Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrt zum Büro des Hauptbetriebes, um mit dem Betriebsratsvorsitzenden zu sprechen
Leitsatz (amtlich)
1. Das Besorgen eines Krankenscheins außerhalb der Arbeitszeit unterliegt jedenfalls dann, wenn die Behandlungsbedürftigkeit des Erkrankten nicht auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist, in der Regel nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
2. Hat das SG über Ansprüche eines von mehreren Hinterbliebenen nicht entschieden, so ist dessen Berufung ohne Rücksicht darauf, ob seine Ansprüche vor dem SG rechtshängig waren, grundsätzlich nicht zulässig.
Leitsatz (redaktionell)
Die Besprechung von Akkordfragen mit dem Betriebsratsvorsitzenden fällt nur dann unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sie betriebsbezogen war.
Normenkette
RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09; SGG § 140 Fassung: 1953-09-03, § 143 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision der Klägerin zu 1) wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. Februar 1960 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit es Ansprüche der Klägerin zu 1) betrifft. In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Revision der Klägerin zu 2) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß ihre Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 8. Oktober 1958 als unzulässig verworfen wird.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Klägerin zu 2), der Polsterer Siegmund F... (F.), war in der Stuhlfabrik St... in Reher (Kreis Hameln) beschäftigt. Sein Arbeitsplatz befand sich in einem Nebenbetrieb; der Hauptbetrieb mit dem Büro lag etwa 1 km entfernt. Am 4. Mai 1955 arbeitete F. bis 17.00 Uhr, verließ die Arbeitsstätte um 17.07 Uhr und fuhr mit dem Motorrad in der seinem damaligen Wohnort D. entgegengesetzten Richtung, um sich zum Büro des Hauptbetriebes zu begeben. Nach den ersten Angaben der Klägerin zu 1) und seines Arbeitskameraden L... wollte er sich dort einen Krankenschein besorgen, weil er seit einigen Tagen an Zahnschmerzen litt. In einer Kurve am Ortsausgang von Reher verunglückte er in einer schwierigen Verkehrslage tödlich.
Durch Bescheid vom 27. Juli 1955 lehnte die Beklagte den Entschädigungsanspruch der Hinterbliebenen ab, weil die unfallbringende Fahrt von der Polsterwerkstatt zum Hauptbüro eigenwirtschaftlichen Interessen, nämlich der Besorgung eines Krankenscheines, gedient habe.
Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin zu 1) vorgebracht, ihr Ehemann habe sich im Hauptbüro nicht nur einen Krankenschein holen, sondern auch auf fernmündliche Vorladung hin eine Besprechung mit dem Betriebsratsvorsitzenden über seine Akkordentlohnung führen wollen.
Das Sozialgericht (SG) hat nach Beweiserhebung über den Zweck der unfallbringenden Fahrt durch Urteil vom 8. Oktober 1958 die Klägerin zu 1) mit ihrer Klage abgewiesen; mit Ansprüchen der Klägerin zu 2) hat es sich nicht befaßt.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin zu 1) Berufung eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen am 18. Februar 1960 ist ihr Prozeßbevollmächtigter auch für die Klägerin zu 2) aufgetreten und hat neben der Aufhebung des Bescheides der Beklagten und des erstinstanzlichen Urteils beantragt, den Klägerinnen für die Folgen des Unfalls ihres Ehemannes bzw. Vaters Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren.
