Leitsatz (amtlich)
Die Befreiung eines Angestellten von der Versicherungspflicht nach AVG § 8 (= RVO § 1231), die auf Antrag eines öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers für das bei ihm bestehende Beschäftigungsverhältnis erfolgt ist, wird jedenfalls dann ohne weiteres ohne ausdrückliche Aufhebung des Befreiungsbescheides - unwirksam, wenn der Arbeitgeber in eine privat-rechtliche Gesellschaft umgewandelt wird, die die Voraussetzungen des AVG § 8 Abs 1 (= RVO § 1231 Abs 1) nicht mehr erfüllt.
Normenkette
AVG § 8 Abs 1 Fassung: 1967-12-21; RVO § 1231 Abs 1 Fassung: 1967-12-21
Verfahrensgang
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die nach § 8 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ausgesprochene Befreiung des Beigeladenen zu 3) von der Versicherungspflicht seiner Tätigkeit als Verbandsleiter bei einem öffentlichrechtlichen Zweckverband, dem E W (EV Wittingen), auch nach der Umwandlung dieser Körperschaft in eine Handelsgesellschaft bürgerlichen Rechts, den E - W GmbH(EV W GmbH), wirksam geblieben ist.
Durch Dienstvertrag vom 5. Juni 1967 war der Beigeladene zu 3) bei dem damaligen EV W als Verbandsleiter angestellt worden. Er hatte ein nach der Besoldungsordnung A des niedersächsischen Landesbesoldungsgesetzes nebst Zuschlägen festgesetztes Entgelt bezogen, das nach der Vereinbarung der Vertragspartner bei der Beigeladenen zu 4) angemeldet worden war. Nachdem diese bescheinigt hatte, daß für den Beigeladenen zu 3) eine lebenslängliche Versorgung und Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften gewährleistet sei, hatte der Landkreis Gifhorn durch Bescheid vom 8. Juli 1968 auf Antrag des EV W den Beigeladenen zu 3) gemäß § 8 AVG von der Angestelltenversicherungspflicht befreit.
Durch Umwandlungsbeschluß vom 5. Juni 1972 ist die EV W GmbH (Klägerin) an die Stelle des EV Wi getreten. Die Klägerin hat darauf mit dem Beigeladenen zu 3) am 7. Oktober 1972 einen neuen Dienstvertrag geschlossen, in dem dem Beigeladenen zu 3) wiederum ein nach der Besoldungsordnung A des niedersächsischen Besoldungsgesetzes geregeltes Entgelt sowie Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen auf Lebenszeit ab 1. Juli 1972 zugesichert worden ist.
Mit Bescheid vom 27. Dezember 1976 hat die Beklagte die Versicherungspflicht und Beitragspflicht des Beigeladenen zu 3) zur Angestelltenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung ab 1. Dezember 1973 festgestellt. Zugleich hat sie für die Zeit ab Dezember 1973 die entsprechenden Beiträge nachgefordert. Der Widerspruch der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 1977).
Die Klage ist auf die Versicherungspflicht und Beitragspflicht des Beigeladenen zu 3) zur Rentenversicherung der Angestellten beschränkt worden. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat die angefochtenen Bescheide insoweit aufgehoben (Urteil vom 6. Oktober 1977): Die durch den Bescheid des Landkreises Gifhorn vom 8. Juli 1968 ausgesprochene Befreiung des Beigeladenen zu 3) von der Versicherungspflicht zur Angestelltenversicherung sei durch die 1972 erfolgte Umwandlung des Arbeitgebers nicht entfallen; dazu habe es des Widerrufs durch Verwaltungsakt des Landkreises Gifhorn bedurft. Auf die Berufung der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen mit Urteil vom 8. November 1978 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen: Mit der Umwandlung des EV W in die Klägerin sei der Beigeladene zu 3) in der Angestelltenversicherung versicherungspflichtig und somit die Klägerin gemäß § 118 Abs 1 AVG ab 1. Dezember 1973 beitragspflichtig geworden. Mit der Auflösung des EV W und der gleichzeitigen Neugründung der Klägerin habe der Bescheid des Landkreises Gifhorn vom 8. Juli 1968 seine Wirkung auch ohne ausdrückliche Aufhebung verloren und habe sich deshalb auch nicht auf das neu begründete Beschäftigungsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 3) auswirken können.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 8 AVG. Die vom LSG vertretene Ansicht trage insbesondere dem rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit nicht ausreichend Rechnung. Sie stehe auch im Widerspruch zu dem in § 43 Abs 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes normierten, allgemein gültigen und daher auch im Sozialversicherungsrecht anzuwendenden Grundsatz, daß ein Verwaltungsakt solange wirksam bleibe, wie er nicht widerrufen worden sei. Nicht haltbar sei deshalb auch die Auffassung des Berufungsgerichts, daß nach der Umwandlung des EV W in die Klägerin ein rechtlich möglicher Widerruf nicht mehr hätte zugestellt werden können.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 8. November 1978 aufzuheben, soweit es das Urteil des SG L hinsichtlich der Versicherungspflicht und Beitragspflicht des Beigeladenen zu 3) in der Angestelltenversicherung aufgehoben und die Klage abgewiesen hat, und in diesem Umfange die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) zurückzuweisen.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Diese Beteiligten halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Die übrigen Beteiligten haben keine Anträge gestellt.
Sämtliche Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet; das LSG hat die Versicherungspflicht und Beitragspflicht des Beigeladenen zu 3) zur Angestelltenversicherung ab 1. Dezember 1973 zutreffend bejaht.
Entsprechend dem Antrage des EV W hat der Landkreis Gifhorn mit dem Bescheid vom 8. Juli 1968 die Befreiung des Beigeladenen zu 3) gemäß § 8 AVG (die Bezeichnung des angewendeten Gesetzes mit "§ 8 AnVNG" ist ein unbeachtlicher Schreibfehler) ausgesprochen. Diese Entscheidung wirkte nur für das dem Antrag des EV W zugrunde liegende Dienstverhältnis; sie wirkt nicht mehr für den zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 3) am 7. Oktober 1972 geschlossenen Dienstvertrag.
Nach § 8 Abs 1 Satz 1 und 2 AVG werden die Arbeitnehmer der in dieser Vorschrift näher bezeichneten Arbeitgeber, wenn ihnen Anwartschaft auf lebenslängliche Versorgung und Hinterbliebenenversorgung gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist, auf Antrag des Arbeitgebers von der Angestelltenversicherungspflicht befreit. Schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, vor allem aber aus ihrer Zielsetzung, folgt, daß die Befreiung eines Arbeitnehmers nicht schlechthin für dessen gesamte Berufstätigkeit gilt, insbesondere nicht auch jede zukünftige Tätigkeit umfaßt, sondern auf das konkrete Beschäftigungsverhältnis beschränkt ist, für das der Arbeitgeber den Befreiungsantrag gestellt hat. Die Befreiung nach § 8 AVG entlastet den Arbeitgeber, der für seine Bediensteten auf andere Weise eine gesicherte Versorgungsanwartschaft begründet hat, von Beitragspflichten zur gesetzlichen Rentenversicherung. Ob er von dieser Entlastungsmöglichkeit Gebrauch machen will, steht in seinem Ermessen. Er allein hat deshalb darüber zu entscheiden, ob ein Befreiungsantrag im Sinne des § 8 Abs 1 Satz 1 AVG gestellt werden soll und ob der Antrag nur für bestimmte (Einzelpersonen) Personen oder für alle derzeit und zukünftig Beschäftigten oder für Gruppen von ihnen gelten soll (§ 8 Abs 1 Satz 3 AVG).
Die Wirkung des Befreiungsbescheides des Landkreises Gifhorn vom 8. Juli 1968 war auf die Befreiung des Beigeladenen zu 3) von der Versicherungspflicht für das konkrete Beschäftigungsverhältnis zwischen ihm und dem EV W beschränkt. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Bescheides, in dem ausdrücklich auf den entsprechenden Antrag des EV W verwiesen ist. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß der Landkreis Gifhorn über den Antrag des EV W hinausgehen und die Befreiung des Beigeladenen von der Versicherungspflicht zur Angestelltenversicherung auch für zukünftige Beschäftigungsverhältnisse des Beigeladenen zu 3) hat aussprechen wollen.
Erstreckte sich aber die Entscheidung des Landkreises Gifhorn vom 8. Juli 1968 nur auf das ihr zugrunde liegende Dienstverhältnis, so brauchte der Bescheid bei Beendigung des Dienstverhältnisses nicht förmlich widerrufen zu werden.
Ein Verwaltungsakt, auch ein solcher mit Dauerwirkung, kann Rechtswirkungen nur hinsichtlich des Gegenstandes entfalten, auf den er sich bezieht. Fällt das Regelungsobjekt weg, so erlischt auch die Wirkung des auf dieses Objekt bezogenen Verwaltungsakts (BVerwG DÖV 1974, 677; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl, § 54 I Buchst a). Der Verwaltungsakt hat sich dann "anderweitig" erledigt, ohne daß seine Formelle Existenz beseitigt werden muß (BVerwG aaO). Dieser besondere Erledigungsgrund ist nicht nur für das allgemeine Verwaltungsrecht allgemein anerkannt (BVerwG aaO; Wolff/Bachof aaO; Menger/ Erichsen, Verwaltungsarchiv 1968, 181; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl, § 113 RdNr 39), sondern gilt in gleicher Weise auch für die Erledigung sozialversicherungsrechtlicher Verwaltungsakte auf sonstige Weise (vgl § 131 Abs 1 Satz 3 SGG).
Im vorliegenden Fall ist der Gegenstand, auf den sich die Befreiung von der Versicherungspflicht bezog - das Dienstverhältnis zwischen dem EV W und dem Beigeladenen zu 3) - nachträglich weggefallen; damit ist der frühere Befreiungsbescheid unwirksam geworden. Ob sich diese Rechtsfolge schon aus dem Umwandlungsbeschluß vom 5. Juni 1972 ergibt, der zu einem Wechsel in der Person des Arbeitgebers geführt hat, kann dahingestellt bleiben. Der Befreiungsbescheid ist jedenfalls deswegen unwirksam geworden, weil die Klägerin nach der Umwandlung nicht mehr zu den nach § 8 AVG privilegierten Unternehmen gehört (vgl dazu RVA in AN 1940, 150, GE 5355) und daher auch im Falle eines Betriebsüberganges im Sinne des § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) hinsichtlich der Versorgung nicht als neuer Arbeitgeber in die Rechte und Pflichten des bisherigen Arbeitgebers eintreten konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen