulbesuchs im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber gelöst worden sei, sondern auch aus dem von ihm dem Arbeitsamt vorgelegten Dienstzeugnis werde erkennbar, daß Ursache der Entlassung der Wunsch des Klägers auf Teilnahme am Lehrgang gewesen sei.
II.
Mit Klage beim Sozialgericht Schleswig machte der Kläger geltend, daß er die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung nach Maßgabe des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) erfüllt habe. Insbesondere sei seine Arbeitslosigkeit unfreiwillig, da er auf seinem letzten Arbeitsplatz nicht weiter beschäftigt werden konnte. Dem stehe auch die Eintragung im Dienstzeugnis nicht entgegen, deren Wortlaut brancheüblich sei. Im übrigen werde er durch den Lehrgangsbesuch nicht gehindert, mehr als geringfügige Arbeiten zu verrichten, und sei jederzeit bereit, den Kursus abzubrechen.
Nach Einleitung des sozialgerichtlichen Verfahrens hat das Arbeitsamt Flensburg an den Kläger persönlich unter dem 2. Juli 1956 die Anfrage gerichtet, ob er bereit sei, den Schulbesuch sofort abzubrechen, wenn er als Matrose vermittelt werde, und ob er vor Abschluß des Schulbesuchs auch eine Arbeit außerhalb seines Berufs annehme. Der Kläger selbst hat diese Anfrage nicht beantwortet, aber unter dem 14. Juli 1956 durch seinen Prozeßbevollmächtigten dem Arbeitsamt mitteilen lassen, daß er jederzeit bereit sei, Arbeitsangebote, denen keine zur Arbeitsablehnung berechtigenden Gründe entgegenständen, anzunehmen. Danach wies das Arbeitsamt F dem Kläger am 19. Juli 1956 Arbeit in einem Industriebetrieb zu. Da dieser Arbeitsplatz aber bereits anderweit besetzt war, erteilte es ihm für den folgenden Tag, 20. Juli 1956, eine erneute Arbeitszuweisung für denselben Betrieb. Diese Zuweisung schickte der Kläger mit dem persönlichen Vermerk, daß er ab 20. Juli 1956 krank geschrieben sei, an das Arbeitsamt zurück. Anschließend hat er sich nicht wieder beim Arbeitsamt gemeldet, nach dessen Feststellungen aber ohne jede Unterbrechung am seemännischen Lehrgang teilgenommen.
In der vom Kläger dem Sozialgericht vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Arztes Dr. med. S in F vom 20. Juli 1956 war als Krankheitsbezeichnung "Lumbago" eingetragen, Arbeitsunfähigkeit seit 20. Juli bescheinigt und Bettruhe angeordnet; derselbe Arzt hat unter dem 7. August 1956 den Kläger als wieder dienstfähig ab 8. August 1956 beurteilt.
Der vom Kläger besuchte Lehrgang zum Steuermann auf Kleiner Fahrt (Patent A 2) bei der Zweigstelle F der Seefahrtsschule Lübeck erstreckte sich auf einen Zeitraum von über 17 Wochen und wurde mit einer förmlichen Prüfung abgeschlossen. Vorzeitige Unterbrechung (Abbruch) bedingte, daß der Teilnehmer einen neuen Lehrgang voll belegen und besuchen mußte; eine Anrechnung von Teilzeiten fand nicht statt. Bei Unterrichtsversäumnis von mehr als neun Tagen konnte die Abschlußprüfung nicht abgelegt werden. Es handelte sich um einen planmäßig geregelten Schulbetrieb mit täglich mindestens fünf Unterrichtsstunden, die im allgemeinen von 8 bis 13 Uhr gehalten, gelegentlich aber auch noch nachmittags erteilt wurden. Daneben hatten die Lehrgangsteilnehmer laufend Hausaufgaben verschiedenen Umfangs, mit einer Beanspruchung von mindestens weiteren zwei Stunden je Tag, zu erledigen. Sie mußten eine Schulgebühr von DM 30.- sowie eine Prüfungsgebühr von DM 15.- bezahlen und die Kosten des Lehrmaterials im wesentlichen selbst tragen. Die von der Abschlußprüfung abhängige Erwerbung des Steuermannspatents bewirkt eine wesentliche berufliche und wirtschaftliche Besserstellung für den Seemann.
III.
Die Klage wurde durch Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 17. Oktober 1956 mit der Begründung abgewiesen, den förmlichen Erklärungen des Klägers, er sei bereit gewesen, seinen Lehrgang auf der Seefahrtsschule abzubrechen, könne keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden, weil sie nach allgemeiner Lebenserfahrung offensichtlich nicht ernst gemeint gewesen seien. Der Kläger sei durch den Schulbesuch persönlich derart im Sinne des § 87 a Abs. 2 AVAVG gebunden gewesen, daß er dem Arbeitsmarkt während der Lehrgangsdauer nicht zur Verfügung gestanden habe. Deshalb stehe ihm kein Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung zu. Auf die Frage, ob der Kläger seine letzte Arbeitsstelle freiwillig aufgegeben habe oder nicht, komme es daher nicht an.
Der Kläger legte Berufung ein. Er bezog sich zusätzlich zu seinem bisherigen Vorbringen, daß er die Anspruchsvoraussetzungen auf Arbeitslosenunterstützung erfüllt habe und daß er bereit und in der Lage gewesen sei, bei Vermittlung eine neue Arbeitsstelle anzunehmen, weiterhin auch darauf, daß die Beklagte selbst in ihrer Verwaltungspraxis bei verheirateten Kursusteilnehmern anderweit regelmäßig Arbeitslosigkeit angenommen und Unterstützung fortgezahlt habe.
Die Beklagte hielt dem entgegen, das eigene Verhalten des Klägers, insbesondere auch die Ablehnung eines zumutbaren Arbeitsangebotes durch Krankmeldung, widerlege seine Behauptung, daß er bereit gewesen sei, angebotene Arbeit anzunehmen.
Das Landessozialgericht Schleswig wies durch Urteil vom 1. März 1957 die Berufung des Klägers zurück. Die Zulässigkeit dieses Rechtsmittels aus § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) wurde bejaht, da die Berechtigung zum Unterstützungsbezug dem Grunde nach streitig sei und demzufolge die Ausschlußgründe der §§ 144 und 147 SGG nicht entgegenstünden. Die Berufung sei jedoch sachlich nicht begründet, weil der Kläger als Mann von Intelligenz, Gewandtheit, Strebsamkeit und Urteilsfähigkeit ungeachtet seiner gegenteiligen Erklärungen objektiv gesehen vernünftigerweise nicht die Absicht gehabt habe, den einmal angetretenen Lehrgang zu unterbrechen, zumal bei dem großen Andrang keine sichere Aussicht für erneute Zulassung bestanden habe. Es fehle bei ihm an der subjektiven Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt als Voraussetzung für den Unterstützungsbezug. Kennzeichnend hierfür sei, daß der Kläger bei einem Arbeitsangebot während des Kurses sogleich sich krank gemeldet, aber trotz angeblicher Krankheit den Lehrgang ohne Unterbrechung fortgesetzt habe. Durch seine zeitliche Inanspruchnahme während des Schulbesuchs sei er in einer Weise gebunden gewesen, daß er von der Meldekontrolle befreit werden wollte und keine anderen als höchstens geringfügige Beschäftigungen hätte ausüben können. Die Frage, ob der Kläger die Beendigung seiner vorherigen Beschäftigung von sich aus herbeigeführt habe oder ohne eigenes Zutun entlassen worden sei, ließ auch das Landessozialgericht unentschieden, weil selbst eine freiwillige Aufgabe des Arbeitsplatzes nicht zur Versagung der Unterstützung, sondern allenfalls zur Verhängung einer Sperrfrist nach § 93 AVAVG berechtigen würde.
Die Revision wurde zugelassen.
IV.
Der Kläger legte gegen das am 15. April 1957 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 30. April 1957, beim Bundessozialgericht eingegangen am 2. Mai, Revision ein und beantragte,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, des Urteils des Sozialgerichts Schleswig vom 17. Oktober 1956 und des Bescheides der Beklagten vom 25. April 1956 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 1956 die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 16. April 1956 bis zum 22. Juli 1956 und vom 9. August 1956 bis zum 14. August 1956 Arbeitslosenunterstützung zu gewähren.
Die Revision begründete der Kläger mit Schriftsatz vom 7. Mai 1957, eingegangen beim Bundessozialgericht am 8. Mai, sowie mit einem weiteren Schriftsatz vom 3. Juni 1957 dahin, er habe objektiv wie subjektiv dem Arbeitsmarkt laufend zur Verfügung gestanden. Die vom Berufungsgericht unterstellten persönlichen Bindungen seien nicht zutreffend. Gestützt auf seine Intelligenz und Gewandtheit hätte er seine Hausaufgaben, ohne die Arbeitsvermittlung zu beschränken, auch nachts anfertigen können. In den Arbeitsamtsbezirken Hamburg und Bremen sei es durchaus üblich, tagsüber beanspruchte Schüler in Arbeit abends und in den Nachtstunden zu vermitteln. Das Arbeitsamt Flensburg hätte ihm entsprechende Arbeiten zuweisen sollen. Seiner Kontrollpflicht sei er regelmäßig durch Meldungen beim Arbeitsamt nachgekommen. Mithin seien alle Voraussetzungen für den Unterstützungsanspruch erfüllt. Ziel und Zweck des Lehrgangsbesuchs sei im übrigen gewesen, sich nach den Erfahrungen bei seiner wiederholten Arbeitslosigkeit einen beruflich günstigeren und zugleich krisenfesten Arbeitsplatz zu verschaffen. Solches Bestreben eines Arbeitnehmers müsse von der Arbeitsverwaltung gefördert werden. Die Grundsätze hierfür seien bereits in § 93 Abs. 2 AVAVG enthalten. Ihre entsprechende Anwendung unter Berücksichtigung einer fortschrittlichen Entwicklung des Arbeits- und Soziallebens müsse dazu führen, auch die §§ 87 und 87 a AVAVG erweiternd auszulegen.
Die Beklagte beantragte,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie führte aus, es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger dem Arbeitsmarkt objektiv zur Verfügung stand, auf jeden Fall aber sei die subjektive Verfügbarkeit zu verneinen, weil der Kläger tatsächlich nicht bereit und gewillt gewesen sei, die Arbeitslosigkeit jederzeit durch Übernahme einer zumutbaren Arbeit zu beenden. Dies beweise eindeutig seine Krankmeldung, als ihm am 20. Juli 1956 Arbeit angeboten wurde. Er habe sich zu diesem Zeitpunkt einen Krankenschein ausstellen lassen, gleichwohl aber ununterbrochen weiterhin am Lehrgang teilgenommen. Daher habe das Berufungsgericht zutreffend und ohne Verletzung der Grundsätze der freien Beweiswürdigung aus dem Verhalten des Klägers den Schluß gezogen, daß die angebliche Krankheit lediglich einen Vorwand für die Arbeitsablehnung bildete. Ferner träfe es nicht zu, daß der Kläger den angesetzten Meldekontrollen pünktlich und ordnungsgemäß nachgekommen sei, vielmehr sei er statt - wie festgelegt - vormittags jeweils nur nachmittags außerhalb der Meldezeiten beim Arbeitsamt erschienen. Auch hieraus ergäbe sich, daß der Kläger als Teilnehmer am Lehrgang wesentlichen persönlichen, die Arbeitsvermittlung beeinträchtigenden Bindungen unterlegen gewesen sei. Demzufolge sei der Unterstützungsanspruch zu Recht verneint worden.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.
V.
Die - vom Landessozialgericht zugelassene - Revision ist statthaft. Sie ist auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt sowie begründet worden.
Bei einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob bereits die Prozeßvoraussetzungen für das Berufungsverfahren vorgelegen haben (BSG. 2 S. 225). Die Berufung war in vorliegender Sache gemäß § 143 SGG statthaft, weil einmal der streitige Anspruch in seiner Substanz selbst, nämlich dem Entstehungsgrund nach, zur Entscheidung gestellt wurde, und zum anderen, weil er sich auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen erstreckte.
Die Revision selbst konnte aber keinen Erfolg haben.
Die Entscheidung darüber, ob der vom Kläger erhobene Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung gerechtfertigt ist, hängt - wie das Landessozialgericht zutreffend ausgeführt hat - davon ab, ob der Kläger während der Zeit seines Lehrgangsbesuchs (16.4. bis 15.8.1956) tatsächlich arbeitslos im Sinne der Vorschriften des AVAVG gewesen ist.
Schon das Reichsversicherungsamt hatte auf Grund des früheren § 89 a AVAVG sich mit der Klärung und Abgrenzung des Begriffs der "Arbeitslosigkeit" bei Schul- und Ausbildungsverhältnissen befassen müssen. Es hatte in seinen Grundsätzlichen Entscheidungen Nr. 3202 a und b vom 30. Mai 1928 (AN. 1928 S. 239) hierbei zwei Arten von Studium und Ausbildung unterschieden. Eine Gruppe bildeten die Fälle, in denen die an sich vorhandene Arbeitslosigkeit nur in geringem Maße dazu benutzt wird, ohne überwiegende Einsetzung der Arbeitskraft sich weiter auszubilden oder fortzubilden oder die bisherigen Berufskenntnisse zu erhalten, während in der Hauptsache das Bestreben auch weiter in erster Linie darauf gerichtet ist, jederzeit wieder eine entgeltliche Stelle als Arbeitnehmer anzutreten und sich damit dem Arbeitsmarkt jederzeit zur Verfügung zu halten. Zur anderen Gruppe dagegen gehörten die Fälle, in denen ein früherer Arbeitnehmer unter Einsetzung seiner überwiegenden Arbeitskraft sich als immatrikulierter Student oder in sonstiger Weise in Vorlesungen und dergl. einer Aus- oder Fortbildung widmet. In diesem Falle strebt er nicht in erster Linie danach, jederzeit wieder eine neue Arbeitnehmerstelle zu erreichen, und hält sich demgemäß dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung.
Diese Erkenntnisse hat das Reichsversicherungsamt in der Entscheidung Nr. 3812 vom 9. Mai 1930 (AN. 1930 S. 346) dahin weiterentwickelt: "Unterzieht sich jemand nach Eintritt der Arbeitslosigkeit einer Berufsausbildung, so ist er dann noch als arbeitslos anzusehen, wenn während der Zeit der Berufsausbildung nach der Gesamtheit der Umstände, insbesondere auch erfahrungsgemäß keine Bindungen bestehen, die gegenüber einer Verwendung auf dem Arbeitsmarkt beachtliche Schwierigkeiten darstellen. Solche Schwierigkeiten werden vor allem dann vorhanden sein, wenn es sich um ein auf längere Sicht eingegangenes Ausbildungsverhältnis handelt, dessen vorzeitiger Abbruch wegen drohender wirtschaftlicher oder rechtlicher Nachteile erfahrungsgemäß nicht zu erwarten ist." Mithin hat schon unter der Geltung des § 89 a AVAVG das Reichsversicherungsamt in seinen Entscheidungen die Verfügbarkeit des Ausbildungsbeflissenen für den Arbeitsmarkt zu einem wesentlichen Kriterium für die Unterstützungsgewährung gemacht.
Für das bis zum 31. März 1957 geltende Recht ist, wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 21. März 1956 (BSG. 2 S. 68 ff.) des näheren erörtert hat, die Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit in § 87 AVAVG nur programmatisch festgelegt. Auch § 87 a AVAVG bringt keine unmittelbare gesetzliche Begriffsbestimmung; aus seinen Inhalt ergeben sich aber im Wege der Rechtsauslegung alle die Merkmale, welche der Begriff "arbeitslos" nach den bis dahin gültigen Vorschriften umfaßt. Hierfür genügt die Tatsache allein, daß jemand "ohne Arbeit", d. h. ohne entgeltliche Beschäftigung ist, nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht. Der Beschäftigungslose muß vielmehr überdies bereit sein, eine neue Arbeitsstelle zwecks Beschäftigung im Rahmen des § 68 AVAVG anzunehmen. Dies folgt aus dem Grundsatz des § 131 AVAVG, daß Arbeitslosigkeit in erster Linie durch Vermittlung von Arbeit verhütet und beendigt wird Deshalb muß sich regelmäßig der Arbeitslose für den Arbeitsmarkt subjektiv zur Verfügung stellen und ihm objektiv zur Verfügung stehen. Die einzelnen Voraussetzungen für die subjektive und objektive Verfügbarkeit hat der Senat bereits in dem oben erwähnten Urteil vom 21. März 1956 (BSG. 2 S. 70 bis 73) dargelegt, auf das insoweit Bezug genommen wird. Als verfügbar für den Arbeitsmarkt kann danach nur angesehen werden, wer für die Vermittlung in dem üblichen Maße bereit steht. Wer nur für bestimmte Zeiten oder für begrenzte Stunden im Tagesablauf verfügbar ist, macht die Arbeitsvermittlung weitgehend oder völlig unmöglich und begibt sich demzufolge des Anspruchs auf Unterstützung. Daher gilt nach § 87 a Abs. 2 AVAVG nicht als arbeitslos, wer durch persönliche oder vertragliche Bindungen keine anderen als geringfügige Beschäftigungen im Sinne des § 75 a Abs. 2 AVAVG auszuüben vermag.
VI.
Der Vorderrichter hat diese in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu §§ 87 und 87 a AVAVG entwickelten Grundsätze zutreffend auf den vorliegenden Fall angewendet. Nach dem auf Grund eingehender Beweisaufnahme ermittelten Tatbestand, der den erkennenden Senat bindet (§ 163 SGG), hat er ohne Rechtsirrtum festgestellt, daß schon nach Zeitdauer und Art des Schulbetriebs, nach Ausmaß des Lehrstoffes und Umfang der Beanspruchung durch Unterricht sowie Hausaufgaben objektiv der Kläger persönlich in einer Weise gebunden war, daß er keine anderen als geringfügige Beschäftigungen hätte ausüben können. Mithin stand er während der Lehrgangsdauer für eine übliche Arbeitsvermittlung in den für die Wirtschaft in Frage kommenden Tageszeiten nicht zur Verfügung.
Noch gewichtiger und bedeutsamer für seine persönlichen Bindungen erweisen sich aber im vorliegenden Falle die subjektiven Umstände. Ziel und Zweck des Besuchs jenes langfristigen Lehrgangs auf der Seefahrtsschule war für den Kläger das Bestehen der Steuermannsprüfung und die Erlangung des entsprechenden Patents. Nur durch einen solchen Abschluß des Schulbesuchs konnte er für die Zukunft eine günstigere Berufsstellung mit besseren wirtschaftlichen Erträgen erreichen. Deshalb stellte der Kläger von Anfang an darauf ab, den Lehrgang ohne Hindernis und mit Erfolg zu beenden. Sein vorgängiger Antrag auf Befreiung von der Meldepflicht ist ebenso ein beachtliches Indiz hierfür wie späterhin die Tatsache, daß der Kläger einer vom Arbeitsamt versuchten zumutbaren Arbeitsvermittlung (20.7.1956) mit Krankmeldung begegnete, gleichwohl aber währenddessen - obwohl ihm Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von drei Wochen bescheinigt und Bettruhe ärztlich verordnet war - den Unterrichtsbesuch lückenlos fortgesetzt hat. Er wurde dabei von dem Bewußtsein geleitet, daß er durch Unterbrechung oder Abbruch des Lehrgangs erhebliche berufliche und wirtschaftliche Nachteile zu erleiden hatte. Der Kläger hat, wie die Beweisaufnahme ergab, den Steuermannslehrgang keinen Tag versäumt und die Schulausbildung mit dem Erwerb des Patents A 2 abgeschlossen. Dieses Ziel hat sein Verhalten nach Beendigung des vorausgegangenen Beschäftigungsverhältnisses von Anfang bis Ende des 17 Wochen langen Lehrgangs erkennbar bestimmt.
VII.
Nach alledem kann der Kläger - auch wenn er zeitweise zu Meldekontrollen beim Arbeitsamt erschienen ist - seiner persönlichen Bindungen wegen nicht als arbeitslos gelten (§ 87 a Abs. 2 AVAVG). Da diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, entbehrte sein Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung der Rechtsgrundlage. Nach dieser Sachlage konnte dann dahingestellt bleiben, ob der Kläger zuvor seine letzte Arbeitsstelle freiwillig oder unfreiwillig aufgegeben hat.
Die Revision war zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG), weil des Urteil des Landessozialgerichts der Rechtslage zur Zeit der Geltung der §§ 87 und 87 a AVAVG a. F. entspricht.
Nicht zu befassen hatte sich der Senat mit der Frage, ob die Dienststelle der Beklagten etwa aus Zweckmäßigkeitsgründen oder sonstwie unter dem Gesichtspunkt von Förderungsmaßnahmen dem Kläger Unterstützung ohne Rechtsanspruch hätte gewähren können. Die Entscheidung hierüber obliegt der Arbeitsverwaltung in der Sphäre eigenen Ermessens. Auch auf eine von der des Arbeitsamts Flensburg etwa abweichende Praxis bei den Arbeitsämtern Hamburg oder Bremen brauchte deshalb nicht eingegangen zu werden. Die für die Verhängung einer Sperrfrist oder für den Verzicht hierauf maßgebenden besonderen Vorschriften des § 93 AVAVG a. F. sind auf die §§ 87 und 87 a AVAVG a. F. nicht übertragbar - und zwar auch nicht mittelbar oder sinngemäß -, um einen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung zu begründen, wenn die Unterstützungsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit selbst nicht vorhanden ist. Einer vom Kläger insoweit angeregten "Rechtsfortbildung" steht überdies entgegen, daß durch das Änderungsgesetz zum AVAVG vom 23. Dezember 1956 (BGBl. I S. 1018) sowie nach der neuen Fassung des AVAVG durch Gesetz vom 3. April 1957 (BGBl. I S. 322), die allerdings für den vorliegenden Fall von Rechts wegen noch nicht anwendbar sind, die Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung sogar zu einer selbständigen Anspruchsvoraussetzung geworden ist (vgl. § 74 AVAVG n. F.).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen