Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 10.11.1994; Aktenzeichen L 2 Ar 87/94)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 10. November 1994 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beklagte wendet sich gegen die Aufhebung eines Bescheides über die Pflicht des Klägers zur Umlage für die Produktive Winterbauförderung durch das Berufungsgericht.

Der Kläger betreibt seit Juli 1990 in Sachsen-Anhalt einen Montagebetrieb für Kunststoffenster. Seine Gewerbeanmeldung lautet auf „Plastservice (Montage von Kunststoffbauelementen)”; er ist als Inhaber eines „handwerksähnlichen Betriebes” bei der Handwerkskammer eingetragen.

Der Kläger beschäftigt inzwischen 18 Mitarbeiter damit, im Rahmen der Plattenbausanierung in den neuen Bundesländern alte Fenster auszubauen und neue, von einem anderen Unternehmen hergestellte und gelieferte, Fenster einzubauen sowie die dabei notwendigerweise anfallenden Nebenarbeiten auszuführen. Der Kläger, der weder Tischler- noch Glasermeister ist, kann andere als die vorgenannten Arbeiten mangels entsprechender Kenntnisse nicht ausführen; solche werden von seinem Unternehmen auch nicht verlangt.

Auf Antrag des Klägers bewilligte die Beklagte den Arbeitern seines Betriebes im Februar 1991 Schlechtwettergeld für einen Tag witterungsbedingten Arbeitsausfalls im Januar 1991; im übrigen hat der Betrieb auch bei Regen und Frost durchgearbeitet. Der Betrieb ist nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) nicht tarifgebunden; es bestehe kein ihn betreffender allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag. Die Löhne und Gehälter beruhen auf einzelvertraglicher Vereinbarung (ein Betriebsrat ist nicht vorhanden; die Arbeitnehmer gehören keiner Gewerkschaft an).

Die Klage gegen den Umlagebescheid vom 15. November 1991 (mit Wirkung ab April 1991) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 1992 blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 7. April 1993). Auf die Berufung des Klägers hat das LSG das erstinstanzliche Urteil sowie den Umlagebescheid und die Folgebescheide aufgehoben. Es hat zur Begründung ausgeführt, das Unternehmen des Klägers sei als Betrieb des Glaserhandwerks nach § 2 Nr. 5 der aufgrund der Ermächtigung in § 76 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) ergangenen Baubetriebe-Verordnung (BaubetrV) nicht umlagepflichtig. Die vom Unternehmen verrichteten Arbeiten könnten zwar gleichermaßen als Trocken- und Montagebauarbeiten i.S. des § 1 Abs. 2 Nr. 36 BaubetrV verstanden werden, woraus sich eine Umlagepflicht ergäbe. Bei Einschlägigkeit von zwei gegensätzlichen Vorschriften sei jedoch zugunsten des Betroffenen die nicht belastende Bestimmung anzuwenden. Dies rechtfertige sich im Fall des Klägers umso mehr, als sein Betrieb tatsächlich weitestgehend witterungsunabhängig (sinngemäß) sei (Urteil vom 10. November 1994).

Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt eine Verletzung des § 128 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie des § 186 a Abs. 1 i.V.m. § 75 Abs. 1 Nr. 3, § 76 Abs. 2 AFG i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 36 und § 2 Nr. 5 und Nr. 12 der BaubetrV. Der Betrieb des Klägers führe Montagebauarbeiten i.S. des § 1 Abs. 2 Nr. 36 BaubetrV aus. Zu seinem Ergebnis, der Betrieb gehöre zum Glaserhandwerk i.S. des § 2 Nr. 5 BaubetrV, sei das LSG ohne die gebotene Anwendung objektiver Kriterien gelangt. Eine Verletzung des § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Überzeugungsbildung) sieht die Beklagte darin, daß das LSG bei seiner Entscheidung nicht alle entscheidungserheblichen Umstände berücksichtigt und gegeneinander abgewogen habe; es habe Teile des Verfahrensergebnisses übergangen, nämlich bestimmte Aussagen der herangezogenen Sachverständigengutachten fehlerhaft gewertet.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 10. November 1994 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 7. April 1993 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sein Betrieb sei vollkommen witterungsunabhängig. Die Tätigkeiten seines Unternehmens könnten auch in den Wintermonaten – bei Temperaturen von bis zu -40° C oder -50° C – ausgeführt werden.

Der Senat hat Auskünfte des Statistischen Bundesamts, Wiesbaden sowie des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) beigezogen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Die von diesem Gericht festgestellten Tatsachen reichen zu einer Entscheidung der Frage nicht aus, ob der Kläger umlagepflichtig zur Produktiven Winterbauförderung ist. Auf die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge kommt es für die Entscheidung nicht an.

Der Senat hat für seine Entscheidung die Änderung der §§ 74 ff, 186 a AFG sowie des § 1 Abs. 1 BaubetrV durch das am 1. Januar 1996 in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Änderung des AFG im Bereich des Baugewerbes vom 15. Dezember 1995 (2. AFG-ÄndG-Baugewerbe BGBl. I 1809) nicht berücksichtigt. Denn bei der Überprüfung eines Bescheides, durch den die Beklagte die Umlagepflicht zur Produktiven Winterbauförderung zeitlich unbegrenzt feststellt, haben die Gerichte (nur) alle bis zur Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz eintretenden Rechtsänderungen zu beachten (BSG vom 11. März 1987, BSGE 61, 203, 205 f = SozR 4100 § 186 a Nr. 21).

Nach i 186 a Abs. 1 Satz 1 AFG in der ab dem 1. Januar 1980 geltenden Fassung des 5. Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (5. AFGÄndG) vom 23. Juli 1979 (BGBl. I 1189) werden die Mittel für die Produktive Winterbauförderung von den Arbeitgebern des Baugewerbes, in deren Betrieben die ganzjährige Beschäftigung durch Leistungen nach den §§ 77 bis 80 AFG zu fördern ist (§ 76 Abs. 2 AFG), durch eine Umlage aufgebracht. Arbeitgeber des Baugewerbes sind gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 1 AFG natürliche und juristische Personen, Personenvereinigungen oder Personengesellschaften, die als Inhaber von Betrieben des Baugewerbes auf dem Baumarkt gewerblich Bauleistungen anbieten. Betriebe des Baugewerbes sind solche Betriebe oder Betriebsabteilungen, die überwiegend Bauleistungen erbringen (§ 75 Abs. 1 Nr. 2 AFG); zu den Bauleistungen wiederum gehören alle Bauarbeiten, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen (§ 75 Abs. 1 Nr. 3 AFG). Im Beitrittsgebiet sind die Regelungen über die Produktive Winterbauförderung – darin einbezogen auch die über die entsprechende Umlage – ab 1. April 1991 anzuwenden (§ 249 d Nr. 7 AFG).

Die vorinstanzlichen Gerichte gehen angesichts der von ihnen – insoweit unangegriffen – festgestellten Tatsachen zutreffend davon aus, daß der Betrieb des Klägers überwiegend Bauleistungen anbietet und ein Betrieb des Baugewerbes ist. Vom Begriff der Bauleistungen werden Arbeiten am erdverbundenen Bau erfaßt (Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 19. März 1974, SozR 4670 § 2 Nr. 2, S. 2 f). Hierunter fallen nach § 75 Abs. 1 Nr. 3 AFG auch Ausbesserungs-, Renovierungs- und Sanierungsarbeiten.

Ob im Betrieb des Klägers die ganzjährige Beschäftigung durch Leistungen nach den §§ 77 bis 80 AFG zu fördern ist, richtet sich nach § 76 Abs. 2 AFG i.V.m. der zuletzt durch die Verordnung vom 24. Oktober 1984 (BGBl. I 1318) geänderten BaubetrV. Zu Recht hat das LSG insoweit eine Zuordnung des Betriebs des Klägers (auch) zu § 1 Abs. 2 Nr. 36 („Trocken- und Montagearbeiten ≪z.B. Wand- und Deckeneinbau und -verkleidungen≫ einschließlich des Anbringens von Unterkonstruktionen und Putzträgern”) erwogen; ebenso freilich kommt als einschlägige Vorschrift § 1 Abs. 2 Nr. 12 BaubetrV („Fertigbauarbeiten: Einbauen oder Zusammenfügen von Fertigbauteilen zur Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung oder Änderung von Bauwerken …”) in Betracht.

Von vornherein unzutreffend ist jedoch jedenfalls die vom LSG als gleichermaßen (wie § 1 Abs. 2 Nr. 36 BaubetrV) einschlägig erörterte Einordnung in die Ausnahmevorschrift des § 2 Nr. 5 BaubetrV; hiernach sind Betriebe „des Glaserhandwerks” von der Förderung durch Leistungen der Produktiven Winterbauförderung ausgeschlossen. Denn der Kläger ist zwar mit dem von ihm betriebenen handwerksähnlichen Gewerbe bei der Handwerkskammer in das Verzeichnis der Inhaber handwerksähnlicher Betriebe eingetragen (vgl. §§ 18 bis 20 Handwerksordnung ≪HwO≫ i.V.m. Anl. B III ≪Gruppe der Holzgewerbe≫ Nr. 18 a ≪Einbau von genormten Baufertigteilen – z.B. Fenster, Türen, Zargen, Regale –≫, eingefügt durch das HwO-Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1993 ≪BGBl. I 2256≫); er ist damit aber gerade kein Handwerksbetrieb i.S. des § 1 HwO. Nur ein solcher kann jedoch i.S. des § 2 Nr. 5 BaubetrV als Betrieb des Glaserhandwerks aufgefaßt werden.

Dies ergibt sich bereits aus dem Regel-/Ausnahmeverhältnis zwischen § 1 und § 2 der BaubetrV. Es geht insoweit nicht darum, zu entscheiden, ob ein Betrieb entweder zu den Zweigen des Baugewerbes nach § 1 Abs. 2 bis 4 BaubetrV gehört oder zu den Betriebszweigen nach § 2 BaubetrV. Denn eine Umlagepflicht zur Produktiven Winterbauförderung und die entsprechende Förderungsfähigkeit kommt von vornherein nur in Betracht, wenn ein Betrieb (bzw. eine Betriebsabteilung) zu den Betrieben nach § 1 Abs. 2 BaubetrV zählt. Hiervon nimmt § 2 BaubetrV jene Betriebe des Baugewerbes aus, „die nicht erwarten lassen, daß ihre Bautätigkeit in der Schlechtwetterzeit durch eine Förderung voraussichtlich in wirtschafts- oder sozialpolitisch erwünschter Weise belebt werden wird (§ 76 Abs. 2 Satz 2 AFG)” (Begründung zu § 2 BaubetrV i.d.F. vom 19. Juli 1972, BArbBl 1972, 529; die damals noch „klarstellend” in § 2 aufgeführten Betriebe, die nicht zum Baugewerbe gehörten – Sand- und Kiesgruben, Ziegeleien – wurden in § 2 BaubetrV in der Neufassung zum 28. Oktober 1980 nicht mehr genannt, die Begründung hierzu in BArbBl 1/1981, S. 62 Nr. 4 f). Damit entspricht es jedenfalls dem Regelfall, daß die in § 2 BaubetrV genannten Betriebszweige (auch) solche Tätigkeiten ausführen, wie sie in § 1 Abs. 2 bis 4 BaubetrV genannt sind. Dann aber kann allein mit der Begründung des LSG (die vom Unternehmen des Klägers verrichteten Montagearbeiten seien auch den Glasereibetrieben gestattet, ja ein Teil der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung ordne den Einbau von Fenstern sogar nur dem Glaserhandwerk zu) der Betrieb des Klägers nicht („auch”) als ein solcher des Glaserhandwerks begriffen werden.

Nichts anderes folgt auch aus dem differenzierenden Wortlaut der Regelungen in § 1 und § 2 BaubetrV. Hier wird in den einzelnen Gewerbezweigen unterschieden zwischen einerseits Betrieben, die bestimmte Arbeiten verrichten und andererseits ausdrücklich als solchen bezeichneten Handwerksbetrieben; diese wiederum sind nur in § 1 Abs. 3 Nr. 2 BaubetrV (Betriebe des Dachdeckerhandwerks) erfaßt sowie in § 2 Nrn 5, 7, 8 und 12 (Glaserhandwerk, Maler- und Lackiererhandwerk, Steinmetzhandwerk, Schreinerhandwerk). Aus dieser Wortwahl ist abzuleiten, daß der Verordnungsgeber hier auch in der Sache eine unterschiedliche Behandlung beabsichtigt hat und als „Handwerksbetrieb” nicht einen solchen verstehen wissen wollte, der, ohne die Voraussetzungen der HwO zu erfüllen, nur bestimmte Arbeiten ausführt, die auch im Rahmen eines benannten Handwerks anfallen können (ähnlich SAG vom 26. Januar 1994, AP Nr. 71 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau = EzA § 4 TVG Bauindustrie Nr. 71 sowie BAG vom 12. Oktober 1994 – 10 AZR 982/93 – nicht veröffentlicht: Hiernach ist für die Geltung des Verfahrenstarifvertrages Bau der Ausnahmetatbestand eines Betriebes des Glaserhandwerks nur dann erfüllt, wenn dieser zumindest auch die typischen Glaserarbeiten durchführe; dies sei jedoch bei einem Betrieb nicht der Fall, der ausschließlich von Drittfirmen hergestellte genormte Fenster in Alt- und Neubauten einsetze). Diese Zielrichtung der differenzierenden Behandlung wird auch deutlich dadurch, daß das Maler- und Lackiererhandwerk sowie das Schreinerhandwerk (§ 2 Nr. 7 und Nr. 12 BaubetrV) zwar grundsätzlich von der Winterbauförderung ausgenommen sind, insoweit jedoch im Wege der Rückausnahme bestimmte Betriebsarten (z.B. überwiegende Ausführung von Putzarbeiten bzw. Ausführung von Fertigbauarbeiten) wiederum in die Winterbauförderung einbezogen werden. Anderen Handwerksbetrieben, die ja von einem umfassend qualifizierten Meister geleitet werden (§ 7 HwO), wird demgegenüber zugemutet, aus eigener Kraft dadurch Vorsorge für witterungsbedingte winterliche Arbeitsausfälle zu treffen, daß auch nicht typischerweise witterungsabhängige Arbeiten erbracht werden. Damit sprechen wirtschafts- oder sozialpolitische Gesichtspunkte (siehe hierzu die Begründung zu § 2 BaubetrV i.d.F. der BaubetrV 1972, BArbBl 1972, 529) gegen die Förderung der Bautätigkeit solcher Betriebe in der Schlechtwetterzeit.

Im übrigen ist die Argumentation des LSG verfehlt, wegen einer behaupteten „Einschlägigkeit” zweier gegensätzlicher Vorschriften sei „die nicht belastende Bestimmung zugunsten des Betroffenen anzuwenden”. Ein derartiger Rechtssatz ist dem Sozialrecht unbekannt und läßt sich auch nicht aus § 2 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs – Allgemeiner. Teil – (SGB I) herleiten. Im übrigen entbindet selbst im Strafrecht der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten” (in dubio pro reo) nicht von dem Erfordernis einer genauen Subsumtion; aus dieser wird sich darüber hinaus in aller Regel ergeben, daß – wie auch im vorliegenden Fall – die geprüften Vorschriften entweder nicht gegensätzlich oder nicht gleichermaßen einschlägig sind.

Ist der Betrieb des Klägers jedoch nicht als Handwerksbetrieb aufzufassen – so daß sowohl eine Einordnung unter § 2 Nr. 5 als auch Nr. 12 BaubetrV ausgeschlossen ist – kann sich seine Umlagepflicht zur Produktiven Winterbauförderung durch seine Einordnung entweder unter § 1 Abs. 2 Nr. 12 oder Nr. 36 BaubetrV (Fertigbauarbeiten bzw. Trocken- und Montagebauarbeiten) ergeben. Zu welchem dieser beiden – jedenfalls alternativ einschlägigen – Gewerbezweige der Betrieb des Klägers gehört, kann unentschieden bleiben. Denn über die Umlagepflicht des Klägers zur Produktiven Winterbauförderung kann entschieden werden, ohne daß festzustellen ist, welchem der beiden Gewerbezweige sein Betrieb zuzuordnen ist.

Zur Maßgeblichkeit der Zuordnung eines Betriebes zu dem in § 1 Abs. 2 BaubetrV genannten Betriebszweigen geht der Senat auch weiterhin davon aus, daß das BMA im Rahmen der ihm in § 76 Abs. 2 Satz 1 AFG erteilten Ermächtigung die Förderungsfähigkeit als Voraussetzung für die Einbeziehung in die Winterbauförderung zu beachten hat. Dabei hat es einen weiten Spielraum für eine praktikable Abgrenzung des Kreises der förderungsfähigen Betriebe. Diesen Rahmen hat es jedoch dadurch überschritten, daß die Regelungen der BaubetrV keinen eigenständigen, an den Erfordernissen der Winterbauförderung orientierten Katalog von förderungsfähigen Betrieben enthalten, sondern sich – auch in der neuesten Fassung ihres Katalogs (durch die Verordnung vom 24. Oktober 1984, BGBl. I 1318) – darauf beschränken, die Regelungen über den Geltungsbereich des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV-Bau) und des insoweit damit übereinstimmenden Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) „weitestgehend” (so die Begründung zur BaubetrV 1980, BArbBl 1/1981, 62) zu übernehmen.

Nach § 76 Abs. 2 Satz 4 AFG (i.d.F. des 5. AFGÄndG vom 23. Juli 1979 – BGBl. I 1189) soll das BMA zwar insoweit „nach Möglichkeit den fachlichen Geltungsbereich tariflicher Regelungen berücksichtigen”; dies entbindet es jedoch nicht von der eigenständigen Entscheidung, in welchen Zweigen des Baugewerbes die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist und der Verpflichtung, zu berücksichtigen, ob dadurch die Bautätigkeit in der Schlechtwetterzeit voraussichtlich in wirtschafts- oder sozialpolitisch erwünschter Weise belebt werden wird (§ 76 Abs. 2 Satz 1 und 2 AFG).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist daher ein Betrieb dann von der Umlagepflicht zur Produktiven Winterbauförderung auszunehmen, wenn innerhalb eines der in der BaubetrV aufgeführten Gewerbezweige eine nennenswerte abgrenzbare Gruppe von Betrieben erkennbar ist, die durch Leistungen der Winterbauförderung nicht wesentlich gefördert werden kann, und der fragliche Betrieb zu einer solchen Gruppe gehört. Es reicht jedoch nicht aus, daß der fragliche Betrieb, für sich genommen, individuell nicht förderungsfähig ist (s. BSG vom 23. Februar 1988, SozR 4100 S. 186 a Nr. 23 S. 65 m.w.N.; ebenso Urteile vom 14. März 1989, SozR 4100 § 75 Nr. 13 S. 23 f; vom 28. Februar 1990, SozR 3-4100 § 76 Nr. 1 S. 5; vom 22. August 1990, SozR 3-4100 § 186 a Nr. 3 S. 10 f). In dieser Auffassung sieht sich der Senat auch dadurch bestätigt, daß auch das BMA – als Verordnungsgeber der BaubetrV – in seiner im vorliegenden Verfahren erteilten Auskunft vom 9. November 1995 die Auffassung vertreten hat, Feststellungen, ob innerhalb eines grundsätzlich förderungsfähigen Zweiges von Betrieben des Baugewerbes abgrenzbare Gruppen von nicht förderungsfähigen Betrieben existierten, könnten auch in Zukunft befriedigend wohl nur durch die Rechtsprechung und im Rahmen der Rechtsanwendung getroffen werden.

Im vorliegenden Streitfall ist daher darauf abzustellen, ob (a) der Betrieb des Klägers selbst förderungsfähig ist oder nicht und, wenn dies nicht zutrifft, (b) er zu einer nennenswerten abgrenzbaren Zahl (Gruppe) von gleichartigen Betrieben gehört, welche der Verordnungsgeber wegen der bei ihnen fehlenden Förderungsfähigkeit aus der Produktiven Winterbauförderung hätte ausnehmen müssen (die – theoretische – Fallkonstellation einer individuellen Förderungsfähigkeit trotz Zugehörigkeit zu einer nicht förderungsfähigen Gruppe kann hier unerörtert bleiben).

(zu a) Ob ein Betrieb durch Leistungen der Produktiven Winterbauförderung förderungsfähig ist, richtet sich danach, ob er objektiv (ohne Berücksichtigung untypischer, individueller Gegebenheiten) als Empfänger der entsprechenden Leistungen in Betracht kommt.

Insoweit ist für den hier streitigen Zeitraum ab April 1991 zu beachten, daß der Leistungskatalog der Produktiven Winterbauförderung ursprünglich neben dem den Arbeitern zustehenden Wintergeld (§ 80 AFG) Leistungen an die Arbeitgeber vorsah, nämlich den Investitionskostenzuschuß ≪IKZ≫ (§ 77 AFG) und den Mehrkostenzuschuß ≪MKZ≫ (§§ 78, 79 AFG). Die Leistungen an die Arbeitgeber wurden jedoch ab 1. Juli 1986 ausgesetzt (§ 238 AFG, zuletzt i.d.F. des Gesetzes vom 18. Dezember 1992, BGBl. I 2044), wobei freilich diese Förderungspause aufgrund mangelnder Nahtlosigkeit ihrer gesetzlichen Verlängerung zwischen dem 1. April und dem 15. Oktober 1992 unterbrochen war (hierzu Schmidt, BArbBl 5/1993, 11). Obwohl die §§ 77 bis 79 AFG in ihrer ursprünglichen Form bis zum 31. Dezember 1995 weiterhin bestanden, wurde – mit Wirkung ab 1. Januar 1994 – durch § 74 Abs. 3 Satz 2 AFG (i.d.F. des Gesetzes vom 21. Dezember 1993, BGBl. I 2353) nunmehr ohne Befristung geregelt, daß „die Leistungen an die Arbeitgeber des Baugewerbes … nicht erbracht” werden.

Auf dieser Grundlage geht der Senat (in Klarstellung seiner Ausführungen im Urteil vom 21. Februar 1995 – 10 RAr 5/93) davon aus, daß es für die Prüfung der Förderungsfähigkeit im oben genannten Zusammenhang bis zum 31. Dezember 1993 noch darauf ankommt, ob eine Förderung durch IKZ, MKZ oder Wintergeld in Betracht kam, während ab 1. Januar 1994 insoweit nur eine Förderungsfähigkeit durch Wintergeld maßgeblich ist.

Hiermit dürfte jedoch im Ergebnis keine wesentliche Änderung verbunden sein. Eine Förderungsfähigkeit durch IKZ oder MKZ einerseits, andererseits jedoch nicht durch Wintergeld erscheint kaum vorstellbar. Denn nach § 80 AFG in der bis zum Inkrafttreten (am 1. Januar 1996) des 2. AFG-ÄndG-Baugewerbe geltenden Fassung wird Wintergeld (in Höhe von DM 2,–/Arbeitsstunde) solchen Arbeitern in Betrieben des Baugewerbes (bei denen die arbeitsrechtlichen, allgemeinen, Voraussetzungen des § 83 AFG erfüllt sind) gewährt, die auf einem witterungsabhängigen Arbeitsplatz beschäftigt sind. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die vom Betrieb (bzw. der Gruppe) ausgeführten Arbeiten auch während extremer Witterungsauswirkungen verrichtet werden können, wie vom Kläger für sein Unternehmen behauptet. Umgekehrt ergibt sich für die „Witterungsabhängigkeit” der Arbeitsplätze i.S. des § 80 AFG – entgegen der Meinung der Beklagten – auch nichts daraus, daß die Arbeiter im Betrieb des Klägers (für einen Tag im Januar 1991) Schlechtwettergeld wegen witterungsbedingten Arbeitsausfalls erhalten haben (§§ 84, 85 AFG). Denn die Leistung von Wintergeld geht (bis zum 31. Dezember 1995) gerade davon aus, daß im Förderungszeitraum (vom 1. Dezember bis zum 31. März: § 75 Abs. 2 Nr. 1 AFG) Bauarbeiten stattfinden. Dieses Wintergeld will Mehraufwendungen der Bauarbeiter bei einer Bautätigkeit im Winter (zusätzliche Arbeitskleidung, zusätzliche Aufwendungen für Arbeitsbereitschaft und Arbeitsverrichtung) pauschal abgelten und auch dadurch das Interesse der Bauarbeiter an einer kontinuierlichen Arbeit in den Wintermonaten wecken, daß es den Abstand zwischen dem Einkommen für geleistete Arbeitsstunden und dem Schlechtwettergeld vergrößert (BT-Drucks VI 3261 S. 2). Es kommt daher – gerade – auch bei „durcharbeitenden” Betrieben lediglich darauf an, ob die Arbeiter während der Arbeitszeit in den Wintermonaten witterungsbedingten Erschwernissen ausgesetzt sind (zu den Voraussetzungen für Wintergeld s. BSG vom 17. Juli 1979, SozR 4100 § 141 b Nr. 10 S. 37; BSG vom 20. April 1977, BSGE 43, 255, 261 ff, 267 = SozR 4100 § 80 Nr. 1; BSG vom 11. Juni 1987, BSGE 62, 32, 33 f = SozR 4100 § 71 Nr. 2).

Hierzu hat das LSG keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Diese wird es nachzuholen haben.

Sollte es dabei zum Ergebnis kommen, daß in der Tat die Arbeiter im Unternehmen des Klägers die Voraussetzungen für Wintergeld nie – oder praktisch nie – erfüllen können, so kommt es weiterhin darauf an, ob der Betrieb des Klägers insofern nicht allein steht, sondern zu einer Gruppe von Betrieben gehört, die von der Umlagepflicht zur. Produktiven Winterbauförderung ausgenommen ist.

Mit Urteil vom 14. Februar 1991 (SozR 3-4100 § 186 a Nr. 4; ebenso im Anschluß daran die Urteile vom 18. September 1991 – 10 RAr 5/90 und vom 21. Februar 1995 – 10 RAr 5/93) hatte der Senat auf der Grundlage der oben dargestellten Rechtsprechung konkretisiert, wann eine nennenswerte abgrenzbare Zahl von Betrieben, welche der Verordnungsgeber wegen fehlender Förderungsfähigkeit aus der Produktiven Winterbauförderung hätte ausnehmen müssen, besteht: Angesichts der Gesamtzahl der zu dem Gewerbezweig zählenden Betriebe müsse sie einen Anteil ausmachen, welcher angesichts der Ermächtigungsgrundlage des § 76 Abs. 2 AFG nicht unbeachtet bleiben dürfe. Eine Gruppenbildung sei umso eher anzunehmen, je kleiner die Gesamtzahl der zu dem Gewerbezweig zählenden Unternehmen im Geltungsbereich des AFG sei. Umfasse ein förderungswürdiger und -fähiger Betriebszweig des Baugewerbes eine große Anzahl von Einzelbetrieben, so müsse es sich bei einer aus der Winterbauförderung auszunehmenden Betriebsgruppe um entsprechend viele Einzelbetriebe handeln. Eine derartige Gruppe könne auch aus einem Einzelunternehmen bestehen. Jedenfalls dürfe der Anteil der Beschäftigten bzw. der Marktanteil jener Gruppe die 10 %-Grenze auf keinen Fall unterschreiten und müsse umso höher liegen, je weniger Betriebe dem betreffenden Gewerbezweig angehörten. Die entsprechenden Zahlenverhältnisse seien z.B. durch Nachfrage beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden oder bei den zuständigen statistischen Landesämtern zu ermitteln.

Der Senat sieht sich jedoch anhand des vorliegenden Falles veranlaßt, diese Rechtsprechung aufzugeben. Die Ermittlung von Zahlenverhältnissen der genannten Art stößt auf – unüberwindliche – Schwierigkeiten, da das entsprechende Zahlenmaterial in der vorausgesetzten Form nicht zur Verfügung steht:

Die – vom Statistischen Bundesamt herausgegebene – „Systematik der Wirtschaftszweige”, Ausgabe 1979 (WZ 79) sowie deren Nachfolgewerk, die „Klassifikation der Wirtschaftszweige”, Ausgabe 1993 (WZ 93) stellen die Grundlage für die Klassifizierung von Unternehmen und Betrieben in der amtlichen Statistik dar. Ihnen ist zu entnehmen, daß es statistische Untergliederungen, die § 1 Abs. 2 Nr. 12 oder Nr. 36 BaubetrV entsprechen, ebensowenig gibt wie eine statistische Untergliederung, die ausschließlich Betriebe wie den des Klägers umfaßt. Zwar finden sich sowohl in der WZ 79 als auch in der WZ 93 innerhalb der Abteilung „Baugewerbe” Untergliederungen, die den Fertigbau umfassen (so die Untergruppe 300 5 der WZ 79 bzw. die Unterklassen 45.21.3, 45.21.4 und 45.21.5 der WZ 93). Schon diese entsprechen jedoch nicht voll dem Gewerbezweig nach § 1 Abs. 2 Nr. 12 BaubetrV (vgl. die Erläuterungen zu den WZ 79, S. 168 und zu den WZ 93, S. 280). Statistische Untergliederungen, die den Trocken- und Montagebauarbeiten des § 1 Abs. 2 Nr. 36 BaubetrV entsprechen, finden sich noch nicht einmal näherungsweise. Noch weniger lassen sich der Statistik Zahlen zu reinen Fenstermontagebetrieben, wie dem des Klägers, entnehmen. Solche Betriebe sind nach den Erläuterungen der WZ 93 (S. 287) der Unterklasse 45.42.0 „Bautischlerei” zuzuordnen. Hierzu gehört der Einbau von fremdbezogenen Fenstern jedoch nur neben vielen anderen Betätigungen. Eine weitere Untergliederung besteht nicht.

Das erforderliche Zahlenmaterial ist auch, soweit ersichtlich, nicht anderweitig vorhanden. Über die Zahl der Einzelbetriebe in bestimmten Zweigen des Baugewerbes können die Bau-Berufsgenossenschaften ebenfalls keine Auskunft geben (s. LSG Nordrhein-Westfalen vom 8. Juni 1993 – L 9 Ar 184/91).

Damit aber fehlt jegliche tatsächliche Grundlage, um ermitteln zu können, ob eine Gruppe von Betrieben, wie der des Klägers, besteht, deren Anteil am entsprechenden Gewerbezweig hinsichtlich der beschäftigten Arbeitnehmer oder hinsichtlich des Marktanteils zumindest die 10 %-Grenze erreicht (s. auch Bayerisches LSG vom 19. Dezember 1995 – L 9 AI 325/90, das wegen des fehlenden statistischen Materials nicht feststellen konnte, ob i.S.d. bisherigen Rechtsprechung eine nennenswerte abgrenzbare Gruppe von Betrieben bestand, die überwiegend Telefonkabel für die Deutsche Bundespost verlegten). Der Senat sieht daher davon ab, zur Ermittlung, ob eine abgrenzbare nennenswerte Gruppe im Sinne der erläuterten Rechtsprechung besteht, auf einen Vergleich anhand von Zahlenmaterial abzustellen.

Der Senat geht nunmehr von folgenden Grundsätzen aus: Abgrenzbar und nennenswert ist eine Gruppe z.B.

- wenn die Tarifvertragsparteien im Katalog des BRTV-Bau inzwischen eine neue Aufteilung vorgenommen haben, die einen – im obigen Sinne nicht witterungsabhängigen – Zweig des Baugewerbes nunmehr getrennt aufführt

- oder wenn sich im Wirtschaftsleben eine bestimmte, einheitliche, nicht mehr als bloß zufällige Ansammlung zu vernachlässigende, dauerhafte Gruppe etabliert hat, deren Mitgliedsbetriebe sämtlich nicht oder allenfalls in zu vernachlässigendem Ausmaß witterungsabhängig sind; als Indizien für das Vorliegen einer derartigen Gruppe könnte gelten, daß sich eine Güteschutzgemeinschaft für ein bestimmtes Verfahren gebildet hat (s. hierzu das Urteil des Senats vom heutigen Tage – 10 RAr 10/94) oder ein Bundesverband gleichartiger Unternehmen besteht (soweit das Urteil vom 21. Februar 1995 – 10 RAr 5/93 – dieses Kriterium noch ausdrücklich abgelehnt hatte, so ist dies vor dem Hintergrund der damals noch vertretenen Auffassung zu verstehen, die der Senat nicht mehr aufrechterhält).

Diese neuen Kriterien stellen jeweils nicht darauf ab, welchem Zweig des Baugewerbes nach § 1 Abs. 2 BaubetrV der Betrieb des Klägers zuzuordnen ist; da er (wie oben dargelegt) entweder zu Nr. 12 oder zu Nr. 36 gehört, kann die Entscheidung zwischen beiden Zweigen offenbleiben. Allgemein werden bei der soeben erläuterten Vorgehensweise Komplikationen durch „interne” Konkurrenzen innerhalb des § 1 Abs. 2 BaubetrV ebenso vermieden wie Zufallsergebnisse, wenn aus der Zuordnung zu zahlenmäßig stark unterschiedlichen Zweigen des Baugewerbes unterschiedliche Anforderungen an die Größe einer „Gruppe” gestellt werden.

Für den Zeitraum ab 1. Januar 1996 wird das LSG die angesprochenen Änderungen durch das Gesetz vom 15. Dezember 1995 zu beachten haben, insbesondere, daß das weiterhin über die Umlage nach § 186 a AFG aufgebrachte Wintergeld nunmehr nicht allein das Entgelt für im Förderungszeitraum tatsächlich geleistete Arbeitsstunden aufstockt, sondern auch neben der Winterausfallgeld-Vorausleistung gewährt wird, d.h. auch in Fällen witterungsbedingten Arbeitsausfalls (s. § 74 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AFG i.d.F. des 2. AFG-ÄndG-Baugewerbe).

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1508652

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