Leitsatz (amtlich)

Arbeitseinkommen iS von RVO § 1248 Abs 4 S 1 Buchst b ist der um die Betriebsausgaben verminderte Gewinn aus selbständiger Tätigkeit (Rohgewinn).

 

Normenkette

RVO § 1248 Abs. 4 S. 1 Buchst. b Fassung: 1973-03-30; SGB 4 § 15 S. 1 Fassung: 1976-12-23; AVG § 25 Abs. 4 S. 1 Buchst. b Fassung: 1973-03-30

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 27.06.1977; Aktenzeichen L 13 An 20/76)

SG Landshut (Entscheidung vom 04.12.1975; Aktenzeichen S 10 An 179/74)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 1977 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Entziehung und Rückforderung vorzeitigen Altersruhegelds für einige Monate.

Der 1909 geborene Kläger, Aussiedler aus Rumänien und Facharzt, ist Ende 1972 ins Bundesgebiet gelangt. Er war hier zunächst als angestellter Arzt tätig. Ab 1. Januar 1973 bewilligte ihm die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) das vorzeitige Altersruhegeld wegen Vollendung des 63. Lebensjahres.

Unter dem 29. April 1974 teilte der Kläger der Beklagten mit, daß er am 1. April 1974 eine kassenärztliche Praxis eröffnet habe, die für den Anlauf einige Monate brauchen werde. Auch werde es über drei Monate dauern, bis er die erste Abrechnung der Kassenärztlichen Vereinigung erhalte.

Mit dem streitigen Bescheid vom 25. Juni 1974 stellte die Beklagte fest, daß das Altersruhegeld des Klägers mit Ende März 1974 weggefallen sei und forderte die nach ihrer Meinung von April bis einschließlich Juni 1974 überzahlte Rente mit fast 4.000,- DM zurück.

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) diesen Bescheid aufgehoben, das Landessozialgericht (LSG) dagegen wiederhergestellt. Im angefochtenen Urteil vom 27. Juni 1977 ist das LSG der Meinung, die tatsächlichen monatlichen Einkünfte des Klägers hätten in der streitumfaßten Zeit von April bis Juni 1974 tatsächlich weit über 750,- DM gelegen. Dies hätte der Kläger bei gewissenhafter Einschätzung der Umstände auch voraussehen müssen. Der Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld sei daher ab April 1974 entfallen. Auch die Rückforderung der überzahlten Rente sei nicht zu beanstanden, weil der Kläger schon im Bewilligungsbescheid über das Entfallen des Anspruchs bei unzulässigem Hinzuverdienst und über die Anzeigepflicht bei Aufnahme einer Tätigkeit belehrt worden sei.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision bringt der Kläger vor, der Gesetzgeber habe bewußt darauf abgestellt, den Anspruch auf flexibles Altersruhegeld dann zu bejahen, wenn in den jeweils zu beurteilenden monatlichen Zeiträumen ein rentenunschädliches Einkommen tatsächlich bezogen worden sei. So aber habe es sich bei ihm, dem Kläger, nicht verhalten. Durch das nachträglich und rückwirkend im Oktober ausgezahlte Honorar habe er erstmals Kenntnis über die Höhe seines Einkommens erhalten.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 1977 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 4. Dezember 1975 als unbegründet zurückzuweisen;

sämtliche außergerichtlichen Kosten der Beklagten aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision führt zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Nach § 25 Abs 4 Buchst. b des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - (= § 1248 Abs 4 Buchst b der Reichsversicherungsordnung - RVO -) in der ab 1. Januar 1973 geltenden, hier anzuwendenden Fassung des Vierten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (4. RVÄndG) vom 30. Mai 1973 - die Neufassung durch das Zwanzigste Rentenanpassungsgesetz (20. RAG) vom 27. Juni 1977 gilt erst ab 1. Juli 1977 (Art 3 § 6 aaO) - hat bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Altersruhegeld wegen Vollendung des 63. Lebensjahres ua neben einer Erwerbstätigkeit nur, wessen Arbeitseinkommen durchschnittlich im Monat drei Zehntel der für die Monatsbezüge geltenden Beitragsbemessungsgrenze, dh für das Jahr 1974 monatlich 750,- DM nicht übersteigt.

Entgegen der Ansicht des LSG versteht das Gesetz unter "Arbeitseinkommen" nicht das Nettoarbeitseinkommen, sondern das Bruttoarbeitseinkommen. Für das Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit kann insoweit nichts anderes gelten als für das "Entgelt" aus abhängiger Beschäftigung; § 1248 Abs 4 Buchst b RVO hebt ja auf "Entgelt oder Arbeitseinkommen" ab. Hinsichtlich des Entgelts ist indessen klar, daß der Entgeltbegriff des § 160 RVO in der bis zum 30. Juni 1977 geltenden Fassung (Art II §§ 1 Nr 1 Buchst a, 21 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB 4) zugrunde zu legen ist; Entgelt im Sinne des § 160 aaO iVm dem Gemeinsamen Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers - Gemeinsamer Erlaß - vom 10. September 1944 (AN 281) ist das Bruttoentgelt (vgl für das ab 1. Juli 1977 geltende Recht §§ 14 und 15 SGB 4; vgl ferner zB Verbandskomm., 6. Aufl, § 1248, Anm 16). Dafür, daß für die Anwendung des § 1248 Abs 4 Buchst b RVO etwas anderes zu gelten hätte, liefert weder Wortlaut noch Sinn des Gesetzes einen Anhalt.

Ist hiernach auch bei Selbständigen vom Bruttoarbeitseinkommen auszugehen, so kann doch andererseits kein begründeter Zweifel daran bestehen, daß das Gesetz auf die um die Betriebsausgaben verminderten Einkünfte - den Rohgewinn - im Sinne des Einkommenssteuerrechts abstellt. Zwar hat dies erst § 15 SGB 4 eindeutig klargestellt; indessen läßt sich nicht annehmen, daß es sich für eine Zeit vor dem Inkrafttreten der Vorschrift anders hätte verhalten können; es könnte nicht einsichtig werden, inwieweit Ausgaben, die der Versicherte zur Erzielung von Einnahmen gemacht hat, zum Verlust des sogenannten flexiblen Altersruhegeldes führen könnten (vgl dazu auch SGB IV, hhg. vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Erläuterung bei § 15 aaO).

Dem angefochtenen Urteil sind keine Feststellungen zu der Frage zu entnehmen, wie hoch die um die Betriebsausgaben verminderten Einkünfte des Klägers - sein Gewinn - in den streitigen drei Monaten gewesen sind. Seine Betriebsausgaben können, da er als unlängst erst aus Rumänien zugewanderter Arzt vorgerückten Alters gerade erst eine ärztliche Praxis eröffnet hatte immerhin erheblich gewesen sein. Das LSG hat (auf S. 5 oben seines Urteils) auf den vom Kläger vorgelegten Einkommensteuerbescheid für 1974 und seine Gegenüberstellung von Einkommen und Betriebsausgaben Bezug genommen. Nach dieser Gegenüberstellung (Bl. 33 aaO) hat der Kläger im April 1974 einen Rohgewinn von 367,67 DM und in den beiden folgenden Monaten jeweils einen Verlust von mehreren hundert Mark erwirtschaftet. Zwar sind dem Kläger nach "Endabrechnung" durch die Kassenärztliche Vereinigung im Herbst 1974 möglicherweise auch für die hier streitige Zeit Einkünfte noch nachträglich zugeflossen. Wie sie sich - auch bei einer auf einen Durchschnitt ausgerichteten Betrachtung - auf die Monate April bis Juni 1974 verteilen und was nach Abzug der Betriebsausgaben dieser Monate als Arbeitseinkommen für den Kläger übrigbleibt, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Laut Steuerbescheid 1974 hatte der Kläger 1974 Einkünfte aus selbständiger Arbeit von 6.353,- DM; seine Steuerschuld war - unter zusätzlicher Berücksichtigung von Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit - auf 534,- DM festgesetzt.

Das Revisionsgericht kann die Feststellung, wie hoch das Arbeitseinkommen des Klägers im Sinne des § 25 Abs 4 Buchst b AVG in den streitbefangenen Monaten gewesen ist, nicht nachträglich treffen. Der Senat mußte daher das angefochtene Urteil aufheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverweisen, das die erforderlichen Feststellungen nunmehr nachzuholen haben wird (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Das SG hat in seinem Urteil (auf S. 3 Abs 6) als Gegenstand der Streitsache bezeichnet "ob die Beklagte zu Recht dem Kläger das vom 1. April bis 30. Juni 1974 gewährte Altersruhegeld entzogen und zurückgefordert hat". Dagegen ist das LSG, vor dem der Kläger "Zurückweisung der Berufung der Beklagten" beantragt hat, eingangs seines Urteils davon ausgegangen, daß in bezug auf diese drei Monate allein "über die Rückforderung zuviel gezahlter Rente" zu entscheiden sei, der Streit im übrigen aber "über die Weitergewährung des flexiblen Altersruhegeldes über Ende Juni hinaus bis Ende September 1974" gehe. Im Zuge seiner neuen Entscheidung wird das LSG auch das Begehren des Klägers klarzustellen haben.

Bei seiner neuen Entscheidung wird das LSG ferner abschließend über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu befinden haben (§ 193 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651794

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