Leitsatz (amtlich)

1. Hat die berufliche Hauterkrankung zu einem Berufswechsel genötigt, so ist die neue Tätigkeit dem früheren Beruf nicht gleichwertig, wenn das nun erzielte Erwerbseinkommen deutlich unter den Verdienstmöglichkeiten liegt, die der Versicherte im Zeitpunkt der Rentenentziehung haben würde, wenn er seine frühere Tätigkeit nicht hätte aufgeben müssen. Eine die Rentenentziehung berechtigende - nicht medizinisch begründete - wesentliche Änderung der Verhältnisse liegt daher nicht vor (Weiterführung von BSG 1974-12-19 8 RU 296/73 = SozR 2200 § 622 Nr 3).

2. Das gilt grundsätzlich auch für einen früher abhängig beschäftigt gewesenen Versicherten, der später eine selbständige Tätigkeit ausübt.

 

Normenkette

RVO § 622 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30; BKVO 3 Anl 1 Nr. 46 Fassung: 1961-04-28; RVO § 571 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. November 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, dem Kläger die wegen einer beruflichen Hauterkrankung gewährte Unfallrente zu entziehen.

Der 1920 geborene Kläger war früher Betondachsteinmacher. Nachdem er 1954 und 1956 an einem Berufsekzem der Hände erkrankt war, war er ab Ende Mai 1957 wegen dieses Leidens erneut arbeitsunfähig. Im Sommer 1960 gab er seine Beschäftigung auf und arbeitete als Kraftfahrer. Nach mehrfacher fachärztlicher Begutachtung, die eine Überempfindlichkeit der Haut gegen Zement, Chromat und Rheinsand ergab, gewährte die Steinbruchs-Berufsgenossenschaft (Steinbruchs-BG) dem Kläger wegen Zustandes nach Hautekzem an beiden Händen als Berufskrankheit Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30% ab 28. Oktober 1957 und nach einer MdE von 20% ab 1. August 1960 (Bescheid vom 28. Juli 1961). Im Dezember 1961 wurde der Versicherungsfall wegen Überweisung des Beschäftigungsbetriebes an die Beklagte abgegeben. Mehrfache Untersuchungen des Klägers ergaben wie schon zur Zeit der Rentenbewilligung keine akuten Hauterscheinungen an den Händen, jedoch unverändert das Fortbestehen der Überempfindlichkeit der Haut im Bereich der Hände. Im Juli 1968 schied der Kläger bei seiner Beschäftigungsfirma aus und eröffnete mit eigenem Kraftfahrbetrieb einen Kohlenhandel. Weitere Untersuchungen 1968, 1970 und zuletzt im Oktober 1974 ergaben insoweit unveränderte Verhältnisse, als nach wie vor eine Sensibilisierung gegen Chromate bei einer MdE von 20% vorlag.

Die Beklagte entzog dem Kläger die Rente mit Ablauf des Monats November 1974, weil nach erfolgtem Berufswechsel der Kläger bei seiner Berufstätigkeit hauterscheinungsfrei geblieben sei und eine Hautüberempfindlichkeit keine MdE in rentenberechtigendem Grade verursache (Bescheid vom 28. Oktober 1974).

Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 1974 aufgehoben und diese zur Weiterzahlung der Rente verurteilt (Urteil vom 4. März 1975). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und den Tenor des Urteils des SG dahin neu gefaßt, daß 1. der Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 1974 aufgehoben werde und 2. die Beklagte dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu erstatten habe (Urteil vom 5. November 1975). Es hat zur Begründung ua ausgeführt: Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 622 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) liege nicht vor. Ein Vergleich der medizinischen Befunde, wie sie zur Zeit der Rentenbewilligung vorgelegen haben, mit denen zur Zeit der Rentenentziehung ergebe, daß insoweit eine wesentliche Änderung im Sinne einer Besserung nicht nachgewiesen sei. Die Sachlage sei vielmehr unverändert. Zwar seien Hautveränderungen an den Händen nicht mehr aufgetreten, es bestehe jedoch weiterhin eine Sensibilisierung gegenüber Chromaten, wodurch die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weitgehend eingeschränkt sei. Eine rechtlich bedeutsame Änderung der Verhältnisse im Zusammenhang mit dem Berufswechsel des Klägers liege ebenfalls nicht vor. Die Entschädigung einer beruflichen Hauterkrankung solle die mit einem erzwungenen Berufswechsel in der Regel verbundene Einbuße an Betätigungs- und damit Verdienstmöglichkeiten ausgleichen. Ein Hauterkrankter könne jedoch durch diese Erkrankung besonders nachteilig betroffen sein. Eine spätere Erweiterung des Arbeitsfeldes und der Verdienstmöglichkeiten könne zwar nicht stets unberücksichtigt bleiben. Das komme aber nur dann in Betracht, wenn dem Versicherten durch Maßnahmen des Unfallversicherungsträgers (BG) ein neues Arbeitsfeld erschlossen worden sei, auf dem der Kontakt mit beruflichen Schadstoffen ausgeschlossen sei und er der früheren Beschäftigung gegenüber zumindest gleichwertige Erwerbsmöglichkeiten habe. Beides sei bei dem Kläger nicht der Fall, denn weder die Steinbruchs-BG noch die Beklagte habe in irgendeiner Weise zu dem Berufswechsel des Klägers beigetragen. Unabhängig davon stehe es auch fest, daß dem Kläger kein neues Arbeitsfeld erschlossen worden sei, auf dem er seiner früheren beruflichen Beschäftigung zumindest gleichwertige Erwerbsmöglichkeiten habe. Davon könne weder bei der Ausübung des Berufs als Kraftfahrer noch hinsichtlich des im Juli 1968 begonnenen selbständigen Kraftfahrbetriebes mit Kohlenhandel ausgegangen werden. Zwar seien diese Tätigkeiten auf Dauer angelegt gewesen und hätten nicht den Charakter einer Aushilfs- oder Verlegenheitslösung gehabt. Gleichwertige Erwerbsmöglichkeiten stellten aber beide Tätigkeiten nicht dar. Der frühere Beruf sei ein Anlernberuf gewesen und der Kläger hätte ohne die Hauterkrankung zwanglos eine kontinuierliche Leistungs- und damit verbunden eine Verdienststeigerung bis zur Stellung als Vorarbeiter erreichen können. Diese Erwerbsmöglichkeit hätte weder die Tätigkeit als Kraftfahrer, wobei es sich nicht um einen Lehrberuf handele und womit der Kläger in den letzten Jahren ca. 600,- DM monatlich netto verdient habe, noch der selbständige Kohlenhandel geboten. Die selbständige Erwerbstätigkeit habe nur einen relativ bescheidenen Rahmen aufgewiesen. Außer dem nicht sehr umfangreichen Kohlenhandel betreibe der Kläger keine weitere Erwerbstätigkeit und beschäftige weder fremde Arbeitskräfte noch Angehörige. Im zweiten Halbjahr 1968 habe er einen Gewinn von ca. 700,- DM monatlich erzielt. Angesichts der krisenhaften Entwicklung seit 1969 und des großen Konkurrenzdruckes habe diese Entwicklung keine erhebliche Zunahme erfahren können und liege angesichts der stetigen Lohnsteigerungen der Arbeitnehmer in der Baubedarfsindustrie deutlich unter den dort von den Beschäftigten erzielten Löhnen. In diesem Zusammenhang sei auch das Alter des Klägers zur Zeit der Rentenentziehung von 54 Jahren und damit der Umstand zu berücksichtigen, daß sich dem Kläger wegen der bei ihm vorhandenen Überempfindlichkeit nicht die Vielfalt des Arbeitsmarktes und damit nicht mehr zahlreiche Erwerbsmöglichkeiten böten. Es sei daher von der Beklagten weder nachgewiesen worden, noch bestünden hierfür nach dem Ermittlungsergebnis überzeugende Anhaltspunkte, daß der Kläger im Rentenentziehungszeitpunkt eine seiner früheren Berufstätigkeit zumindest gleichwertige Erwerbsmöglichkeit wahrgenommen habe und insbesondere über einen Kohlenhandel hinaus einen Baustoff- und Heizölhandel betreibe.

Das angefochtene Urteil des SG habe insofern neugefaßt werden müssen, als es neben der Aufhebung des Entziehungsbescheides keiner besonderen Verurteilung zur Weitergewährung der Rente bedurft habe.

Mit ihrer von dem LSG zugelassenen Revision trägt die Beklagte ua vor, das LSG habe nicht festgestellt, daß der Kläger in seinem Kohlenhandel weniger verdiene als er früher als Betondachsteinmacher verdient gehabt habe, vielmehr mindestens ebensoviel einnehme wie zur Zeit des Ausbruchs der Berufskrankheit. Dennoch habe das LSG die MdE nach wie vor auf 20% geschätzt. Das treffe nicht zu, denn die Hauterscheinungen seien abgeheilt, und es bestehe lediglich die Überempfindlichkeit fort. Eine echte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit liege daher nicht mehr vor. Das LSG habe nicht festgestellt, daß der Kläger tatsächlich heute noch einschneidend beruflich durch das Fortbestehen der Überempfindlichkeit in seiner Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in rentenberechtigendem Grade beeinträchtigt sei. Seit der Aufnahme des selbständigen Kohlenhandels bis zur letzten mündlichen Verhandlung seien sieben Jahre vergangen. Im übrigen könne es nicht darauf ankommen, ob ein abhängiger Betondachsteinmacher heute vielleicht mehr verdienen würde. Denn maßgebend sei auch hier gemäß §§ 571 ff. Reichsversicherungsordnung (RVO) der Verdienst im Jahre vor der Berufserkrankung.

Entgegen der Auffassung des LSG könne es für die Annahme einer wesentlichen Änderung infolge Erweiterung des Arbeitsfeldes nicht entscheidend darauf ankommen, daß ein Versicherungsträger Berufshilfe geleistet habe. Ein rechtlicher Zusammenhang mit dieser grundsätzlichen Verpflichtung der Beklagten und der Bewertung der MdE einer Berufskrankheit bestehe nicht. Es sei nicht gerechtfertigt, Verbesserungen der Erwerbsmöglichkeiten, die der erkrankte Versicherte aus eigener Initiative erreicht habe, anders zu beurteilen als eine Besserung seiner gesundheitlichen Verhältnisse, hier in Gestalt einer Zuweisung einer neuen nicht mehr allergiegefährdeten Arbeit auf dem Wege über eine berufsfördernde oder sonstige Berufshilfe. In beiden Fällen werde die Lage geändert, so daß in beiden Fällen auch § 622 Abs. 1 RVO anzuwenden sei. Gleichwertige Erwerbsmöglichkeiten seien dem Kläger jedoch geboten, denn er verdiene als selbständiger Kohlenhändler nicht weniger als er seinerzeit als Betondachsteinmacher verdient habe.

Auch sei die Tätigkeit eines Unternehmers sozial höher zu bewerten als die eines abhängig Beschäftigten. Es könne daher nicht darauf ankommen, ob dem Kläger eine Berufshilfe wenigstens angeboten worden sei. Entscheidend sei allein, daß der Kläger nachhaltig in einen neuen Beruf eingegliedert worden sei und dort wie andere Mitbewerber voll wettbewerbsfähig und praktisch gesund sei.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. November 1975 und des Sozialgerichts Koblenz vom 4. März 1975 aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid vom 28. Oktober 1974 abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger hat im Revisionsverfahren bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision der Beklagten ist unbegründet.

Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß eine die Rentenentziehung rechtfertigende wesentliche Änderung der Verhältnisse i. S. von § 622 Abs. 1 RVO bei dem Kläger nicht vorgelegen hat.

Bei dem Kläger besteht, was die Revision auch nicht bezweifelt, nach wie vor eine Allergie gegen Chromate, die es ihm verwehrt, seine frühere berufliche Beschäftigung als Betondachsteinmacher wieder aufzunehmen, weil es dabei erneut zu Ekzembildungen an den Händen kommen würde, weshalb die Steinbruchs-BG ihm Unfallentschädigung wegen einer Berufskrankheit im Sinne der Nr. 46 der Anlage der Sechsten Berufskrankheitenverordnung vom 28. April 1961, BGBl I S. 505, - 6. BKVO - mit dem Bescheid vom 28. Juli 1961 ab 28. Oktober 1957 zunächst nach einer MdE von 30% und ab 1. August 1960 nach einer MdE von 20% gewährt hatte. In dem Gesundheitszustand des Klägers ist somit, wie das LSG zutreffend angenommen hat und von der Beklagten in medizinischer Hinsicht nicht bezweifelt wird, insoweit eine Änderung im Sinne einer Besserung gegenüber den der Rentenbewilligung zugrunde liegenden Verhältnissen nicht eingetreten, denn die Ekzeme an den Händen waren bereits bei einer Untersuchung am 21. Juli 1960 abgeheilt, und es bestand ein praktisch normaler Hautbefund (Gutachten Dr. Dr. S).

Ob, wie die Revision meint, das LSG für den Zeitpunkt der Rentenentziehung (1. Dezember 1974) eine noch bestehende MdE von 20% nicht mehr habe feststellen dürfen, ist hier nicht von maßgebender Bedeutung, weil grundsätzlich nur der Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse, die der Rentengewährung zugrunde gelegen haben, mit denjenigen zur Zeit der Rentenentziehung für die Feststellung einer wesentlichen Änderung i. S. von § 622 Abs. 1 RVO bedeutsam ist. Im übrigen ist die MdE von den Sachverständigen Dr. D (1968), Prof. Dr. K/Prof. Dr. B (1970) sowie Prof. Dr. G/Dr. T (Oktober 1974) auch weiterhin mit 20% beurteilt worden.

Eine die Rentenentziehung rechtfertigende wesentliche Änderung der Verhältnisse ist jedoch bei dem Kläger auch nicht dadurch eingetreten, daß er 1960 eine für ihn nicht hautschädliche Beschäftigung als Kraftfahrer aufgenommen hat und seit 1968 mit einem eigenen Kraftfahrbetrieb einen Kohlenhandel betreibt, was ebenfalls nicht zu erneuten Hauterscheinungen geführt hat.

Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 19. Dezember 1974 (SozR 2200 § 622 RVO Nr. 3) entschieden hat, kann allerdings im Falle einer beruflichen Hauterkrankung nach Abheilung der äußeren Hauterscheinungen bei jedoch fortbestehender Überempfindlichkeit gegen schädigende Stoffe der früheren beruflichen Beschäftigung eine die Entziehung der Rente rechtfertigende wesentliche Änderung der Verhältnisse darin liegen, daß der Erkrankte neue berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten erworben hat, mit denen er eine andere, dem früheren Beruf gleichwertige Tätigkeit ausübt. In dem seinerzeitigen Fall hatte allerdings der Erkrankte seine neuen Berufskenntnisse im Wege einer Umschulung vom Bäcker bzw. Konditormeister zum Schokoladenmacher und Industriemeister erworben, und der Versicherungsträger hatte die Kosten der Umschulung weitgehend getragen. Der Senat hat in dieser Entscheidung ausgesprochen, daß "zumindest" in einem solchen Falle, soweit auch die genannten weiteren Voraussetzungen vorliegen, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse anzunehmen ist. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß - wie das LSG offenbar annimmt (S. 8 des Urteils) - stets nur dann, wenn solche Berufsförderungsmaßnahmen der BG zum Erwerb neuer Kenntnisse und Fertigkeiten geführt haben, eine Rentenentziehung gerechtfertigt ist. Dem Kläger sind weder von der Steinbruchs-BG noch von der Beklagten Berufsförderungsmaßnahmen angeboten, geschweige denn gewährt worden. Dennoch bedarf es hier keiner Entscheidung der Frage, ob die Entziehung einer wegen einer beruflichen Hauterkrankung gewährten Unfallrente nach dem Erwerb neuer beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten grundsätzlich nicht zulässig ist, wenn dem Erkrankten von der BG keine Berufsförderungsmaßnahmen gewährt worden sind. Denn es fehlt hier an einer weiteren entscheidenden Voraussetzung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, weil der Kläger keine seiner früheren beruflichen Beschäftigung gleichwertige Tätigkeit ausübt. Nur wenn das der Fall ist, kann, wie der erkennende Senat in der genannten Entscheidung (SozR 2200 § 622 RVO Nr. 3) ausgeführt hat, eine wesentliche Änderung i. S. von § 622 Abs. 1 RVO angenommen werden. Hiernach kann in dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten, mit denen dem Versicherten ein neues erweitertes Arbeitsfeld eröffnet worden ist, eine wesentliche Änderung erblickt werden, sofern er dadurch der früheren Beschäftigung gleichwertige Verdienst- und Erwerbsmöglichkeiten erlangt hat, die die mit dem erzwungenen Berufswechsel verbunden gewesenen Nachteile ausgleichen. Dabei ist aber nicht, wie die Beklagte meint, darauf abzustellen, ob der früher tatsächlich bezogene Verdienst nominell niedriger war als das mit der viele Jahre später ergriffenen neuen Tätigkeit tatsächlich erzielte Einkommen. Zu vergleichen sind vielmehr die Verdienst- und Erwerbsmöglichkeiten, die der Versicherte im Zeitpunkt der Rentenentziehung haben würde, wenn er seine frühere berufliche Beschäftigung nicht wegen seiner Erkrankung hätte aufgeben müssen, mit denen, die er zu diesem Zeitpunkt tatsächlich hat. Nur wenn diese Verdienst- und Erwerbsmöglichkeiten gleichwertig sind, sind die mit der Berufsaufgabe verbunden gewesenen Nachteile ausgeglichen. In der Zwischenzeit eingetretene Lohnsteigerungen in dem früheren Beruf können deshalb nicht unberücksichtigt bleiben. Dabei handelt es sich nicht um einen Anwendungsfall der für die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes maßgebenden Vorschriften der §§ 571 ff. RVO, sondern um die davon unabhängige Frage, wann bei einer zum Berufswechsel zwingenden Berufskrankheit eine die Entziehung einer Rente rechtfertigende wesentliche Änderung eingetreten ist.

Inwieweit etwa schon 1960 oder in den Jahren danach eine Änderung der Verhältnisse in diesem Sinne bei dem Kläger eingetreten war, als er seine Beschäftigung als Kraftfahrer aufgenommen hatte, brauchte hier nicht näher untersucht werden, denn die Beklagte hat hieraus selbst keine Folgerungen gezogen und die Rente erst gegen Ende 1974 entzogen, nachdem der Kläger bereits seit Juli 1968 seinen Kohlenhandel betrieben hatte. Es kann hier ebenfalls unerörtert bleiben, inwieweit ein Ausgleich der Nachteile im oben genannten Sinne gegeben ist, wenn der früher abhängig beschäftigt gewesene Versicherte später eine selbständige Tätigkeit ausübt. Jedenfalls läßt sich die Notwendigkeit eines solchen Ausgleichs nicht, wie die Revision meint, allein deshalb verneinen, weil in einem solchen Fall ein "sozialer Aufstieg" vorliege und Selbständige "nicht so sehr der Wohltaten" der gesetzlichen Unfallversicherung bedürftig seien. Abgesehen davon, daß das Gesetz bereits bestimmte Selbständige in die Unfallversicherung einbezieht und die Satzungen der Berufsgenossenschaften die Unfallversicherung auf Unternehmer erstrecken können (§ 543 RVO), kann unter dem hier maßgeblichen Gesichtspunkt des Ausgleichs von Nachteilen, die mit der erzwungenen Berufsaufgabe verbunden waren, von gleichwertigen Erwerbs- und Verdienstmöglichkeiten auch bei einem selbständig Tätigen der hier vorliegenden Art grundsätzlich nur gesprochen werden, wenn mit dieser Tätigkeit kein wesentlich geringeres Einkommen verbunden ist, als er es in seinem früheren Beruf erzielt haben würde. Das ist bei dem Kläger jedoch nicht der Fall.

Das LSG hat nicht feststellen können, daß der Kläger neben seinem Kohlenhandel weitere Handelsgeschäfte betreibt, wodurch ihm zusätzliche Einnahmen zuflössen. Es hat zwar nicht den zahlenmäßigen Verdienst ermittelt, den der Kläger in seinem früheren Beruf als Betondachsteinmacher 1974 erzielt haben würde und auch nur den Gewinn aus dem Kohlenhandel im zweiten Halbjahr 1968 mit durchschnittlich 700,- DM monatlich festgestellt. Unter Berücksichtigung der krisenhaften Entwicklung seit 1969 und des großen Konkurrenzdruckes ist es jedoch zu dem Ergebnis gelangt, diese Gewinnspanne könne nicht sehr erheblich zugenommen haben. Seine hier wesentliche Feststellung, angesichts der stetigen Lohnsteigerungen der Arbeitnehmer in der Baubedarfsindustrie liege das Einkommen von 700,- DM "deutlich unter den dort von den Beschäftigten erzielten Löhnen" (Urt. S. 10), ist jedoch von der Revision weder mit einer Rüge nach § 103 SGG noch mit einer solchen nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG angegriffen worden und daher für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG). Das LSG hat daher schon aus diesem Grunde zutreffend eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i. S. von § 622 Abs. 1 RVO verneint und die Berufung der Beklagten gegen das den Entziehungsbescheid aufhebende Urteil des SG zurückgewiesen. Soweit das LSG den Tenor des Urteils des SG neu gefaßt hat, greift die Revision das Urteil weder an noch ist die Beklagte dadurch beschwert.

Die Revision der Beklagten mußte daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650666

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