Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 02.12.1992) |
SG Itzehoe (Urteil vom 29.05.1991) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 2. Dezember 1992 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 29. Mai 1991 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Vormerkung einer Anrechnungszeit für ein berufsbezogenes Praktikum während einer Umschulungsmaßnahme.
Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) gewährte der Klägerin, einer Hausfrau, vor Wiedereintritt in das Berufsleben im Jahre 1975 eine durch Zahlung von Unterhaltsgeld (Uhg) geförderte Umschulung zur Bürokauffrau. Im Rahmen dieser Maßnahme besuchte die Klägerin zunächst vom 3. Februar 1975 bis 30. November 1975 einen einjährigen kaufmännischen Umschulungslehrgang an der Handels- und Sprachenschule R. …. Nach Ablegung einer Abschlußprüfung „der einjährigen kaufmännischen Umschulung” erhielt die Klägerin ein Abschlußzeugnis. Danach, vom 1. Dezember 1975 bis 18. Januar 1977, folgte eine praktische Ausbildung bei der Firma J.H. N. … jr; während dieser Zeit besuchte die Klägerin die R. … -Schule in der Fachklasse Bürokauffrau, und zwar an einem „arbeitsfreien” Wochentag von 8.00 bis 14.00 Uhr und an einem weiteren Wochentag von 14.30 bis 18.00 Uhr. Nach dem Umschulungsvertrag vom 5. September 1975 betrug die regelmäßige tägliche Umschulungszeit 8 Stunden. Eine Vergütung war von der Firma N. … nicht zu zahlen. Für den Schulbesuch wurde der Klägerin ein Zwischen- und ein Abschlußzeugnis erteilt; die Firma N. … stellte ihr ferner auch ein Ausbildungszeugnis aus. Am 18. Januar 1977 legte die Klägerin vor der Handelskammer Hamburg erfolgreich die Abschlußprüfung im Beruf Bürokauffrau ab.
Auf Antrag der Klägerin merkte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Dezember 1988 den Besuch des Umschulungslehrgangs als Ausfallzeit wegen Ausbildung an einer Fachschule vor und lehnte die Vormerkung einer Ausfallzeit für die darüber hinausgehende Zeit bis zur Beendigung der Umschulung ab. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 1989 zurück, weil die Klägerin in dem genannten Zeitraum keine Fachschulausbildung oder Lehrzeit durchlaufen habe; im Vordergrund habe die praktische Unterweisung im Umschulungsbetrieb gestanden.
Das Sozialgericht (SG) Itzehoe hat die Klage auf Vormerkung der Zeit vom 1. Dezember 1975 bis 31. Januar 1977 als Ausfallzeit mit Urteil vom 29. Mai 1991 abgewiesen.
Mit Urteil vom 2. Dezember 1992 hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben, den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides abgeändert und die Beklagte verpflichtet, die Zeit vom 1. Dezember 1975 bis 18. Januar 1977 als weitere Ausfallzeit vorzumerken. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Dahinstehen könne, ob § 36 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) oder § 58 des ab 1. Januar 1992 geltenden Sozialgesetzbuchs, Sechstes Buch (SGB VI) anzuwenden sei, da relevante Unterschiede zwischen den Regelungen nicht bestünden. Der gesamte Zeitraum vom 3. Februar 1975 bis Januar 1977 sei als Ausfallzeit (bzw Anrechnungszeit) vorzumerken. Der Umschulungslehrgang und die weitere praktische Ausbildung seien eine einheitliche Ausbildung, die erst mit der Abschlußprüfung im Januar 1977 geendet habe. Die Prüfung mit Zeugnis vom November 1975 habe lediglich den theoretischen Ausbildungsabschnitt beendet und sei nicht Gegenstand einer beruflichen Qualifikation gewesen. Bei der gesamten Umschulungsmaßnahme habe der Unterrichtsanteil gegenüber dem Teil der praktischen Ausbildung überwogen, so daß der gesamte Zeitraum als Ausfall-/Anrechnungszeit vorzumerken sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI und von § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und trägt vor:
Das LSG habe zu Unrecht den einjährigen kaufmännischen Umschulungslehrgang und die berufspraktische Ausbildung als einheitliche Fachschulausbildung angesehen. Dabei hätte es aufklären müssen, ob die vom Arbeitsamt (ArbA) geförderte betriebliche Umschulung auch ohne den Umschulungslehrgang möglich gewesen wäre; auch sei nicht bekannt, ob die Zulassung zur betrieblichen Umschulung zwingend den erfolgreich abgeschlossenen Besuch dieses Lehrgangs vorausgesetzt habe.
Liege keine einheitliche Fachschulausbildung vor, stelle die Zeit der betrieblichen Umschulung keine Fachschulausbildung dar, weil während dieser Zeit auf den theoretischen Unterricht wöchentlich nur 9,5 Stunden entfallen seien und damit die praktische Ausbildung überwogen habe. Die vom LSG vorgenommene Wertung der Umschulungsmaßnahme als einheitliche Fachschulausbildung führe im übrigen dazu, daß die gesamte Ausbildung, also auch der erste Ausbildungsteil, keine berücksichtigungsfähige Fachschulausbildung sei, weil dabei der berufsbezogene Anteil jedenfalls im Vordergrund stehe.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 2. Dezember 1992 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 29. Mai 1991 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 2. Dezember 1992 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend und trägt ergänzend vor:
Soweit die Beklagte eine anderweitige Berechnung der Ausbildungsanteile vorgenommen habe, sei die Revision unzulässig, weil sie neue Tatsachen eingeführt, nämlich Ferien- und Urlaubszeiten in Abzug gebracht habe, deren Umfang ihr nicht bekannt sei. Im übrigen sei die Revision unbegründet. In der von der Beklagten vorgebrachten Rüge liege keine Verletzung von § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI, sondern nur ein Angriff auf die Beweiswürdigung.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.
Das angefochtene Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Das SG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Vormerkung einer Anrechnungszeit verneint.
Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Vormerkung kann allein § 149 Abs 5 SGB VI iVm § 58 SGB VI sein (vgl Art 1, 83, 85 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung – Rentenreformgesetz 1992 – ≪RRG 1992≫ vom 18. Dezember 1989, BGBl I S 2261, ber 1990 I S 1337; vgl zur Anwendung neuen Rechts bei einem Anspruch auf Vormerkung: BSG SozR 2600 § 56 Nr 4 mwN). Mit dem 1. Januar 1992 ist § 36 AVG, in dem die Voraussetzungen für die Ausfallzeiten geregelt waren, außer Kraft getreten; an seine Stelle ist der im wesentlichen gleichlautende § 58 SGB VI (iVm § 252 SGB VI) – und damit der Begriff der Anrechnungszeit – getreten (vgl § 300 Abs 4 Satz 2 SGB VI).
Eine derartige Anrechnungszeit iS von § 58 Abs 1 Nr 4 Buchst b SGB VI liegt jedoch während der vom Unterricht begleiteten praktischen Ausbildung der Klägerin bei der Firma N. … nicht vor.
Nach § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI sind Anrechnungszeiten ua Zeiten eines nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Schul-, Fachschul- oder Hochschulbesuchs, sofern die beiden letztgenannten Schulbesuche erfolgreich abgeschlossen sind. Vom Wortlaut erfaßt sind somit grundsätzlich nur die Zeiten eines Schulbesuchs und – diesem ausnahmsweise gleichgestellt – die Teilnahme an einer berufsvorbereitenden Maßnahme, sei sie theoretischer oder praktischer Art iS von § 40 (b) Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫ (vgl § 58 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Eine weitere Gleichstellung und Bezugnahme auf die Zeiten der Umschulung iS von § 47 AFG enthält § 58 SGB VI nicht. Bereits hieraus folgt, daß die Frage, inwieweit eine Umschulungsmaßnahme als Anrechnungszeit zu bewerten ist, sich stets danach richtet, ob die Maßnahme den Charakter eines Schulbesuchs hat. Im Hinblick auf den Zweck der Umschulungsmaßnahme ist hier ein Vergleich mit einer Fachschulausbildung anzustellen. Denn auch sie setzt eine Berufsausbildung oder Berufserfahrung voraus (vgl BSG SozR 2200 § 1259 Nr 111).
Bei dem praktischen Teil der Umschulung der Klägerin handelt es sich jedoch nicht um eine Fachschulausbildung in diesem Sinne. Sie lag nur vor – und ist auch insoweit von der Beklagten als Anrechnungszeit vorgemerkt worden – bei dem mit einem Abschlußzeugnis erfolgreich im November 1975 abgeschlossenen einjährigen kaufmännischen Umschulungslehrgang. Der Senat konnte über die Frage, ob die Umschulungsmaßnahme der Klägerin sich in zwei getrennte Ausbildungsabschnitte gliedert, entscheiden. Ihm ist es nicht verwehrt, die vom LSG festgestellten Tatsachen (§ 163 SGG) rechtlich anders zu beurteilen (§ 162 SGG).
Entgegen der Auffassung des LSG ist eine Gesamtausbildung, die neben dem Unterricht an einer Fachschule auch praktische Ausbildungsanteile umfaßt, in ihrer Gesamtheit nicht stets, sondern nur dann als Fachschulausbildung iS von § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI zu werten, wenn die praktische Ausbildung in die Fachschulausbildung integriert ist. Handelt es sich dagegen um einen von der Fachschulausbildung getrennten praktischen Ausbildungsabschnitt mit eigenem Charakter, ist dieser sogar dann nicht Teil einer Fachschulausbildung, wenn er mit einer solchen zu einer Gesamtausbilung mit einer späteren, sich auf beide Abschnitte beziehenden Prüfung verbunden ist (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1259 Nr 69; Urteil des Senats vom 21. März 1991 – 4/1 RA 33/89 –). Denn der Gesetzgeber hat zwecks Vermeidung einer übermäßigen Belastung der Versichertengemeinschaft durch Anrechnungs-/Ausfallzeiten, deren Berücksichtigung als Zeiten ohne Beitragsleistung überwiegend auf staatlicher Gewährung beruht, davon abgesehen, Ausbildungszeiten schlechthin den Charakter von Anrechnungs-/Ausfallzeiten zu verleihen. Vielmehr hat er gezielt nur bestimmte typische Ausbildungen, die wesentlich durch den Charakter der Ausbildungsstätte geprägt sind, als Anrechnungs-/Ausfallzeiten – diese auch zumeist nur zeitlich begrenzt -berücksichtigen wollen. Hätte er anders verfahren wollen, so hätte er grundsätzlich die gesamte Ausbildung, also sowohl die theoretische als auch die praxisbezogene, als Anrechnungszeit anerkannt, wie er dies beispielsweise im Falle der Teilnahme an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme auch getan hat (§ 58 Abs 1 Satz 2 SGB VI; vgl hierzu BSG SozR § 1259 Nr 111).
Hier stand der praktische, bereits mehr dem Arbeitsleben zuzuordnende Ausbildungsabschnitt im Vordergrund (vgl BSG SozR 2200 § 1259 Nr 97), während der theoretische Teil, der Schulbesuch, zurücktrat. Eine Integration dieses Praktikums in die Fachschulausbildung lag damit nicht vor, auch wenn Umschulungslehrgang und betriebliche Praxis mit begleitendem Unterricht Teile der Gesamtausbildung der Klägerin zur Bürokauffrau waren. Es handelte sich nach den vom LSG festgestellten Tatsachen vielmehr um zwei getrennte Ausbildungsabschnitte. Das ergibt sich bereits aus den nach den einzelnen Abschnitten durchlaufenen Prüfungsverfahren. Beide endeten mit einer Abschlußprüfung. Im Umschulungslehrgang wurden theoretische, im anschließenden Abschnitt praxisbezogene Kenntnisse vermittelt. Darüber hinaus lag der nachfolgenden praktischen Ausbildung ein gesonderter Umschulungsvertrag zugrunde. Der zweite Ausbildungsabschnitt enthielt zwar neben der praktischen Ausbilung auch Unterrichtselemente. Diese überwogen jedoch nicht in zeitlicher Hinsicht. Denn der Unterricht fand nur an 1 1/2 Tagen in der Woche, die praktische Ausbildung hingegen an 3 1/2 Tagen in der Woche statt. Ein Überwiegen des Unterrichts wäre jedoch Voraussetzung für die Anerkennung dieses Ausbildungsabschnitts als Anrechnungszeit iS von § 58 Abs 1 Nr 4 Buchst b SGB VI gewesen (vgl BSG SozR 2200 § 1259 Nr 62 und 63, Urteil des Senats vom 21. März 1991, aaO).
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, daß der Umschulungsvertrag unter Mitwirkung der R. … -Schule geschlossen wurde und ferner, daß er Pflichten des Umschulungsbetriebs gegenüber der Schule enthielt, wie etwa seine Verpflichtung zur Anmeldung zur Abschlußprüfung und zur Freistellung der Klägerin für den Unterricht. Diese Verpflichtungen gehörten jedoch nicht zum organisatorischen Bereich der Schule, sondern zu dem des ausbildenden Unternehmens. Sie dienten lediglich der Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Ablaufs der praktischen Ausbildung, des begleitenden Unterrichts sowie des Abschlusses der Umschulung. Geprägt wurde der zweite Abschnitt durch die praktische Ausbildung.
Es ist auch keine andere Rechtsgrundlage für den streitigen Anspruch auf Vormerkung einer Anrechnungszeit ersichtlich. § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 3 iVm Abs 2 Satz 1 SGB VI greift nicht ein. Danach stellen auch Zeiten, in denen Versicherte wegen Arbeitslosigkeit bei einem deutschen ArbA als Arbeitssuchende gemeldet waren und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen haben, Anrechnungszeiten dar, wenn dadurch ua eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit unterbrochen ist. Dies war jedoch nicht der Fall, da die Klägerin vor Beginn der Umschulung weder versicherungspflichtig beschäftigt noch selbständig tätig gewesen ist.
Eine Vormerkung als Beitragszeit (§§ 54 Abs 1 Nr 1, 55 SGB VI) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Denn in der Zeit bis 30. Juni 1978 bestand für Uhg-Bezieher keine Versicherungspflicht in der Rentenversicherung. Demgemäß wurden auch keine Beiträge entrichtet (vgl hierzu Gagel, Arbeitsförderungsgesetz, RdNr 15 vor § 155).
Nach alledem hat die Revision der Beklagten Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen