Entscheidungsstichwort (Thema)

Personalkauf. Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis

 

Orientierungssatz

Ausmessen einer Tür im eigenen Haus, die an die Stelle eines Fensters eingebaut werden sollte, ist keine dem Unfallversicherungsschutz unterliegende versicherte Tätigkeit, selbst wenn der Verletzte bei seiner beruflichen Tätigkeit als Akquisiteur eines Türen und Fenster vertreibenden Unternehmens, bei dem er die benötigte Tür kaufen wollte, ebenfalls mit dem Ausmessen von Türen und Fenstern beschäftigt ist.

 

Normenkette

RVO § 548 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 11.04.1984; Aktenzeichen L 17 U 75/83)

SG Dortmund (Entscheidung vom 17.02.1983; Aktenzeichen S 21 U 130/82)

 

Tatbestand

Der Kläger war im Außendienst der Firma M. Kunststoffe KG in W. tätig. Dieses Unternehmen vertreibt ua Kunststoff-Fenster und -Türen. Zur Tätigkeit des Klägers gehörte es, Aufträge für die Firma M. hereinzuholen, Kaufverträge abzuschließen und die dafür erforderlichen Ausmessungen vorzunehmen. Am 31. Juli 1981 beabsichtigte der Kläger, nach seiner Rückkehr vom Außendienst an seinem eigenen Haus Messungen für eine Tür vorzunehmen, die an die Stelle eines Fensters eingebaut und auf einen Anbau führen sollte, auf dem der Kläger einen Balkon zu errichten gedachte. Die Tür wollte der Kläger bei seinem Arbeitgeber kaufen, wobei er einen Rabatt von 25 vH (bei Einbau durch die Firma M. von 15 bis 17 vH) zu erwarten hatte. Beim Besteigen einer Leiter, um auf den Anbau zu gelangen, stürzte der Kläger ab und zog sich Verletzungen an den beiden oberen Extremitäten zu. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 26. April 1982 Entschädigungsansprüche aus Anlaß des Unfalls ab. Das vom Kläger beabsichtigte Ausmessen sei Teil seines privaten Bauvorhabens gewesen.

Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, unter Anerkennung des am 31. Juli 1981 erlittenen Unfalls als Arbeitsunfall Entschädigungsleistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren (Urteil vom 17. Februar 1983). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung des Klägers festgestellt, daß die Navikularfraktur beider Handgelenke Folge des Arbeitsunfalls vom 31. Juli 1981 ist (Urteil vom 11. April 1984). Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Ermittlung der Türmaße sei allerdings nicht nur durch berufliche, sondern in erheblichem Umfang auch durch private (eigenwirtschaftliche) Interessen des Klägers als Hauseigentümer geprägt gewesen. Solche Fälle, in denen ein und dieselbe Handlung sowohl aus beruflichen als auch aus eigenwirtschaftlichen Motiven vorgenommen werde, seien nach den Grundsätzen der gemischten Tätigkeit zu beurteilen und Versicherungsschutz nur zu versagen, wenn die privaten Belange derart überwiegen würden, daß ihnen gegenüber die Wahrnehmung beruflicher Interessen derart in den Hintergrund träten, daß sie lediglich als Nebenzweck anzusehen seien. Hier sei das aber zu verneinen. Denn die Ermittlung des Ausmaßes von Fenstern etc stelle einen nicht unbedeutenden Teil der beruflichen Tätigkeit des Klägers dar und gehöre damit zum wesentlichen Teil seiner beruflichen Verpflichtungen. Deshalb sei im vorliegenden Fall ein ausreichender rechtlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit zu bejahen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen damit begründet, daß das Ausmessen der Tür mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers in keinem rechtlich wesentlichen Zusammenhang gestanden habe. Der Schwerpunkt jener Tätigkeit habe eindeutig auf der Vermittlung von Kaufverträgen gelegen. Beim Kauf einer Tür für den eigenen Bedarf entfalle das wesentliche Merkmal seiner Berufstätigkeit, wie das Vermitteln von Aufträgen durch Aufsuchen von Kunden. Damit entfalle auch der rechtliche Anknüpfungspunkt für einen beruflichen Zusammenhang. Die Tür habe der Kläger nur deshalb ausmessen müssen, um festzustellen, welche Tür er konkret bei seinem Arbeitgeber bestellen mußte. Das Ausmessen diente damit seinen eigenwirtschaftlichen Interessen.

Die Beklagte beantragt, die Urteile des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. April 1984 sowie des SG Dortmund vom 17. Februar 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er trägt vor, daß sich der Unfall bei einer Tätigkeit ereignet habe, die ihrem Wesen nach dem Kreis der Verrichtungen zugerechnet werden müsse, derentwegen er als Akquisiteur bei der Beklagten versichert gewesen sei. Das Ausmessen von Kunststofffenstern und -Türen gehöre grundsätzlich zu seinen Aufgaben als Akquisiteur.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Der Kläger hat wegen der Folgen des am 31. Juli 1981 erlittenen Unfalls keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen; der Unfall war kein Arbeitsunfall.

Nach § 548 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Der Kläger war zwar aufgrund seines mit der Firma M. bestehenden Beschäftigungsverhältnisses nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Seine am 31. Juli 1981 zum Unfall führende Tätigkeit stand jedoch in keinem inneren Zusammenhang mit diesem Beschäftigungsverhältnis. Die Tätigkeit des Klägers als Akquisiteur für die Firma M. war dadurch gekennzeichnet, daß er für seinen Arbeitgeber Kunden warb und mit diesen Verträge über die Lieferung und erforderlichenfalls auch den Einbau von Fenstern und Türen abschloß. Im Rahmen dieser Tätigkeit ermittelte er bei den Kunden die Maße für die zu liefernden und gegebenenfalls auch einzubauenden Elemente. Eine im inneren Zusammenhang mit der Firma M. stehende akquisitorische Tätigkeit an sich selbst zu verrichten, kam bei dem vom Kläger geplanten Einbau einer Tür anstelle des vorhandenen Fensters nicht in Betracht. Der Entschluß, dies zu tun und die benötigte Tür bei seinem Arbeitgeber zu kaufen, entsprang seiner privaten Sphäre. Die losgelöst von der akquisitorischen Tätigkeit erforderliche Ermittlung der Maße für die von ihm zu kaufende Tür stand im engen Zusammenhang mit dem privaten Vorhaben des Klägers, zumal da vom LSG keine Feststellungen darüber getroffen worden sind, daß die Firma M. bei Einkauf von Fenstern und Türen durch ihre Beschäftigten die Ermittlung der Maße der zu kaufenden Elemente etwa als eine ihr obliegende Verpflichtung betrachtete. Allein die Tatsache, daß der Kläger die Maße selbst feststellen wollte, weil er dazu aufgrund seiner Beschäftigung bei der Firma M. dazu imstande war, macht dies nicht zu einer dem Aufgabenbereich der Firma M. zuzurechnenden versicherten Tätigkeit. Der beabsichtigte Einkauf bei der Firma M. und deren wirtschaftliches Interesse daran, vermag einen inneren Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis gleichfalls nicht herzustellen, denn der Kläger hat die Fenster nicht ausgemessen und den Kauf nicht beabsichtigt, um das Unternehmen seines Arbeitgebers zu fördern, sondern um eigene Bedürfnisse zu befriedigen, wobei dieser Kauf außerdem mit einem wirtschaftlichen Vorteil (Preisnachlaß) verbunden war (vgl BSG Urteile vom 14. Dezember 1967 - 2 RU 190/65 und 2 RU 220/66 -). Insoweit unterscheidet sich der Fall auch wesentlich von dem, der dem vom LSG zitierten Urteil des Senats vom 30. Juli 1975 (BSGE 40, 113) zugrunde lag; denn der als Unternehmer freiwillig versicherte Architekt hatte in dieser Eigenschaft die Bauleitung an dem seiner Ehefrau und ihm gehörenden Haus und dabei ua die Maßkontrolle übernommen, seine Tätigkeit stand demnach mit seinem Unternehmen in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang (BSGE aaO S 114).

Da der Kläger am 31. Juli 1981 keinen Arbeitsunfall erlitten hat, steht ihm kein Entschädigungsanspruch gegen die Beklagte zu. Die Urteile 1. und 2. Instanz waren deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664810

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