Das LSG hat durch Urteil vom 18. Februar 1960 die Berufung der Klägerinnen - nach dem Ausspruch in der Urteilsurkunde allerdings nur die Berufung der Klägerin - zurückgewiesen. In den Urteilsgründen ist ausgeführt: Obwohl das SG sich nur mit dem Anspruch der Klägerin zu 1) befaßt habe, sei über die Berufung beider Klägerinnen zu entscheiden gewesen, weil sich der Ablehnungsbescheid der Beklagten auch auf den Anspruch der Klägerin zu 2) bezogen habe. Im übrigen sei eine subjektive Klageänderung auch in der Berufungsinstanz zulässig. - In der Sache selbst sei § 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht anwendbar, weil F. seinen Heimweg noch nicht angetreten gehabt habe, vielmehr in die entgegengesetzte Richtung gefahren sei, um zum Hauptbüro zu gelangen. Es liege auch kein Betriebsweg im Sinne des § 542 RVO vor. Die Beschaffung eines Krankenscheines gehöre nicht zur Betriebsarbeit. Es sei zwar erwiesen, daß F. gemäß einer telefonischen Vereinbarung zu einer Besprechung über Lohn- und Akkordfragen nach Beendigung der Arbeit in das Hauptbüro habe kommen sollen. Der Weg zu der Besprechung habe aber ausschließlich den Interessen des F. gedient und sei daher eigenwirtschaftlicher Natur gewesen, denn nach der Bekundung des Betriebsratsvorsitzenden K... sei F. daran gelegen gewesen, mehr Akkordarbeit zu erhalten.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist den Klägerinnen am 15. März 1960 zugestellt worden. Sie haben am 24. März 1960 Revision eingelegt und diese am 30. März 1960 begründet.
Die Revision führt aus: Das LSG habe zwar zweifelsfrei richtig dahin entschieden, daß die beabsichtigte Besorgung eines Krankenscheines keinen Versicherungsschutz begründe, aber zu Unrecht den inneren Zusammenhang zwischen der Lohnbesprechung und der Betriebstätigkeit verneint. Ein solcher Zusammenhang sei unter Beachtung der Grundsätze des modernen Arbeitsrechts, das auch persönliche Beziehungen zwischen den Vertragspartnern schaffe, gegeben. Der Übergang von Stunden- auf Akkordlohnarbeit liege im Interesse nicht nur des Arbeitnehmers, sondern auch des Arbeitgebers. Jener erziele durch Akkordarbeit ein höheres Arbeitsentgelt, dieser einen höheren betrieblichen Erfolg. Im übrigen bleibe auch zu prüfen, ob F., weil er von dem Betriebsratsvorsitzenden Kuhlmann bestellt gewesen sei, als Beauftragter nach § 544 RVO die Fahrt zum Hauptbüro angetreten habe.
Die Klägerinnen beantragen,
unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides und der Urteile der Vorinstanzen die Beklagte zu verurteilen, den Klägerinnen Hinterbliebenenentschädigung aus Anlaß des Unfalls des Siegmund F. vom 4. Mai 1955 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 7. Mai, eingegangen am 11. Mai 1960, hat die Beklagte, um die tatsächlichen Feststellungen des LSG angreifen zu können, vorsorglich Anschlußrevision eingelegt mit dem Hilfsantrag,
das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Beklagte pflichtet der Rechtsauffassung des LSG selbst für den Fall bei, daß man die getroffenen Feststellungen als fehlerfrei zustande gekommen ansehe. Sie meint, es fehle an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Fahrt und der versicherten Tätigkeit, weil die beabsichtigte Besprechung einmal nicht mit einem Bediensteten des Unternehmens, sondern mit dem Betriebsratsvorsitzenden habe geführt werden und außerdem allein dem Interesse des auf Erzielung eines höheren Einkommens bedachten F. habe dienen sollen. - Die Feststellungen des LSG greift die Beklagte mit folgenden Ausführungen an: Das LSG habe in Überschreitung der Grenzen des Rechts der freien richterlichen Überzeugungsbildung (§ 128 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) aus den Ergebnis des Verfahrens gefolgert, F. habe eine längst bestehende Verteilung seiner Arbeit zwischen Akkordarbeit und Stundenarbeit zugunsten einer Mehrzuteilung von Akkordarbeit geändert haben wollen. Einem solchen Sachverhalt stehe die Aussage des Zeugen L... entgegen, nach der F. am Unfalltage zum ersten Male im Akkord gearbeitet und seiner Freude darüber Ausdruck gegeben habe, daß er es so schaffe und finanziell besser gestellt sei. Damit sei die eine Woche früher vorgesehene Besprechung mit dem Betriebsratsvorsitzenden überholt gewesen. F. habe bereits alles erreicht gehabt, was er hinsichtlich des Akkordlohnes habe erreichen wollen. Er sei im Akkordlohn beschäftigt gewesen, und der Umfang seiner Akkordlohntätigkeit sei auch ausreichend groß gewesen. Am Unfalltage habe also kein Anlaß mehr für eine spezielle Besprechung bestanden. Die das Ziel der Fahrt bildende Besprechung habe daher nur noch allgemeinen Erörterungen der Akkordarbeit dienen können. Solche mehr akademischen Erörterungen seien aber keine Betätigungen, die unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fielen. § 544 RVO hält die Beklagte nicht für anwendbar, weil der Betriebsratsvorsitzende nicht Beauftragter des Unternehmens sei, ein Auftrag nicht vorgelegen habe und das Stellen von Fragen nicht als "Dienst" angesehen werden könne.
Die Beteiligten haben sich mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Der Senat hat von der Möglichkeit, in dieser Weise zu verfahren (§ 124 Abs. 2 SGG), Gebrauch gemacht.
II
Die Revisionen der Klägerinnen sind durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, also zulässig.
1. Die Revision der Klägerin zu 1) hatte insofern Erfolg, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG führte.
Das LSG hat die Frage, ob F. einem Arbeitsunfall erlegen ist, mit Recht nach § 542 RVO geprüft; § 543 Abs. 1 RVO scheidet aus, weil der unfallbringende Weg von der Polsterwerkstatt zum Büro des Hauptbetriebes auch nicht teilweise ein Rückweg von der Arbeitsstätte war.
Nach § 542 RVO würde die Fahrt zum Büro des Hauptbetriebes vom Versicherungsschutz umfaßt, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen ihr und der versicherten Tätigkeit bestanden hätte und die Fahrt deshalb dieser Tätigkeit zuzurechnen wäre. Bei der Prüfung der angeführten Voraussetzung hat es das LSG zutreffend auf den Zweck der Fahrt abgestellt.
Die Absicht des F., sich im Hauptbüro einen Krankenschein zu besorgen, vermochte - darin pflichtet auch die Revision dem LSG bei - den Versicherungsschutz nicht zu begründen, wiewohl die Notwendigkeit, vor Beginn der zahnärztlichen Behandlung einen Krankenschein zu lösen, sich daraus ergab, daß F. als gegen Entgelt beschäftigter Arbeiter der Stuhlfabrik St... gemäß § 165 RVO gegen Krankheit versichert war. Das Versicherungsverhältnis in der Krankenversicherung war eine bloße Folge des Beschäftigungsverhältnisses; es berührte dessen Inhalt nicht, vor allem bestand keine Verpflichtung des Arbeitgebers, an der Besorgung des Krankenscheines mitzuwirken, vielmehr hat diesen der Versicherte zu lösen (§ 187 b RVO). Das Besorgen eines Krankenscheines ist unfallversicherungsrechtlich in der Regel dem Besorgen einer Lohnsteuerkarte vergleichbar; diese Verrichtung hat der erkennende Senat bereits in BSG 11, 154 dem persönlichen Lebensbereich des Beschäftigte zugerechnet. Auch das Reichsversicherungsamt (RVA) hat Wege zur Krankenkasse grundsätzlich nicht als unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehend angesehen, wenn sie der Besorgung eines Krankenscheines oder der Abholung von Krankengeld dienten (RVA, Monatsschrift für Arbeiter- und Angestelltenversicherung 1926, S. 123 und BG 1930 Sp. 425; vgl. auch LSG Celle, DOK 1956 S. 556). Ob die Rechtslage anders wäre, wenn die Besorgung des Krankenscheines durch einen unmittelbar vorausgegangenen Arbeitsunfall erforderlich geworden wäre, brauchte der Senat nicht zu entscheiden, weil die Zahnschmerzen des F. nach dem festgestellten Sachverhalt nicht auf einem Unfall beruhten, sondern schon tagelang bestanden. Der vorliegende Streitfall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, daß der Krankenschein nicht bei der Krankenkasse, sondern im Büro des Hauptbetriebes abgeholt werden sollte. Dies ändert aber an der rechtlichen Beurteilung jedenfalls dann nichts, wenn der Beschäftigte zur Empfangnahme des Krankenscheines seine Arbeitsstätte verlassen muß und außerhalb derselben verunglückt.
Nach den vom LSG getroffenen Feststellungen verfolgte F. mit der Fahrt zum Büro des Hauptbetriebes auch den Zweck, Akkordarbeitsfragen mit dem Betriebsratsvorsitzenden zu besprechen und diesen zu bewegen, sich beim Betriebsleiter für eine stärkere Berücksichtigung des F. beim Akkordarbeitseinsatz zu verwenden. Der Umstand, daß die Besprechung nicht mit den Arbeitgeber selbst oder einem für den Einsatz der Belegschaftsmitglieder Verantwortlichen, sondern mit dem Vorsitzenden des Betriebsrats geführt werden sollte, stand der Betriebsbezogenheit der Besprechung, wie auch das LSG angenommen hat, nicht entgegen; denn es gehört u.a. zu den Aufgaben des Betriebsrats, darüber zu wachen, daß alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, sowie Anliegen von Arbeitnehmern entgegenzunehmen und dem Arbeitgeber vorzutragen (vgl. §§ 51, 54 des Betriebsverfassungsgesetzes).
Dem LSG kann auch darin gefolgt werden, daß das Besprechungsthema ein weitgehendes - möglicherweise überwiegendes - Interesse des F. an der Durchführung der Besprechung verrät. Dies schließt aber nicht ohne weiteres aus, daß die Besprechung auch rechtlich wesentlich den Belangen des Unternehmens dienen konnte (vgl. hierzu BSG 13, 178 und Urteil des erkennenden Senats vom 28.2.1962 - 2 RU 86/59 -). Sollte zB das Unternehmen imstande und bestrebt gewesen sein, die Akkordarbeit zu intensivieren, oder ein Anlaß bestanden haben, die gleichmäßige Behandlung der Arbeitnehmer in der Zuteilung von Akkordarbeit zu erörtern, so läßt sich ein rechtlich bedeutsames betriebliches Interesse an dem Gegenstand der vorgesehenen Besprechung möglicherweise nicht verneinen. Ob solche oder ähnliche Voraussetzungen vorlagen, kann jedoch nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Es erscheint geboten, durch Anhörung des Arbeitgebers zu klären, inwieweit die beabsichtigte Besprechung in Interesse des Betriebes gelegen hat. Eine solche Klärung läßt sich nach der Auffassung des Senats auch dadurch fördern, daß festgestellt wird, ob F. am Unfalltage, wie der Zeuge L... bekundet hat, bereits Akkordarbeit geleistet hatte oder ob er hierzu erst vom folgenden Tage an, wie der Zeuge L... ausgesagt hat, vorgesehen war. Auch über das Ausmaß seines Einsatzes in der Akkordarbeit erscheinen Feststellungen geboten. Sollte sich ergeben, daß F. bereits am Unfalltage oder vom folgenden Tage an mit Akkordarbeit ausgelastet war, so könnte daraus geschlossen werden, daß die vorgesehene Besprechung mit dem Betriebsratsvorsitzenden gegenstandslos geworden war oder anderen Zwecken gedient haben muß.
Auf § 544 RVO läßt sich der Anspruch auf Hinterbliebenenentschädigung entgegen der Auffassung der Revision schon deshalb nicht gründen, weil F. nach dem festgestellten Sachverhalt nicht zu der beabsichtigten Besprechung mit dem Betriebsratsvorsitzenden "herangezogen", sondern ihm lediglich Gelegenheit gegeben worden ist, sein Anliegen vorzutragen.
Da der Sachverhalt einer weiteren Klärung in dem angedeuteten Sinne bedarf, der Senat aber die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
2. Hinsichtlich der von der Klägerin zu 2) erhobenen Ansprüche konnte trotz Zulässigkeit ihrer Revision keine Sachentscheidung ergehen, weil insoweit - dies hatte der Senat von Amts wegen zu prüfen (vgl. BSG 2, 225 und 3, 126) - die Berufung zum LSG nicht zulässig war. Dem LSG ist darin beizupflichten, daß das SG über Ansprüche der Klägerin zu 2) nicht entschieden hat. Weshalb eine solche Entscheidung nicht ergangen ist, bleibt unklar. Möglicherweise war das SG der Auffassung, die Klägerin zu 2) habe gar keine Klage erhoben oder diese - hierauf könnte aus der Verschiedenheit der Anträge in der Klageschrift des Prozeßbevollmächtigten B... und in der mündlichen Verhandlung vom 8. Oktober 1958 geschlossen werden - im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens wieder zurückgenommen; denkbar ist auch, daß das SG Ansprüche der Klägerin zu 2) versehentlich übergangen oder - was weniger wahrscheinlich ist - absichtlich vorläufig offen gelassen hat. Je nachdem, welche dieser Möglichkeiten zutrifft, sind Ansprüche der Klägerin zu 2) im vorliegenden Verfahren überhaupt nicht rechtshängig geworden oder aber im ersten Rechtszuge rechtshängig geblieben mit der Folge, daß entweder eine Ergänzung des Urteils nach § 140 SGG in Betracht kam oder ein Schlußurteil vor dem SG zu ergehen gehabt hätte oder noch zu ergehen hätte. Da das SG in seinem Urteil vom 8. Oktober 1958 über Ansprüche der Klägerin zu 2) nicht entschieden hat, sind solche Ansprüche der Berufungsinstanz nicht angefallen (vgl. BGHZ 30, 213) und ist die Klägerin zu 2) durch dieses Urteil nicht beschwert. Die Klägerin zu 2) konnte daher nicht rechtswirksam Berufung einlegen, dies auch nicht in der Weise, daß sie in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG erstmalig den Antrag stellte, ihr unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 27. Juli 1955 Entschädigung zu gewähren (vgl. auch RGZ 75, 293 und 171, 131). Das LSG hat zwar mit Recht angenommen, daß eine subjektive Klagänderung auch noch in der Berufungsinstanz zulässig ist; dies gilt jedoch nur, wenn der Anspruch, hinsichtlich dessen ein Parteiwechsel eingetreten ist oder eintreten soll, bereits rechtshängig war und dem Berufungsgericht angefallen ist (so BSG 8, 113). Dagegen kann eine Person, die bis dahin nicht Beteiligter im Berufungsverfahren war, das Rechtsmittel nicht allein mit dem Ziel einlegen, einen dem Berufungsgericht nicht angefallenen Anspruch im Rahmen eines von anderen Beteiligten durchgeführten Verfahrens geltend zu machen. Die gegenteilige Auffassung des LSG wird auch nicht durch die von ihm angeführte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 4. Juni 1958 - 3 RJ 221/55 - gestützt; diese Streitsache hat keine subjektive Klagänderung in der Berufungsinstanz zum Gegenstand. Die Berufung der Klägerin zu 2) war daher unzulässig. Das LSG hätte sie ohne Sachprüfung verwerfen müssen.
Die Revision der Klägerin zu 2) wurde deshalb mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Berufung als unzulässig verworfen wurde.
3. Einer Entscheidung über die vorsorglich eingelegte Anschlußrevision der Beklagten bedurfte es nicht, weil hinsichtlich der Klägerin zu 1) die Sache ohnehin - in Übereinstimmung mit dem Hilfsantrag der Beklagten - unter Aufhebung des Berufungsurteils und auch der in ihm getroffenen Feststellungen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wurde und hinsichtlich der Klägerin zu 2) die Beklagte durch die getroffene. Entscheidung nicht beschwert wird.
Somit war wie geschehen zu erkennen.
Eine Kostenerstattung kommt, soweit die Klägerin zu 2) im Revisionsverfahren unterlegen ist, nicht in Betracht (§ 193 Abs. 4 SGG). Über die Kosten des Revisionsverfahrens im übrigen wird das LSG im abschließenden Urteil zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 2277306 |
BSGE, 11 |