Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 8. Januar 1980 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) aus der Konkursausfallversicherung die Sozialversicherungspflichtbeiträge zu zahlen hat, die der Gastwirt M. in der Zeit vom 15. Mai bis 15. August 1976 der Klägerin als Einzugsstelle schuldet.
M. war Unterpächter der „A.-T.”, die eine Gaststättenbetriebe-Gesellschaft von dem Grundstückseigentümer gepachtet hatte. M. beschäftigte seinen Bruder, für den er in der vorgenannten Zeit keine Sozial Versicherungsbeiträge zahlte. Pfändungsversuche der Klägerin blieben bis auf eine Pfändung über 180,– DM am 12. August 1976 ohne Erfolg. Auch Pfändungsversuche eines weiteren Gläubigers im Frühjahr 1976 blieben erfolglos und führten am 26. November 1976 zur Offenbarungsversicherung des M. Am 15. August 1976 übergab M. seinen Betrieb an einen neuen Unterpächter.
Den Antrag der Klägerin vom 19. August 1976 auf Zahlung der Sozial Versicherungsbeiträge in Höhe von 1.188,28 DM lehnte die Beklagte durch Schreiben vom 31. Oktober 1977 ab. Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat die im Januar 1978 erhobene Klage – verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage – abgewiesen (Urteil vom 23. Januar 1979). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat ihr stattgegeben und antragsgemäß zur Zahlung von Verzugszinsen nach § 397a Reichsversicherungsordnung idF vor Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – vom 23. Dezember 1976 (BGBl I 3845) verurteilt (Urteil vom 8. Januar 1980).
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 141b Abs. 3 Nr. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Der nahtlose Übergang des Gaststättenbetriebes von einem Unterpächter zu einem anderen Unterpächter sei keine vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Sinne dieser Vorschrift.
Sie beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 8. Januar 1980 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 23. Januar 1979 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Nach § 141n Satz 1 AFG (in der Fassung des Gesetzes vom 17. Juli 1974, BGBl I 1481 und vom 21. Dezember 1974, BGBl I 3656) entrichtet das Arbeitsamt auf Antrag der zuständigen Einzugsstelle Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie Beiträge zur BA, die auf Arbeitsentgelte für die letzten die Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses entfallen und bei Eröffnung des Konkursverfahrens noch nicht entrichtet worden sind. Der Eröffnung des Konkursverfahrens steht bei Anwendung des § 141n AFG gleich: Die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Geltungsbereich dieses Gesetzes, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (§ 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG).
Das LSG hat zutreffend die Voraussetzungen des § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG bejaht.
Aus den Schulden des Arbeitgebers, den bei ihm geführten erfolglosen Pfändungsversuchen vor und nach dem Pächterwechsel sowie aus der von ihm abgegebenen Offenbarungsversicherung hat das Berufungsgericht geschlossen, daß ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kam. Die Beklagte hat weder die dazu getroffenen tatsächlichen Feststellungen gerügt, noch die hierauf gegründete Rechtsauffassung des LSG beanstandet. Ob die tatsächlichen Feststellungen, an die das Bundessozialgericht (BSG) nach § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebunden ist ergeben, daß die Konkurseröffnung offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kam, ist zwar von Amts wegen zu überprüfen. Da es sich aber um die Anwendung eines weitgefaßten unbestimmten Rechtsbegriffs handelt, muß dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum eingeräumt werden (BSGE 47, 180), der hier jedenfalls nicht überschritten ist.
Die Beklagte wendet sich in ihrer Revisionsbegründung nur noch gegen die Ansicht des LSG, in dem Pächterwechsel sei die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit iS des § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG zu sehen. Aber auch diese Ansicht des LSG ist nicht zu beanstanden.
§ 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG sagt zwar nicht ausdrücklich, ob unter der „Beendigung der Betriebstätigkeit” die Beendigung der Tätigkeit des Arbeitgebers oder die Beendigung der Tätigkeit des Betriebs als Organisation zu verstehen ist. Der gesetzliche Wortlaut und der Sinn der Konkursausfallgeld- (Kaug) Versicherung geben aber überzeugende Hinweise darauf, daß Kaug von der Beendigung der betriebsleitenden Tätigkeit des insolventen Arbeitgebers abhängig gemacht worden ist, nicht aber davon, daß der Betrieb nicht mehr in Funktion ist.
§ 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG spricht von der „vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit” und nicht – wie § 111 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz –BetrVG– – von der „Stillegung des ganzen Betriebs”. Schon das weist darauf hin, daß der zu § 111 BetrVG entwickelte Betriebsbegriff entgegen der Meinung der Beklagten nicht auf § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG übertragen werden kann. Unter der Stillegung eines Betriebes ist schon nach allgemeinem Sprachgebrauch die Aufgabe des Betriebszwecks unter gleichzeitiger Auflösung der Betriebsorganisation (BAG in AP Nr. 8 zu § 13 Kündigungsschutzgesetz) zu verstehen. Eine Betriebstätigkeit hingegen kann unabhängig von dem Schicksal des Betriebs beendet werden. Gegen eine Übertragung des Betriebsbegriffs des § 111 Nr. 1 BetrVG auf § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG spricht auch der unterschiedliche Zweck der beiden Vorschriften. Der Unterabschnitt des BetrVG, den § 111 BetrVG einleitet, hat den Zweck, die Arbeitsplätze und die soziale Stellung der Arbeitnehmer bei geplanten Betriebsänderungen nach Möglichkeit zu sichern (herrschende Meinung, vgl. Fitting/Auffahrt/Kaiser, Kommentar zum BetrVG, 12. Aufl, § 111 Rdnote 1). Die betriebsverfassungsrechtlichen Maßnahmen der §§ 112 f. BetrVG werden auf der Grundlage von Veränderungen des Betriebs als solchem durchgeführt. Der Unterabschnitt des AFG, in dem § 141b die Anspruchsvoraussetzungen formuliert, hat den Zweck, den Arbeitnehmer und die Finanzierung seiner Sozialversicherung (§ 141 n AFG) gegen die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zu versichern. Der Versicherungsfall tritt ein, wenn der Arbeitgeber nicht mehr in der Lage ist, den Lohn für die Vergangenheit zu zahlen. Diese Entschädigung ist grundsätzlich unabhängig davon, ob der Betrieb, in dem der Arbeitnehmer den Lohn erarbeitet hat, über das Insolvenzereignis hinaus noch fortbesteht.
Hiergegen kann nicht erfolgreich eingewendet werden, daß der Übernehmer eines Betriebes nach § 613a Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch auch für rückständigen Lohn aufzukommen hat. Denn nach dieser Vorschrift könnte der neue Pächter für Rückstände nur aus den, wie schon der Wortlaut sagt, „im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen” in Anspruch genommen werden. Kaug ist aber nicht nur denjenigen Arbeitnehmern zu gewähren, deren Arbeitsverhältnis bis zum Insolvenzfall bestanden hat, sondern auch denjenigen, die vor dem Insolvenzfall aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, aber noch ausstehende Lohnansprüche haben. Das hat das Fünfte Änderungsgesetz vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189) durch die Ergänzung des § 141b Abs. 2 AFG klargestellt (vgl. BT-Drucks 8/2624 S 30 zu Nr. 48a). Aber selbst wenn die Beiträge für Arbeitsverhältnisse gefordert werden, die zZt des Pächterwechsels noch bestanden, ist der Anspruch der Klägerin nicht zu bestreiten. Denn die Ansprüche auf Beiträge sind ebenso wie der Anspruch auf Kaug (vgl. Gagel/Jülicher, Kommentar zum AFG, 1979 § 141a Anm. 11) unabhängig davon, ob neben dem insolvent gewordenen Arbeitgeber noch ein anderer Rechtsträger in Anspruch genommen werden könnte.
Es ist allerdings einzuräumen, daß der Insolvenzfall der offensichtlichen Masseunzulänglichkeit mit größerer Sicherheit festgestellt werden könnte, wenn nicht nur die persönliche betriebliche Tätigkeit des Arbeitgebers, sondern auch die Betriebstätigkeit als solche beendet sein müßte. Gewiß wäre es dann auch schwerer, Kaug mißbräuchlich in Anspruch zu nehmen, wie dies bei einem nach außen nicht in Erscheinung tretenden Wechsel in der Leitung des Betriebes – und besonders bei einem Wechsel von Unterpächtern – denkbar ist. Diese Möglichkeit rechtfertigt es aber nicht an den Insolvenzfall des § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG zu Lasten der wirklich insolvent gewordenen Arbeitgeber und der Arbeitnehmer größere Anforderungen zu stellen, als dies dem Wortlaut und dem erkennbaren Sinn des Gesetzes entspricht. Im übrigen ist im vorliegenden Fall nichts festgestellt – und auch nichts vorgetragen –, was auf eine mißbräuchliche Inanspruchnahme der Kaug-Versicherung hindeuten könnte. Daß der wirkliche Arbeitgeber nicht der insolvent gewordene Unterpächter, sondern die zahlungsfähig gebliebene Pächterin gewesen sei, hat die Beklagte nicht behauptet.
Das angefochtene Urteil ist daher zu bestätigen, und zwar auch hinsichtlich der Verzugszinsen nach § 397a Abs. 2 RVO (vgl. Gagel/Jülicher, aaO, § 141n Anm. 7).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen