Leitsatz (amtlich)
Zur Beweiskraft der standesamtlichen Eintragungen in das Geburten- und Sterbebuch für die Feststellung der Ehelichkeit oder Unehelichkeit eines Kindes, wenn am 1948-06-11 im Geburtenbuch der Versicherte als Vater des am 1948-06-10 geborenen Kindes und am 1949-12-22 im Sterbebuch eingetragen ist, der Versicherte ist "etwa am 1945-04-25 in Berlin verstorben und das Skelett am 1949-12-20 um... Uhr in... aufgefunden worden".
Normenkette
SGG § 128 Abs. 1 S. 1, § 118 Abs. 1; ZPO § 418 Abs. 3; PersStdG §§ 60, 66
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11. Januar 1966 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen insoweit aufgehoben, als über den Anspruch auf Waisenrente entschieden ist.
Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Klägerin Waisenrente nach dem Versicherten, S ... beanspruchen kann.
Der Versicherte war mit der Mutter der Klägerin verheiratet. Im Geburtenbuch des Standesamtes B, P, ist am 11. Juni 1948 eingetragen, daß die Klägerin am 10. Juni 1948 geboren und der Versicherte ihr Vater ist. Im Sterbebuch desselben Standesamtes ist am 22. Dezember 1949 eingetragen, daß der Versicherte "etwa am 25. April 1945 in B verstorben und das Skelett am 20. Dezember 1949 um 10 Uhr in B, G Straße ..., aufgefunden worden" ist.
Die Klägerin begehrt Waisenrente als eheliches Kind des Versicherten. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19. August 1964 die Gewährung von Waisenrente mit der Begründung ab, die Klägerin sei unehelich, weil sie nicht innerhalb von 302 Tagen nach Auflösung der Ehe durch den urkundlich festgestellten Tod des Versicherten geboren sei. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Beklagte zur Gewährung von Waisenrente verpflichtet (Urteil vom 19. Mai 1965).
Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen; es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 11. Januar 1966). Es hat die Auffassung vertreten, dem Eintrag im Sterbebuch zufolge habe die Ehe der Mutter der Klägerin mit dem Versicherten bei der Geburt der Klägerin nicht mehr bestanden; daraus folge zugleich die Unehelichkeit der Klägerin, die zweifelsfrei nicht innerhalb von 302 Tagen nach der Auflösung der Ehe geboren sei (§ 1593 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -).
Die Klägerin hat Revision eingelegt und sinngemäß beantragt, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als das LSG das Urteil des SG hinsichtlich ihres Anspruchs auf Gewährung von Waisenrente aufgehoben hat, und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG insoweit zurückzuweisen.
Die Klägerin führt zur Begründung der Revision aus, das LSG habe übersehen, daß die standesamtliche Eintragung im Geburtenbuch eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sei. Durch diese Geburtsurkunde werde der volle Beweis erbracht, daß sie - die Klägerin - eine eheliche Tochter des Versicherten sei. Deshalb habe sie Anspruch auf Waisenrente.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie meint, nach dem Eintrag in das Sterbebuch, der später als die Geburtsurkunde aufgenommen worden sei, stehe fest, daß die Ehe durch den Tod des Versicherten "etwa am 25. April 1945" aufgelöst und die später als 302 Tage geborene Klägerin unehelich sei. Deshalb bestehe kein Anspruch auf Waisenrente.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision ist insoweit begründet, als das Urteil aufzuheben ist, soweit über den Anspruch auf Waisenrente entschieden ist; insoweit ist die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Das angefochtene Urteil läßt nicht erkennen, daß das LSG bei der Entscheidung, durch die Sterbeurkunde werde der Zeitpunkt des Todes und damit die Auflösung der Ehe und die Unehelichkeit der Klägerin bewiesen, die Vorschriften des Personenstandsgesetzes (PStG) über die Beweiskraft von Personenstandsurkunden richtig beachtet hat (§ 128 Abs. 1 S. 1, § 118 Abs. 1 SGG i. V. m. § 418 Abs. 3 ZPO, §§ 60, 66 PStG).
Nach § 1267 der Reichsversicherungsordnung (RVO), Art. 2 § 20 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes erhalten Kinder des Versicherten im Sinne des § 1262 Abs. 2 RVO Waisenrente. Die Klägerin stützt ihren Anspruch allein darauf, daß sie eheliches Kind des Versicherten sei (§ 1262 Abs. 2 Nr. 1 RVO). Nach § 1591 BGB ist ein Kind, das nach Eingehung der Ehe geboren wird, unter weiteren Voraussetzungen ehelich. Die Unehelichkeit eines Kindes, das während der Ehe oder innerhalb 302 Tagen nach Auflösung der Ehe geboren ist, kann nur geltend gemacht werden, wenn sie rechtskräftig festgestellt ist (§ 1593 BGB). Die Unehelichkeit eines nicht während der Ehe oder nicht innerhalb 302 Tagen seit ihrer Auflösung geborenen Kindes kann dagegen unbeschränkt geltend gemacht werden (Palandt, BGB, 26. Aufl. Anm. 1 zu § 1593 BGB; BSG 12, 139, 141).
Da die Unehelichkeit der Klägerin nicht rechtskräftig festgestellt ist, kommt es darauf an, ob sie während der Ehe oder innerhalb 302 Tagen nach deren Auflösung oder später geboren ist. Die Klägerin beruft sich für ihre Ehelichkeit auf die Geburtsurkunde, in der der Versicherte als ihr Vater eingetragen ist. Zur Zeit der hier bedeutsamen Vorgänge - Geburt 1948, Auffinden des Skeletts Ende 1949 - und der Einträge in das Geburten- und das Sterbebuch, galten in Ostberlin die Vorschriften des PStG vom 3.11.1937.
Gemäß § 60 PStG 1937 beweisen die Eintragungen im Geburtenbuch bei ordnungsmäßiger Führung des Buches die Geburt und die darüber gemachten näheren Angaben (vgl. § 418 ZPO). Nach § 66 PStG 1937 haben die standesamtlichen Urkunden dieselbe Beweiskraft wie die Personenstandsbücher (Pfeiffer-Strickert, PStG, Kommentar, 1961, Randziffer 7 zu § 60). Nach § 21 PStG 1937 war bei der Beurkundung einer Geburt der Vater des Kindes in das Geburtenbuch einzutragen. Die Angabe des Vaters wird somit von der Beweiskraft des Geburtenbuches mit umfaßt.
Nach § 60 Satz 2 PStG 1937 ist der Nachweis der Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsachen zulässig. Die Beweiskraft der Eintragungen ist demnach beschränkt. Die Eintragungen haben keine rechtserzeugende Kraft, wie die Klägerin offenbar meint, sondern nur deklaratorische Wirkung (Pfeiffer-Strickert, aaO, Randziffer 10 zu § 60). Der Nachweis der Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsache ist jederzeit zulässig und kann mit allen zulässigen Beweismitteln geführt werden (Pfeiffer-Strickert, aaO, Randziffer 10 zu § 60). Ob die Unrichtigkeit erwiesen ist, ist im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung festzustellen (vgl. Pfeiffer-Strickert, aaO, Randziffer 4 zu § 60). Hier soll entgegen der eingetragenen Angabe über den Vater der Klägerin in dem Geburtenbuch bewiesen werden, daß der Versicherte nicht der Vater der Klägerin ist. Es wird geltend gemacht, daß mit der Eintragung des Versicherten als Vater der Klägerin in dem Geburtenbuch eine falsche, in Wirklichkeit nicht bestehende Tatsache beurkundet worden sei. Zum Beweise der Richtigkeit soll nach Auffassung des LSG der Eintrag im Sterbebuch dienen.
Eine Sterbeurkunde ist ebenfalls eine Personenstandsurkunde mit der Beweiskraft nach §§ 60, 66 PStG 1937. Sie beweist den Tod des Genannten und die darüber im Sterbebuch gemachten näheren Angaben, wenn das Sterbebuch ordnungsgemäß geführt ist. Es ist hier indes fraglich, ob das Sterbebuch ordnungsgemäß geführt ist und ob die darin eingetragenen Angaben nach § 60 PStG beweiskräftig sind.
Im Sterbebuch sind nach § 37 Abs. 1 Nr. 3 PStG 1937 Ort, Tag und Stunde des Todes einzutragen. Da der Zeitpunkt des Eintritts des Todes erfahrungsgemäß nicht in jedem Einzelfall genau angegeben werden kann, ist § 37 Abs. 1 Nr. 3 PStG 1937 dahin zu verstehen, daß über die Todeszeit die nach Lage des Falles mögliche Feststellung aufzunehmen ist (vgl. auch die Dienstanweisung für Standesbeamte Nr. 281 Abs. 1 Buchst. c). Steht der Todeszeitpunkt nicht fest, so darf im Sterbebuch nicht der als wahrscheinlich vermutete Zeitpunkt des Todes, sondern nur die nach Lage des Falles mögliche Feststellung eingetragen werden; die Vorschriften des Verschollenheitsgesetzes über den wahrscheinlichsten Todeszeitpunkt sind bei Eintragungen in das Personenstandsregister nicht entsprechend anzuwenden (OLG Freiburg i. Br. vom 3.12.1946 in DRZ 1947, 161; vgl. auch KG vom 22.11.1956 in NJW 1957, 833; OLG Hamm in "Das Standesamt" - StAZ - 1949, 8). Im Gesetz vorgeschriebene Angaben, die der Standesbeamte nicht als Tatsachen sicher beurkunden kann, dürfen nicht eingetragen werden. Der Grundsatz der Wahrheit der Personenstandsbücher (Unzulässigkeit der Eintragung einer fiktiven Todeszeit) geht dem Grundsatz der Vollständigkeit vor. Zwar ist es zulässig, einen Sterbefall zu beurkunden, wenn als möglicher Todeszeitpunkt ein Zeitraum von mehreren Tagen in Frage kommt (LG Kassel in StAZ 1955, 60). Doch dürfen dann, da im Sterbebuch nur Tatsachen zu beurkunden sind, auch nur festgestellte und deshalb feststehende Tatsachen eingetragen werden, nämlich wann der Verstorbene tot aufgefunden und wann er zuletzt lebend gesehen wurde. Die Eintragung eines Zusatzes "angeblich" beim Todeszeitpunkt ist nicht angängig (StAZ 1957, 352; AG Bielefeld in StAZ 1963, 8).
Zu den nach Lage des Falles möglichen Feststellungen in der gegenwärtigen Streitsache gehört unzweifelhaft die Angabe in der Sterbeurkunde, daß das Skelett des Versicherten am 20. Dezember 1949 zur genannten Stunde an der bezeichneten Stelle gefunden worden ist. Ferner hätte noch eingetragen werden müssen, wann der Verstorbene zuletzt lebend gesehen worden ist, wenn der Todeszeitpunkt nicht sicher angegeben werden konnte oder nicht gerichtlich festgestellt worden ist.
Es bestehen daher Bedenken, ob mit der Angabe der Todeszeit "etwa am 25. April 1945 ... verstorben" das Sterbebuch ordnungsgemäß geführt ist. Aus dem Wortlaut der Eintragung "etwa am 25. April 1945" kann entnommen werden, daß der Anzeigende den Todeszeitpunkt nicht angeben konnte oder daß der eintragende Standesbeamte Zweifel an dem angegebenen Todeszeitpunkt hatte. Ein ungefährer, nur vermuteter Todeszeitpunkt darf jedoch nicht eingetragen werden. In Fällen, in denen für andere Rechtsfragen die Angaben über den Tod im Sterbebuch nicht genau genug sind, kann der Todeszeitpunkt nur in einem besonderen gerichtlichen Verfahren festgestellt werden (StAZ 1963, 8; §§ 39 ff des Verschollenheitsgesetzes).
Dieses gerichtliche Feststellungsverfahren findet statt, wenn eine Todeserklärung unzulässig ist, weil der Eintritt des Todes nicht zweifelhaft, eine Eintragung im Sterbebuch aber nicht erfolgt ist. Bei einer Eintragung im Sterbebuch fehlt zwar grundsätzlich das rechtliche Interesse an einer Feststellung des Todeszeitpunkts. Doch steht die Eintragung im Sterbebuch einem Feststellungsverfahren nicht entgegen, wenn sie wegen nicht ordnungsmäßiger Führung des Buches nicht beweiskräftig ist (vgl. Palandt, aaO, Anm. 2 zu § 39 Verschollenheitsgesetz; Soergel, BGB, 9. Aufl. Anm. 3 zu § 39 Verschollenheitsgesetz; KG in NJW 1957, 833), oder wenn die eingetragenen Tatsachen für andere Rechtsfolgen nicht genau genug sind.
Bisher fehlen Feststellungen darüber, ob die Eintragung im Sterbebuch "etwa am 25. April 1945 ... gestorben" auf amtlichen Ermittlungen über den Todeszeitpunkt beruht (§ 35 PStG 1937) und was deren Ergebnis war. Solche Ermittlungen anläßlich des Auffindens des Skeletts liegen nahe. Zudem muß die Identifizierung betrieben worden sein, denn sonst wäre die Eintragung im Sterbebuch unter dem Namen des Versicherten nicht möglich gewesen. Das LSG hat auch nicht festgestellt, ob und mit welchem Ergebnis nach Ausstellung der Sterbeurkunde noch ein gerichtliches Verfahren zur Feststellung der Todeszeit durchgeführt worden ist oder ob etwa der Versicherungsträger auf Grund eines rechtlichen Interesses an der Feststellung des Todeszeitpunkts ein solches Verfahren beantragt hat, das noch anhängig ist und dessen Ausgang abgewartet werden müßte, so daß das Verfahren auszusetzen wäre (vgl. §§ 40, 16 Verschollenheitsgesetz; § 114 SGG).
Zwar kann die Eintragung in der Geburtsurkunde auch durch andere Umstände als durch Urkunden widerlegt werden; doch hat das LSG keine anderen Tatsachen festgestellt, die seine Auffassung von der Unrichtigkeit der Eintragung des Versicherten als Vater der Klägerin in dem Geburtenbuch unabhängig von der Sterbeurkunde rechtfertigen könnten. Daher kann der Senat die Richtigkeit der Entscheidung des LSG auch nicht auf Grund anderer Umstände bestätigen.
Da das LSG bei seiner Entscheidung nicht beachtet hat, daß der Sterbeurkunde urkundliche Beweiskraft nur bei ordnungsmäßiger Führung des Sterbebuches zukommt und es unterlassen hat, hierüber die notwendigen Ermittlungen anzustellen, ist das Urteil, soweit es die Waisenrente betrifft, aufzuheben. Die Sache ist insoweit an das LSG zurückzuverweisen.
In dem weiteren Verfahren wird das LSG bei seiner Beweiserhebung und Beweiswürdigung zu berücksichtigen haben, daß sich unter Umständen bei ordnungsmäßiger Führung von Geburtenbuch und Sterbebuch mit der Geburtsurkunde und der Sterbeurkunde zwei in ihrer Beweiskraft nach dem PStG grundsätzlich gleichwertige Urkunden gegenüberstehen. Das LSG wird prüfen müssen, ob die Sterbeurkunde stärkeren Beweiswert für den bereits eingetretenen Tod des noch als Vater in der Geburtsurkunde Eingetragenen hat oder ob noch auf andere Beweismittel außerhalb der Personenstandsurkunden zurückzugreifen ist, um die Richtigkeit der Eintragung des Versicherten als Vater der Klägerin in der Geburtsurkunde zu bestätigen oder zu widerlegen, z. B. auf die Anhörung der Mutter der Klägerin oder auf deren Aussagen, die sie im Witwenrentenverfahren oder vor anderen Stellen anläßlich des Auffindens des Skeletts gemacht hat, ferner auf Ermittlungen über die Identität und die Todeszeit des Verstorbenen bei Untersuchung des Skeletts.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen