Leitsatz (redaktionell)
Der Sturz eines Hotelbesitzers bei Arbeitsbeginn auf der Innentreppe seines Hotels unterliegt dem Versicherungsschutz nach RVO § 542.
Normenkette
RVO § 542 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13 . Februar 1958 und des Sozialgerichts Schleswig vom 19 . September 1957 sowie der Bescheid der Beklagten vom 17 . November 1956 werden aufgehoben .
Die Beklagte wird verurteilt , wegen des Arbeitsunfalls des Beigeladenen W ... K ... vom 20 . April 1956 die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren .
Die Beklagte hat dem Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten .
Von Rechts wegen .
Gründe
I
Der Hotelinhaber W ... K ... (K . ) erlitt am 20 . April 1956 durch Unfall einen Schädelbruch , dessen Behandlung einen längeren Krankenhausaufenthalt erforderte . K . betrieb damals in K ... b . K ... das Hotel "S ... " . Im Erdgeschoß des Hotelgebäudes befanden sich ein Frühstückszimmer , worin die Hotelgäste die Mahlzeiten einnahmen und außerdem K ... seine Büroarbeiten zu erledigen pflegte , die einzige Toilette im Hause sowie ferner ein Schankraum und ein Saal . Eine Treppe führte zum ersten Stockwerk , wo sich sechs Fremdenzimmer und die Privatwohnung des K . befanden . K ., der in der Regel seine Nachtruhe erst gegen Mittag beendete , war am 20 . April 1956 schon gegen 8 , 00 Uhr aufgestanden , hatte sich angekleidet und die während der Nacht im Schlafzimmer aufbewahrte Geldkassette an sich genommen . Er verließ seine Privatwohnung und stieg die Treppe zum Erdgeschoß hinunter; hierbei stürzte er , fiel einige Stufen hinab und schlug mit dem Kopf gegen einen Türpfosten im Erdgeschoß .
Durch Bescheid vom 17 . November 1956 , den auch die Klägerin erhielt , lehnte die Beklagte den Entschädigungsanspruch ab: Ein Arbeitsunfall habe nicht vorgelegen , da K . sich auf dem Weg zur Toilette befunden habe .
Die Klägerin , von der die Beklagte die Erstattung der Krankenhauskosten verlangt , erstrebt mit der hiergegen erhobenen Klage die Verurteilung der Beklagten zur Entschädigungsgewährung an den - durch Beschluß des Sozialgerichts (SG) beigeladenen - Verletzten K . Das SG hat Beweis erhoben und die Klage abgewiesen . Das Landessozialgericht (LSG) hat nach weiterer Beweisaufnahme die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Der Versicherungsschutz nach § 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO) komme von vornherein nicht in Betracht , da es sich nicht um einen Weg zur Arbeitsstätte im Sinne dieser Vorschrift gehandelt habe . Auch ein nach § 542 RVO versicherter Betriebsweg habe nicht vorgelegen . Zwar sei erwiesen , daß K . im Unfallzeitpunkt die Treppe nicht in der Absicht , die Toilette aufzusuchen , sondern ausschließlich zu dem Zweck benutzt habe , in den im Erdgeschoß gelegenen Gastwirtschaftsräumen seine Arbeit aufzunehmen . Beim Begehen der Treppe habe K . jedoch nicht etwa einen Hotelgast hinunterbegleitet oder sonst Arbeit für den Betrieb verrichtet . Die Geldkassette habe K . nur gelegentlich seines Aufsuchens der unteren Betriebsräume mitgenommen . Dem Transport der Kassette habe der Weg somit nicht gedient . Die Benutzung der Treppe sei demnach noch der privaten Sphäre des K . zuzurechnen . Das LSG hat die Revision zugelassen .
Gegen das am 14 . Mai 1958 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10 . Juni 1958 Revision eingelegt und sie am 5 . Juli 1958 begründet . Sie meint , K . sei auf einem nach § 542 RVO versicherten Betriebsweg innerhalb des Hotelgebäudes verunglückt , und beantragt ,
unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids die Beklagte zur Entschädigungsleistung für den Arbeitsunfall des Beigeladenen zu verurteilen .
Der Beigeladene hat sich dem Revisionsvorbringen der Klägerin angeschlossen .
Die Beklagte beantragt
Zurückweisung der Revision .
Sie pflichtet den Ausführungen im angefochtenen Urteil bei .
II
Die Revision ist statthaft durch Zulassung nach § 162 Abs . 1 Nr . 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) . Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden , daher zulässig . Sie hatte auch Erfolg .
Das LSG war in der mündlichen Verhandlung am 13 . Februar 1958 mit einem Landessozialgerichtsrat als Vorsitzenden , zwei Sozialgerichtsräten als weiteren Berufsrichtern und den ehrenamtlichen Beisitzern besetzt . Die Frage , ob diese Besetzung als fehlerhaft anzusehen ist , kann auch bei einer zugelassenen Revision nur geprüft werden , wenn insoweit ein wesentlicher Mangel des Verfahrens (§ 162 Abs . 1 Nr . 2 SGG) gerügt worden ist (vgl . BSG 14 , 298 mit weiteren Nachweisen) . Infolge dieser - vom erkennenden Senat bereits im Urteil vom 25 . August 1961 (2 RU 259/58) gebilligten - Auffassung , erübrigt sich im vorliegenden Fall eine Stellungnahme zur Besetzung des LSG , denn in ihrem Revisionsvorbringen hat die Klägerin hierzu nichts ausgeführt .
Die Zulässigkeit der hier vom Träger der Krankenversicherung erhobenen Klage folgt aus der auch nach Inkrafttreten des SGG weiter geltenden Vorschrift des § 1511 RVO (vgl . BSG 7 , 195; neuerdings Urteil des erkennenden Senats vom 28 . November 1961 - 2 RU 130/59-) .
Die Anwendbarkeit des § 543 RVO auf den vorliegenden Sachverhalt ist vom LSG zutreffend verneint worden. Der in dieser Vorschrift geregelte Versicherungsschutz für Wegeunfälle erstreckt sich nur auf Wege außerhalb des häuslichen Bereichs (vgl . BSG 2 , 239) . Ein innerhalb dieses Bereichs angetretener Gang zur Arbeitsaufnahme stellt daher begriffsnotwendig keinen "Weg zur Arbeitsstätte" dar (vgl . SozR RVO § 543 Aa 15 Nr . 20) .
Zu Unrecht hat dagegen das LSG auch die Anwendbarkeit des § 542 RVO verneint mit der Erwägung , K . habe sich nicht auf einem nach dieser Vorschrift versicherten "Betriebsweg" befunden , da er vor dem Hinuntergehen noch keine betriebliche Tätigkeit - etwa Inspektion der Fremdenzimmer - verrichtet habe und auch im Augenblick des Unfalls allein damit befaßt gewesen sei , seinen Arbeitsplatz im Frühstücksraum zu erreichen . Befinden sich - wie im vorliegenden Fall - Betriebs- und Wohnräume innerhalb desselben Gebäudes , so steht nach dem vom erkennenden Senat vertretenen Standpunkt (vgl . BSG 11 , 267; SozR RVO § 542 Bl . Aa 13 Nr . 26) ein Versicherter auf dem Weg von der im Wohnraum verbrachten Freizeit zum Arbeitsplatz zwecks Aufnahme einer Betriebstätigkeit grundsätzlich zwar nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung , solange er den rein persönlichen Lebensbereich noch nicht verlassen hat; der Versicherungsschutz beginnt jedoch , sobald der Versicherte einen Teil des Gebäudes erreicht hat , der in rechtlich wesentlichem Umfang den Zwecken des Unternehmens dient . Hat nämlich der Versicherte diese betriebliche Sphäre innerhalb des verschiedenen Zwecken dienenden Gebäudes betreten , so ist im Zusammenhang mit seiner Absicht , eine versicherte Tätigkeit aufzunehmen , der Weg bereits in solchem Maße betriebsbezogen , daß er dieser Tätigkeit zuzurechnen ist .
Prüft man anhand dieser Merkmale den vorliegenden Sachverhalt , so ergibt sich , daß K . im Augenblick des Unfalls sich bereits in der betrieblichen Sphäre seines Hotels befand . Denn die Treppe , auf der er zu Fall kam , verband nach den zweifelsfreien Feststellungen des angefochtenen Urteils das Obergeschoß , wo sich die Fremdenzimmer befanden , mit dem Erdgeschoß , das die im einzelnen schon angeführten Betriebsräume - ua das Frühstückszimmer mit dem Arbeitsplatz des K . für seine Bürotätigkeit - enthielt . Dem rein persönlichen Lebensbereich des K . konnte die auch von den Hotelgästen zu benutzende Treppe keinesfalls mehr zugerechnet werden. Im Augenblick des Unfalls bestand mithin für ihn bereits der Versicherungsschutz nach § 542 RVO , denn nach den eindeutigen , auch von der Beklagten nicht angezweifelten Feststellungen des LSG verfolgte K . beim Begehen der Treppe keinen anderen Zweck als den , seine Arbeit im Frühstückszimmer aufzunehmen . Die Frage , welche rechtliche Bedeutung der Beförderung der Geldkassette bei dem unfallbringenden Weg zukam , bedurfte unter diesen Umständen keiner Prüfung .
Da sonstige Umstände , welche dem Entschädigungsanspruch des K . entgegenstehen könnten , aus dem vom LSG festgestellten Sachverhalt nicht ersichtlich sind , muß die Klage - entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht - als gerechtfertigt angesehen werden. Die Revision ist sonach begründet .
Der Senat konnte auf Grund der getroffenen Feststellungen in der Sache selbst entscheiden . Er hat das von der Klägerin begehrte Grundurteil gefällt .
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .
Fundstellen