Leitsatz (amtlich)
Auch nach der Neufassung des RVO § 1248 Abs 3 durch das RVÄndG setzt der Anspruch einer Versicherten auf das vorzeitige Altersruhegeld voraus, daß für eine Beschäftigung, die als "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" iS dieser Vorschrift berücksichtigt werden soll, Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden sind oder als entrichtet gelten.
Normenkette
RVO § 1248 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. Dezember 1963 und des Sozialgerichts Schleswig vom 25. September 1962 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin das vorzeitige Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.
Die am 6. Oktober 1901 geborene Klägerin war von 1925 bis 1941 als Hausgehilfin und Kammerzofe, dann bis 1945 in einem Angestelltenverhältnis, 1947 und 1948 in der Schulspeisung und schließlich von 1955 bis Ende 1961 mit Unterbrechungen bei einer Schallplattenfabrik tätig.
Die Beklagte lehnte es ab, der Klägerin das von ihr beantragte vorzeitige Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs. 3 RVO zu gewähren, da die Klägerin nicht, wie diese Vorschrift es verlangt, in den letzten 20 Jahren - vom 31. Dezember 1941 bis 30. Dezember 1961 - bei 113 mit Pflichtbeiträgen belegten Monaten überwiegend rentenversicherungspflichtige Beschäftigungen oder Tätigkeiten ausgeübt habe (Bescheid vom 30. Mai 1962). Das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) haben ihr das vorzeitige Altersruhegeld zuerkannt (Urteile vom 25. September 1962 und 11. Dezember 1963). Das LSG hat wie das SG angenommen, daß die Klägerin über die von der Beklagten errechneten 113 Beitragsmonate hinaus noch im Sommer 1954 und im Frühjahr 1955 versicherungspflichtig tätig gewesen sei, so daß damit die Zahl von mehr als 120 Beitragsmonaten erreicht und die überwiegende versicherungspflichtige Beschäftigung innerhalb der letzten 20 Jahre dargetan sei, wenn auch für die genannten Zeiten keine Beiträge entrichtet worden seien. Zeiten rentenversicherungspflichtiger Beschäftigung im Sinne des § 1248 Abs. 3 RVO seien nicht mit Beitragszeiten gleichzusetzen. Daß entgegen der bestehenden Versicherungspflicht keine Beiträge abgeführt worden seien, müsse außer Betracht bleiben.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Revision rügt Verletzung des § 1248 Abs. 3 RVO. Sie wendet sich gegen das Ergebnis und die Begründung des angefochtenen Urteils. Sie hält eine in den letzten 20 Jahren überwiegend ausgeübte rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, ohne daß für diese Zeiten Beiträge entrichtet worden sind, nicht für ausreichend, um der Versicherten, wenn die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, das vorzeitige Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 3 RVO gewähren zu können. Dem Sinn und Zweck dieser Regelung entspreche es allein, daß für eine versicherungspflichtige Beschäftigung auch tatsächlich Beiträge entrichtet worden seien oder als entrichtet gälten. Die Revision sieht sich in ihrer Auffassung durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), insbesondere durch das Urteil vom 23. Juni 1964 - 11/1 RA 230/60 - (SozR RVO § 1248 Nr. 24) bestätigt.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 11. Dezember 1963 und des SG Schleswig vom 25. September 1962 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Es ist nicht zu beanstanden, daß die Beklagte der Klägerin das vorzeitige Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs. 3 RVO aF, d. h. der bis zum Inkrafttreten des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) geltenden Fassung, verweigert hat, das eine Versicherte auf Antrag erhielt, die das 60. Lebensjahr vollendet hatte, wenn die Wartezeit erfüllt war und wenn sie in den letzten zwanzig Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hatte und eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübte. Zwar hat das LSG demgegenüber die Leistungspflicht der Beklagten bejaht, weil es das hier allein streitige Tatbestandsmerkmal der überwiegenden rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit ohne Rücksicht auf eine gleichzeitige Beitragsentrichtung als erfüllt ansah. Dem vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Wie mehrere Senate des BSG, darunter auch der erkennende Senat, wiederholt und übereinstimmend entschieden haben, hatte eine Versicherte keinen Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 3 RVO aF, wenn zwar die Beschäftigung oder Tätigkeit als solche der Versicherungspflicht unterlag, Versicherungsbeiträge hierfür aber nicht entrichtet worden sind und auch nicht als entrichtet gelten. Dies hat das BSG insbesondere aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift geschlossen (vgl. BSG 16, 284 = SozR RVO § 1248 Nr. 11; BSG 17, 110 = SozR RVO § 1248 Nr. 13; SozR aaO Nr. 14; BSG 20, 231 = SozR aaO Nr. 20, ferner Nr. 24, 27, 30, 32 und 34). Von dieser Rechtsprechung abzugehen, ist kein Anlaß. Dies bedeutet: Wenn auch die Klägerin, wie das LSG festgestellt hat, vom 25. Februar bis zum 5. Oktober 1954 und vom 17. Februar bis zum 12. April 1955 an sich versicherungspflichtig tätig gewesen ist, so reicht das allein nicht aus, um ihr die begehrte Rente zuzuerkennen. Für diese Zeiten hätten die entsprechenden Versicherungsbeiträge entrichtet werden müssen. Das ist aber nach den Feststellungen des LSG nicht geschehen. Selbst wenn die Versicherte bei den genannten Beschäftigungen, wie es das SG angenommen und das LSG - freilich mit verneinendem Ergebnis - erwogen hat, während der genannten Beschäftigungszeiten versicherungsfrei gewesen wäre, würde sich an dem Ergebnis, daß der Klägerin das vorzeitige Altersruhegeld nicht zusteht, nichts ändern. Denn auch im Falle der Versicherungsfreiheit kann wegen der vom Gesetzgeber geforderten Verbindung einer Beschäftigung oder Tätigkeit mit einer Entrichtung von Beiträgen von einer Beitragsentrichtung nicht abgesehen werden (vgl. BSG 16, 284 = SozR aaO Nr. 11; BSG 17, 110 = SozR aaO Nr. 13; SozR aaO Nr. 14; BSG 20, 231 = SozR aaO Nr. 20; SozR aaO Nr. 27 und 30).
Das RVÄndG hat an der vorstehend dargelegten Rechtslage nichts geändert. Zwar hat dieses Gesetz in Abs. 3 des § 1248 RVO die Worte "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" unverändert gelassen, der über den bloßen Wortlaut des Gesetzes hinausgehenden ständigen Rechtsprechung des BSG also nicht durch eine Änderung des Wortlauts Rechnung getragen, obwohl dies, wenn der Gesetzgeber diese Rechtsprechung billigte, angesichts des Umstandes nicht ferngelegen hätte, daß die Vorschrift im übrigen in mehrfacher Hinsicht geändert worden ist. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß der Gesetzgeber des RVÄndG die Rechtsprechung des BSG nicht gebilligt hätte. Das Gegenteil ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des RVÄndG.
Wie sich aus der Entstehungsgeschichte der durch das RVÄndG geschaffenen Neufassung des § 1248 Abs. 3 RVO ergibt, wollte zwar der Bundesrat die von der erwähnten Rechtsprechung des BSG dem § 1248 Abs. 3 Satz 1 RVO gegebene Auslegung, daß rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nur eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit ist, für die auch Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden sind oder als entrichtet gelten, beseitigt sehen (vgl. Anlage zum Schreiben des Präsidenten des Bundesrats zur Drucksache 319/64 vom 10. Juli 1964, S. 3; Bundestagsdrucksache IV/2572, Stellungnahme des Bundesrats, S. 32 Nr. 4). Diese Vorstellungen des Bundesrats sind jedoch nicht Gesetz geworden. Vielmehr hat der Gesetzgeber an der Auslegung, wie sie das BSG in seiner Rechtsprechung vorgenommen hat, festgehalten (vgl. Bundestagsdrucksache IV 3233, Begründung zu § 1248, S. 3; Pappai, Veränderungen beim Altersruhegeld, Bundesarbeitsblatt 1965, S. 598 f; Schlageter, Das neue Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherungen nach der Härtenovelle (IV), Arbeits- und Sozialrecht, Mitteilungsblatt des Arbeitsministeriums Baden-Württemberg 1965, S. 218 f; Rentenversicherungsrecht der Arbeiter und Angestellten, herausgegeben vom Reichsbund, Schriftenreihe des Reichsbundes, Folge 25, August 1965, S. 31).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen