Leitsatz (amtlich)

Eine Beitragserstattung vor der Vertreibung hindert nicht, eine Beschäftigungszeit gemäß FRG § 16 Satz 1 einer Beitragszeit gleichzubehandeln (Anschluß an BSG 1964-04-07 4 RJ 195/61 = BSGE 20, 287 = SozR Nr 3 zu § 15 FRG und BSG 1965-09-09 4 RJ 325/64 = SozR Nr 4 zu § 16 FRG).

 

Normenkette

FRG § 15 Fassung: 1960-02-25, § 16 S. 1 Fassung: 1960-02-25

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. April 1965 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin unter Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten gemäß § 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) trotz der Beitragserstattung anläßlich ihrer Heirat die Wartezeit für die Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit erfüllt hat.

Die am 11. Oktober 1895 geborene Klägerin war von 1909 bis 1917 in einer Wirkwarenfabrik in A (Sudentenland), von 1917 bis 1921 als Hausgehilfin in B und anschließend wieder in A beschäftigt. Nach den tschechischen Originalunterlagen, insbesondere dem Evidenzblatt für 1935 sowie einem Schreiben der allgemeinen Ortskrankenkasse für den Landkreis R vom 15. April 1940, sind der Klägerin anläßlich ihrer Verheiratung am 9. März 1940 die bisher geleisteten Beiträge erstattet worden. Die Quittungskarte Nr. 1 (Landesversicherungsanstalt Sudetenland) enthält für die Jahre 1941 und 1942 16 Beitragsmarken; sie weist ferner Versicherungszeiten vom 29. Juni 1942 bis 31. Dezember 1943 aus. Die Beklagte hält die Angabe der Klägerin, sie haben noch bis zum Zusammenbruch gearbeitet, für glaubhaft. Nach der Ausweisung und Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland wurden keine Beiträge geleistet. Die Beklagte, die angenommen hatte, der Versicherungsfall sei im Jahre 1956 eingetreten, lehnte den Antrag der Klägerin vom 16. April 1958, ihr Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit zu gewähren, ab, da die Wartezeit bei 243 Beitragswochen nicht erfüllt sei (Bescheid vom 11. Mai 1960).

Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos (Urteile des Sozialgerichts (SG) Augsburg vom 13. Juli 1962 und des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 27. April 1965). Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat Revision eingelegt und rügt Verletzung des § 16 FRG und des § 1309 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF. Sie tritt der Auffassung des LSG entgegen, daß nach einer Beitragserstattung Beschäftigungszeiten nach § 16 Satz 1 FRG nicht mehr angerechnet werden könnten, weil eine Beitragserstattung gemäß § 1309 a RVO aF für Einheimische und Vertriebene die gleichen Folgen haben müsse, andernfalls die Vertriebenen im Vorteil seien und der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verletzt werde. Die Klägerin meint, eine Erstattung von seit 1926 entrichteten Beiträgen wegen Heirat erfasse die vorher zurückgelegten anrechnungsfähigen Beschäftigungszeiten nicht. Das LSG verkenne, daß die Folgen der Beitragserstattung nicht stets die gleichen sein könnten. Dafür müßten gleiche Voraussetzungen vorhanden sein. Im Regelfall der Beitragserstattung wegen Heirat sei es gerechtfertigt, daß durch die Erstattung der vom Beginn des Versicherungsverhältnisses an geleisteten Beiträge die bisher gewonnene Rechtsposition verloren gehe. Anders sei es aber hier. Erst ab 1926 hätten Beiträge entrichtet werden können. Deshalb seien nur die seitdem entrichteten Beiträge zu erstatten, während die vor 1926 zurückgelegten Beschäftigungszeiten weiterhin anrechenbar geblieben seien. Diese unterschiedlichen Voraussetzungen würdige das LSG nicht. Wenn die vor 1926 zurückgelegten Beschäftigungszeiten angerechnet würden, bedeute dies für die Vertriebenen keinen ungerechtfertigten Vorteil und verstoße auch nicht gegen Art. 3 GG, da die Anrechnung nicht willkürlich sei. Vielmehr würden gleiche Sachverhalte gleich behandelt. Die Revision hält die vom Bundessozialgericht (BSG) in BSG 20, 287 ff vertretene Auffassung für zutreffend und schließt sich ihr an.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. April 1965 und des Sozialgerichts Augsburg vom 13. Juli 1962 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 1960 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. Januar 1959 ab zu gewähren,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Die Klägerin erstrebt Rente wegen Berufsunfähigkeit (§ 1246 RVO) vom 1. Januar 1959 an. Da nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher das BSG bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) der Versicherungsfall im Jahre 1956 eingetreten ist, sind für den Rentenanspruch der Klägerin die bis zum Inkrafttreten des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) am 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften maßgebend, soweit in den weiteren Vorschriften des Art. 2 ArVNG nichts anderes bestimmt ist (Art. 2 § 5 ArVNG).

Etwas anderes ist aber durch Art. 2 §§ 6 und 8 Satz 1 ArVNG vorgeschrieben. Nach Art. 2 § 6 ArVNG gilt § 1246 Abs. 2 RVO auch in den Fällen, in denen bei Inkrafttreten des ArVNG "ein bindender oder rechtskräftiger Bescheid nicht vorliegt oder ein Anspruch auf Leistung erst durch dieses Gesetz begründet wird." § 1246 Abs. 2 RVO ist anwendbar, weil am 1. Januar 1957 kein bindender oder rechtskräftiger Bescheid hinsichtlich des Anspruches der Klägerin vorlag. Auf den hier zu entscheidenden Fall ist ferner Art. 2 § 8 Satz 1 ArVNG anzuwenden, wonach § 1249 RVO auch für Versicherungsfälle gilt, die vor Inkrafttreten des ArVNG, aber nach dem 31. März 1945 eingetreten sind. In diesen Zeitraum ist der hier maßgebliche Versicherungsfall der Klägerin von 1956 einzuordnen. Damit sind auf die Wartezeit von 60 Beitragsmonaten oder 260 Beitragswochen (§ 1262 Abs. 1 und 3 RVO aF) die in § 1250 Abs. 1 RVO idF des Art. 2 Nr. 1 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) aufgeführten Versicherungszeiten anzurechnen. Zu den nach § 1250 Abs. 1 Buchst. a) RVO anrechenbaren Beitragszeiten, nämlich solchen Zeiten, für die nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung Beiträge wirksam entrichtet worden sind oder als entrichtet gelten, gehören hier auch Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG, weil dieses Gesetz gemäß Art. 6 §§ 5, 6 ff FANG auf Versicherungsfälle vor seinem Inkrafttreten - 1. Januar 1959 (Art. 7 § 3 Abs. 1 FANG) - zurückwirkte und weil ein die begehrte Rentenleistung gewährender Bescheid bisher nicht bindend geworden ist (vgl. BSG SozR FANG Art. 6 § 8 Nr. 1; BSG 20, 287, 290).

An der allein streitigen Wartezeit von mindestens 60 Beitragsmonaten oder 260 Beitragswochen fehlen der Klägerin, da ihr die Beklagte nach den Feststellungen des LSG bereits 243 Beitragswochen anerkannt hat, noch mindestens 17 Beitragswochen. Diese Mindestzahl an fehlenden Beitragswochen hat die Beklagte der Klägerin mit dem Ergebnis, daß die Wartezeit erfüllt ist, auf jeden Fall gutzubringen, wenngleich, was noch dargelegt werden wird, das LSG die genaue Zahl der Beitragswochen unter Berücksichtigung der folgenden Erwägungen noch wird feststellen müssen:

Das LSG und die Beklagte schreiben dem Umstand, daß der Klägerin aus Anlaß ihrer Heirat gemäß § 1309 a RVO in der Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 1937 - RGBl I 1393 -, § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die vorläufige Durchführung der Reichsversicherung in den sudetendeutschen Gebieten vom 12. Oktober 1938, Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 6. Februar 1939 - II a 1060/39 - (Deutsche Rentenversicherung 1939, 54), § 36 der Verordnung über die endgültige Regelung der Reichsversicherung in den ehemaligen tschechoslowakischen, dem Deutschen Reich eingegliederten Gebieten vom 27. Juni 1940 (RGBl I 957) - Sudeten-Verordnung - die Beiträge erstattet worden sind, die Wirkung zu, daß damit die vor der Vertreibung in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) genannten Gebieten verrichteten Beschäftigungen nicht gemäß § 16 Satz 1 FRG rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungen, für die Beiträge entrichtet sind, gleichzusetzen sind. Eine solche Ausschlußwirkung kommt indes der Beitragserstattung nicht zu. Dies hat das BSG bereits mehrfach entschieden (BSG 20, 287; SozR FRG § 16 Nr. 4; Urteil vom 28. Februar 1967 - 4 RJ 443/65 - nicht veröffentlicht). Es hat ausgesprochen, daß aus Beitragszeiten, die eine unter das FRG fallende Vertriebene bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt hat, zwar keine Rechte aufgrund des § 15 FRG hergeleitet werden können, wenn der Vertriebenen vor ihrer Vertreibung aus Anlaß ihrer Heirat Beiträge erstattet worden sind, eine solche Beitragserstattung es jedoch nicht ausschließt, daß eine vor der Vertreibung in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG genannten Gebieten verrichtete Beschäftigung gemäß § 16 Satz 1 FRG einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung, für die Beiträge entrichtet sind, gleichgestellt wird. Soweit die Beklagte geltend macht, diese Rechtsprechung übergehe die rechtsvernichtende Wirkung der Beitragserstattung und bevorzuge daher die Vertriebenen unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) vor den Einheimischen, weil diesen der Rückgriff auf Beschäftigungszeiten bei vorausgegangener Beitragserstattung versagt sei, verkennt sie das Wesen der besonderen Regelung des § 16 FRG. Das mit dem FANG vom 25. Februar 1960 auf neue Grundlagen gestellte Fremdrentenrecht will den Vertriebenen im System der sozialen Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine eigene Stellung einräumen. Die Vorschrift des § 16 FRG dient dabei der Eingliederung der Vertriebenen, hat aber mit einer Entschädigung für den Verlust einer Rechtsstellung in einem fremden System der sozialen Sicherheit nichts gemein. Anknüpfung für die Eingliederung ist allein die im Herkunftsland verrichtete Beschäftigung in wirtschaftlicher und sozialer Abhängigkeit.

Aus dieser Auslegung des § 16 Satz 1 FRG folgt auch kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Eine willkürliche und damit verfassungswidrige Differenzierung liegt nicht darin, daß bei der Erstattung von Beiträgen Einheimische auf die früheren Beitragszeiten als Beschäftigungszeiten nicht zurückgreifen können, während § 16 FRG den Vertriebenen diesen Rückgriff eröffnet, wodurch den Vertriebenen gegenüber den Einheimischen eine bevorzugte Behandlung zuteil wird. Diese Vorzugsstellung hat ihren Grund in dem Eingliederungsgedanken des Fremdrentenrechts. Die von dem Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung in der Behandlung von Vertriebenen und Einheimischen ist aber als Folge der erstrebten Eingliederung der Vertriebenen sachlich vertretbar und keineswegs willkürlich (vgl. auch BSG SozR FRG § 16 Nr. 4 Bl. Aa 4 Rückseite).

Die Beklagte wendet sich ferner noch mit folgenden Ausführungen gegen die hier vertretene Auslegung des § 16 Satz 1 FRG:

In Art. X des 2. Gesetzes zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG-Schlußgesetz) vom 14. September 1965 (BGBl I 1315) habe der Gesetzgeber bei Durchgeführter Erstattung der Beiträge dem in Frage kommenden weiblichen Personenkreis die besonderen Vergünstigungen über die Weiterversicherung und Beitragsnachentrichtung bis zum 1. Januar 1924 zurück eingeräumt, dagegen von einem "Wiederaufleben" der erstatteten Beiträge ausdrücklich abgesehen. In diese Regelung seien auch vertriebene Verfolgte einbezogen, wie sich zwangsläufig aus Abs. 4 derselben Vorschrift ergebe, wonach als Mittel für die Feststellung einer Beitragserstattung die Glaubhaftmachung zugelassen worden sei. Darüberhinaus sei nicht einzusehen, daß der Gesetzgeber den Verfolgten des Nationalsozialismus, also einem Personenkreis, der auf dem Gebiet der Sozialversicherung eine Sonderstellung einnehme, zumute, Beiträge zu entrichten, während auf der anderen Seite bei Anwendung der Rechtsprechung des BSG weibliche Vertriebene aus dem Sudetenland einer Beitragsnachentrichtung wegen der Anrechnung von Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG nicht bedürften.

Mit diesem Einwand vermag die Beklagte nicht durchzudringen. Die Regelung des Art. X des 2. Gesetzes zur Änderung des BEG-Schlußgesetzes zur Wiedergutmachung in der Sozialversicherung bei Beitragserstattung wegen Heirat hat ihre Parallele in der großzügigen Weiter- und Nachversicherungsmöglichkeit ehemals Selbständiger in Art. 2 § 52 ArVNG (vgl. Blessin - Giessler, Bundesentschädigungsgesetz, 1967, Art. X, Anm. I). Bei der hier eröffneten weiteren Versicherungsmöglichkeit knüpft der Gesetzgeber lediglich an die Tatsache einer früheren Beitragsentrichtung an. Außer der früheren Beitragsentrichtung ist nichts zu prüfen, also weder, ob die Beitragsentrichtung wirksam war oder ob die Beiträge dem Versicherungsträger verblieben sind. Die vorgesehene Beitragsnachentrichtung setzt voraus, daß für die Nachentrichtungszeiten keine Beiträge vorhanden sind. Es ist zutreffend, daß der Gesetzgeber in Art. X BEG-Schlußgesetz das Erlöschen der Beitragserstattung hingenommen und das "Wiederaufleben" der erstatteten Beiträge nicht verfügt hat. Es ist aber bereits irrig, die Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten gemäß § 16 Satz 1 FRG mit einem "Wiederaufleben" erstatteter Beiträge in Verbindung zu bringen. Wie bereits betont, geht § 16 Satz 1 FRG eben nicht von Beitragszeiten, sondern unabhängig davon allein von Beschäftigungszeiten aus, um damit die Eingliederung der Vertriebenen zu ermöglichen. Die vom Gesetzgeber in § 16 Satz 1 FRG und in Art. X BEG-Schlußgesetz gefundenen Lösungen sind lediglich aus dem jeweiligen Zweck der Vorschriften erklärbar; einmal aus dem Gedanken der Eingliederung der Vertriebenen, zum anderen aus dem der Wiedergutmachung. Die unterschiedlichen Lösungen sind entgegen der Auffassung der Beklagten sachlich gerechtfertigt. Von einer willkürlichen Regelung kann keine Rede sein. Auch insoweit ist daher der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt.

Auch der Hinweis der Beklagten auf die Kritik, die Maier, SozVers. 1967, 141 an dem Urteil des 1. Senats des BSG vom 30. August 1966 - 1 RA 63/64 - (BSG 25, 177 = SozR FRG § 16 Nr. 7) geübt hat, gibt zu einer anderen Beurteilung der hier maßgeblichen Frage, ob eine Beitragserstattung aus Anlaß der Heirat der Versicherten die Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten im Sinne des § 16 Satz 1 FRG ausschließt, keinen Anlaß. Die Ablehnung, die das genannte Urteil des 1. Senats des BSG erfahren hat - außer Maier, aaO hat sich bisher noch Kintzel, SGb 1967, 218 ablehnend geäußert -, kann auf sich beruhen. Denn es ist nicht erforderlich, auf dieses Urteil näher einzugehen, worin der 1. Senat des BSG entschieden hat, Beschäftigungszeiten seien auch dann "im Ausland" zurückgelegt, wenn sie in einem Gebiet außerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 verbracht wurden. Wie der 4. Senat bereits in seinem Urteil vom 28. Februar 1967 - 4 RJ 443/65 - ausgeführt hat, hat der 1. Senat keine Entscheidung für den Fall treffen wollen, daß Beiträge nach den früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung entrichtet worden waren. Für diesen Fall ist aber der in Betracht kommende Rechtsanwendungsbereich vollständig durch § 1250 Abs. 1 Buchst. a) RVO ausgefüllt. Daher sind Überschneidungen mit § 16 FRG ausgeschlossen; denn Beiträge, die nach Reichsrecht aufgewendet wurden, sind "schon aufgrund der RVO, des Angestelltenversicherungsgesetzes und des Reichsknappschaftsgesetzes anzurechnen, gleichgültig wann und wo sie entrichtet sind" (Bundestagsdrucksache III 1109 S. 39). Zu den nach Reichsrecht entrichteten Beiträgen sind nicht nur die Beiträge zu zählen, die im früheren Reichsgebiet nach dem Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 geleistet wurden, vielmehr gehören dazu auch die in "angegliederten" Gebieten, also auch die nach dem 30. September 1938 im Sudetenland entrichteten und auf deutschem Recht beruhenden Beiträge (vgl. Bundestagsdrucksache III 1109, S. 46). Für diese Beiträge ist die Rechtsfolge der Erstattung zu beachten.

Hieraus folgt, daß die Beitragserstattung anläßlich der Heirat der Klägerin es nicht hindert, die Beschäftigungszeiten der Klägerin ab vollendeten 16. Lebensjahr gemäß § 16 Satz 1 FRG auf die Wartezeit anzurechnen. Freilich ist die Anrechnung auf die Beschäftigungszeiten bis zum 30. September 1938 zu begrenzen. Die Beschäftigungszeiten nach dem 30. September 1938 bis zur Beitragserstattung fallen nicht unter § 16 Satz 1 FRG, weil für sie Beiträge zur reichsgesetzlichen Invalidenversicherung entrichtet worden sind (§ 1250 Abs. 1 Buchst. a) idF des FANG; § 1 Abs. 1 der Verordnung über die vorläufige Durchführung der Reichsversicherung in den sudetendeutschen Gebieten vom 12. Oktober 1938 - RGBl I 1437 -; §§ 36, 72 Abs. 2 Buchst. a der Sudeten-Verordnung).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hätte also die Beklagte der Klägerin selbst die Zeiten ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung in der Tschechoslowakei bis zum 30. September 1938, auf die sich die Beitragserstattung erstreckte, als Beschäftigungszeiten gutbringen müssen. Diese Zeiten hätten allerdings erst frühestens vom 1. Juli 1926 ab beginnen können, da in der Tschechoslowakei für unselbständige Beschäftigte von diesem Tage ab Versicherungspflicht aufgrund des Gesetzes vom 10. Oktober 1924, betreffend die Versicherung der Arbeitnehmer für den Fall der Krankheit, der Invalidität und des Alters bestand (vgl. Verbandskomm., § 15 FRG, Anm. 4 B 28 f). Andererseits ist die Klägerin aber nach den Feststellungen des LSG schon vor dem 1. Juli 1926 in Asch in einer Wirkwarenfabrik von 1909 bis 1917 und wiederum ab 1921 sowie in Budapest als Hausangestellte von 1917 bis 1921 beschäftigt gewesen. Auch diese Beschäftigungszeiten sind zu berücksichtigen. Da in dem angefochtenen Urteil nähere Einzelheiten über Art und Dauer der Beschäftigungen der Klägerin vor dem 1. Juli 1926, vor allem über ihren Beginn und über Ende fehlen, reichen die Feststellungen des LSG nicht aus, um beurteilen zu können, in welchem Umfang diese Zeiten als Beschäftigungszeiten im Sinne des § 16 Satz 1 FRG auf die Wartezeit anzurechnen sind. Daher muß das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 SGG). Vor seiner erneuten Entscheidung wird das LSG die genauen Zeiten und Arten der verschiedenen Tätigkeiten der Klägerin im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 16 Satz 1 FRG (zB durch Anhörung der Klägerin, Vernehmung von Zeugen) festzustellen haben.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2304939

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