Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigungsrente. Aberkennung. Kürzung. vorläufige Entziehung. Grundsätze der Menschlichkeit. Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit. Verstoß. Wiedergutmachung. Eingriff. Ermächtigung. Analogie
Leitsatz (amtlich)
- Für eine vorläufige Aberkennung oder Kürzung des Rechts auf Entschädigungsrente gibt es keine Ermächtigung.
- Zu den Voraussetzungen für die Aberkennung oder Kürzung eines Rechts auf Entschädigungsrente wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit.
Normenkette
EntschRG §§ 2, 5-7; VersRuhG §§ 1, 4; FEhrPensAnO § 3; EinigVtr Art. 18-19; SGB X §§ 8, 45-48; BEG §§ 1-3, 6-7; GG Art. 1, 3, 14
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 29. November 1995 wird zurückgewiesen, soweit darin auf die Berufung des Klägers das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 16. Juni 1994 und der Bescheid der Beklagten vom 3. November 1992 aufgehoben worden ist.
Im übrigen wird auf die Revision der Beklagten das vorgenannte Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern insoweit aufgehoben, als auf die Klage der Bescheid vom 3. Februar 1995 aufgehoben worden ist. In diesem Umfang wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die beklagte Bundesrepublik Deutschland auf Vorschlag ihrer beigeladenen “Kommission zum Versorgungsruhens- und Entschädigungsrentengesetz” dem Kläger sein gegen die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gerichtetes Recht auf Entschädigungsrente nach § 5 des Gesetzes über Entschädigungen für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet (ERG) vom 22. April 1992 (BGBl I 906) aberkennen durfte.
Der im April 1903 in R.… geborene Kläger ist anerkannter Verfolgter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Er hat den Beruf eines Eisendrehers erlernt. Nachdem er Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend und der SPD gewesen war, wurde er 1923 in die KPD aufgenommen, für die er 1932/33 Abgeordneter im Landtag des damaligen Landes Mecklenburg war. 1933 wurde er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, 1937 erneut verhaftet. Von 1937 bis 1939 war er bei verschiedenen Firmen beschäftigt. Von September 1939 bis April 1945 war er Häftling in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau. Im April 1945 wurde er befreit.
Er wurde Erster Kreissekretär der KPD in G.…, im August 1945 Landrat des Kreises G.…, sodann Zweiter Sekretär der Landesleitung Mecklenburg der KPD. Von 1946 bis 1952 war er Abgeordneter des Landtages Mecklenburg und in der SED-Landesleitung Mecklenburg tätig. 1948 bis 1951 war er Landwirtschaftsminister, 1951 bis 1952 Ministerpräsident des Landes Mecklenburg. Von 1952 bis Februar 1974 war er Erster Sekretär der SED-Bezirksparteileitung Sch.… und Abgeordneter des Bezirkstages. Seit Juli 1958 war er Mitglied des Zentralkomitees (ZK) der SED, seit November 1958 Abgeordneter der Volkskammer. Seit dem 3. Oktober 1973 war er Mitglied des Staatsrates der DDR. Dem Politbüro der SED oder dem “Nationalen Verteidigungsrat” (NVR) der DDR gehörte er nicht an.
In der DDR war ihm als “Verfolgten des Naziregimes” (VdN) das Recht auf eine Ehrenpension nach der vom Sekretariat des Ministerrates der DDR am 27. September 1976 als “Vertrauliche Drucksache – VD 26/19/76 –” herausgegebenen Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie für deren Hinterbliebene (EhPensAO) zuerkannt worden. Dieses Recht wurde ab 1. Mai 1992 nach dem zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen ERG (§ 2 Abs 1 aaO) durch ein gegen die beigeladene BfA gerichtetes Recht auf Entschädigungsrente mit einem monatlichen Wert von 1.400,-- DM ersetzt; die BfA zahlte ihm diesen Betrag monatlich aus.
Auf Vorschlag der beigeladenen Kommission vom 8. Oktober 1992 erkannte das für den beklagten Staat handelnde Bundesversicherungsamt (BVA) dem Kläger durch Bescheid vom 3. November 1992 das Recht auf Entschädigungsrente gegen die BfA “mit sofortiger Wirkung vorläufig” ab. Dem Kläger wurde mitgeteilt, die Entscheidung sei vorläufig; eine endgültige Regelung, die auch abweichend befinden könne, werde nach Abschluß des vorgeschriebenen Anhörungsverfahrens aufgrund eines weiteren Vorschlages der beigeladenen Kommission folgen; die Aberkennung rechtfertige sich aus § 5 Abs 1 ERG, weil der Kläger gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen habe; für das bei einer Entscheidung nach § 5 Abs 1 ERG maßgebliche Verfahren seien gemäß § 5 Abs 3 ERG die Vorschriften des Gesetzes über das Ruhen von Ansprüchen aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen (Versorgungsruhensgesetz ≪VRG≫) vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606) entsprechend anzuwenden; die Beklagte habe gemäß § 4 Abs 4 VRG eine vorläufige Maßnahme angeordnet; in Ansehung der schwerwiegenden Vorwürfe im Zusammenhang mit den Staats- und Parteiämtern sei dies geboten; denn die beantragte und vorgeschriebene Anhörung der Verfolgtenorganisation dürfe nicht dazu führen, durch eine hinausgeschobene Entscheidung Leistungen endgültig zu belassen, die nach der bisherigen Prüfung der Kommission abzuerkennen seien.
Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte auf Vorschlag der beigeladenen Kommission vom 16. März 1993 durch Bescheid vom 3. Februar 1995 dem Kläger “mit sofortiger Wirkung” das bereits vorläufig aberkannte Recht auf Entschädigungsrente gemäß § 5 Abs 1 ERG “endgültig” aberkannt. Zur Begründung wurde ausgeführt: Der Kläger habe im Rahmen seiner hochrangigen Stellungen als Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED Sch.… und als Mitglied des Staatsrates Mitverantwortung für die Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Grenzregime an der innerdeutschen Grenze und für Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit getragen. Der Staatsrat habe seine sich aus dem Recht der DDR ergebende Pflicht verletzt, dafür zu sorgen, daß der Generalstaatsanwalt und die gesamte Staatsanwaltschaft strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen der Geschehnisse an der Grenze einleiteten. Hierfür sei der Kläger mitverantwortlich, weil er aufgrund seiner Tätigkeit als Erster Sekretär der Bezirksleitung Sch.… über die Geschehnisse an der innerdeutschen Grenze informiert gewesen sei und die Handlungen und das Unterlassen des Staatsrates mitgetragen habe. Ferner habe sich der Kläger in das Herrschaftssystem der ehemaligen DDR integriert und sich mit ihm identifiziert. Insbesondere als Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED Sch.… trage er deshalb Mitverantwortung für Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit, die im Zusammenhang mit dem Grenzregime und den tödlichen Vorfällen dort geschehen seien. Die Schwere dieses Verhaltens lasse es nicht zu, das Recht auf Entschädigungsrente nur zu kürzen.
Das Sozialgericht (SG) Schwerin hat die gegen den vorläufigen Aberkennungsbescheid vom 3. November 1992 gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Juni 1994). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgerichts (LSG) Mecklenburg-Vorpommern das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten vom 3. November 1992 aufgehoben; ferner hat es auf die Klage auch den endgültigen Aberkennungsbescheid vom 3. Februar 1995 aufgehoben. Das Berufungsgericht ist folgender Ansicht: Beide Verwaltungsakte seien rechtswidrig, weil die Tatbestandsvoraussetzungen einer Aberkennung des Rechts auf Entschädigungsrente nach § 5 Abs 1 ERG nicht erfüllt seien. Der Kläger habe nicht gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Es genüge hierfür nicht jede unter dem Schutz der politischen Ordnung der DDR begangene Unrechtstat. Erforderlich sei eine erhebliche Zuwiderhandlung, ein Handeln in Kenntnis und mit Billigung aller Tatumstände in dem Bewußtsein, damit gegen anerkannte Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Menschlichkeit zu verstoßen. Dies sei regelmäßig dann der Fall, wenn der Handelnde sich bewußt zum Vollstrecker solcher Unrechtsmaßnahmen gemacht oder diese (mit-)initiiert habe. Die bloße Funktionsinhaberschaft des Klägers in der ehemaligen DDR reiche nicht aus. Erforderlich sei eine Prüfung im Einzelfall. Der Entzug der Entschädigungsrente sei ein Eingriff in einen Vertrauenstatbestand. Die von der Beigeladenen vertretene Auffassung, es komme zu einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Einschränkung der Verwirkung von Entschädigungsrechten zu Lebzeiten der Betroffenen und daher nicht mehr zur Anwendung dieses Gesetzes, wenn eine Konkretisierung und der Nachweis von Einzelhandlungen für erforderlich erachtet werde, rechtfertige keine “erweiternde Auslegung”. Gerade wegen der Erforderlichkeit einer Einzelfallprüfung habe das Gesetz die beigeladene Kommission eingesetzt. Der Einigungsvertrag (EinigVtr, im folgenden: EV, dort Art 18 Abs 1, Art 19 Satz 1) habe die fortbestehende Wirksamkeit von Gerichtsurteilen und Verwaltungsakten der DDR grundsätzlich angeordnet; schon deshalb sei bei Abweichung hiervon eine Einzelfallprüfung geboten.
Die bloße Zugehörigkeit des Klägers zum Machtapparat der DDR reiche nicht aus. Aufgrund der Funktion des Klägers im ZK der SED, im Staatsrat und als Erster Sekretär der Bezirksleitung Sch.… habe er bezüglich des Grenzregimes (Mauerbau, Schießbefehl) nicht gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Er habe den hierfür alleinverantwortlichen Entscheidungsorganen, nämlich dem Politbüro der SED und dem NVR, nicht angehört, also die fraglichen Beschlüsse nicht mitgefaßt und nicht unterzeichnet. Er habe zwar aufgrund seiner Funktionen über Informationen über die zentralen Fragen der Innen-, Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik verfügt; es sei aber nicht erkennbar, daß er darüber hinaus an den maßgebenden Entscheidungen hinsichtlich der Vorfälle an der innerdeutschen Grenze verantwortlich mitgewirkt habe. Er habe sich zwar mit den entsprechenden Maßnahmen an der Grenze identifiziert bzw das politische System der DDR unterstützt; eine solche Verbreitung der Staatsideologie reiche aber nicht aus, weil der Kläger keinem Kollegium angehört habe, das rechtsstaatswidrige Entscheidungen getroffen habe.
Nicht erkennbar sei, inwiefern der Kläger sich konkret an einer Tötung an der innerdeutschen Grenze und an der Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Menschen etwa dadurch beteiligt habe, daß er solche Maßnahmen angeordnet oder beschlossen oder ihm untergebene Stellen in bezug auf einen Einzelfall durch seine Einflußnahme aufgrund seiner maßgebenden Funktion zu einem Verstoß veranlaßt habe:
Zwar sei der Staatsrat ein oberstes Organ der DDR gewesen; der Kläger müsse sich aber dessen Entscheidungen auch nicht etwa deshalb zurechnen lassen, weil der Staatsrat, ein Kollektivorgan, dem 30 Mitglieder angehört hätten, die Mitglieder des NVR berufen habe. Im übrigen komme es nicht auf das “geschriebene Recht” der DDR-Verfassung, sondern auf die reale Machtverteilung an. Die Entscheidungen seien im Politbüro der SED und – bezüglich des Grenzregimes – im NVR getroffen worden. Im übrigen könne offenbleiben, ob man durch ein “Unterlassen” überhaupt iS von § 5 Abs 1 ERG gegen die dort genannten Grundsätze “verstoßen” könne. Denn der Kläger habe schon keine Garantenstellung als Mitglied des Staatsrates für pflichtgemäßes Handeln des Generalstaatsanwaltes der DDR gehabt und den Tod von Menschen an der Grenze auch nicht verhindern können. Jedenfalls habe der Staatsrat nicht die Maßnahmen des Grenzregimes getroffen bzw beschlossen, aus denen die Beklagte die Mitverantwortung des Klägers hergeleitet habe.
Aus seiner Funktion als Erster Sekretär der Bezirksparteileitung der SED in Sch.… könne dies auch nicht hergeleitet werden. Er sei zwar der höchste Parteifunktionär im Bezirk Sch.… und für die Durchsetzung der Politik der SED gegenüber höheren Parteigremien (ZK, Politbüro) verantwortlich gewesen. Er habe auch ausweislich der vorliegenden Diskussionsbeiträge und Protokolle Einfluß auf die Parteiorganisation der Grenztruppen als Erster Sekretär genommen. Hieraus sei jedoch ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit nicht herleitbar. Allein die Durchsetzung der Parteiideologie der SED rechtfertige die Annahme eines Verstoßes nicht, weil nicht erkennbar sei, inwiefern diese “Mitwirkung” des Klägers bezogen auf einen konkreten Fall zu Unrechtshandlungen “vor Ort” geführt habe. Die Initiative zu den konkreten Menschenrechtsverletzungen bzw der Errichtung des Grenzregimes sei im Politbüro bzw im NVR getroffen worden. Allein die “Repräsentanz” des Klägers in seiner Funktion als Erster Sekretär der SED-Bezirksparteileitung reiche ohne Nachweis einer Beteiligung an konkreten Rechtsverstößen im Einzelfall nicht aus, ihn für die Errichtung bzw Durchführung des Grenzregimes verantwortlich zu machen. Allein die Kenntnis von dem Geschehen an der innerdeutschen Grenze bzw eine ideologische Schulung der Bevölkerung bzw der Grenztruppen sowie vom Kläger geäußerte Kritik an der (DDR-)Justiz in seinem Bezirk gäben nichts für einen Verstoß gegen Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit her.
Der Hinweis der Beklagten auf die sich beim Landeshauptarchiv in Sch.… befindenden Unterlagen des Bezirksparteiarchivs verpflichte das Gericht nicht, diese Unterlagen zu sichten, weil die Beklagte nicht mitgeteilt habe, welche Tatsachen, die den Vorwurf begründen könnten, aus diesen Unterlagen zu entnehmen seien.
Zur Begründung ihrer – vom LSG zugelassenen – Revision trägt die Beklagte vor, das Berufungsgericht habe § 5 Abs 1 ERG verletzt. Die restriktive Auslegung dieser Vorschrift widerspreche schon dem Wortlaut des Gesetzes, aber auch dem gesetzgeberischen Willen, wie er sich aus den Gesetzgebungsmaterialien zu der ursprünglich vorgesehenen Fassung des VRG ergebe (Hinweis auf BT-Drucks 12/405 S 114). Danach habe die Begünstigung solcher Personen verhindert werden sollen, die der Etablierung und Stabilisierung des kommunistischen Systems der DDR auch in persönlich vorwerfbarer Weise in besonderem Maße Vorschub geleistet hatten. Dies liege jedoch nicht nur in der persönlichen Begehung von Taten gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit oder ihrer Initiierung, sondern auch im Mittragen von solchen Verstößen durch ihre politische Rechtfertigung, Begründung oder Unterstützung von Personen an politisch oder staatlich verantwortlicher Stelle. Auch Personen, die nicht zum Kreis der eigentlichen Entscheidungsträger gehörten, aber höhere politische oder staatliche Positionen bekleidet hätten, hätten die Durchführung der angeordneten Unrechtstaten ermöglicht. Ein Verstoß durch Unterlassen sei möglich. Die Auslegung des Gesetzes durch das LSG würde dieses nur bei solchen Personen zum Tragen kommen lassen, die als Befehlsempfänger persönlich einzelne Verstöße begangen oder angeordnet hätten. § 5 Abs 1 ERG folge dem Verwirkungsgedanken, wonach eine Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts durch dasselbe, anderen Menschen zugefügte, Unrecht verwirkt werde. Hierfür bedürfe es einer eigenhändigen Begehung des Verstoßes nicht. Die Beklagte knüpfe nicht an Funktionen, sondern an vorwerfbares Verhalten an, wofür jedoch die innegehabten Funktionen und ausgeübten Tätigkeiten Indizien sein könnten. Wegen des Vorbringens der Beklagten im übrigen wird auf den Schriftsatz vom 28. Mai 1996 (BI 41-45 der Akte des Bundessozialgerichts ≪BSG≫) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 29. November 1995 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 16. Juni 1994 zurückzuweisen sowie die Klage gegen den Bescheid vom 3. Februar 1995 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Er meint, die Auffassung der Beklagten habe zur Folge, daß die Annahme, die ehemalige DDR sei von vornherein ein Unrechtsstaat gewesen, die Folgerung trage, alle Funktionsinhaber hätten gewissermaßen von selbst Unrechtstaten allein schon durch die Inhaberschaft ihrer Funktion iS eines Verstoßes gegen die Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit begangen, welche die Entziehung der Entschädigung rechtfertigten. Er habe keinem Kollegium angehört, das rechtsstaatswidrige Entscheidungen getroffen habe, und habe selbst keine Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit begangen. In seinem Bezirk habe er sich nur insgesamt zweimal um Einflußnahme auf den Grenzbereich bemüht immer mit dem Ziel, die Auswirkungen für die Bürger zu mildern. Wegen des Vorbringens des Klägers wird auf seinen Schriftsatz vom 26. Juni 1996 (BI 49-51 der BSG-Akte) verwiesen.
Die beigeladene Kommission beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 29. November 1995 aufzuheben, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 16. Juni 1994 zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 3. Februar 1 995 abzuweisen.
Sie schließt sich dem Vortrag der Beklagten an.
Die beigeladene BfA stellt keinen Antrag und hat sich zur Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet, soweit das LSG das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten über die “vorläufige Aberkennung” des Rechts auf Entschädigungsrente vom 3. November 1992 aufgehoben hat; denn der beklagte Staat war zu diesem Eingriff in das Recht des Klägers gegenüber der BfA nicht ermächtigt (dazu unter 1). Im übrigen, dh bezüglich der “endgültigen Aberkennung” im Bescheid vom 3. Februar 1995, ist die Revision gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Streitsache an dieses Gericht begründet; die bislang festgestellten Tatsachen erlauben es noch nicht, abschließend zu beurteilen, ob dem Kläger das Recht auf Entschädigungsrente für Bezugszeiten ab März 1995 aberkannt werden durfte (dazu unter 2).
1. Das LSG hat der Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG hinsichtlich der “vorläufigen Aberkennung” im Bescheid vom 3. November 1992 im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Denn dieser Verwaltungsakt war iS von § 54 Abs 2 Satz 1 SGG rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinem Recht auf Entschädigungsrente. Das BVA hat nämlich als Organ der vollziehenden Gewalt des beklagten Staates in das dem Kläger nach Bundesrecht gegen die BfA zustehende Recht auf (monatliche Zahlung von) Entschädigungsrente (dazu unter a) eingegriffen, ohne hierzu durch ein vom Deutschen Bundestag beschlossenes Gesetz oder aufgrund eines solchen Gesetzes ermächtigt zu sein (hierzu unter b).
a) Gemäß § 2 Abs 1 ERG stand dem Kläger ab Mai 1992 gegen die beigeladene BfA ein subjektives Recht auf Entschädigungsrente zu, aus dem grundsätzlich monatliche Ansprüche auf Zahlung von 1.400,-- DM entstanden. Denn er gehörte zu den “Personen, die bis zum 30. April 1992 eine Ehrenpension bezogen haben”. Die Voraussetzungen für eine nach § 2 Abs 1 ERG von der BfA formfrei durchzuführende Ersetzung eines bis zum 30. April 1992 gegebenen subjektiven Rechts auf Ehrenpension durch ein subjektives Recht auf Entschädigungsrente (Anschlußbewilligung) lagen vor, da der Kläger vom 3. Oktober 1990 bis zum 30. April 1992 nach Bundesrecht ein Recht auf Ehrenpension hatte.
Ihm war schon durch die vordemokratische DDR ein solches Recht nach § 3 Abs 1 EhPensAO zuerkannt worden. Der Zuerkennungsakt, ein Verwaltungsakt iS von Art 19 Satz 1 EV, war nach dieser Vorschrift trotz des Unterganges der DDR und der – soweit vorhanden – von ihrer Autorität getragenen Rechtsordnung ab 3. Oktober 1990 kraft Bundesrechts wirksam geblieben. Gleiches galt aber auch für die materiell-rechtliche Rechtsgrundlage der EhPensAO, die gemäß EV Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 5 in der durch § 32 des Rentenangleichungsgesetzes (RAnglG) der demokratisierten DDR vom 28. Juni 1990 (GBl I Nr 38 S 495) geänderten Fassung mit der Maßgabe fortgalt, die EhPensAO sei bis zum 31. Dezember 1991 anzuwenden, die zu diesem Zeitpunkt laufenden Leistungen an Berechtigte (und sich daraus ableitende Leistungen an Hinterbliebene) seien weiterzuzahlen. Da EV Nr 5 die EhPensAO dem Bereich der “Rentenversicherung” iS des EV zugeordnet hatte, sollte diese Maßgabe sicherstellen, daß bis zum Inkrafttreten des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) im Beitrittsgebiet am 1. Januar 1992 auch die rentenrechtlichen Sonderregelungen für bestimmte Personengruppen im Beitrittsgebiet bis zur Angleichung der Rechtslage fortgelten sollten (Erläuterungen zu den Anlagen zum EV vom 10. September 1990, BT-Drucks 1 1/7817, zu Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nrn 1 bis 8 ≪rentenversicherungsrechtliche Sonderregelungen≫). Zugleich hatte EV Nr 8 Buchst f dem § 32 RAnglG einen Absatz 3 angefügt; danach konnten Ehrenpensionen bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 27 Abs 1 RAnglG gekürzt oder entzogen werden; die Entscheidung darüber oblag den Kommissionen gemäß § 27 Abs 2 RAnglG. § 27 Abs 1 RAnglG bestimmte: “Ansprüche und Anwartschaften aus zusätzlichen Versorgungssystemen können gekürzt oder aberkannt werden, wenn der Berechtigte oder die Person, von der sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hat”. Da die DDR bis zum Zeitpunkt ihres Unterganges von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht hatte, stand dem Kläger ab 3. Oktober 1990 das Recht auf Ehrenpension kraft eines nach Bundesrecht rechtmäßigen Verwaltungsaktes zu. Auch die Bundesrepublik Deutschland hat dem Kläger bis zum Ablauf des 30. April 1992 sein Recht auf Ehrenpension nicht entzogen. Deswegen stand ihm im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ERG am 1. Mai 1992 (Art 3 Satz 1 ERG) dieses Recht noch zu und wurde materiell-rechtlich durch ein Recht auf Entschädigungsrente nach dem ERG ersetzt; dadurch ist die in der Maßgabe von EV Nr 5 vorgesehene rechtsgrundsätzliche Angleichung der Rechtslage der Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet mit denen im bisherigen Bundesgebiet verwirklicht worden.
Das ERG zielt nämlich darauf ab, den NS-Verfolgten, die in der DDR leben mußten, jedenfalls rechtsgrundsätzlich gleichartige Wiedergutmachungsrechte zuzuerkennen, wie sie im Bundesentschädigungsgesetz (BEG) für die NS-Opfer im früheren Bundesgebiet vorgesehen waren. Während nämlich die DDR von vornherein grundsätzlich davon abgesehen hatte, alle Opfer nationalsozialistischer Verfolgung zu entschädigen, sondern in ihren Richtlinien für die Anerkennung als Verfolgter des Naziregimes (VdN-Richtlinie) vom 10. Februar 1950 (GBl 1950 S 92) eine ideologisch geleitete Auswahl unter ihnen traf, hatte das Bundesrecht (§§ 1 bis 6 BEG) -“opferzentriert”- grundsätzlich allen Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung ein Recht auf Wiedergutmachung zuerkannt, dessen Inhalt sich nach dem durch die Verfolgung erlittenen Schaden zu bemessen hatte; nur in den engen Grenzen der §§ 6 und 7 BEG waren Wiedergutmachungsrechte ausgeschlossen oder konnten ganz oder teilweise entzogen werden. Hingegen war durch die Generalklausel des § 1 Abs 1 BEG rechtsgrundsätzlich gewährleistet, daß die Entstehung eines individuellen Wiedergutmachungsrechtes allein davon abhing, ob eine nationalsozialistische Gewaltmaßnahme (§ 2 BEG) gegen eine Person gerichtet worden war und bei ihr eine Beeinträchtigung an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen oder berufliches oder wirtschaftliches Fortkommen bewirkt hatte (näher zu den Zwecken des ERG Senatsurteil vom 30. Januar 1997, 4 RA 33/95, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Der Kläger hatte also am 1. Mai 1992 nach Bundesrecht ein subjektives Recht auf Entschädigungsrente gegen die BfA als Entschädigungsträger gemäß § 6 ERG (dazu näher og Senatsurteil vom 30. Januar 1997, 4 RA 33/95), das diese durch monatliche Zahlungen rechtmäßig anerkannt hatte; denn mit Inkrafttreten des ERG war eine Rechtsänderung iS von § 48 Abs 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) eingetreten, die es gemäß Art 19 Satz 3 EV erlaubte, den Verwaltungsakt der Zuerkennung des Rechtes auf Ehrenpension mit Wirkung für die Zukunft, dh ab Mai 1992, aufzuheben und durch die Bewilligung des neuen Rechts auf Entschädigungsrente gegen die BfA zu ersetzen.
b) Das BVA als Organ der vollziehenden Gewalt des beklagten Staates hat in dieses subjektive Recht des Klägers, das ihm in seinem Rechtsverhältnis zum Entschädigungsträger, der BfA, zustand, durch den Verwaltungsakt der “vorläufigen Aberkennung” vom 3. November 1992 rechtsvernichtend eingegriffen. Hierbei handelte es sich – wie dem Bescheid zu entnehmen ist – gerade nicht um einen einstweiligen Verwaltungsakt. Denn dem Kläger sollte das Recht gegen die BfA “mit sofortiger Wirkung” nicht mehr zustehen; es sollten also ab sofort keine monatlichen Ansprüche (§ 194 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches ≪BGB≫) gegen die BfA auf Zahlung von 1.400,-- DM mehr entstehen können. Der beklagte Staat, der zwar grundsätzlich nicht Verwaltungsträger für die sich aus dem ERG ergebenden Aufgaben, also nicht Entschädigungsträger ist, aber aufgrund des gemäß § 7 ERG der BfA geschuldeten Aufwendungsersatzes letztlich die Kosten trägt (vgl EV Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt II Nr 1 § 4 Satz 2), hat somit – in Ausübung eines ihm vermeintlich nach § 5 Abs 1 ERG zustehenden materiellen Gegenrechts (dazu unten 2) – das dem Kläger bislang zustehende und zuerkannte subjektive Recht ersatzlos vernichtet. Hieran ändert auch der Zusatz nichts, dieser Verwaltungsakt sei nur “vorläufig”. Die Beklagte hat hierzu in dem Bescheid vom 3. November 1992 selbst klargestellt, die Vorläufigkeit beziehe sich nur darauf, daß nicht ausgeschlossen sei, die noch ausstehende “endgültige” Regelung könne auch abweichend befinden. Auf die Selbstwidersprüchlichkeit in der Begründung der Beklagten für ihre “vorläufige Aberkennung” ist nicht weiter einzugehen.
Nach dem im demokratischen Verfassungsstaat des Grundgesetzes gültigen allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes hätte das BVA als Organ der vollziehenden Gewalt des beklagten Staates diesen Rechtseingriff nur vornehmen dürfen, wenn es dazu durch ein zuvor verkündetes und in Kraft gesetztes Gesetz ermächtigt worden wäre, das der Deutsche Bundestag beschlossen oder das ein aufgrund eines von diesem beschlossenen Gesetzes hinreichend zur Gesetzgebung ermächtigtes Organ der vollziehenden Gewalt gültig erlassen hat. Eine solche gesetzliche Ermächtigung, vermeintliche materielle Gegenrechte des Staates durch Verwaltungsakt gegenüber dem Bürger verbindlich geltend zu machen, gibt es aber nicht:
Gemäß § 5 Abs 1 ERG sind Entschädigungsrenten (nicht zu bewilligen) zu kürzen oder abzuerkennen, wenn der Berechtigte (oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet) gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hat.
Diese Vorschrift läßt nicht einmal andeutungsweise erkennen, das nach § 5 Abs 2 ERG zuständige BVA als Organ des beklagten Staates dürfe die in Abs 1 aaO genannten Rechtsfolgen verbindlich aussprechen, bevor das Verwaltungsverfahren nach § 5 Abs 3 Satz 1 und 2 ERG iVm §§ 2 bis 5 VRG iVm §§ 8 ff SGB X (s § 6 Abs 3 ERG) in der gesetzlich vorgeschriebenen Form durchgeführt ist und die Kommission sowie die Beklagte (zu deren Verhältnis zueinander vgl og Senatsurteil vom 30. Januar 1997, 4 RA 33/95) auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung sich eine abschließende Auffassung darüber gebildet haben, ob die Voraussetzungen des § 5 Abs 1 ERG erfüllt sind. Eine “vorläufige Entziehung auf Verdacht” wird in § 5 Abs 1 ERG nicht erlaubt; eine Herabsenkung der gesetzlichen Anforderungen an die Beweiserhebung und Beweiswürdigung (§§ 20, 21 SGB X) ist nicht vorgesehen; eine Kürzung oder Versagung aus anderen Gründen als denen einer rechtsstaatsgemäßen Feststellung der sog Unwürdigkeit iS von § 5 Abs 1 ERG wird nicht zugelassen, eine Ermächtigung, das rechtsstaatliche Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses (dazu stellvertretend BSGE 67, 104 ff = SozR 3-1300 § 32 Nr 2; BSGE 72, 50, 55= SozR 3-8570 § 10 Nr 1 mwN) zu durchbrechen, wird nicht erteilt.
Eine solche Ermächtigung findet sich – anders als die Beklagte und die beigeladene Kommission meinen – auch nicht in § 5 Abs 3 Satz 1 ERG. Dort heißt es: “Für das Verfahren nach Abs 1 gelten die Vorschriften des VRG entsprechend”. Satz 2 aaO fügt hinzu: “Auf Antrag des Betroffenen hat die Kommission eine von ihm benannte Verfolgtenorganisation zu hören”. Vor Erlaß des streitigen Bescheides vom 3. November 1992 hat die Beklagte – in rechtsstaatlich unzulässiger vorweggenommener Beweiswürdigung – die vom Kläger beantragte und nach § 5 Abs 3 Satz 2 ERG gesetzlich zwingend vorgeschriebene Anhörung der Verfolgtenorganisation durch die Kommission nicht durchgeführt; sie hat die ihr gemäß Art 20 Abs 3 GG gebotene Gesetzesanwendung vielmehr als “Verzögerung” der von ihr bereits beabsichtigten Entscheidung und deswegen als hierfür unbeachtlich bezeichnet. Auf diesen gravierenden Gesetzesverstoß ist aber nicht weiter einzugehen, weil § 5 Abs 3 Satz 1 ERG keine Ermächtigung zu “vorläufigen”, die Entscheidung in der Hauptsache jedoch vollständig vorwegnehmenden Eingriffen enthält. Schon der Wortlaut verdeutlicht, daß die entsprechende Anwendung der Vorschriften des VRG nur “für das Verfahren nach § 5 Abs 1 aaO” gilt. Das “Verwaltungsverfahren” nach Abs 1 aaO ist aber – wie sich zwanglos aus § 8 SGB X ergibt – dasjenige Verwaltungsverfahren, das (entweder durch Einstellung oder) durch Erlaß der Kürzungs- oder Aberkennungsentscheidung beendet wird. Nur in diesem Rahmen, dh in dem Verfahren, das auf den Erlaß des endgültigen Verwaltungsaktes gerichtet ist, können Vorschriften des VRG “entsprechend” angewandt werden.
Soweit die Beklagte und die Kommission sich in diesem Zusammenhang auf eine “entsprechende” Anwendung des § 4 Abs 3 und 4 VRG als Ermächtigungsgrundlage für vorläufige Kürzungen oder Aberkennungen berufen, findet dies im Gesetz keine Stütze: Nach § 4 Abs 3 VRG kann die Kommission empfehlen, vorläufige Maßnahmen iS des Abs 4 Satz 1 anzuordnen; Abs 4 Satz 1 aaO sieht vor, daß das BVA bis zur endgültigen Entscheidung ein vorläufiges Ruhen der Versorgung anordnen kann. Beide Vorschriften enthalten keinen “Eingriffstatbestand”, also keine Schilderung der Umstände, bei deren Vorliegen die Rechtsfolge gesetzt werden darf. Der Ermächtigungstatbestand ergibt sich – “in unmittelbarer Anwendung” – nur aus § 1 VRG; danach können ua Ansprüche auf Ehrenpensionen und -renten iS des RAnglG in der og Fassung des EV zum Ruhen gebracht werden, wenn gegen den Berechtigten ein Strafverfahren wegen einer als Träger eines Staatsamtes oder Inhaber einer politischen oder gesellschaftlichen Funktion begangenen Straftat gegen das Leben oder einer anderen schwerwiegenden Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit betrieben wird und der Berechtigte sich dem Strafverfahren durch Aufenthalt im Ausland entzieht. Daß ein derartiger Sachverhalt hier nicht gegeben ist, liegt auf der Hand; der Kläger befindet sich im Inland, ein Strafverfahren ist gegen ihn nicht eingeleitet worden. Soweit also § 5 Abs 3 Satz 1 ERG die “entsprechende” Geltung der Vorschriften des VRG anordnet und dies als rechtsstaatlich zulässige Verweisung eingeordnet wird, ist der Ermächtigungstatbestand des § 4 Abs 4 VRG offenkundig nicht erfüllt; schon deswegen ist nicht aufzuzeigen, daß gleiches auch für die Rechtsfolge dieser Vorschrift gilt, weil die Beklagte nicht das “vorläufige Ruhen” des Rechts auf Entschädigungsrente, sondern dessen “vorläufige Aberkennung” angeordnet hat.
Soweit das Vorbringen der Beklagten und der beigeladenen Kommission darauf abzielt, § 5 Abs 3 Satz 1 ERG iVm § 4 Abs 3 und 4 VRG (“lückenfüllend”) “analog” anzuwenden, steht dem schon der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes entgegen. In dessen Anwendungsbereich (wie auch in dem der Gesetzesvorbehalte) besteht keine Kompetenz der Organe der vollziehenden Gewalt (oder der rechtsprechenden Gewalt), den Organen der vollziehenden Gewalt die Befugnis zu verleihen, in Rechte des Bürgers einzugreifen. Denn dies ist gerade dem zuständigen Organ der gesetzgebenden Gewalt vorbehalten. Soweit (Verfassung oder) Gesetz dem Bürger im Verhältnis zu den Organen der vollziehenden Gewalt Rechte verleihen, ist es im demokratischen Rechtsstaat den zuständigen Organen der gesetzgebenden Gewalt ausschließlich zugewiesen zu bestimmen, ob, in welchem Ausmaß und zu welchem Zweck den Organen der vollziehenden Gewalt die Rechtsmacht erteilt wird, die gesetzlich zuerkannten Rechte des Bürgers zu seinem Nachteil abzuändern; im Anwendungsbereich eines solchen Vorbehalts setzt also die Befugnis zur einseitig-verbindlichen Abänderung der Rechte des Bürgers durch Organe der vollziehenden Gewalt notwendig eine zuvor rechtsgültig erteilte Ermächtigung hierzu durch das zuständige Organ der gesetzgebenden Gewalt voraus. Deshalb steht der Zuweisungsgehalt des allgemeinen Vorbehalts des Gesetzes (und der Gesetzesvorbehalte) einer Selbstermächtigung der Organe der vollziehenden Gewalt (und der rechtsprechenden Gewalt) durch eine “analoge” Anwendung von Ermächtigungsgrundlagen zwingend entgegen; denn die Grundsätze des Rechtsstaats fordern, daß auch Ermächtigungen der Exekutive zur Vornahme belastender Verwaltungsakte durch das ermächtigende Gesetz vorab nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sind (stellvertretend BVerfG, Beschluß der 2. Kammer des 2. Senats vom 14. August 1996 – 2 BvR 2088/93; DVBl 1997, 351 f mwN). Ferner darf im “Eingriffsrecht” nicht von der gesetzlichen Zuweisung einer Aufgabe oder eines materiellen Rechts an die Verwaltung darauf geschlossen werden, diese dürfe ihre für den Bürger ungünstige Rechtsposition einseitig hoheitlich, dh durch Verwaltungsakt, im Einzelfall rechtlich verbindlich (und ggf vollstreckbar) regeln (vgl BSGE 77, 253 ff), weil den Organen der vollziehenden Gewalt für Eingriffe in die Rechte des Bürgers die Handlungsform des Verwaltungsaktes nicht (mehr) als “Hausgut”, sondern nur insoweit zur Verfügung steht, als das zuständige Organ der gesetzgebenden Gewalt ihnen dieses Mittel eingeräumt hat.
Die Beklagte und die Beigeladene verkennen also, daß eine analoge Anwendung verwaltungsrechtlicher Vorschriften zwar auf den Ebenen des Verwaltungsverfahrensrechts und des Rechts der Zuweisung von Rechten und Pflichten zwischen Verwaltung und Bürger im Verwaltungsrechtsverhältnis (dem “materiellen” Recht im engeren Sinne) zulässig sein kann, nicht aber bei der Frage, ob die Verwaltung ihre Rechtsposition, soweit sie Rechte des Bürgers einschränkt, durch (einseitig selbstbeteiligte) Anordnung für diesen verbindlich machen darf. Da somit das BVA und die beigeladene Kommission nicht befugt sind, sich ihre Eingriffsermächtigungen durch “Analogie” selbst zu beschaffen, kommt es für die Rechtswidrigkeit der “vorläufigen Aberkennung” vom 3. November 1992 nicht darauf an, daß § 5 ERG keinen spezifischen Ermächtigungstatbestand für “vorläufige” Eingriffe enthält, also kein öffentliches Interesse benennt, das es rechtfertigen könnte, dem NS-Opfer sein Wiedergutmachungsrecht schon vor Abschluß “des Verfahrens nach Abs 1 aaO” zu kürzen oder zu entziehen.
Das LSG hat demnach im Ergebnis den ermächtigungslos ergangenen Aberkennungsbescheid vom 3. November 1992 zu Recht aufgehoben; damit ist das Recht des Klägers auf Entschädigungsrente gegen die BfA über diesen Zeitpunkt hinaus und jedenfalls bis einschließlich Februar 1995, dem Monat der Bekanntgabe des “endgültigen” Aberkennungsbescheides, bestehen geblieben.
2. Soweit das LSG auf die Klage die “endgültige” Aberkennung im Bescheid vom 3. Februar 1995 aufgehoben hat, muß das Urteil des Berufungsgerichts auf die Revision der Beklagten aufgehoben und die Streitsache an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Denn die vom LSG bislang festgestellten Tatsachen lassen eine abschließende Entscheidung des BSG, das den Sachverhalt nicht selbst erforschen darf, noch nicht zu:
a) Die Beklagte hat den Eingriffsakt vom 3. Februar 1995 auf die in § 5 Abs 1 ERG enthaltene Ermächtigungsgrundlage gestützt; Zuständigkeits-, Verfahrens- oder Formfehler bei Anwendung dieser Vorschrift sind nicht festzustellen. Das BVA hat die Anordnung der Rechtsfolge der Aberkennung des Rechts auf Entschädigungsrente auf den Ermächtigungstatbestand gestützt, der Kläger habe gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen, nicht aber darauf, er habe seine Stellung in schwerwiegendem Maße zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht. § 5 Abs 1 aaO regelt iS einer sog Unwürdigkeitsklausel materielle Gegenrechte der Beklagten gegen das vom Entschädigungsträger zu erfüllende, aber in ihre Kostenlast fallende Recht des NS-Opfers auf Entschädigungsrente; die Vorschrift ermächtigt sie auch, diese Einwendungen gegen den Rechtsinhaber mittels Verwaltungsakt durchzusetzen; deshalb unterfällt gerichtlicher Prüfung (im Rahmen der isolierten Anfechtungsklage) nur, ob der von der Beklagten im Verwaltungsakt geltend gemachte Kürzungs- oder Aberkennungsgrund vorliegt und den vorgenommenen Eingriff rechtfertigt. Schon deswegen beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle des Bescheides vom 3. Februar 1995 darauf, ob der Kläger einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit begangen hat und wie weit dieser ggf die Rechtsentziehung legitimiert. In diesem Zusammenhang haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nur zu prüfen, ob der von der Beklagten festgestellte und dem Rechtsinhaber zum Vorwurf gemachte Lebenssachverhalt den Ermächtigungstatbestand erfüllt; Umstände, die bei natürlicher Betrachtung in keinem Zusammenhang mit den Eingriffstatbeständen, dh mit den Lebenssachverhalten stehen, welche die Beklagte zur Grundlage ihres Eingriffs genommen hatte, sind im Gerichtsverfahren weder von Amts wegen noch aufgrund eines sog Nachschiebens von Gründen beachtlich; denn der zur Prüfung gestellte Vorwurf der sog Unwürdigkeit wird in seinem Wesen verändert, wenn er nachträglich auf einen anderen Sachverhalt gestützt wird. Aus diesem Grunde unterliegt im Falle des Klägers der Prüfung nur, ob er – wie die Beklagte und die beigeladene Kommission meinen – durch seine Tätigkeit als Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED Sch.…, als Mitglied des ZK der SED oder als Mitglied des Staatsrates im Zusammenhang mit dem Grenzregime an der innerdeutschen Grenze Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit begangen hat.
b) § 5 Abs 1 ERG ist in der nachfolgenden (dazu unter c) Auslegung verfassungsgemäß:
Entgegen der Ansicht des Klägers verstößt es weder gegen die Garantie des Eigentums noch gegen ein vermeintliches Grundrecht auf Eigentum am Recht auf Ehrenpensionen, daß der beklagte Staat dem NS-Opfer rechtsvernichtend entgegenhalten darf, dieses habe sich durch Verstöße der in § 5 Abs 1 ERG genannten Art als unwürdig erwiesen, Entschädigung für erlittene NS-Gewaltmaßnahmen zu verlangen. Denn das Recht auf Ehrenpension stand weder vor dem 3. Oktober 1990 noch danach unter dem Schutz des Art 14 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Vor der Wiedervereinigung erstreckte sich der räumliche Geltungsbereich dieser Grundrechtsnorm nicht auf das Beitrittsgebiet; insbesondere war den Organen der DDR durch das GG nicht die Rechtsmacht verliehen, “Inhalt und Schranken des Eigentums iS von Art 14 Abs 1 Satz 1 GG” zu bestimmen. Mit dem Untergang des Rechtssubjektes “DDR” am 2. Oktober 1990 war die auf dessen Autorität gestützte Rechtsordnung erloschen; soweit von DDR-Organen erlassene Normen ab dem 3. Oktober 1990 im wiedervereinigten Deutschland (als sekundäres Bundesrecht) Geltung hatten, beruhte dies ausschließlich auf einer Geltungs- oder Anwendungsanordnung der Bundesrepublik Deutschland. Mit dem 3. Oktober 1990 war aber das og Recht auf Ehrenpension durch den EV von vornherein unter den Vorbehalt der Angleichung an die im bisherigen Bundesgebiet gültige Rechtslage gestellt, also gerade nicht in seiner besonderen DDR-ideologischen, (angebliche) Widerstandskämpfer honorierenden Ausgestaltung für dauerhaft erklärt worden. Erst mit Inkrafttreten des ERG zum 1. Mai 1992 hat es ein durch Bundesgesetz bestimmtes Recht der Wiedergutmachung für NS-Opfer im Beitrittsgebiet gegeben, das – falls ihm überhaupt eigentumsrechtliche Bedeutung zuzumessen wäre – als erstes inhaltsbestimmendes Gesetz nicht selbst gegen Art 14 Abs 1 GG verstoßen kann, weil es ggf erstmals individualgrundrechtliches Eigentum ausgestaltet hätte. Hingegen war die Bundesrepublik Deutschland weder durch das GG noch durch überstaatliche Rechtsnormen verpflichtet, die von der DDR abgegebenen geldwerten Leistungsversprechen – uneingeschränkt – zu übernehmen; die Bundesrepublik Deutschland hat derartiges auch im EV nicht versprochen.
§ 5 ERG verstößt auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG und dies unabhängig davon, welcher Maßstab bei Anwendung dieser Vorschrift zugrunde zu legen wäre. Denn die Unwürdigkeitsklausel stellt gerade die Gleichheit zwischen allen NS-Opfern in Deutschland wieder her, indem im Ergebnis diejenigen von einer Wiedergutmachung des ihnen durch die Nationalsozialisten zugefügten Unrechts ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, die selbst, als ihnen die Macht hierfür übertragen oder eingeräumt wurde, die elementaren Rechte anderer verletzt haben (vgl § 6 BEG und dazu BVerfGE 13, 46; § 3 Nr 3a des Gesetzes zu Art 131 GG und dazu BVerfGE 22, 387; § 2 Abs 1 Nr 2 des Häftlingshilfegesetzes; § 3 Abs 1, jetzt Abs 2 Nr 2 des Bundesvertriebenengesetzes und dazu BVerfGE 11, 299; § 359 Abs 3 Nrn 1 und 2 des Lastenausgleichsgesetzes, in anderem Zusammenhang zu § 359 Abs 2 LAG, BVerfGE 32, 249). Es wäre eine nicht zu rechtfertigende Privilegierung, wenn die NS-Opfer im Beitrittsgebiet, die selbst gegen elementare Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben, anders als die im bisherigen Bundesgebiet lebenden Berechtigten trotz gleicher Unwürdigkeit keinen vergleichbaren Rechtsverlust hinnehmen müßten.
Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich auch nicht um eine Norm des (Kriminal-)Strafrechts; denn es gebt nicht darum, dem Berechtigten wegen eines in der Vergangenheit verübten Verbrechens oder Vergehens eine seiner individuellen Tatschuld angemessene Strafsanktion aufzuerlegen (vgl schon Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫, BVerwGE 34, 331, 341 mwN). Vielmehr gebietet § 5 Abs 1 ERG der Beklagten, dem Berechtigten eine Sonderleistung der Bundesrepublik Deutschland für Opfer des Nationalsozialismus zu mindern oder zu entziehen, weil er durch sein Verhalten gegen die Grundsätze verstoßen hat, derentwegen die Sonderleistung für diese Opfer überhaupt erbracht werden. Die Bewilligung eines Rechts auf Entschädigung dieser Art stellt den Versuch dar, das den Opfern von den Nationalsozialisten zugefügte Unrecht ansatzweise “wiedergutzumachen”. Der Rechtsgrund (“causa”) ergibt sich nicht daraus, daß eine zivilrechtliche Inanspruchnahme der Schädiger in aller Regel ohne Erfolg bleiben würde, so daß die Bundesrepublik Deutschland gewissermaßen für diese einstünde; denn es gibt keinen Grund dafür, daß die Beklagte die Haftung der NS-Schädiger gegenüber den NS-Opfern übernehmen müßte. Der Rechtsgrund, den Versuch der – objektiv unmöglichen – Wiedergutmachung durch Gewährung von Rechten auf Entschädigung zu unternehmen, ergibt sich vielmehr aus den in Art 1 Abs 1 und Abs 2 GG eingegangenen “Selbstverpflichtungen” der Bundesrepublik Deutschland zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde sowie der unveräußerlichen Menschenrechte.
Die Bundesrepublik Deutschland fand bei ihrer Entstehung die Lage vor, daß im Namen Deutschlands eine Vielzahl von Personen NS-Opfer (auch) in dem Sinne geworden waren, daß ihre Menschenwürde und grundlegende Menschenrechte im wesentlichen aus Gründen des Geschlechtes, der Abstammung, der “Rasse”, der Sprache, der Heimat, der Herkunft sowie des Glaubens und der religiösen und politischen Anschauungen obrigkeitlich durch Angehörige der Staatspartei bzw des von ihr beherrschten Staatsapparates mit Füßen getreten worden war. Soweit diese für die Bundesrepublik Deutschland wesensfremde Hoheitsgewalt bei diesen Opfern deren unantastbare Menschenwürde (als Ansehenswürde) und den Kerngehalt der – im GG näher ausgeprägten – unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte verletzt hatte, die Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt sind, bestand nur noch die Möglichkeit, die staatliche Wiederanerkennung der Menschenwürde durch den Versuch zu verdeutlichen, fortdauernde Beeinträchtigungen auszugleichen. Der Verpflichtungsgrund für dieses Wiedergutmachungsrecht gegenüber NS-Opfern ergibt sich also aus der allgemeinen und universalen Maßgeblichkeit der Menschenwürde, der Menschenrechte und der elementaren Rechtsgrundsätze für die Beklagte.
Aus der Sicht des an die Menschenwürde gebundenen Staates wäre es aber wertungswidersprüchlich, denjenigen NS-Opfern, die selbst die Menschenwürde und die Menschenrechte anderer verletzt und elementare rechtsstaatliche Grundsätze mißachtet haben, die gleichen Entschädigungsrechte wie den anderen NS-Opfern zuzuerkennen. Dies wäre aus der Sicht des eine Wiedergutmachung versuchenden Staates wertungswidersprüchlich; es würde ebenso Treu und Glauben widersprechen, wenn ein solches NS-Opfer von der Bundesrepublik Deutschland forderte, sie möge die von ihm erlittenen Menschenrechtsverletzungen gemäß den grundlegenden Anforderungen der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit wiedergutmachen, diese Grundsätze aber zugleich hinsichtlich der vom Opfer (in Ausübung obrigkeitlicher Funktionen) begangenen Menschenrechtsverletzungen unbeachtet lassen. Deswegen verbietet die verfassungsmäßige Ordnung des GG geradezu, staatliche Wiedergutmachung solchen früheren Opfern des NS-Regimes – ungeschmälert – zu belassen, die in Ausübung von Macht in einer Staatspartei oder in dem von dieser dirigierten Staatsgebilde selbst gerade diese Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit mißachtet haben (vgl BVerfGE 22, 387, 418 f; 12, 264, 271). Es ist die Achtung vor den Opfern menschenverachtender Gewaltherrschaft, die es dem Rechtsstaat grundsätzlich nicht erlaubt, die Sachwalter einer derartigen totalitären Gewaltherrschaft, obwohl sie selbst auch Opfer der NS-Verfolgung waren, schlechthin in jeder Hinsicht denjenigen wiedergutmachungsrechtlich gleichzustellen, die ausschließlich Opfer waren. Es geht somit bei § 5 Abs 1 ERG nicht um “Bestrafung”, sondern darum, die Treu und Glauben widersprechende Inanspruchnahme von Wiedergutmachungsleistungen und damit die Privilegierung dieser NS-Opfer gegenüber den anderen Verfolgten zu beseitigen.
Allerdings weist der Kläger richtig darauf hin, daß die Anwendung von § 5 Abs 1 ERG, obwohl nicht Kriminalstrafrecht, doch mit einem sog ethischen Schuldvorwurf (BVerfGE 22, 49, 79) verbunden ist. Denn dem Betroffenen wird vom Staat der besonders schwerwiegende Vorwurf gemacht, er habe – unabhängig von einer Verwirklichung von Straftatbeständen – die Würde und die elementaren Rechte anderer Menschen mit Füßen getreten. Der Umstand, daß die Rechtsanwendung mit einem – sogar schwerwiegenden – ethischen Schuldvorwurf des Staates gegenüber dem Betroffenen verbunden ist, reicht aber nicht aus, den strafrechtlichen Charakter der Rechtsnorm zu begründen; denn ein solcher Vorwurf kann in allen Rechtsgebieten Voraussetzung für den Eintritt einer Rechtsfolge sein. Erst die spezifische gesetzliche Verknüpfung eines Unrechtstatbestandes mit einem Unwerturteil über Tat und Täter sowie mit bestimmten tat- und schuldbezogenen Rechtsfolgen begründen den Strafrechtscharakter der Rechtsanwendung. Dieser ist hier vor allem schon deswegen zu verneinen, weil § 5 Abs 1 Regelungen 2 und 3 ERG – wie ausgeführt – nur die Kürzung oder Entziehung von Sonderleistungen für den Fall vorsehen, daß das Recht auf sie ohne rechtlichen Selbstwiderspruch weder vom Rechtsinhaber eingefordert noch vom Verpflichteten erfüllt werden kann. Deswegen widerspricht es auch nicht der ausschließlichen Übertragung der rechtsprechenden Gewalt auf die Richter (Art 92 GG), daß die Geltendmachung der sog Entschädigungsunwürdigkeit nicht den Richtern vorbehalten ist, sondern – jedenfalls zunächst (Art 19 Abs 4 GG) aufgrund eines Verwaltungsverfahrens durch Verwaltungsakt erfolgen muß.
c) Das Berufungsgericht hat § 5 Abs 1 Regelungen 2 und 3 ERG – wie die Beklagte insoweit zutreffend rügt – zu eng ausgelegt. Die Vorschrift greift nicht nur ein, wenn der Betroffene – unter weiteren Voraussetzungen – “sich bewußt zum Vollstrecker von Unrechtsmaßnahmen gemacht oder diese (mit-)initiiert” hat. Ein ausreichender Grund, das Recht auf Entschädigungsrente zu kürzen oder sogar abzuerkennen, kann auch dann vorliegen, wenn der Rechtsinhaber den von anderen beschlossenen (initiierten) bzw vollstreckten Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit bewußt gefördert hat:
§ 5 Abs 1 Regelungen 2 und 3 ERG enthält eine außerordentliche spezialgesetzliche Ermächtigung für das BVA (§ 5 Abs 2 aaO), die Bindungswirkung des Verwaltungsaktes zu durchbrechen, mit dem ein Recht auf Entschädigungsrente mit einem bestimmten monatlichen Wert zuerkannt worden war und dieses Recht in seinem Wert zu mindern (“zu kürzen”) oder in vollem Umfang zu entziehen (“abzuerkennen”). Diese Spezialermächtigung verdrängt, soweit sie anwendbar ist und ihre Voraussetzungen vorliegen, die allgemeinen Eingriffsermächtigungen der §§ 45 bis 48 SGB X. Die Vorrangigkeit vor diesen Ermächtigungsgrundlagen ergibt sich aus der Spezialität des Eingriffsobjekts (Recht auf Entschädigungsrente), aus der Begrenzung des möglicherweise betroffenen Personenkreises (Verfolgte des NS-Regimes im Beitrittsgebiet) und aus den besonderen Aufhebungsmaßstäben (Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit oder schwerwiegender Stellungsmißbrauch). Die Norm ermächtigt – worauf zurückzukommen ist, ohne Ermessen einzuräumen – zur Kürzung oder Aberkennung des Rechts auf Entschädigungsrente mit Wirkung nur für die Zukunft, dh für Zeiten ab Beginn des Monats, der auf den Monat folgt, in dem der Entziehungsbescheid bekanntgegeben wird. Sie ermächtigt dazu, sogar ein nach Bundesrecht rechtmäßig zuerkanntes Recht auf Wiedergutmachung ganz oder teilweise durch Verwaltungsakt zu vernichten.
Der Ermächtigungstatbestand ist, soweit die hier zu prüfenden Voraussetzungen des Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit in Frage stehen, noch so hinreichend bestimmt, daß er in einer für die Betroffenen voraussehbaren Weise von den Organen der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt ausgelegt und angewandt werden kann (vgl dazu und zum folgenden BVerfGE 93, 213, 238; BFHE 177, 317, 320 ff, 323 ff; Hellmann, Die Auslegung von Ausschlußklauseln in Wiedergutmachungsgesetzen, VIZ 1995, 201 ff, mwN). Der Ermächtigungstatbestand ist erfüllt, wenn der Inhaber eines Rechts auf Entschädigungsrente nach dem ERG durch sein Verhalten (Handeln oder Unterlassen) in Ausübung ihm übertragener oder eingeräumter Gewalt, den Unrechtserfolg des Verstoßes gegen einen der genannten Grundsätze herbeigeführt oder einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet hat, daß andere diesen Erfolg herbeiführten, ferner muß er zurechnungsfähig (iS von §§ 104 Nr 2, 827 BGB) gewesen sein und die Tatsachen gekannt haben, aus denen sich die Unvereinbarkeit seines Verhaltens mit den Grundsätzen der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit ergab:
Der objektive Tatbestand setzt also zuvörderst voraus, daß der Betroffene Inhaber eines bestehenden subjektiven Rechts auf Entschädigungsrente ist. Er muß gegen die Grundsätze “verstoßen” haben, also durch konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes verhalten, das einem Beweis zugänglich ist, gegen die Inhalte der Grundsätze vorgegangen oder Verstößen gegen sie – obwohl ihm möglich und zumutbar – nicht entgegengetreten sein. Es reicht also hierfür eine Mitwirkung an den Verstößen anderer Gewaltinhaber, die nicht auf die strafrechtlichen Teilnahmeformen begrenzt ist (BVerwGE 31, 337, 342); es darf aber vor dem Hintergrund der wirklichen Verhältnisse in der DDR nicht ausgeschlossen gewesen sein, daß die Mitwirkung zum Unrechtserfolg beigetragen hat. Entgegen dem LSG ist also nicht notwendig, daß der Berechtigte die Verletzung der Grundsätze selbst (mit-)beschlossen oder sie (“eigenhändig”) bewirkt hat. Es reicht, wenn er durch Rat oder Tat oder durch Organisations- oder Schulungsmaßnahmen oder in anderer Weise im Rahmen der ihm eingeräumten Gewalt den Verstoß gefördert hat. Dieser ist ihm – unproblematisch – insbesondere dann zuzurechnen, wenn er den Befehl hierzu gegeben oder einen ihm erteilten Befehl näher ausgeformt, oder wenn er Anordnungen zu Verstößen gegen diese Grundsätze mitbeschlossen oder öffentlich unterstützt hat.
Hingegen reicht eine bloß allgemeine Förderung des Unrechts- und Gewaltsystems der SED, die Integration in diesen Machtapparat und die Identifizierung mit seinen Zielen nicht aus. Denn der Rechtsstaat gerät in den oben beschriebenen, die Kürzung oder Entziehung des Rechts auf Entschädigung rechtfertigenden Widerspruch nur dann, wenn das NS-Opfer die elementaren Rechtsgrundsätze in persönlich zurechenbarer Weise verletzt hat. Die Meinung der Beklagten, diese Auslegung widerspreche schon dem Wortlaut des Gesetzes, ist nicht nachvollziehbar; dies gilt auch, soweit sie einen Verstoß gegen den “gesetzgeberischen Willen” rügt, wie er sich aus den Gesetzgebungsmaterialien zu der ursprünglich vorgesehenen Fassung des VRG ergebe (Hinweis auf BT-Drucks 12/405 S 114); denn dieser “gesetzgeberische Wille” ist eben nicht Gesetz geworden. Soweit danach die Begünstigung solcher Personen hatte verhindert werden sollen, die der Etablierung und Stabilisierung des kommunistischen Systems der DDR auch in persönlich vorwerfbarer Weise in besonderem Maße Vorschub geleistet hatten, findet sich der Tatbestand des “Vorschub-Leistens” nicht einmal andeutungsweise in § 5 Abs 1 ERG. In den Gesetzesmaterialien zu diesem Gesetz (beginnend mit BT-Drucks 12/1790) gibt es gleichfalls keinen Hinweis, die Auffassung der Beklagten könne dem geltenden Recht entsprechen. Wer also der einheitssozialistischen Gewaltherrschaft Vorschub geleistet hat, ist anders als derjenige, der dies für die nationalsozialistische getan hat (§ 6 Abs 1 Nr 1 BEG) von der Entschädigung nicht ausgeschlossen und unterfällt nicht allein wegen dieser Förderung des SED-Systems dem § 5 Abs 1 ERG.
Ein für die Kürzung oder Entziehung der Entschädigungsrente erheblicher Verstoß gegen die in dieser Vorschrift genannten Grundsätze liegt auch nicht darin, daß der Berechtigte “privat”, etwa durch ein Verbrechen wie Mord oder Raub, die elementaren Menschenrechte eines anderen verletzt hat. § 5 Abs 1 ERG enthält keinen Ausschlußtatbestand, wie ihn § 6 Abs 1 Nr 3 BEG für solche Betroffenen vorsah, die wegen eines Verbrechens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt worden waren. In diesen Fällen liegt nämlich nicht notwendig der og Selbstwiderspruch bei der Wiedergutmachung vor, weil das spezifische Machtgefälle, dem Art 1 Abs 1 und Abs 2 GG entgegenwirken soll, bei der Mißachtung der Menschenwürde durch Private nicht vorliegt. Die Wiedergutmachung ist der Versuch, die durch die Inhaber der Macht systematisch verletzte Ansehenswürde der Betroffenen wieder anzuerkennen (s oben). Deshalb ist der Wertungswiderspruch auch nur unvermeidbar, wenn der Verstoß des Berechtigten zumindest unter Einsatz vom System übertragener oder eingeräumter Macht erfolgte (sog Systembezug).
Durch das Verhalten des Berechtigten muß es zu einer Beeinträchtigung der durch die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit geschützten Rechtsgüter gekommen sein:
Dabei schützt der Grundsatz der Menschlichkeit die Ansehenswürde und die unveräußerlichen Menschenrechte eines jeden, der in einem Gemeinwesen dem jeweiligen Inhaber der Macht sowie den Menschen unterworfen ist, denen er Herrschaftsmacht verliehen oder faktisch eingeräumt hat. Es ist also jedem Machtinhaber sowie dem Machtsystem, dem er angehört, schlechthin untersagt, die Würde des Menschen zu mißachten oder seine Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit oder Freiheit anderen “Werten” soweit unterzuordnen, daß sie im Kern vernichtet werden. Schutzgut des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit ist, daß jeder Gewaltinhaber sich um eine den jeweiligen Lebensverhältnissen angemessene Sachbehandlung bemühen muß und vor allem nicht willkürlich handeln darf; insbesondere darf niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat, seiner Herkunft, seines Glaubens oder seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. Die genannten Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit gebieten den Machtinhabern also nur eine elementare Rechtsorientierung, die jenes Mindestmaß an Rechtlichkeit beachtet, welche die “Räuberbande” von jedem Staat unterscheidet. Hingegen gibt sich ein Unrechts- und Willkürsystem gerade dadurch zu erkennen, daß diese elementaren Grundsätze anderen Zielsetzungen, etwa dem Sieg im “Rassen- oder Klassenkampf” nach dem Motto, der Zweck heilige die Mittel, untergeordnet werden. Deswegen kann derjenige faktische Mitinhaber der Macht im SED-Regime den Tatbestand der Unwürdigkeitsklausel des § 5 Abs 1 Regelung 2 und 3 ERG nicht erfüllen, der – trotz aller Verstrikkung in das Unrechtsregime – bei seiner Machtausübung jene minimale Rechtsorientierung praktiziert hat. Ein einmaliger, punktueller, nach der Art der Begehung und dem eingetretenen Verletzungserfolg nicht schwerwiegender Verstoß gegen die vorgenannten Grundsätze kann schon aus Gründen tatbestandlicher Verhältnismäßigkeit die Anwendung des § 5 Abs 1 ERG nicht begründen.
Liegt hingegen ein (nicht völlig unerheblicher) Verstoß gegen diese Grundsätze tatbestandlich vor, können nur im Licht der grundgesetzlichen Ordnung anerkannte Gründe rechtfertigend wirken; hingegen ist unbeachtlich, ob der Verstoß durch Vorschriften der DDR oder durch Anordnungen der diese beherrschenden marxistisch-leninistischen Partei gedeckt waren. Denn die objektive Unvereinbarkeit mit den für jeden rechtlich gesinnten Staat elementaren Rechtsgrundsätzen wird nicht dadurch aufgehoben, daß die Führungsorgane der SED oder ihre Untergebenen in der DDR diese Verbrechen angeordnet haben. Sofern – wovon im Regelfall auszugehen ist – der Betroffene bei dem Verhalten, das als Verstoß gegen die Grundsätze qualifiziert wurde, zurechnungsfähig gewesen ist (§ 104 Nr 2, § 827 BGB), ist ihm sein Verhalten vorzuwerfen, falls er die Tatsachen kannte, aus denen sich dessen elementare Unmenschlichkeit und Rechtlosigkeit ergab. Nicht erforderlich ist hingegen, ob der Berechtigte sich der Schändlichkeit seines Verhaltens bewußt war; denn es hätte ihm bei der ihm zumutbaren Gewissensanspannung (zumal als früheres NS-Opfer) bewußt werden müssen, daß er elementare Rechte anderer mißachtete. Entschuldigend können nur solche Umstände wirken, die nach Maßgabe der grundgesetzlichen Rechtsordnung als Entschuldigungsgründe anerkannt sind. Dies gilt für eine elementare Rechtsblindheit aber nicht. Sollte der Berechtigte sich – möglicherweise durchdrungen von einem einheitssozialistischen Unrechtsdenken – zu unbedingtem Gehorsam gegenüber den Führungsorganen der SED für verpflichtet gehalten haben, so würde ihn dies keinesfalls von der Verantwortlichkeit iS von § 5 Abs 1 ERG freistellen. Denn demjenigen, der einen derartigen Führungsanspruch in blindem Gehorsam befolgt, muß gerade zum Vorwurf gemacht werden, daß er “blind” gehorchte, also ohne sein Gewissen hinreichend zu prüfen. Gerade eine Gesinnung, die dazu führte, daß Menschenleben der Parteiräson untergeordnet wurden; spricht für die Verwerflichkeit und damit erst recht für die (bloße) Vorwerfbarkeit der Mitwirkung an solcher Tat (BVerwGE 31, 337, 342 ff). In einer solchen Beurteilung liegt auch keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen, sondern eine zukunftsbezogene und durch die Verfassungsordnung legitimierte Klarstellung der wiedergutmachungsrechtlichen Ausgangslage.
d) Ob der Kläger einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit im vorgenannten Sinne begangen hat, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden:
Zutreffend hat das LSG entschieden, daß die Beklagte die Aberkennung des Rechts nicht auf den von ihr benannten Eingriffstatbestand der Zugehörigkeit des Klägers zum Staatsrat der DDR stützen konnte. Entgegen ihrer Ansicht genügt nämlich für die Erfüllung des Tatbestandes des § 5 Abs 1 ERG nicht, daß das NS-Opfer in der DDR ein herausgehobenes Funktionärsamt in der SED, in deren Staat oder in einer von ihr gelenkten gesellschaftlichen Organisation hatte. Erforderlich ist vielmehr, daß der Betroffene die ihm übertragene oder überlassene Macht zur Einleitung, Förderung oder Durchsetzung von Verletzungen der durch die genannten Grundsätze geschützten Rechtsgüter ausgeübt hat. Dies kann zwar dadurch geschehen sein, daß die ihm verliehene Macht solche Verstöße gerade zum Inhalt hatte, also es gewissermaßen zu seiner Amtsausübung gehörte, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit zu verstoßen. Dies wird durch den Inhalt der jeweiligen “Amtsgeschäfte” hilfstatsächlich indiziert (dazu näher Senatsurteil vom 30. Januar 1997, 4 RA 99/95, zur Veröffentlichung vorgesehen). Das LSG hat die Tatsache bindend festgestellt, daß der Kläger dem Politbüro der SED und dem NVR nicht angehört hat, also den Gremien, denen unterhalb der sowjetischen Besatzungsmacht die höchste Gewalt auch über das Grenzregime der DDR zukam. Hingegen war der Staatsrat der DDR in der – rechtlich allein maßgeblichen – faktischen (empirischen, zeitgeschichtlich gegebenen) Machtstruktur im SED-Staat höchstens auf der zweiten Ebene der Macht angesiedelt, obwohl er formell “das Staatsoberhaupt der DDR” war. Die gesamte DDR stand nämlich nach ihrem obersten Grundsatz (Art 1 der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1974, GBl I S 432) “unter Führung der marxistischleninistischen Partei”, also unter Führung der SED, die nach dem Prinzip des sog demokratischen Zentralismus eine diktatorisch von oben nach unten gegliederte Organisation war, an deren Spitze das Politbüro als oberstes Machtzentrum dieser Diktatur stand. Dem Staatsrat als Kollektivorgan gehörten 30 Mitglieder an. Entscheidungen über das Grenzregime wurden im Politbüro der SED und im NVR getroffen. Es gehörte also nicht zu den Amtsfunktionen des Klägers als Mitglied des Staatsrates der DDR, Entscheidungen über das Grenzregime zu treffen. Insbesondere hat dieses Gremium hinsichtlich des Schießbefehls keine eigenständige Entscheidungsmacht gehabt. Soweit die Beklagte bezüglich des Staatsrates der DDR und der Mitwirkung des Klägers in diesem anhand des “geschriebenen Rechts” der früheren DDR, das mit der wirklichen Verteilung der Entscheidungsmacht nicht einmal ansatzweise übereinstimmte, ein Unterlassen der Staatsratsmitglieder bei der Erfüllung von Organpflichten gegenüber dem Generalstaatsanwalt der DDR konstruiert hat, kommt es hierauf nicht an. Denn bereits auf objektiv-tatbestandlicher Ebene ist nicht nachvollziehbar, wie der Kläger durch eine andere Ausübung seines Amtes im Staatsrat angesichts des Unrechts- und Gewaltsystems der SED “effektiv”, dh mit Aussicht auf irgendeinen Erfolg, eine Verminderung der Zahl der Opfer an der innerdeutschen Grenze hätte erreichen können.
Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist es aber – entgegen der Ansicht der Hauptbeteiligten – noch nicht möglich, zu beurteilen, ob der Kläger gegen die og Grundsätze verstoßen hat. Denn er könnte dies getan haben, weil er als Erster Sekretär der Bezirksparteileitung der SED (und dadurch vermittelt als Mitglied des ZK der SED) das Grenzregime und die Möglichkeit oder die Bereitschaft der Grenztruppen zur Anwendung des Schießbefehls gefördert und am Vollzug dieser menschenverachtenden Maßnahme mitgewirkt haben könnte.
Die gezielte “Vernichtung” menschlichen Lebens, wie sie von Erich Honecker, dem Politbüro der SED und dem NVR für sog Republikflüchtlinge, dh für Menschen angeordnet war, denen ihr Menschenrecht auf Ausreise (und ihr Grundrecht als Deutsche auf Freizügigkeit in ganz Deutschland) grundsätzlich und faktisch in aller Regel vorenthalten war, stellt eine besonders schwerwiegende Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit dar (BVerfG, Beschluß vom 24. Oktober 1996, 2 BvR 1851, 1853, 1875 und 1852/94, veröffentlicht in JZ 1997, 142 ff, NJW 1997, 929 ff; vgl schon BVerfGE 19, 1, 6; zur rechtlichen Bedeutung von Schießbefehl und Grenzregime vgl auch stellvertretend Hirtschulz/Lapp unter Mitwirkung von Uxa, Das Grenzregime der DDR in: Die SED-Herrschaft und ihr Zusammenbruch, herausgegeben von Kuhrt/Buck/Holzweißig, 1996, 143 ff, 155 ff, 161 ff mwN).
Das LSG hat hierzu festgestellt, daß der Kläger ua über die Einzelheiten des Grenzregimes nicht nur in vollem Umfang informiert gewesen sei, sondern auch an dessen Gestaltung in seinem Bezirk aktiv mitgearbeitet habe. Er habe auch Einfluß auf die Parteiorganisation der Grenztruppen genommen. Auf der Grundlage seiner – wie aufgezeigt unrichtigen – Rechtsauffassung hat das Berufungsgericht aber keine näheren Feststellungen zum Verhalten des Klägers gegenüber dem Grenzregime (Sperrzonen, Zaun, Todesstreifen, Minenanlagen, Hunde, Posten und Streifen, Organisation der Grenzüberwachung, Ausbildung der Grenztruppen, ideologische Schulung, Förderung der Verwirklichung des Schießbefehls etc) getroffen. Das LSG hat insoweit die zu den Akten genommenen Urkunden nicht gewürdigt und ist auch nicht der von ihm eingeholten Auskunft des Mecklenburgischen Landeshauptarchivs vom 15. Juni 1995 nachgegangen; darin heißt es, daß über die Tätigkeit des Klägers in den Jahren 1945 bis 1989 eine umfangreiche Dokumentation vorhanden sei; es seien vor allem Referate in verschiedenen Funktionen des Klägers vorhanden; über seine Tätigkeit als Erster Sekretär sei eine lückenlose Überlieferung der Protokolle der Bezirksleitungssitzungen, Delegiertenkonferenzen und Sekretariatssitzungen vorhanden, wobei es sich um Sachakten handele, deren Analyse eine intensive Arbeit und nicht unerheblichen Zeitaufwand voraussetze.
Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es aber – andere Verstöße des Klägers gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit sind nicht zur Eingriffsgrundlage des angefochtenen Bescheides vom 3. Februar 1995 gemacht worden – darauf an, ob er das Grenzregime in seinem Bereich gezielt gefördert hat, ggf durch welche Verhaltensweisen und in welcher Intensität. Da die Unterdrückung der Ausreisefreiheit durch das Grenzregime eine Existenznotwendigkeit für die SED-Herrschaft war, die Effektivität der Abschreckung der Deutschen, die Ausreise zu versuchen, aber vor allem davon abhing, daß die Drohung mit dem Tod oder einer schwerwiegenden Gesundheitsverletzung bei Betreten des Grenzbereichs ernsthaft gefürchtet und zu diesem Zweck auch jedenfalls in einem Mindestmaß durch Mordtaten umgesetzt wurde, stellt sich jedes Verhalten als “Förderung” dieser Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit dar, welches unter den Verhältnissen der DDR geeignet war und dazu beitragen konnte, die Fähigkeit, Möglichkeit oder Bereitschaft der Grenzsoldaten zur Tötung oder Verletzung von Ausreisewilligen oder deren Tötung oder Verletzung durch Grenzanlagen (mit-) zu bewirken.
Sollte die weitere Sachprüfung durch das LSG ergeben, daß der Kläger gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit im dargelegten Sinne konkret verstoßen hat, wird das Berufungsgericht in seiner Gesamtbeurteilung besonders zu prüfen haben, ob die Intensität oder das Ausmaß des Verstoßes unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes die Totalentziehung (Aberkennung) des Rechtes auf Entschädigung rechtfertigen, oder ob nur eine Kürzung des monatlichen Wertes dieses Rechtes angemessen ist. Da die Beklagte eine Totalentziehung verfügt hat und den Gerichten eine “geltungserhaltende Reduktion” des Entziehungsaktes nicht erlaubt ist, könnte der Bescheid vom 3. Februar 1995 im letztgenannten Fall keinen Bestand haben; die Beklagte wäre – nach einem Vorschlag der beigeladenen Kommission – jedoch nicht gehindert, dem weiteren Ergebnis des Berufungsverfahrens durch eine – nicht in ihrem Ermessen stehende, sondern in strikter Bindung an das Übermaßverbot zu erlassende – (Teil-)Rücknahme des Eingriffs in das Recht auf Entschädigungsrente Rechnung zu tragen.
Das LSG wird nach alledem noch zu prüfen haben, ob der Kläger als Erster Sekretär der Bezirksparteileitung Sch.… der SED durch ein bestimmtes Verhalten daran mitgewirkt hat, die Effektivität des Grenzregimes zu erhöhen, ob er zurechnungsfähig und durch nach Bundesrecht anerkannte Entschuldigungsgründe nicht entschuldigt war und ob ggf die Schwere des Verstoßes die Aberkennung des Rechts auf Entschädigungsrente oder nur dessen Reduzierung rechtfertigt. Dabei kann das LSG sich – insbesondere zur Auswertung der Sachakten des Mecklenburgischen Landeshauptarchivs – des Rates von Sachverständigen bedienen, denen insbesondere die tatsächlichen Machtverhältnisse und Entscheidungsabläufe im Bereich des Grenzregimes sowie die jeweiligen Sprachregulierungen der SED bekannt sein sollten.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen