Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Klage einer LVA gegen einen Bezirksfürsorgeverband auf Rückerstattung zuviel gezahlter Beträge, die auf Grund eines Ersatzanspruchs nach RVO § 1531 gezahlt worden waren, handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung iS des SGG § 51.
2. Ein Ersatzanspruch iS der RVO §§ 1531 ff entsteht nur für die Zeit, in der Unterstützung und sozialversicherungsrechtlicher Anspruch zusammentreffen. Er entsteht mit jedem Tage, an welchem diese Voraussetzung erfüllt ist, neu und fällt mit dem Tage weg, an dem sie nicht mehr vorliegt. Er entsteht nicht, soweit die Unterstützung den sozialversicherungsrechtlichen Anspruch übersteigt.
3. Ein Ersatzanspruch entsteht auch in der Invalidenversicherung nur, wenn die Unterstützung, für die Ersatz verlangt wird, der sozialversicherungsrechtlichen Leistung, aus der Ersatz verlangt wird, gleichartig ist.
Orientierungssatz
Zwar enthält die RVO keine ausdrückliche Bestimmung über die Rückforderung zuviel gezahlter Beträge, aber aus §§ 29 Abs 2, 1305, 1309 ergibt sich, daß auch im Sozialversicherungsrecht der allgemeine Rechtsgrundsatz gilt, daß zuviel erhaltene Beträge zurückgezahlt werden müssen. Es bedurfte keiner Untersuchung, ob die Beklagte noch bereichert ist, da dieser Einwand im Sozialversicherungsrecht im Gegensatz zum bürgerlichen Recht nicht wirksam erhoben werden kann.
Normenkette
SGG § 51 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1531 Fassung: 1945-03-29, § 1536 Fassung: 1931-06-05
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 10. November 1954 wird hinsichtlich der Kostenentscheidung aufgehoben. Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Witwe ... bezog ab 1. Juli 1941 von der Klägerin eine monatliche Witwenrente aus der Invalidenversicherung ihres verstorbenen Ehemannes, zuletzt in Höhe von DM 55,70. Vom 2. Juni 1951 an erhielt sie von der Beklagten Anstaltsfürsorge. Sie gab auf deren Ersuchen am 2. Juni 1951 auf Formblatt folgende Erklärung ab: "Ich erkenne an, daß ich die oben angegebene Unterstützung von dem Bezirks-Fürsorgeverband ... erhalte und ich bin damit einverstanden, daß der genannte Fürsorgeverband Ersatz dafür aus der mir zustehenden Witwenrente erhält." Die Beklagte übersandte diese Erklärung der Klägerin und teilte ihr auf demselben Formblatt mit: "K.H. der Landesversicherungsanstalt ... gemäß §§ 1531, 1536 der Reichsversicherungsordnung vorzulegen. Mit Beziehung auf die Zustimmungserklärung des Unterstützten wird für den genannten Fürsorgeverband nach §§ 1531, 1535 b, 1536 und 1541 der Reichsversicherungsordnung Ersatz aus der Rente des Unterstützten beansprucht." Die Klägerin überwies daraufhin laufend die volle Rente an die Beklagte. Am 8. März 1953 verstarb die Witwe .... Die Klägerin hatte bereits für den ganzen Monat März 1953 die Rente an die Beklagte überwiesen. Sie begehrte am 3. Juni 1953 von der Beklagten die Rückzahlung des über den Todestag hinaus gezahlten Teiles der Rente im Betrage von DM 41,32. Die Beklagte verweigerte die Rückzahlung, weil sie noch Ansprüche in Höhe von 1058,20 DM an den Nachlaß habe. Allein für die Tage vom 1. bis 8. März 1953 habe sie DM 42,30 für die Witwe ... verausgabt, so daß die Klägerin, wenn man einen Rückforderungsanspruch dem Grunde nach überhaupt für gerechtfertigt halte, höchstens noch 13,40 DM verlangen könne. Aber auch dieser Betrag sei für die Bestattungskosten mitverwandt worden. Daraufhin erhob die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht .... Dieses verurteilte die Beklagte, an die Klägerin DM 41,32 zu zahlen. Es ließ die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zu.
Gegen dieses Urteil legte die Beklagte bei dem Landessozialgericht ... Berufung ein. Das Landessozialgericht wies die Berufung mit der Begründung zurück, die Beklagte habe über den Todestag der Witwe ... hinaus die Rente zu Unrecht erhalten und müsse diese daher in entsprechender Höhe zurückzahlen. Der Ersatzanspruch der Beklagten sei der Zeit und der Höhe nach begrenzt. Mit dem Todestag der Unterstützten habe das Recht der Beklagten auf Ersatz aus der Witwenrente sein Ende gefunden. Nur bis zu diesem Tage seien Unterstützung und Rentenanspruch zusammengetroffen. Ein Zurückgreifen des Fürsorgeträgers auf Rentenbezüge sei aber nach den §§ 1531, 1535 b, 1536 RVO nur für die Zeit gestattet, für welche sich der Rentenbezug und die Unterstützung deckten. Die Gleichzeitigkeit von Unterstützung und Rentenbezug führe dazu, daß der Ersatzanspruch des Fürsorgeverbandes mit jedem Tage des gewährten Unterhalts von neuem entstehe. Innerhalb dieses Zeitabschnittes, der demnach maßgebend sei, beschneide das Gesetz den Ersatzanspruch aber auch noch der Höhe nach. Die Beklagte könne für sich höchstens den Betrag verlangen, der dem Unterstützten während der Unterstützungszeit als Rente zustehe. Einen den Rentenbetrag für die Unterstützungszeit übersteigenden Ersatzanspruch habe die Beklagte nicht, auch wenn ihre tatsächlichen Fürsorgeaufwendungen höher lägen. Das Landessozialgericht hat die Revision zugelassen. Das Urteil wurde der Beklagten am 9. Dezember 1954 zugestellt.
Die Beklagte legte mit Schriftsatz vom 30. Dezember 1954 am 6. Januar 1955 - unter Stellung eines Revisionsantrages - Revision gegen dieses Urteil ein und begründete gleichzeitig die Revision. Sie ist der Ansicht, die Klägerin könne die Rente nicht zurückfordern, da sie diese bereits voll gezahlt habe und nach § 1290 RVO auch verpflichtet gewesen sei, sie für den ganzen Sterbemonat zu zahlen. Es sei gleichgültig, ob die Witwe ... die Rente selbst erhalten und nur an sie abgeliefert habe, ob die Witwe ... den Rentenanspruch an sie abgetreten und sie dadurch die Rente für den Sterbemonat anstelle der Witwe ... erhalten habe oder ob sie die Rente auf Grund der §§ 1531 ff. RVO mit Einverständnis der Witwe ... erhalten habe, da alle Fälle gleich behandelt werden müßten. Im übrigen habe die Witwe ... ihre Rente aber auch an sie abgetreten, wenn dies auch in der Erklärung selbst nicht so vollkommen zum Ausdruck komme, weil ein falscher Vordruck verwendet worden sei.
Zudem gäbe es keine Vorschrift in der RVO, wonach die Klägerin einen zuviel gezahlten Betrag zurückfordern könne. Außerdem sei der Anspruch der Klägerin auch der Höhe nach nicht gerechtfertigt. In der monatlichen Rente von DM 55,70 seien DM 5,- enthalten, die nach dem Gesetz über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941 (RGBl. I S. 443) und DM 4,-, die nach dem Gesetz über die Erhöhung der Grundbeträge in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten sowie über die Erhöhung der Renten in der knappschaftlichen Rentenversicherung (Grundbetragserhöhungsgesetz) vom 17. April 1953 (BGBl. I S. 125) gewährt würden. Diese Beträge hätte die Klägerin direkt an die Witwe ... auszahlen müssen. Wenn dies geschehen wäre, würde der Witwe ... das Taschengeld, das diese von ihr erhalten habe, entsprechend gekürzt worden sein, weil insoweit keine Hilfsbedürftigkeit vorgelegen hätte. Der von der Klägerin zurückgeforderte Betrag sei im übrigen auch zur teilweisen Abdeckung der Beerdigungskosten verwandt worden. Diese seien aber, obwohl auch noch DM 105,- Sterbegeld von dritter Stelle gezahlt worden seien, nicht voll gedeckt; es bleibe auch insoweit immer noch ein Fehlbetrag von DM 20,60. Sie meint weiter, sie hätte auch eine Nachlaßforderung gegen den Nachlaß in Höhe von DM 1 078,80. Wenn der eingeklagte Betrag an die Klägerin zurückgezahlt würde, müßte diese ihn an die Erben abführen und diese müßten ihn wieder an sie, die Beklagte, zahlen.
Sie beantragt,
die Klage unter Aufhebung der Urteile des Sozialgerichts ... vom 10. Mai 1954 und des Landessozialgerichts ... vom 10. November 1954 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, daß der Ersatzanspruch der Beklagten mit dem Tode der Witwe ... ihr Ende gefunden habe und die Beklagte daher den überzahlten Betrag zurückzahlen müsse. Die Einwendungen der Beklagten, sie habe monatlich DM 9,- zuviel erhalten, seien erst jetzt in der Revisionsinstanz erhoben worden. Falls es aber richtig sei, daß die Beklagte diese Beträge monatlich an die Witwe ... als Taschengeld gezahlt habe, ermäßige sich der Rückforderungsanspruch auf DM 34,65. Einer Entscheidung hierüber bedürfe es jedoch nicht.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist statthaft, weil das Landessozialgericht sie zugelassen hat; sie ist jedoch nicht begründet.
Ebenso wie für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach §§ 1531 ff. RVO ist auch für die Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen wegen zuviel gezahlter Beträge dieser Art der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben. Es handelt sich in beiden Fällen um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten im Sinne des § 51 Abs. 1 SGG.
Der Anspruch der Klägerin besteht zu Recht. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich bei dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch nicht um die Rückforderung zuviel gezahlter Rentenbeträge, sondern um die Rückforderung zuviel gezahlter Beträge, die nach §§ 1531 ff. RVO entrichtet worden waren. Die Witwe ... hat ihre Rentenansprüche nicht an die Beklagte abgetreten. Die Beklagte hat vielmehr gegenüber der Klägerin den Ersatzanspruch nach § 1531 RVO geltend gemacht. Bei der von der Witwe ... abgegebenen Erklärung handelt es sich lediglich um die erforderliche Zustimmung des Rentenberechtigten zur Inanspruchnahme seiner Rente durch den Ersatzberechtigten.
Der Ersatzanspruch nach § 1531 RVO ist, wenn er auch auf Inanspruchnahme der Rente gerichtet ist, ein selbständiger gesetzlicher Anspruch, der nicht mit einem (abgetretenen) Rentenanspruch identisch ist. Voraussetzung eines solchen Ersatzanspruchs ist u.a., daß die Unterstützung und der sozialversicherungsrechtliche Anspruch zeitlich zusammentreffen (§§ 1531, 1536 in Vbdg. mit § 1535 RVO). Er entsteht mit jedem Tage, an welchem diese Voraussetzung erfüllt ist, neu und fällt mit dem Tage weg, an welchem diese Voraussetzung nicht mehr vorliegt, so daß er sich zeitlich nicht mit dem Rentenanspruch zu decken braucht (vgl. auch E.d. RVA. v. 11.4.1933, EuM. Bd. 34 S. 415). Da für die Zeit nach dem 8. März 1953 Rentenanspruch und Unterstützung nicht zusammentreffen, kann die Beklagte die Rente für diese Zeit nicht in Anspruch nehmen. Außerdem entsteht der Ersatzanspruch nur mit der Maßgabe, daß er nicht höher sein kann als die für dieselbe Zeit fällige Leistung aus der Sozialversicherung (§ 1531 RVO). Selbst wenn die gewährte Unterstützung höher ist als die Rente, entsteht der Ersatzanspruch nur in Höhe der Rente (vgl. Verb. Kommentar, a.a.O., Anm. 9 zu § 1531 RVO). Sowohl für die Zeit vor dem 1. März 1953 als auch für die Zeit vom 1. bis 8. März 1953 ist also ein über die Rente der Witwe ... hinausgehender Ersatzanspruch nicht entstanden. Die Beklagte kann daher auch nicht wegen dieser nicht gedeckten Unterstützungsleistungen auf die Rente für die Zeit vom 9. bis 31. März 1953 zurückgreifen.
Einer besonderen Prüfung bedurfte allerdings, ob ein Ersatzanspruch der Beklagten, soweit er sich auf die noch nicht gedeckten Bestattungskosten stützt, entstanden ist. Dies mußte jedoch schon deshalb verneint werden, weil Bestattungskosten und Rentenleistungen keine gleichartigen Leistungen sind. Zwar ist die Gleichartigkeit der Leistungen als Voraussetzung des Entstehens eines Ersatzanspruchs ausdrücklich nur in den §§ 1533, 1535 RVO für die Krankenversicherung und die Unfallversicherung vorgeschrieben. Es handelt sich jedoch um einen allgemeinen Grundsatz, der auch für die Invalidenversicherung anzuwenden ist. Nach Ansicht des erkennenden Senats hat der Gesetzgeber eine entsprechende ausdrückliche Regelung für die Invalidenversicherung nur deshalb unterlassen, weil hier als Regelleistung nur die Renten in Betracht kommen; er hat offenbar übersehen, daß demgegenüber bei den Unterstützungen verschiedenartige Leistungen möglich sind, so daß auch in der Invalidenversicherung diese Frage einer Antwort bedarf. Es ist jedoch anzunehmen, daß der Gesetzgeber diese Frage, wenn er sie gesehen hätte, ebenso beantwortet hätte wie bei der Kranken- und Unfallversicherung, so daß auch hier dieser Grundsatz anzuwenden ist (vgl. dazu auch Verb. Komm., 5. A., Anm. 7 zu § 1536 RVO; E. d. RVA. v. 11.4.1932; EuM. Bd. 34, S. 415; Brackmann, Handbuch der Soz.Vers., S. 974).
Danach besteht ein Ersatzanspruch der Beklagten hinsichtlich der Rente der Witwe ... für die Zeit vom 9. bis 31. März 1953 nicht. Sie ist daher verpflichtet, die zuviel erhaltenen Beträge an die Klägerin zurückzuerstatten. Zwar enthält die RVO keine ausdrückliche Bestimmung über die Rückforderung zuviel gezahlter Beträge, aber aus den §§ 29 Abs. 2, 1305, 1309 ergibt sich, daß auch im Sozialversicherungsrecht der allgemeine Rechtsgrundsatz gilt, daß zuviel erhaltene Beträge zurückgezahlt werden müssen (vgl. Bogs, "Rückforderung zu Unrecht gewährter Leistungen" in "Die Ortskrankenkassen", 26. Jg., S. 669). Es bedurfte keiner Untersuchung, ob die Beklagte noch bereichert ist, da dieser Einwand im Sozialversicherungsrecht im Gegensatz zum bürgerlichen Recht nicht wirksam erhoben werden kann (vgl. E. d. RVA., AN. 21, S. 405; 31, S. 221; 44, S. 105; Brackmann, a.a.O., S. 603, 730a).
Auch das Vorbringen der Beklagten hinsichtlich der Höhe des Anspruchs führt nicht zum Erfolg. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte tatsächlich das Taschengeld monatlich zusätzlich - und, wie sie meint, zu Unrecht - an die Witwe ... gezahlt hat, da dies nur von Bedeutung sein könnte, wenn sie einen Anspruch gegen die Erben der Witwe ... geltend machen würde. Die Klägerin war jedenfalls zur Zahlung dieses Betrages an die Beklagte nicht verpflichtet, mußte diese Beträge vielmehr direkt an die Witwe ... zahlen (vgl. Abs. 5 des gem. Rd.Erl. des RAM u. des RM.d.J. v. 28.7.1941 - II b 4254/51 II. Ang. - bezw. IV W I 10/41 - 7715/ AN. 1941 S. II 301 in Verbdg. mit dem gem. Rd. Erl. des RAM und des RM.d.J. v. 12.12.1938 - II b 13019/38 - Gr. VWJ 111/38 - 7809). Die Beklagte hätte diesen Betrag daher auch schon an die Klägerin zurückzahlen müssen, wenn die Witwe ... nicht gestorben wäre. Entgegen der Ansicht der Beklagten ermäßigt sich daher der Anspruch der Klägerin nicht. Zwar hat die Klägerin angekündigt, daß sie auf ihre Forderung in entsprechender Höhe verzichten würde, wenn feststände, daß die Beklagte monatlich das Taschengeld in Höhe von DM 9,- an die Witwe ... gezahlt habe. Sie hat aber bisher diesen Verzicht nicht ausgesprochen und hat auch ihren Klageantrag nicht entsprechend beschränkt, so daß der erkennende Senat dies nicht berücksichtigen konnte.
Die Kostenentscheidung des Landessozialgerichts mußte aufgehoben werden. Nach § 193 Abs. 4 SGG sind die Aufwendungen der Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts nicht erstattungsfähig. Das Landessozialgericht durfte daher der Beklagten die Kosten nicht auferlegen, so daß insoweit eine neue Entscheidung getroffen werden mußte. Sie beruht eben so wie die Entscheidung hinsichtlich der Kosten der Revisionsinstanz auf § 193 SGG.
Fundstellen