Leitsatz (redaktionell)
Pflegekind im Haushalt eines Ehepaares - Nicht unerheblicher Beitrag zum Unterhalt - Berufsausbildungsbeihilfe.
Normenkette
RVO § 1262 Abs. 2 Nr. 7
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 4. Juni 1965 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der am 10. Mai 1966 gestorbene ursprüngliche Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 1962 bis zum 30. September 1965 Kinderzuschuß für ein Pflegekind zu seiner Versichertenrente beanspruchen konnte (§ 1262 Abs. 1 und 2 Nr. 7 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Der ursprüngliche Kläger bezog von der Beklagten seit Oktober 1962 Rente aufgrund der am 20. April 1962 eingetretenen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte die Gewährung eines Kinderzuschusses für das am 25. Februar 1946 geborene Kind Wolfgang K ab, weil nach den Einkommensverhältnissen der Familie nicht festzustellen sei, daß der ursprüngliche Kläger zum Unterhalt des Kindes nennenswert beigetragen habe (Bescheid vom 14. Februar 1964).
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte im April 1962 der ursprüngliche Kläger einen monatlichen Bruttoverdienst von 450,- DM. Seine Ehefrau hatte ein wöchentliches Nettoeinkommen von 60,- DM bis 70,- DM. Das Kind erhielt monatlich von seinem Erzeuger 72,- DM an Unterhalt, ferner seit dem 1. April 1962 auch eine Lehrlingsbeihilfe von 50,- DM, später 70,- DM bzw. 80,- DM bzw. 100,- DM sowie seit Oktober 1962 eine Berufsausbildungsbeihilfe vom Arbeitsamt in wechselnder Höhe von monatlich 30,- DM, 20,- DM (ab April 1963), 10,- DM (Dezember 1963 bis Februar 1964) und 60,- DM (seit März 1964).
Das Sozialgericht (SG) Itzehoe hat die Klage des ursprünglichen Klägers abgewiesen (Urteil vom 21. September 1964). Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat seine Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 4. Juni 1965). Es hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt, die Höhe des Gesamtaufwands für das Kind hänge davon ab, was es nötig und wieviel es selbst an Einkünften gehabt habe (Hinweis auf die Bewertung von Sachbezügen in BABl 1964, 205; BSG 21, 155). Wenn man mit dem Kläger meinen würde, sicher feststellen zu können, daß für den Unterhalt des Kindes monatlich 180,- DM aufgewendet worden seien, könne doch nicht festgestellt werden, daß der ursprüngliche Kläger nicht unerheblich zum Unterhalt des Kindes beigetragen habe. Bei den monatlichen Einkünften des Kindes von 152,- DM in der Zeit von Oktober bis Dezember 1962 liege die zum Gesamtaufwand erforderliche Zuzahlung von 28,- DM erheblich unter 25 v.H. des Mindestbedarfs. Es beständen Bedenken, Unterhaltsbeiträge der Ehefrau für das Kind in bar oder Dienstleistungen als Unterhaltsbeitrag des ursprünglichen Klägers anzusehen. Der Zuschuß für das Kind stamme aus Mitteln beider Eheleute und nicht allein vom ursprünglichen Kläger. Gemäß § 1262 Abs. 7 RVO - wonach der Kinderzuschuß nur bis zum Ende des Monats, in dem die Voraussetzungen des Anspruchs auf Kinderzuschuß entfallen, gewährt wird - müsse auch die Folgezeit beachtet werden. Die Einkünfte des Kindes hätten zwar geschwankt, doch habe es seit Oktober 1962 nie Einkünfte von weniger als 140,- DM monatlich gehabt. Auch ein Zuschuß von höchstens 40,- DM monatlich liege unter 25 v.H. des Gesamtaufwands.
Der ursprüngliche Kläger hat Revision eingelegt. Seine Witwe führt den Rechtsstreit weiter. Sie beantragt, das Urteil des LSG und das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 1964 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für die Zeit vom 1. Oktober 1962 bis zum 30. September 1965 - Ende der Lehrzeit - einen Kinderzuschuß zur Versichertenrente zu gewähren.
Die Revision ist der Auffassung, es sei auf den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen. Das Kind habe bis Ende März 1962 nur den Unterhalt seines Erzeugers von 72,- DM monatlich bezogen. Ab 1. April 1962 sei die Lehrlingsbeihilfe dazugekommen. Zur Zeit des Versicherungsfalles habe das Kind monatlich nur 122,- DM gehabt. Bei einem monatlichen Gesamtaufwand von 180,- DM seien die fehlenden 58,- DM als wesentlich anzusehen, und zwar auch dann, wenn man berücksichtige, daß die mitverdienende Ehefrau zum Familieneinkommen beigetragen habe. Die Berufsausbildungsbeihilfe des Arbeitsamts sei erst später wegen der durch die Erwerbsunfähigkeit des ursprünglichen Klägers bedingten Einkommensänderung gewährt worden. Sie dürfte nicht mitberücksichtigt werden, weil sie nur subsidiär bei Vorliegen von Bedürftigkeit gewährt werde. Die mit der Erwerbsunfähigkeit einhergehende Veränderung des Familieneinkommens könne nicht dazu führen, den Anspruch auf Kinderzuschuß deshalb zu verneinen, weil eine andere Stelle subsidiär die fehlenden Unterhaltskosten für das Pflegekind übernehme.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie ist der Auffassung, die Voraussetzungen der Pflegekindeigenschaft nach § 1262 Abs. 2 Nr. 7 RVO müßten nicht nur bei Eintritt des Versicherungsfalles vorgelegen haben, sondern auch für die Bezugsdauer des beanspruchten Kinderzuschusses gegeben sein. Der Anspruch entfalle, wenn sich im Laufe des Rentenbezugs die Einkommensverhältnisse des Kindes so änderten, daß der Unterhaltsbeitrag des Berechtigten nicht mehr als wesentlich angesehen werden könne. Es komme nicht auf den Rechtsgrund und Rechtscharakter der zur Vermehrung des Einkommens des Kindes führenden Zuwendungen an, weil nach § 1262 Abs. 2 Nr. 7 RVO lediglich die tatsächlichen Verhältnisse zugrunde zu legen seien.
Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).
II
Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, es könne nicht festgestellt werden, daß der ursprüngliche Kläger nicht unerheblich zum Unterhalt des Kindes beigetragen habe.
Nach § 1262 Abs. 1 RVO erhöhen sich unter bestimmten Voraussetzungen die Rente wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit und das Altersruhegeld für jedes Kind um den Kinderzuschuß. Als Kinder gelten u.a. auch Pflegekinder im Sinne des § 1262 Abs. 2 Nr. 7 RVO. Diese Vorschrift ist hier iVm § 2 Abs. 1 Satz 3 des Kindergeldgesetzes (KGG) idF vom 27. Juli 1957 anzuwenden; denn der zu beurteilende Sachverhalt ist während der Geltung dieser Fassung eingetreten (Art. VII KGG, § 47 des Bundeskindergeldgesetzes - BKGG -; BSG 12, 35). Im übrigen bringt die Neufassung des § 1262 Abs. 2 Nr. 7 RVO durch § 36 Abs. 2 BKGG keine inhaltliche Änderung. § 1262 Abs. 7 RVO, wonach der Kinderzuschuß von Beginn des Monats an, in dem die Voraussetzungen des Anspruchs erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem sie entfallen, gewährt wird, ist unverändert geblieben.
Danach ist Voraussetzung für die Gewährung des Kinderzuschusses, daß ein Pflegekindschaftsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalls begründet worden ist und daß es während der Zeit, für die Kinderzuschuß begehrt wird, fortbesteht. Für das Bestehen eines Pflegekindschaftsverhältnisses müssen in der Person des Kinderzuschuss-Begehrenden drei Voraussetzungen erfüllt sein: das Kind muß in seinen Haushalt aufgenommen sein, ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band muß zwischen ihm und dem Kind bestehen und er muß zum Unterhalt des Kindes nicht unerheblich beitragen. Bei einem Pflegekind im Haushalt eines Ehepaares müssen die Voraussetzungen gerade in der Person des den Kinderzuschuß Begehrenden erfüllt sein (vgl. BSG in SozR Nr. 13 zu § 2 KGG).
Das LSG ist von der richtigen Rechtsauffassung ausgegangen, daß ein Unterhaltsbeitrag der Ehefrau des Rentners in Form von Dienstleistungen oder Barleistungen auf ihrem eigenen Arbeitsverdienst nicht dem Rentner - das ist hier der ursprüngliche Kläger - als dessen Unterhaltsbeitrag zugerechnet werden kann. Es hat dazu festgestellt, daß der Zuschuß zum Gesamtaufwand für Wolfgang K aus Mitteln beider Ehegatten und nicht allein vom ursprünglichen Kläger stammte.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat schon entschieden, daß ein nicht unerheblicher Unterhaltsbeitrag im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG jedenfalls dann vorliegt, wenn der Unterhaltsbeitrag sowohl seinem Betrag nach als auch im Verhältnis zum Gesamtaufwand für das Kind ins Gewicht fällt (BSG 21, 155 und Urteil vom 16. Februar 1968 - 7 RKg 13/65 -); es hat dies bei einem zusätzlichen Aufwand des Pflegevaters von monatlich 40,- bis 50,- DM zum Einkommen des Kindes von 130,- DM bis 140,- DM bei einem Gesamtaufwand für das Kind von 180,- DM bejaht; dieser Beitrag des Pflegevaters sei mit rund 25 v.H. des Gesamtaufwands ein wesentlicher Beitrag.
Der Senat braucht sich hier nicht näher damit auseinanderzusetzen, wo die Grenze zwischen einem "nicht unerheblichen" und einem unerheblichen Beitrag zum Unterhalt zu ziehen ist, ob ein Betrag schon dann nicht unerheblich ist, wenn er mehr ausmacht, als ein bloßes Taschengeld oder Gelegenheitsgeschenke (vgl. Verbandskommentar zur RVO, 6. Auflage, Anm. 11 - zu 3 - zu § 1262 RVO), ob er in einem bestimmten prozentualen Verhältnis zum Gesamtaufwand des Pflegekindes stehen muß und ob bei der nominellen Höhe (s. BSG 21, 155, 156) im Hinblick auf die in § 1262 Abs. 8 RVO ausgedrückte Funktion des Kinderzuschusses - Verwendung für das Kind (SozR Nr. 7 zu § 1262 RVO) - auch ein bestimmtes Verhältnis des Unterhaltsbeitrags zur Höhe des Kinderzuschusses nicht unterschritten werden soll. Hier kann nämlich für die streitige Zeit - 1. Oktober 1962 bis 30. September 1965 - nicht bejaht werden, daß die Voraussetzung der Leistung eines "nicht unerheblichen" Beitrags zum Unterhalt des Kindes durch den früheren Kläger erfüllt ist.
Der Revision kann zugegeben werden, daß Anfang April 1962 vor Eintritt des Versicherungsfalls die Pflegeeltern zu den Einkünften des Pflegesohnes von 72,- und 50,- DM wertmäßig zum Gesamtaufwand noch etwa 60,- DM beizusteuern hatten und daß ein vor Eintritt des Versicherungsfalls begründetes Pflegekindschaftsverhältnis nicht dadurch wieder wegfällt (§ 1262 Abs. 7 RVO), daß der Pflegevater den vor Eintritt des Versicherungsfalles geleisteten Unterhaltsbetrag wegen Verschlechterung seiner Einkommensverhältnisse im Zusammenhang mit dem Versicherungsfall nicht mehr unverändert fortsetzen kann. Insofern soll der Kinderzuschuß an die Stelle des fortgefallenen höheren Einkommens des Rentners treten. Hier ist die Lage jedoch anders. Daß seit dem 1. Oktober 1962 ein etwa vor Eintritt des Versicherungsfalls begründetes Pflegekindschaftsverhältnis nicht mehr bejaht werden kann, ist in der Erhöhung der eigenen Einkünfte des Kindes durch die Berufsausbildungsbeihilfe begründet. Diese stand uneingeschränkt für das Kind zur Verfügung (zu den Voraussetzungen von Berufsausbildungsbeihilfe des Arbeitsamts für ein Pflegekind vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1961 - 7 RAr 20/60 - in SozR Nr. 1 zu § 137 AVAVG). Insoweit brauchte der ursprüngliche Kläger keinen Beitrag zum Unterhalt des Kindes zu leisten, gleichgültig ob er noch Arbeitseinkommen hatte oder nicht.
Der zusätzliche Aufwand zu den Einkünften des Kindes bis zur Deckung des Gesamtaufwands lag in der Zeit zwischen Oktober 1962 und September 1965 je nach Höhe der Lehrlingsbeihilfe, der Berufsausbildungsbeihilfe und nach Wegfall des Erzeugerunterhalts etwa zwischen 18,- und im Höchstfalle - nur in den Monaten März bis Dezember 1964 - 40,- DM monatlich. Da dieser zusätzliche Aufwand aber aus Mitteln des ursprünglichen Klägers und seiner Ehefrau bestritten wurde, also nicht vom ursprünglichen Kläger allein stammte, überschritt, wie vom LSG mit Recht ausgeführt, der Anteil des ursprünglichen Klägers wertmäßig nicht feststellbar einen Betrag, der als unerheblicher Beitrag des ursprünglichen Klägers anzusehen ist.
Somit kann nicht festgestellt werden, daß die Voraussetzungen eines Pflegekindschaftsverhältnisses - der nicht unerhebliche Beitrag zum Unterhalt des Pflegekindes durch den Kinderzuschuß-Begehrenden - während der Zeit vom Oktober 1962 bis September 1965 erfüllt war (§ 1262 Abs. 2 Nr. 7, Abs. 7 RVO).
Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen