Leitsatz (redaktionell)
Kindergeld ist zu gewähren, wenn ein Beamter für ein Kind im Einzelfall nach den besoldungsrechtlichen Vorschriften keinen Kinderzuschlag zu beanspruchen hat.
Normenkette
KGG § 3 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1959-03-16
Tenor
I. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. Februar 1963 insoweit abgeändert und das Urteil des Sozialgerichts München vom 20. Oktober 1960 insoweit aufgehoben, als es die Beklagte zur Zahlung von Kindergeld an die Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1959 verpflichtet.
Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
II. Die Revision der Beigeladenen wird als unzulässig verworfen.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Die (geschiedene) Klägerin hat drei Kinder: Die beiden ehelichen Kinder I (geboren 1949) und H (geboren 1953) H sowie das ... 1958 geborene uneheliche Kind F L (L.). Für letzteres hat der im bayerischen Staatsdienst beschäftigte Regierungsrat F P, der selbst weitere Kinder nicht besitzt, die Vaterschaft anerkannt und sich gegenüber dem zuständigen Kreisjugendamt zu einer Unterhaltszahlung von monatlich 50,- DM verpflichtet. Er erhält für dieses Kind, das bei der Klägerin lebt, der auch das Sorgerecht zusteht, weder Kinderzuschlag, noch hat er einen solchen beantragt.
Im Jahre 1958 gewährte die beigeladene Familienausgleichskasse (FAK) Nahrungsmittel und Gaststätten der Klägerin das für F L. beantragte Kindergeld. Zu jener Zeit betrieb diese ein Spirituosengeschäft und war gleichzeitig als Provisionsvertreterin für eine Wäschefirma tätig, wobei sie nach ihren eigenen Angaben das höhere Einkommen aus dem Spirituosengeschäft erzielte. Nachdem die Klägerin dieses zum 31. Dezember 1958 aufgegeben hatte und weiterhin nur noch als freie Handelsvertreterin arbeitete, erklärte sich die Beigeladene zur ferneren Zahlung des Kindergeldes für nicht mehr zuständig, übersandte ihre Unterlagen an die beklagte FAK bei der Verwaltungsberufsgenossenschaft und forderte diese auf, ihr das für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1959 bereits gezahlte Kindergeld in Höhe von 220,- DM zu erstatten.
Mit Bescheid vom 21. April 1960 lehnte die beklagte FAK die Zahlung von Kindergeld an die Klägerin ab, da gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Kindergeldgesetzes (KGG) in der Neufassung durch § 10 Nr. 2 des Kindergeldergänzungsgesetzes vom 1. Februar 1956 (KGEG) für F L. kein Anspruch auf Kindergeld bestehe, weil sein Vater als Beamter Bezüge unter Anwendung besoldungsrechtlicher Vorschriften über Kinderzuschläge erhalte. Hierbei sei allein entscheidend, daß bei dem Kindesvater besoldungsrechtliche Vorschriften über Kinderzuschläge angewandt würden; ob er tatsächlich Kinderzuschläge beziehe, sei dagegen unwesentlich.
Aus den gleichen Gründen weigerte sich die Beklagte auch, den Ersatzanspruch der Beigeladenen anzuerkennen.
II. Hiergegen erhob die Klägerin, die von August 1960 an ebenfalls in den Staatsdienst trat, Klage und beantragte, den Bescheid der beklagten FAK bei der Verwaltungsberufsgenossenschaft vom 21. April 1960 aufzuheben und diese zu verpflichten, ihr das Kindergeld für die Zeit von Juli 1959 bis August 1960 nachzuzahlen.
Während die Beklagte, die ihre Zuständigkeit ab 1. Januar 1959 anerkannte, die Abweisung der Klage beantragte, beantragte die beigeladene FAK der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten festzustellen, daß sie ab 1. Januar 1959 nicht mehr zuständig sei.
Das Sozialgericht (SG) hob den Bescheid der beklagten FAK bei der Verwaltungsberufsgenossenschaft vom 21. April 1960 auf und verpflichtete sie, der Klägerin vom 1. Januar 1959 bis zum 31. Juli 1960 unter Berücksichtigung der bereits für die Zeit vom 1. Januar 1959 bis zum 30. Juni 1959 erfolgten Zahlungen durch die Beigeladene, Kindergeld für das Kind F L. zu gewähren. Es vertrat die Ansicht, § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG schließe zwar den Kindergeldanspruch für Kinder von Beamten auch dann aus, wenn diese tatsächlich keine Kinderzuschläge erhielten. Um dem Sinn der Kindergeldgesetzgebung widersprechende unbillige Härten zu vermeiden, müsse man aber bei der Prüfung der Frage, ob ein uneheliches Kind ein Kind eines Beamten im Sinne des § 3 Abs. 2 KGG sei, stets vom Einzelfall ausgehen und feststellen, wem der Anspruch zustehe. Nur dann, wenn dem Vater der Anspruch zustehe, dieser aber zu dem ausgeschlossenen Personenkreis des § 3 Abs. 2 KGG gehöre, sei auch bei einem unehelichen Kind der Anspruch zu verneinen. Da für das Kind F L. aber der Mutter allein das Kindergeld zustehe, habe sie auch Anspruch auf das Kindergeld bis zum Zeitpunkt ihres Eintritts in den öffentlichen Dienst.
Gegen dieses Urteil legte die beklagte FAK bei der Verwaltungsberufsgenossenschaft Berufung ein; ein Anspruch auf Kindergeld für das uneheliche Kind F L. entfalle, weil zwischen ihm und seinem Vater ein Kindschaftsverhältnis vorliege und der Vater Bezüge im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG erhalte. Da es sich hierbei um zwingende gesetzliche Vorschriften handele, sei es unerheblich, daß diese Regelung eine Härte für die Klägerin bedeute.
Die Klägerin beantragte, die Berufung zurückzuweisen, da der Vater des Kindes gemäß Art. 18 Abs. 1 Nr. 7 des Bayerischen Besoldungsgesetzes nicht einmal einen Anspruch auf Kindergeldzuschläge habe, § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG aber nur dann zur Anwendung kommen könne, wenn der Beamte tatsächlich Kindergeldzuschläge erhalte.
Die Beigeladene stellte keinen Antrag.
Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung zurück (Urteil vom 6. Februar 1963). Es hielt das Rechtsmittel zwar für zulässig, da § 28 Abs. 2 Nr. 2 KGG als lex specialis zu § 145 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Berufung in Streitsachen über Kindergeld für bereits abgelaufene Zeiträume nicht ausschließe, erachtete es aber als sachlich unbegründet: Die Klägerin habe für ihr drittes Kind F L. gemäß § 1 KGG einen Anspruch auf Kindergeld. Dieser Anspruch werde auch durch § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG nicht ausgeschlossen, da es nach dem Wortlaut dieser Vorschrift entscheidend darauf ankomme, ob der Vater des Kindes als Beamter tatsächlich Kinderzuschlag erhalte. Eine zwingende andere Auslegung dieser Vorschrift ergebe sich weder aus dem Gesetz noch aus den Gesetzesmaterialien. Da der Vater des Kindes F L. tatsächlich keinen Kinderzuschlag erhalte und auch unter Anwendung der besoldungsrechtlichen Vorschriften keinen erhalten könne, werde der Anspruch auf Kindergeld für sein Kind nicht nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG ausgeschlossen. Revision wurde zugelassen.
III. Gegen dieses Urteil legte die beklagte FAK bei der Verwaltungsberufsgenossenschaft form- und fristgerecht Revision ein. Gemäß § 2 Abs. 1 KGG sei das uneheliche Kind F L. im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG ein Kind des Regierungsrats P. Da jener als Beamter Bezüge unter Anwendung besoldungsrechtlicher Vorschriften über Kinderzuschläge erhalte, liege dessen Ausschlußtatbestand vor, wobei es gleichgültig sei, ob der Kindesvater tatsächlich Kinderzuschläge beziehe oder nicht. Dies habe das Urteil des LSG verkannt. Daneben sei das mit der Revision angefochtene Urteil auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht fehlerhaft, da es der Klägerin über ihren Klageantrag hinaus Kindergeld für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1959 zugesprochen habe, obwohl weder die Beklagte noch die Beigeladene das Kindergeld für diesen Zeitraum abgelehnt habe, dieses vielmehr von der Beigeladenen gezahlt gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils in Stattgabe der Berufung der Beklagten gegen das gleichfalls aufzuhebende Urteil des Sozialgerichts München vom 20.10.1960 und in Wiederherstellung des Ablehnungsbescheides der Beklagten vom 21. April 1960 die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Beigeladene legte gegen das Urteil des LSG gleichfalls form- und fristgerecht Revision ein. Sie sei durch das Berufungsurteil insofern beschwert, als es der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1959, also für einen Zeitraum, in dem noch sie selbst für die Kindergeldzahlung zuständig gewesen sei, Kindergeld zuspreche. In materiell-rechtlicher Hinsicht wiederholte die Beigeladene im übrigen die Ausführungen der Beklagten, daß ein Kindergeldanspruch für das Kind Friedrich L. gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG ausgeschlossen sei.
Die Beigeladene beantragt,
insoweit die Zeit vom 1. Januar bis einschließlich zum 30. Juni 1959 in Frage steht, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils in Stattgabe der Berufung der Beklagten gegen das gleichfalls aufzuhebende Urteil des Sozialgerichts München vom 20.10.1960 und in Wiederherstellung des Ablehnungsbescheides der Beklagten vom 21.4.1960 die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und sieht die Auffassung der Beklagten als zu formalistisch an, da sie dazu führe, daß einerseits der Kindesvater keinen Anspruch auf Kinderzuschläge habe, weil er die besoldungsrechtlichen Voraussetzungen des Landesrechts nicht erfülle, andererseits aber auch die Klägerin keinen Anspruch auf Kindergeld nach dem KGG besitze, weil ihr drittes Kind das Kind eines Beamten sei. Ein solches Ergebnis sei eine vom Gesetzgeber nicht gewollte, unbillige Härte und widerspreche dem Sinn des KGG. Im übrigen sei die mit Bescheid der Beigeladenen vom 4. Februar 1959 erfolgte Kindergeldgewährung ein begünstigender Verwaltungsakt, der auch die Beklagte binde. Er könne daher nur dann zurückgenommen werden, wenn ein eventueller Fehler von der Klägerin zu vertreten und ihr Vertrauen auf den Bescheid nicht schutzwürdig sei. Dies sei aber nicht der Fall, da sie keine unwahren Angaben gemacht und auch keine Tatsachen verschwiegen habe.
IV. Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision der Beklagten ist zulässig.
Dagegen ist die ebenfalls gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision der Beigeladenen mangels Beschwer unzulässig:
Eine Voraussetzung der Zulässigkeit der Revision ist das Recht zum Einlegen von Rechtsmitteln. Dieses Recht, und damit das Recht selbständig eine Revision einzulegen, steht auch der Beigeladenen zu, da ein Beigeladener gemäß § 75 Abs. 4 SGG alle Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen kann. Verfahrenshandlungen sind alle Handlungen, die der Entwicklung des gerichtlichen Prozesses dienen. Zu ihnen gehört auch das Einlegen von Rechtsmitteln (vgl. BSG 6, 161; Rosenberg, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., S. 269). Dies gilt sowohl für einen einfachen als auch für den notwendigen Beigeladenen (BSG 6, 161). Durch die Zulassung der Revision nach § 162 Abs. 1 SGG, also auch der der Beigeladenen, wird indessen nur deren Statthaftigkeit an sich festgestellt, während daneben, entgegen der Auffassung der Beigeladenen, auch noch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sein müssen. Zu diesen gehört die Beschwer, die als Zulässigkeitsvoraussetzung jedes Rechtsmittels vorliegen muß, damit in der Sache selbst entschieden werden kann (BSG 2, 291). Die Beschwer setzt allerdings bei einem Beigeladenen, im Gegensatz zu einem Kläger, nicht voraus, daß das angefochtene Urteil zu seinen Ungunsten von seinen in der Vorinstanz gestellten Anträgen abweicht. Es muß vielmehr als ausreichend angesehen werden, wenn das angefochtene Urteil nach seinem Inhalt für ihn ungünstig ist, gleichgültig ob und welche Anträge er gegebenenfalls gestellt hat (BSG 9, 251).
Das Urteil des LSG, das die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückweist, ist jedoch für die Beigeladene nicht ungünstig und belastend, sondern vielmehr günstig. Zwar bestätigt es den Kindergeldanspruch der Klägerin ab 1. Januar 1959, stellt aber gleichzeitig fest, daß zur Erfüllung dieses Anspruchs die Beklagte zuständig ist. Dies hat zur Folge, daß die Beklagte der Beigeladenen zur Erstattung der von dieser in der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1959 geleisteten Kindergeldzahlung verpflichtet ist. Jene Rechtspflicht kann von der Beklagten, solange das Urteil des LSG bestehen bleibt, nicht bestritten werden, weshalb die Beigeladene in diesem Fall die Gewißheit hat, ihre in der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1959 gezahlten Kindergeldleistungen zurückzuerlangen.
Mithin bietet nur das die Entscheidung des SG bestätigende Urteil des LSG der Beigeladenen Gewähr für die Rückerstattung ihrer Kindergeldzahlungen (1. Januar bis zum 30. Juni 1959); also ist sie durch dieses Urteil nicht beschwert. Da somit für ihre Revision eine Prozeßvoraussetzung fehlt, war dieses Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen. Die Beigeladene behält jedoch ihre Rechtsstellung aus der Beiladung, da sich deren Wirkung auf das gesamte Verfahren, einschließlich der Rechtsmittelinstanzen, erstreckt. Sie konnte daher innerhalb der Revisionsbegründungsfrist die Revisionsbegründung der Beklagten durch weitere Revisionsrügen ergänzen (BSG, 15. Juli 1958 in SozR § 75 Da 3 Nr.10). Da sich die von ihr form- und fristgerecht erhobenen Revisionsrügen indessen vollinhaltlich mit denen der Beklagten decken, erübrigt sich ein gesondertes Eingehen auf den entsprechenden Vortrag der Beigeladenen.
Was die Prozeßvoraussetzungen sonst anbelangt (BSG 2, 227 ff; 2, 246 ff), so war die Berufung der Beklagten nicht durch einen der für den gesamten Bereich der Sozialgerichtsbarkeit geltenden Berufungsausschließungsgründe des § 144 SGG ausgeschlossen, da keiner der dort aufgezählten Umstände einschlägt. Ebensowenig ergab sich ein Ausschließungsgrund aus § 28 Abs. 2 Nr. 2 KGG, weil die Berufung nicht den Beginn oder das Ende des Anspruchs auf Kindergeld betrifft. Zwar ist zwischenzeitlich durch den Eintritt der Klägerin in den Staatsdienst der Kindergeldanspruch für ihr Kind F L. gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG ab 1. August 1960 entfallen. Streitgegenstand im Verfahren vor dem SG war aber nicht die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Anspruch auf Kindergeld beseitigt wurde, sondern diejenige, ob für F L. überhaupt ein derartiger Anspruch bestand, da sein Vater als Beamter Bezüge unter Anwendung besoldungsrechtlicher Vorschriften über Kinderzuschläge erhielt. Da somit der Anspruch auf Leistung selbst streitig ist, war die Berufung der Beklagten zulässig (vgl. Witting/Meier, Kindergeld-Handbuch, § 28 Anm. 5 und - zu dem gleichgelagerten § 145 SGG - BSG 3, 222 ff).
V. Dagegen ist die Revision der Beklagten unbegründet:
Die Klägerin hatte gemäß §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 1 KGG einen Anspruch auf Kindergeld für ihr Kind F L., der entgegen der Revisionsrüge der Beklagten auch nicht durch § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG ausgeschlossen wird. Nach dieser Vorschrift besteht Anspruch auf Kindergeld nicht für Kinder von Beamten, Richtern und Soldaten, die Bezüge unter Anwendung besoldungsrechtlicher Vorschriften über Kinderzuschläge erhalten. Kernproblem des vorliegenden Rechtsstreits ist daher die Frage, ob nach dieser Vorschrift der Anspruch auf Kindergeld schon dann entfällt, wenn ein Beamter Bezüge nach besoldungsrechtlichen Vorschriften erhält, die an sich Kinderzuschläge vorsehen, oder ob § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG voraussetzt, daß dem Beamten auch tatsächlich Kinderzuschlag gewährt wird. Gegenstand der hierfür vorzunehmenden Gesetzesauslegung ist allein der in der Vorschrift zum Ausdruck kommende "objektivierte" Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt (BVerfG 1, 299, 312), weshalb die Entstehungsgeschichte nur insoweit zur Auslegung herangezogen werden kann, als die Auffassung, die sich aus ihr ergibt, in der Vorschrift selbst Ausdruck gefunden hat (BSG 6, 255).
§ 3 Abs. 2 KGG, der die Gewährung von Kindergeld in gewissen Fällen ausschließt, unterscheidet in seinen Nummern 1 bis 9 zwischen Ausschlußtatbeständen, die eintreten, wenn ein Elternteil Bezüge unter Anwendung besoldungs-, tarif- oder beamtenrechtlicher Vorschriften über Kindergeld erhält (Nr. 1 - 4 und 6b) und solchen (Nr. 5, 6a, 7 - 9), bei denen dem Elternteil dem Kindergeld entsprechende oder vergleichbare Kinderzuschläge oder Leistungen gewährt werden. Diese Wortfassung zwingt aber nicht zu der von der Beklagten vertretenen Auslegung, daß es bei der zur ersten Fallgruppe gehörenden Nr. 1 nicht auf den tatsächlichen Erhalt von Kinderzuschlägen, sondern nur darauf ankomme, daß solche in den besoldungsrechtlichen Vorschriften allgemein vorgesehen seien. Wäre dies gewollt, so hätte der Gesetzgeber nicht auf den Erhalt von Bezügen unter Anwendung besoldungsrechtlicher Vorschriften über Kinderzuschläge abgestellt, sondern darauf, ob besoldungsrechtliche Vorschriften für Beamte die Gewährung von Kinderzuschlägen allgemein vorsehen. Nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG soll indessen der Anspruch auf Kindergeld erst dann ausgeschlossen sein, wenn der Vater eines Kindes als Beamter tatsächlich Bezüge unter Anwendung besoldungsrechtlicher Vorschriften über Kinderzuschläge erhält, d.h., wenn bei den an ihn gezahlten Bezügen solche Vorschriften angewandt werden. Dies kann aber nur dann zutreffen, wenn jenen Bezügen besoldungsrechtliche Vorschriften über Kinderzuschläge zugrunde gelegt werden, wenn also in ihnen tatsächlich Kinderzuschläge enthalten sind; nur dann besteht die Gefahr eines Doppelbezugs von Kinderzuschlägen bzw. Kindergeld, die durch den in § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG ausgesprochenen Grundsatz des Vorrangs der für Kinder gezahlten Zuschläge aus dem öffentlichen Dienst vor dem Kindergeld nach dem KGG ausgeschlossen werden soll.
Unerheblich bleibt hierbei allerdings, ob die in den Bezügen des Beamten enthaltenen Kinderzuschläge ganz oder wenigstens annähernd dem Kindergeld nach § 4 Abs. 1 KGG entsprechen. Hierin liegt der die abweichende Wortfassung bedingende Unterschied der beiden Fallgruppen des § 3 Abs. 2 KGG: Während die Nrn. 6a, 7 in Verbindung mit § 3 Abs. 3 Satz 2 KGG den Kindergeldanspruch erst dann ausschließen, wenn die tatsächlich gewährten Kinderzuschläge voll (oder wie bei § 3 Abs. 2 Nr. 7 in Verbindung mit § 3 Abs. 3 Satz 2 KGG wenigstens zu 90 v.H.) der Höhe des Kindergeldes nach § 4 Abs. 1 KGG entsprechen, entfällt bei der ersten Gruppe der Anspruch, ohne Rücksicht auf die Höhe des tatsächlich gewährten Kindergeldes schon dann, wenn in den Bezügen eines Elternteils überhaupt Kinderzuschläge enthalten sind (die nachträglich eingefügte Nr. 8 des § 3 Abs. 2 KGG stellt einen Sonderfall dar, da die Kinderzuschläge für die dort genannten Kinder schon auf Grund des Unterhaltssicherungs- und des Wehrsoldgesetzes dem Kindergeld nach dem KGG entsprechen). Der Grund für diese unterschiedliche Regelung der beiden Gruppen dürfte darin zu sehen sein, daß die von einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn angewandte Kindergeldregelung zumeist ohnehin günstiger ist, als die des KGG oder zumindest dieser gleichkommt, und daß in den wenigen Fällen, in denen diese Regelungen zur Zeit noch ungünstiger sein sollten, der öffentlich-rechtliche Dienstherr auf Grund der ihm obliegenden Fürsorgepflicht von sich aus bereit sein dürfte, die jeweiligen Kinderzuschläge den Sätzen des KGG anzupassen.
VI. Danach ergibt die oben getroffene Auslegung des § 3 Abs. 2 Satz 1 KGG, daß diese Ausschlußvorschrift nur dann durchgreift, wenn in den Bezügen der dort genannten Personen tatsächlich Kinderzuschläge enthalten sind. Die von der Beklagten in Übereinstimmung mit Lauterbach/Wickenhagen, Die Kindergeldgesetzgebung, § 3 Anm. 27 und Witting/Meier, aaO, § 3 Anm. 18 vertretene gegenteilige Auffassung stützt sich vor allem auf die Begründung des Regierungsentwurfs zum KGEG (BT-Drucks., II. Wahlperiode 1953 Nr. 1539), mit dessen § 10 eine Neufassung des § 3 Abs. 2 KGG vorgenommen werden sollte. Dort heißt es:
"Nach der Neufassung soll für die Kinder von Angehörigen des öffentlichen Dienstes, auf die die beamtenrechtlichen Vorschriften oder die allgemeinen tariflichen Bestimmungen Anwendung finden, auch in den Ausnahmefällen kein Anspruch auf Kindergeld nach der Kindergeldgesetzgebung bestehen, in denen diese Regelungen in einzelnen Beziehungen ungünstiger sind als die Kindergeldgesetzgebung. Es erscheint nicht angebracht, die hier vorhandenen Lücken durch das KGEG zu schließen, vielmehr soll dies der Besoldungsgesetzgebung und der Tarifgestaltung überlassen bleiben."
Die Beklagte übersieht jedoch, daß die im Regierungsentwurf vorgesehene Fassung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG im Laufe der Ausschußberatungen entscheidende Änderungen erfahren hat, so daß die obige Begründung des ursprünglichen Entwurfs nicht mehr zur Auslegung des jetzigen § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG herangezogen werden kann. Nach der Fassung im Regierungsentwurf sollte der Kindergeldanspruch ausnahmslos für alle Kinder von Beamten ausgeschlossen sein, wie sich aus dem Wortlaut:
"Anspruch auf Kindergeld besteht nicht für Kinder 1. von Beamten und Empfängern von beamtenrechtlichen Versorgungsbezügen, mit Ausnahme solcher Kinder der Witwen von Beamten oder Ruhestandsbeamten, denen auch vor der Vollendung des 16. Lebensjahres keine Kinderzuschläge nach den Vorschriften des Beamtenrechts gewährt werden"
ergibt. Erst in den Ausschußberatungen erhielt diese Vorschrift ihre heutige Fassung, die entscheidend darauf abstellt, ob in den Bezügen eines Beamten Kinderzuschläge enthalten sind oder nicht. In dem an diese Beratungen anschließenden Bericht des Bundestagsausschusses für Sozialpolitik (BT-Drucks., II. Wahlperiode 1953 Nr. 1884) wird die Neufassung dieser Vorschrift wie folgt begründet:
"§ 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG schließt den Kindergeldanspruch für Kinder von Angehörigen des öffentlichen Dienstes weitgehend aus, da für diese Kinder bekanntlich in anderer Weise gesorgt wird. Dieser Vorschrift kam in dem KGG keine allzu große Bedeutung bei, da die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes im allgemeinen nicht bei den Berufsgenossenschaften, sondern bei den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung versichert sind. Nach der Erweiterung des Personenkreises der Anspruchsberechtigten durch § 1 des Entwurfs erschien es notwendig, unter Aufrechterhaltung des Grundprinzips die Vorschrift neu zu fassen und dabei die verschiedenen Gruppen des öffentlichen Dienstes aufzugliedern. § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung schließt den Kindergeldanspruch für die Kinder von Beamten, Richtern und Soldaten aus, die Bezüge unter Anwendung besoldungsrechtlicher Vorschriften über Kinderzuschläge erhalten. Beamte und Richter, die nur ehrenamtlich tätig sind, sind damit von dem Bezug des Kindergeldes nicht ausgeschlossen. Das gleiche gilt für kleine Gruppen von Beamten, für deren Bezüge keine Kinderzuschläge vorgesehen sind."
Daraus erhellt, daß auch bei der Neufassung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG durch § 10 KGEG das Grundprinzip der ursprünglichen Regelung des § 3 Abs. 2 KGG vom 14. November 1954 erhalten bleibt, d.h., daß Kindergeld für Kinder von Angehörigen des öffentlichen Dienstes nur dann ausgeschlossen sein sollte, wenn für diese Kinder "in anderer Weise" (also durch Gewährung von Kinderzuschlägen) gesorgt ist. Soweit dies aber auf Grund der bestehenden besoldungsrechtlichen Vorschriften (wie zB für die im letzten Satz des angeführten Ausschußberichts genannten Gruppen) nicht der Fall ist, sollte weiterhin Kindergeld nach dem KGG gewährt werden.
Hierfür sprechen übrigens auch die an die oben zitierten Ausführungen des Bundestagsausschusses für Sozialpolitik zu § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG unmittelbar anschließenden Ausführungen zu § 3 Abs. 2 Nr. 2 KGG. Dort heißt es am Ende: "Soweit die allgemeinen tariflichen Regelungen des öffentlichen Dienstes in einzelnen Punkten ungünstiger sind als diejenigen des KGG, will die Regierungsvorlage laut Begründung die Anpassung der Tarifpolitik überlassen." Die Tatsache, daß diese einschränkenden Bemerkungen nur zu § 3 Abs. 2 Nr. 2 KGG gemacht und die in der Regierungsvorlage vorhandene Erstreckung auch auf die Besoldungsgesetzgebung und damit auf § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG gestrichen wurde, zeigt, daß man jedenfalls die von der Beklagten zitierte Begründung der Regierungsvorlage nicht mehr zur Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG heranziehen kann.
Allein die Auslegung, daß ein Kindergeldanspruch nach dem KGG nur dann gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG ausgeschlossen ist, wenn in den Bezügen der dort genannten Personen Kinderzuschläge enthalten sind, wird auch dem Sinn und Zweck der gesamten Kindergeldgesetzgebung gerecht: den durch Kinder bedingten erhöhten Aufwand einer Familie auszugleichen (BVerfG 11, 115) und das soziale Absinken der Mehrkinderfamilie abzustellen oder wenigstens zu mildern (vgl. BT-Protokoll vom 1. April 1954, 21. Sitzung S. 719 - 721).
Dieser das gesamte Kindergeldrecht tragende Grundgedanke eines Familienlastenausgleichs durch Kindergeldgewährung erfordert es, daß möglichst für sämtliche an sich nach dem KGG anspruchsberechtigten Kinder die Mehrbelastungen ausgeglichen werden. Ist dies bei den in § 3 Abs. 2 Nr.1 KGG genannten Angehörigen des öffentlichen Dienstes jedoch im Einzelfall nach den an sich Kinderzuschläge vorsehenden besoldungsrechtlichen Vorschriften nicht möglich, greift folglich auch der Ausschlußtatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG nicht ein, und der nach dem KGG bestehende Anspruch auf Kindergeld bleibt erhalten. Dementsprechend wird der Kindergeldanspruch für das uneheliche Kind F L., dessen Vater entsprechend Art. 18 des Bayer. Besoldungsgesetzes (Bayer. GVBl 1958, 101) tatsächlich keine Kinderzuschläge erhalten hat, nicht durch § 3 Abs. 2 Nr. 1 KGG ausgeschlossen. Da die übrigen Voraussetzungen der Kindergeldzahlung an die Klägerin als Mutter dieses unehelichen Kindes erfüllt waren, entspricht das Urteil des LSG, das die klagabweisende Entscheidung des SG bestätigt, der materiellen Rechtslage.
VII. Allerdings enthält das Urteil des SG insofern einen von der Beklagten mit Recht gerügten verfahrensrechtlichen Fehler, als es in seiner Entscheidung über den von der Klägerin gestellten Antrag hinausging und die Beklagte zur Kindergeldzahlung ab 1. Januar 1959, wenn auch unter Berücksichtigung der von der Beigeladenen bereits bis zum 30. Juni 1959 erbrachten Leistungen, verurteilte. Gemäß § 123 SGG kann das Gericht nur über den erhobenen Anspruch entscheiden. Prozeßrechtlicher Anspruch ist das Begehren des Klägers, das Gericht möge die Rechtsfolge eines materiell-rechtlichen Tatbestandes aussprechen (Peters/Sautter/Wolff, Komm.z.SGb, § 123 Anm. 2; Rohwer/Kahlmann, SGb § 123 Anm. 3). Dieser Klageanspruch, wie er sich am Schluß der mündlichen Verhandlung darstellt, ist der Anspruch, über den das Gericht entscheiden soll. Er wird vom Kläger in der Klage als Streitgegenstand bestimmt (BSG 3, 225). Gegenstand des Verfahrens vor dem SG war aber lediglich das von der Klägerin ab Juli 1959 beanspruchte Kindergeld, das ihr von der Beklagten mit Bescheid vom 21. April 1960 versagt worden war. Hiergegen richtete sich die von der Klägerin erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage, in der sie begehrte, den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufzuheben und diese zu verpflichten, ihr das Kindergeld ab 1. Juli 1959 zu zahlen. Das Erstgericht ist jedoch in seinem Urteil über jenen prozessualen Anspruch hinausgegangen, da es die Beklagte bereits ab 1. Januar 1959 verpflichtete, der Klägerin Kindergeld unter Berücksichtigung der durch die Beigeladene für die Zeit vom 1. Januar 1959 bis zum 30. Juni 1959 gewährten Leistungen zu zahlen. Dieser Ausspruch geht insofern über den Antrag der Klägerin hinaus, als er gleichzeitig die Zuständigkeit und die Rechtspflicht der Beklagten zur Kindergeldzahlung an die Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1959 feststellt. Das aber war von der Klägerin nicht mit ihrer Klage begehrt und somit auch nicht prozessualer Streitgegenstand geworden. Allerdings hatte die Beigeladene vor dem SG beantragt, festzustellen, daß sie ab 1. Januar 1959 nicht mehr zuständig sei. Selbst wenn man hierin gleichzeitig einen Antrag der Beigeladenen zu der Feststellung sehen wollte, daß die Beklagte ab 1. Januar 1959 zur Kindergeldzahlung zuständig und verpflichtet sei, wäre dieses Begehren doch nicht Streitgegenstand geworden. Denn einmal konnte die Beigeladene, die nur nach § 75 Abs. 1 SGG beigeladen, also nicht notwendige Beigeladene im Sinne des § 75 Abs. 2 SGG ist, einen derartigen, von den Anträgen der übrigen Beteiligten abweichenden Antrag gemäß § 75 Abs. 4 Satz 2 SGG nicht rechtswirksam stellen. Zum anderen aber könnte kein Beigeladener, nicht einmal bei einer notwendigen Beiladung, einen neuen Streitgegenstand in den Prozeß einführen (vgl. Dapprich, Das sozialgerichtliche Verfahren, S. 63; Peters/Sautter/Wolff, aaO, § 75 Anm. 6). Um einen solchen neuen Streitgegenstand handelt es sich aber, wie-oben dargelegt, bei der Kindergeldzahlung für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1959.
VIII. Da das Urteil des SG und damit das die Berufung zurückweisende Urteil des LSG über den von der Klägerin erhobenen Anspruch im Sinn des § 123 SGG hinausgingen, eine Heilung dieses Verstoßes aus den Anträgen der Beteiligten im Berufungsverfahren jedoch nicht abzuleiten war (vgl. BGH in Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk, Nr. 4 zu BEG §§ 21, 23; RGZ 157, 23 ff), mußten beide Entscheidungen, wie geschehen, abgeändert werden.
Im übrigen war jedoch die Revision der beklagten FAK bei der Verwaltungsberufsgenossenschaft als unbegründet zurückzuweisen.
Die Revision der beigeladenen FAK der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten war als unzulässig zu verwerfen, da es für sie an der verfahrensrechtlichen Voraussetzung der Beschwer fehlte.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen