Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenversicherung. Krankengeldanspruch während des Bezugs einer Vollrente wegen Alters
Leitsatz (redaktionell)
§ 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V schließt bei Bezug der Vollrente wegen Alters jeglichen Krankengeldanspruch aus. Ein Versicherter kann daher kein Krankengeld beanspruchen, wenn er neben der Rente eine selbstständige Tätigkeit ausübt, hinsichtlich derer er arbeitsunfähig wird. Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz bestehen gegen diese Auslegung nicht.
Normenkette
SGB V §§ 44, 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23. November 2004 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über den Anspruch auf Zahlung von Krankengeld während des Bezugs einer Vollrente wegen Alters.
Die beklagte Innungskrankenkasse führt den am 5. Dezember 1927 geborenen Kläger seit Dezember 1992 als Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner. Seit Januar 1993 bezieht er Vollrente wegen Alters (Rentenhöhe im Dezember 2002: 761,30 €). Zusätzlich erzielte er als selbstständiger Inhaber eines Handwerksbetriebs über Dezember 1992 hinaus Arbeitseinkommen in Höhe von durchschnittlich 3.700 € pro Monat. Auf die ärztliche Bescheinigung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ab 21. Dezember 2002 hin lehnte es die Beklagte ab, Krankengeld zu gewähren: Da der Kläger Vollrente wegen Alters erhalte, sei der Anspruch gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V idF des Art 1 Nr 2 Buchst a und b des Dritten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – 3. SGB V-Änderungsgesetz – ≪3. SGB V-ÄndG≫ vom 10. Mai 1995, BGBl I 678, in Kraft getreten mit Wirkung vom 19. Mai 1995, vgl Art 8 3. SGB V-ÄndG, im Folgenden: SGB V) ausgeschlossen (Bescheid vom 24. März 2003; Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2003).
Das Sozialgericht (SG) hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen, da § 50 Abs 1 SGB V die Gewährung von Krankengeld ausschließe (Urteil vom 23. November 2004).
Mit seiner Sprungrevision rügt der Kläger die Verletzung des § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V. Diese Rechtsnorm greife nach ihrem Sinn und Zweck nur ein, wenn ein Versicherter anstelle seines Arbeitsentgelts eine der in § 50 Abs 1 SGB V aufgeführten Leistungen erhalte. Dagegen schließe § 50 Abs 1 SGB V den Anspruch auf Krankengeld wegen dessen Zweck, krankheitsbedingt entfallendes Entgelt zu ersetzen, nicht für solche Bezieher von Vollrente wegen Alters aus, die nach Eintritt des Rentenbezugs eine selbstständige Tätigkeit ausübten, krankheitsbedingt arbeitsunfähig würden und deshalb kein Arbeitseinkommen mehr erzielten. So habe auch der erkennende Senat zu § 50 Abs 1 SGB V (idF des Gesundheits-Reformgesetzes ≪GRG≫ vom 20. Dezember 1988, BGBl I 2477, im Folgenden: SGB V aF) entschieden (Urteil vom 15. Dezember 1993 – 1 RK 25/93). Er habe diese Regelung nur angewendet, wenn zwischen dem durch das Krankengeld ersetzten Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen und dem durch die Rente ersetzten Arbeitsentgelt oder -einkommen Identität bestanden habe. Mit diesem Erfordernis der Zweckidentität habe sich der Gesetzgeber des 3. SGB V-ÄndG nicht auseinandergesetzt, als er § 50 Abs 1 SGB V neu gefasst habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23. November 2004 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24. März 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 10. Oktober 2003 zu verurteilen, dem Kläger ab 22. Dezember 2002 Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23. November 2004 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
1. Die Sprungrevision des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld aus § 44 SGB V.
Versicherte haben – soweit hier von Interesse – Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht (§ 44 Abs 1 Satz 1 1. Fall SGB V). Die Satzung kann für freiwillig Versicherte den Anspruch auf Krankengeld ausschließen oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen lassen (§ 44 Abs 2 SGB V). Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Kläger im Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (vgl zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts zuletzt Senat, Urteil vom 8. November 2005 – B 1 KR 30/04 R –, zur Veröffentlichung vorgesehen, mwN) überhaupt mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen ist. Denn der Kläger hat ungeachtet der Frage, ob er mit Blick auf § 5 Abs 5 SGB V zutreffend in der Krankenversicherung der Rentner geführt wird, jedenfalls deshalb keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld wegen der ab 21. Dezember 2002 ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit, weil ein solcher Anspruch nach § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V wegen des Bezugs der Vollrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschlossen ist. Das folgt aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und Zweck des § 50 SGB V und steht mit dem Grundgesetz (GG) in Einklang.
Nach § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V endet für Versicherte, die (ua) Vollrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, ein Anspruch auf Krankengeld vom Beginn dieser Leistung an; nach Beginn dieser Leistungen entsteht ein neuer Krankengeldanspruch nicht. § 50 Abs 1 Satz 4 SGB V bestimmt: “Wird eine der in Satz 1 genannten Leistungen nicht mehr gezahlt, entsteht ein Anspruch auf Krankengeld, wenn das Mitglied bei Eintritt einer erneuten Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld versichert ist.” Zu Recht ziehen die Beteiligten nicht in Zweifel, dass – ausgehend von diesem Wortlaut – bei Unterstellung von Versicherungsschutz mit Anspruch auf Krankengeld die Voraussetzungen des Ausschlusses eines Anspruchs auf Krankengeld erfüllt sind. Denn der Kläger ist Versicherter und bezieht seit 1993 eine Vollrente wegen Alters. Infolgedessen konnte wegen der ab 21. Dezember 2002 ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit ein “neuer” Krankengeldanspruch nicht entstehen.
Nichts anderes ergibt die Entstehungsgeschichte. Allerdings hat der erkennende Senat zur früheren Regelung in § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V aF die Rechtsauffassung vertreten, sie sei nur in den Fällen anwendbar, in denen das Ruhegehalt nach Entstehung des Krankengeldanspruchs beginnt. Hierfür hat sich der Senat unter Einbeziehung der Überschrift des § 50 SGB V aF, die vom “Wegfall” des Krankengeldes sprach, auf Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck der Rechtsnorm gestützt (Senat, Urteil vom 15. Dezember 1993 – 1 RK 25/93 –, NZS 1994, 316 f = SGb 1994, 523 f = EzS 90/191 = USK 93110). Mit Blick auf diese Entscheidung ersetzte der Gesetzgeber in der Überschrift das Wort “Wegfall” durch das Wort “Ausschluss” und änderte – wie dargelegt – § 50 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB V. Er ging davon aus, ein zeitlich deckungsgleicher Bezug mehrerer Lohnersatzleistungen sei sozialpolitisch nicht sinnvoll. Um den gleichzeitigen Bezug von Leistungen iS von § 50 Abs 1 SGB V und von Krankengeld zu vermeiden, seien die Änderungen der Überschrift und des Wortlauts der Vorschrift erforderlich. Danach werde jeglicher Krankengeldbezug neben den in § 50 Abs 1 SGB V genannten Leistungen ausgeschlossen (vgl Gesetzentwurf eines 3. SGB V-ÄndG der Bundesregierung, BT-Drucks 13/340 S 9 zu Nr 2). Dem hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 29. September 1998 entnommen, die Neufassung von Satz 1 habe den Ausschluss jeglichen Krankengeldbezugs neben den anderen dort genannten Lohnersatzleistungen bewirken sollen (vgl Senat, BSGE 83, 13, 16 = SozR 3-2500 § 50 Nr 5 S 22).
Auch der systematische Zusammenhang der Regelung in § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V mit der Überschrift des § 50 SGB V – “Ausschluss … des Krankengeldes” – und der aus den Gesetzesmaterialien abzuleitende Zweck der Regelung, jeglichen Krankengeldbezug neben den in § 50 Abs 1 SGB V genannten Lohnersatzleistungen auszuschließen, verdeutlichen die Richtigkeit des Auslegungsergebnisses. Danach verbleibt für eine Fortführung der früheren Rechtsprechung des Senats zu § 50 Abs 1 SGB V aF seit den aufgezeigten Änderungen durch das 3. SGB V-ÄndG kein Raum.
Verfassungsrechtlich ist gegen diese Auslegung des § 50 SGB V nichts zu erinnern. Insbesondere sind Regelungen, die eine Doppelversorgung mit Leistungen gleicher Zweckbestimmung verhindern sollen, unter dem Gesichtspunkt des Art 3 Abs 1 GG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl zB BVerfGE 53, 313, 331 = SozR 4100 § 168 Nr 12; vgl auch zuletzt Senat, Urteil vom 8. November 2005, B 1 KR 33/03 R RdNr 20, 25 mwN – zur Veröffentlichung vorgesehen).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
NZA 2006, 1032 |
KrV 2006, 226 |