Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Der Kläger ist der Sohn und Rechtsnachfolger der 1974 verstorbenen Elsa V… (V.). Diese war die Witwe des 1907 geborenen und 1945 gefallenen Buchhalters Friedrich V…
Bereits am 25. August 1958 hatte Elsa V. die Beklagte schriftlich gebeten, ihr einen Antrag auf Witwenrente nach ihrem Ehemann zuzusenden. Dem entsprach die Beklagte. Unter dem 20. Januar 1959 mahnte die Beklagte Elsa V. an und führte aus, sie werde dann, "wenn von Ihnen bis zum 20. Februar 1959 eine Antwort nicht eingeht (an)nehmen, daß Sie darauf verzichten, Ihren Rentenantrag weiter zu verfolgen. Für diesen Fall sehen wir Ihren Rentenantrag als erledigt an". Hierauf reagierte Elsa V. nicht.
Erst am 3. August 1972 ließ Elsa V. erneut Hinterbliebenenrente beantragen. Mit dem streitigen Bescheid vom 15. März 1973 bewilligte die Beklagte ab 1. September 1968 Witwenrente und führte aus, daß die Rentenleistungen bis August 1968 verjährt seien. Hiergegen klagte die Witwe nach erfolglosem Widerspruch.
Sozialgericht (SG) und Landessozialgericht (LSG) haben die Klage abgewiesen, letzteres aber auch die Revision zugelassen. In der Begründung führt dieses Gericht aus, sofern durch das Schreiben vom 25. August 1958 tatsächlich eine Unterbrechung der Verjährung eingetreten sei, habe diese in entsprechender Anwendung des § 211 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dadurch geendet, daß die Witwe das Rentenverfahren von 1958 an nicht mehr weiter betrieben habe.
Mit der Revision verfolgt der Rechtsnachfolger der inzwischen verstorbenen Witwe den Hinterbliebenenrentenanspruch für eine Zeit vor dem 1. September 1968 weiter. Er ist der Auffassung, das LSG habe offensichtlich die erste Antragstellung der Witwe vom August 1958 übersehen. Ferner habe es übersehen, daß es gegen Treu und Glauben verstoße, wenn sich die Beklagte im vorliegenden Fall auf Verjährung berufe. Die Beklagte hätte seinerzeit das von der Witwe in Gang gesetzte Verfahren weiterbetreiben und mit rechtsmittelfähigem Bescheid abschließen müssen. Ein "bloßes Weglegen" habe das Verfähren nicht beendet.
Der Kläger beantragt,das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. März 1977 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 15. März 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 1974 zu verurteilen, die Hinterbliebenenrente in gesetzlicher Höhe ab 3. Januar 1958 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, sie, die Beklagte, habe in ihrem Schreiben vom 20. Januar 1959 deutlich zum Ausdruck gebracht, daß sie für den Fall, daß innerhalb der gesetzten Frist keine Angaben zum Rentenantrag eingehen würden, die Antragstellung als erledigt ansehen müsse. Danach habe sie, die Beklagte, davon ausgehen dürfen, daß die Rechtsvorgängerin des Klägers ihren Antrag nicht nur nicht weiterverfolgen, sondern ihn sogar als gegenstandslos betrachten wolle. In dieser Situation sei der Erlaß eines rechtsbehelfsfähigen Bescheides nicht geboten gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung für einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 205 des (AVG) i.V.m. § 29 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 31. Dezember 1975 geltenden Fassung (vgl. Art II §§ 4 Nr. 1, 23 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - SGB 1) verjährt der Anspruch auf Leistungen der Beklagten in vier Jahren nach der Fälligkeit, soweit das Gesetz nichts anderes vorschreibt. Fällig ist ein Anspruch, wenn der Berechtigte die Erfüllung verlangen kann bzw. - bei wiederkehrenden Leistungen - wenn die monatlichen Einzelansprüche entstehen (Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts -BSG- vom 21. Dezember 1971 BSGE 34, 1 = SozRNr. 24 zu § 29 RVO). Die RVO enthält keine Vorschriften über die Unterbrechung der Verjährung; insoweit gelten daher die Vorschriften des BGB entsprechend. Da § 209 BGB nach § 220 Abs. 1 BGB auch für den Fall anwendbar ist, daß der Anspruch vor einer Verwaltungsbehörde geltend zu machen ist, hat der - wenn auch unvollständige - Antrag Elsa V.'s vom 25. August 1958 auf Gewährung von Witwenrente nach ihrem 1945 gefallenen Ehemann Friedrich V. die bereits laufende Verjährung des Witwenrentenanspruchs unterbrochen. Diese Unterbrechung hatte jedoch nicht über den 20. Februar 1959 hinaus angedauert. Bis zu diesem Termin hatte die Beklagte nämlich Elsa V. schriftlich Frist gesetzt, ihren bereits im August des Vorjahres gestellten, von der Beklagten unter dem 20. Januar 1959 zur Vervollständigung angemahnten Rentenantrag nach § 204 AVG i.V.m. § 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO einzureichen; die Beklagte konnte nur auf einen solchen Antrag Elsa V.'s ein Verfahren zur Feststellung von Witwenrente in Gang setzen. Über den Ablauf des 20. Februar 1959 dauerte die durch den Antrag Elsa V.'s bewirkte Unterbrechung der Leistungsverjährung nämlich deswegen nicht fort, weil mit diesem Tag das von der Witwe zunächst in Gang gesetzte Rentenfeststellungsverfahren nach § 220 Abs. 1 i.V.m. § 211 Abs. 1 BGB "anderweitig erledigt" war. In bezug auf die Feststellung einer Leistung durch den Träger der Rentenversicherung ist der vom Gesetz vorgeschriebene Antrag Ausdruck der "stärksten Form der Mitwirkung der Rentenversicherten" (Koch/Hartmann/Casselmann, Die Rentenversicherung im Sozialgesetzbuch, § 60 SGB 1, Rdnr. 9). Der Rentenantrag fällt sonach unter die gesetzlichen Mitwirkungspflichten des Versicherten (Hinterbliebenen), die zwar erst in den §§ 60 ff. SGB 1 ausdrücklich zusammenfassend geregelt worden sind, hinsichtlich derer der Gesetzgeber aber davon ausging, daß er mit ihnen allein "Übereinstimmung mit dem (bereits) geltenden Recht aller Sozialleistungsbereiche" herbeiführte (Amtliche Begründung, BT-Drucks. 7/86833). Es liegt auf der Hand, daß die Verletzung von dem Versicherten (Hinterbliebenen) im Rentenfeststellungsverfahren gesetzlich auferlegten Mitwirkungspflichten auch rechtliche Folgen haben muß. Zwar treffen den Kläger im vorliegenden Fall noch nicht die weitreichenden Sanktionen, die der § 66 SGB 1 an die unterlassene Mitwirkung knüpft (z.B. Versagung oder Entziehung von Renten). Andererseits kann der Umstand, daß Elsa V. zwar Rente - unvollständig - beantragt, diesen Antrag aber trotz dringender schriftlicher Aufforderung des Versicherungsträgers nicht weiterbetrieben und - was nur sie allein hätte tun können - durch die noch erforderlichen Angaben ergänzt hat, nicht rechtlich folgenlos geblieben sein. Zu Recht hat sich die Beklagte wegen der fehlenden Mitwirkung Elsa V.'s berechtigt gesehen, den unvollständig gestellten Antrag im Sinne des § 211 Abs. 1 BGB als "anderweitig erledigt" zu betrachten. Es ist auch nicht ersichtlich, wie die Beklagte im Hinblick auf die zur Verbescheidung des Leistungsantrages erforderlichen Angaben, die allein Elsa V. hätte liefern können, rechtlich in der Lage hätte gewesen sein können, das Verfahren von Amts wegen weiter zubetreiben und abzuschließen. Auch konnte es der Beklagten im Hinblick auf die Vielzahl der von ihr zu betreuenden Versicherten und Hinterbliebenen nicht zugemutet werden, das Rentenfeststellungsverfahren trotz schlüssiger Weigerung des Antragstellers, hieran im erforderlichen und zumutbaren Umfang mitzuwirken, auf unbegrenzte Dauer in Schwebe m halten.
Mithin hatte die Beklagte nach Ablauf der bis zum 20. Februar 1959 gesetzten Frist entgegen der Auffassung des Klägers nicht mehr über den Antrag Elsa V.'s durch Rentenfeststellungsbescheid zu entscheiden. Das Verfahren war bereits anderweitig erledigt und die Unterbrechung damit beendet. Zugleich begann mit diesem Zeitpunkt entsprechend dem Grundgedanken des § 217 BGB eine neue Verjährung zu laufen (so auch Krause/von Maydell/Merten/Maydam, GK-SGB IV, § 25 Rdnr. 17, m.w.N., und Hauck/Haines, SGB IV 1, KC 25, Rdnr. 6). Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte auf den neuen, vollständigen Antrag der Witwe vom 3. August 1972 die Rente erst ab 1. September 1968 beginnen ließ.
Der Umstand, daß Elsa V. ihren ersten Antrag angeblich auf eine Belehrung durch eine dritte Behörde nicht weiterverfolgte, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Allenfalls könnte dies einen Amtshaftungsanspruch wegen falscher Auskunftserteilung gegen den Träger dieser Behörde begründen (vgl. dazu auch BSGE 40, 279 = SozR 2200 § 29 Nr. 4).
Das angefochtene Urteil trifft nach alledem zu, so daß die hiergegen eingelegte Revision mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG als unbegründet zurückzuweisen war.
Fundstellen