Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidung des LSG über einen nach ausländischem Recht bestehenden Unterhaltsanspruch ist nicht revisibel.
2. Aus sonstigen Gründen iS von § 65 S 1 RKG (= § 1265 S 1 RVO) besteht eine auf ausländisches Recht zurückgehende Unterhaltspflicht auch dann, wenn sie nicht zZt des Todes des Versicherten in einem vollstreckbaren Titel konkretisiert war (Anschluß an BSG 1979-01-31 11 RA 22/78 = SozR 2200 § 1265 Nr 38 und BSG 1979-10-25 4 RJ 129/78 = SozR 2200 § 1265 Nr 46; Fortführung von BSG 1983-06-23 5a RKn 3/82).
Normenkette
SGG § 162 Fassung: 1974-07-30; RKG § 65 S 1 Alt 2; RVO § 1265 S 1 Alt 2
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 10.05.1983; Aktenzeichen L 6 KnV 2336/81) |
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 04.09.1981; Aktenzeichen S 2 KnV 375/80) |
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch auf die sog Geschiedenenwitwenrente.
Die im September 1919 geborene Klägerin heiratete 1940 im damaligen Protektorat den 1911 geborenen Versicherten Eugen . Die Ehe wurde durch rechtskräftiges Urteil des Volksgerichts in K. vom 24. Juni 1960 ohne Schuldausspruch geschieden. Die Erziehung des 1943 geborenen Sohnes wurde der Klägerin übertragen. Der Versicherte, der ab Mai 1957 Teilrente sowie ab Juni 1962 eine Invalidenrente bezog und am 30. April 1963 verstarb, leistete der Klägerin bis zu seinem Tode keinen Unterhalt. Die Klägerin siedelte 1967 in die Bundesrepublik über und ist Inhaberin des Ausweises A für Vertriebene und Flüchtlinge.
Ein erstes Rentenantragsverfahren endete in der Berufungsinstanz durch Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, einen nach Vollendung des 60. Lebensjahres erneut zu stellenden Antrag zu prüfen. Diesen 1979 gestellten Antrag lehnte sie durch Bescheid vom 25. Oktober 1979 wiederum mit der Begründung ab, der Versicherte sei der Klägerin zur Zeit des Todes nicht unterhaltspflichtig gewesen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 1980).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide am 4. September 1981 verurteilt, der Klägerin ab 1. Oktober 1979 Geschiedenenwitwenrente zu gewähren. Gestützt auf § 65 Satz 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) hat das SG ausgeführt, der Versicherte hätte der Klägerin zur Zeit seines Todes Unterhalt aus sonstigen Gründen zu leisten gehabt, wenn man, wie es § 65 Satz 2 Nr 1 RKG erfordere, die Erwerbsverhältnisse des Versicherten und das Einkommen der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit unberücksichtigt lasse, weil nach § 34 des damals geltenden tschechischen Familienrechtsgesetzes die ohne Schuldausspruch geschiedene bedürftige Ehefrau vom leistungsfähigen Ehemann ebenso Unterhalt verlangen konnte wie im Falle der Scheidung aus Mitverschulden beider Eheleute.
Das Landessozialgericht (LSG) hat, nachdem die Beteiligten auf seine Anregung hin die Anerkennung des tschechischen Ehescheidungsurteils durch den Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen herbeigeführt hatten, die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 10. Mai 1983 zurückgewiesen: Der Versicherte sei der Klägerin zur Zeit seines Todes sowohl nach deutschem als auch nach tschechischem Recht unterhaltspflichtig gewesen, weil die Eheleute zur Zeit der Scheidung sowohl die tschechische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hätten.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 65 Satz 2 Nr 1 RKG und macht geltend, eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten habe weder nach deutschem noch nach tschechischem Unterhaltsrecht bestanden. Da die Ehe der Klägerin ohne Schuldausspruch auf ihren Antrag hin geschieden worden sei, habe sie nach § 61 Abs 2 des Ehegesetzes von 1946 einen Unterhaltsanspruch nicht erworben. Eine Unterhaltsverpflichtung nach tschechischem Recht komme schon deshalb nicht in Betracht, weil er tituliert sein müsse. § 34 des Familienrechtsgesetzes der Tschechoslowakei sehe im übrigen nur einen Unterhaltsanspruch des nichtschuldig oder mitschuldig geschiedenen Ehegatten vor; der übereinstimmende Verzicht auf einen Schuldausspruch sei als gegenseitiger Unterhaltsverzicht zu werten.
Die Beklagte beantragt, die Klage unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen. Die Vorinstanzen haben die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren, weil der Versicherte der Klägerin zur Zeit seines Todes aus sonstigem Grunde Unterhalt iS von § 65 Satz 1 RKG zu leisten hatte und auch die Anspruchsvoraussetzungen des Satzes 2 der Vorschrift im streitigen Zeitraum erfüllt sind.
Der Senat läßt dahingestellt, ob der Versicherte der Klägerin zur Zeit seines Todes im Hinblick auf die Doppelstaatsangehörigkeit beider Ehegatten Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes von 1946 zu gewähren hatte. Offen kann deshalb auch bleiben, ob die Rechtskraft des in der Bundesrepublik Deutschland anerkannten tschechischen Ehescheidungsurteils die Feststellung umfaßt, daß die Ehe ohne Schuldausspruch geschieden ist (so BGH in FamRZ 1976 S 614, 615) und ob deshalb die in Anlehnung an die Entscheidung des erkennenden Senats vom 20. Januar 1976 (SozR 2200 § 1265 Nr 13) vom LSG aus den Gründen des Ehescheidungsurteils hergeleitete eigene Schuldfeststellung unzulässig war. Selbst wenn sich nämlich aus dem einen oder anderen genannten oder aus einem sonstigen rechtlichen Gesichtspunkt ergeben sollte, daß der Versicherte der Klägerin zur Zeit seines Todes nicht nur wegen seiner und ihrer Erwerbsverhältnisse, sondern aus anderen rechtlichen Gründen nicht nach den Vorschriften des Ehegesetzes Unterhalt zu leisten hatte, so hatte dies doch aus sonstigen Gründen iS von § 65 Satz 1 RKG zu geschehen.
Insoweit ist davon auszugehen, daß eine Unterhaltsverpflichtung "aus sonstigen Gründen" auch auf ausländischem, materiellem Eherecht beruhen kann, und zwar unabhängig davon, ob nach dem deutschen internationalen Privatrecht auf den unterhaltsrechtlich gegebenen Sachverhalt das ausländische Recht anzuwenden war (BSGE 48, 3, 4 = SozR 2200 § 1265 Nr 38).
Nach den von der Revision nicht beanstandeten und somit gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für den Senat bindenden Feststellungen des LSG war dem Versicherten und der Klägerin von dem neugebildeten tschechoslowakischen Staat die Staatsangehörigkeit verliehen worden. Sie besaßen also sowohl im Zeitpunkt der Ehescheidung als auch zur Zeit des Todes des Versicherten neben der deutschen jedenfalls auch die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft und hielten sich beide im Hoheitsgebiet der CSSR auf. Unter diesen Voraussetzungen konnte die Klägerin gegen den Versicherten in der Zeit von 1960 (Ehescheidung) bis 1963 (Tod des Versicherten) im Hoheitsgebiet der CSSR Unterhalt nach Maßgabe des dort geltenden Rechts verlangen. Da das Ehescheidungsgericht auf Antrag beider Ehegatten der grundsätzlich bestehenden Verpflichtung enthoben war, im Scheidungsurteil das Verschulden an der Scheidung auszusprechen, hing der Unterhaltsanspruch nach tschechischem Recht (Gesetz Nr 265 über das Familienrecht vom 7. Dezember 1949, dort § 34) davon ab, ob die für nichtschuldig oder schuldig geschiedenen Ehegatten vorgeschriebene Unterhaltsregelung auch für Ehescheidungen ohne Verschuldensausspruch gilt. Diese vom LSG bejahte Frage ist indes der Entscheidung des Revisionsgerichts nicht zugänglich. Sie ist, da es sich insoweit nicht um die Auslegung von Bundesrecht, sondern um die Auslegung fremdstaatlichen Rechts handelt, nicht revisibel iS von § 162 SGG (vgl Meyer-Ladewig, SGG 2. Aufl, § 162 RdNr 6; Peters-Sautter-Wolf, Komm zur Sozialgerichtsbarkeit § 162 Anm 1 S III/81-45). Für das Revisionsgericht ist deshalb die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des ausländischen Rechts bindend.
Der erkennende Senat muß demgemäß davon ausgehen, daß die im tschechischen Recht vorgesehene Unterhaltsregelung für schuldig oder mitschuldig geschiedene Eheleute auch für Eheleute gilt, deren Ehe - wie im vorliegenden Fall - ohne Verschuldensausspruch geschieden worden ist. Kommt es aber nach § 65 Satz 2 Nr 1 RKG bei Beurteilung der Verpflichtung des Versicherten, der geschiedenen Ehefrau zur Zeit seines Todes Unterhalt aus sonstigen Gründen zu leisten, nicht auf die Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten und auch nicht auf die Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit an, und hatte die Klägerin nach den von der Revision nicht beanstandeten Feststellungen des LSG zur Zeit des Todes des Versicherten außer dem Einkommen aus ihrer Erwerbstätigkeit kein sonstiges Einkommen, so ist der vom LSG gezogene Schluß, sie habe gegen den Versicherten, dessen Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse außer Betracht zu bleiben hätten, zur Zeit seines Todes einen Unterhaltsanspruch nach materiellem tschechoslowakischem Recht gehabt, nicht zu beanstanden.
Der materielle Unterhaltsanspruch nach tschechischem Recht wäre nur dann nicht als sonstiger Grund iS von § 65 Satz 1 RKG zu betrachten, wenn es dazu - wie die Revision meint - der Qualifizierung durch einen Unterhaltstitel bedürfte. Das trifft jedoch nicht zu, wie der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits im Urteil vom 31. Januar 1979 (BSGE 48, 3, 5 = SozR 2200 § 1265 Nr 38, dort S 118) ausgeführt hat. Er hat darauf hingewiesen, daß die Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 27. Juni 1963 (BSGE 20, 1) zwar nur einen vollstreckbaren Unterhaltstitel betroffen, immerhin aber auch klargestellt habe, daß die Alternative des "sonstigen Grundes" keine Begrenzung auf bestimmte Rechtspositionen enthalte. Der Gesetzgeber habe damit neben den tatsächlichen Unterhaltsleistungen und den auf dem Ehegesetz beruhenden Verpflichtungen die anderen eine Unterhaltspflicht beinhaltenden Rechtspositionen erfassen wollen. Dazu seien auch Rechtspositionen zu rechnen, die ihre Grundlage lediglich im ausländischen materiellen Recht hätten, sofern sie den Versicherten zum Unterhalt an seine geschiedene Frau verpflichteten. Es bestehe nach Sinn und Zweck der Vorschrift - Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente - kein Anlaß, solche Positionen vom Begriff des "sonstigen Grundes" auszunehmen. Dieser Auffassung hat sich der 4. Senat des BSG im Urteil vom 25. Oktober 1979 (aaO Nr 46) - auch unter Hinweis auf BSGE 41, 160, 162 - und der erkennende Senat in dem nicht veröffentlichten Urteil vom 23. Juni 1983 (5a RKn 3/82) angeschlossen. Er hält an dieser Rechtsauffassung fest, weil der Gleichstellungsgedanke des Fremdrentengesetzes (FRG) wesentlich beeinträchtigt würde, wenn bei Vertriebenen die sich aus ausländischem materiellen Recht ergebenden Unterhaltsansprüche im Rahmen des § 65 Satz 1 RKG in geringerem Umfang berücksichtigt würden als die Unterhaltsansprüche nach dem deutschen Ehegesetz.
Da das LSG zutreffend davon ausgegangen ist, daß der Versicherte durch die Beschäftigung von 1947 bis 1957 im Bergbau die Wartezeit für die Knappschaftsrente iS von § 63 Abs 2 RKG erfüllt hat, ist die Beklagte zu Recht zur Gewährung der Geschiedenenwitwenrente vom Ablauf des Monats an verurteilt worden, in dem bei der Klägerin die letzte Voraussetzung für den Anspruch aus § 65 Satz 2 RKG - Vollendung des 60. Lebensjahres - eingetreten ist (§ 82 Abs 1 und 4 RKG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen