Orientierungssatz
Zur Frage der Verjährung bzw Verwirkung einer Beitragsforderung für die Jahre 1960/61 nach HwVG § 9 Abs 2, die erst im Jahre 1965 geltend gemacht wird.
Normenkette
RVO § 29 Abs. 1 Fassung: 1938-09-01; BGB § 242; HwVG § 9 Abs. 2 Fassung: 1960-09-08
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. Mai 1968 wird aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 5. Juli 1967 wird zurückgewiesen.
Kosten sind weder für das Berufungs- noch für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Gründe
Es geht um die Verjährung von Beiträgen, die der Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1960 bis 30. Juni 1961 zur Altersversorgung für das Deutsche Handwerk hätte entrichten müssen.
Der Kläger ist Schmiedemeister und seit 1936 in der Handwerksrolle eingetragen. Er hat weder zur Handwerkerversorgung noch zur Handwerkerversicherung Beiträge entrichtet. Im Oktober 1962 erteilte die Beklagte dem Kläger einen Bescheid dahin, daß er ab 1. Januar 1962 nach dem Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG) vom 8. September 1960 zu versichern sei und Beiträge zu zahlen habe. Über den hiergegen vom Kläger erhobenen Widerspruch entschied die Beklagte erst mit dem Bescheid vom 2. Februar 1965. Nachdem der Kläger daraufhin seine Lebensversicherung rückwirkend zum 1. Juli 1961 auf eine Prämienhöhe gebracht hatte, die dem Betrage entsprach, den er zur Rentenversicherung hätte zahlen müssen (§ 4 Abs. 1 des Handwerkerversorgungsgesetzes - HVG -), bestätigte die Beklagte, daß er insoweit versicherungsfrei sei (§ 3 HVG, § 6 Abs. 3 HwVG), forderte ihn jedoch auf, für 1960 und das erste Halbjahr 1961 Beiträge von insgesamt 1.218,- DM zu entrichten (- § 9 Abs. 2 HwVG -; Bescheid vom 23. März 1965; Widerspruchsbescheid vom 26. November 1969).
Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Landshut durch Urteil vom 5. Juli 1967 abgewiesen. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 9. Mai 1968 das erstinstanzliche Urteil sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Kläger habe sich der Beitragsforderung gegenüber mit Recht auf die Einrede der Verjährung berufen.
Die dafür in § 29 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vorgesehene Zeitspanne von zwei Kalenderjahren sei Ende 1962 bzw. 1963 abgelaufen. Diese Frist sei nicht etwa durch das Verfahren über die Versicherungspflicht des Klägers gehemmt gewesen (§ 1420 Abs. 2 RVO). Eine solche Wirkung könne nur durch ein Beitragsverfahren hervorgerufen werden, das den der Verjährung unterliegenden Anspruch selbst betreffe oder das für die Unterlassung der rechtzeitigen Beitragsentrichtung ursächlich sei. Beide Erfordernisse seien aber bei dem hier in Betracht zu ziehenden Vorverfahren nicht verwirklicht. - Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat das Rechtsmittel eingelegt und beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen. Sie verweist auf § 1420 Abs. 2 und 3 RVO, wonach Zeiträume, in denen "eine Beitragsstreitigkeit" im Vorverfahren schwebt, die Verjährung des Anspruchs auf Zahlung rückständiger Beiträge unterbrechen. Der Gebrauch des unbestimmten Artikels ("eine") - zum Unterschied von der Verwendung des bestimmten Artikels ("des") in § 209 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) - lasse erkennen, daß es dem Gesetzgeber nicht auf den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Beitragsforderung und dem Beitragsstreitverfahren angekommen sei. Die Beklagte sieht sich in dieser Auffassung des weiteren dadurch bestärkt, daß nicht nur Beitragsstreitigkeiten sondern sogar ein Verfahren über einen Rentenanspruch die Zeit für den Einzug der Beiträge erstrecke.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er entgegnet, die Revision werde der Tatsache nicht gerecht, daß in dem voraufgegangenen Vorverfahren Beiträge ausdrücklich nur für die Zeit "ab 1. Januar 1962" verlangt worden seien.
Die Revision ist begründet.
Die Beitragsforderung für die Jahre 1960 und 1961 ist nicht verjährt. Die hierfür maßgebliche Frist endet zwei Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres der Beitragsfälligkeit (§ 29 Abs. 1 RVO). Diese Verjährungszeit ist durch das 1962 eingeleitete Verfahren über die Pflicht des Klägers zur Versicherung nach dem HwVG unterbrochen worden (§ 1420 Abs. 2 und 3 RVO). Zwar wurde in jenem Verfahren über eine Beitragsschuld des Klägers für einen anderen Zeitabschnitt verhandelt. Auch ging es dort, anders als hier, um Rückstände von Beiträgen zur Handwerkerversicherung. Darauf käme es jedoch nur an, wenn die Verjährungsunterbrechung davon abhinge, daß das zwischenzeitliche Streitverfahren den der Verjährung unterliegenden Anspruch selbst betroffen hätte oder daß dieser Streit für das Unterlassen der Beitragsentrichtung ursächlich gewesen wäre. Das ist die Auffassung, die das Berufungsgericht vertreten hat; ihr vermag der Senat nicht zu folgen. Er hat sich mit ihr bereits in der - den Beteiligten bekannten - Entscheidung vom 12. November 1969 - 4 RJ 245/68 - auseinandergesetzt und § 1420 Abs. 2 RVO dahin gedeutet, daß die Frist für jeden Fall einer Unklarheit über das in Rede stehende Versicherungsverhältnis angehalten wird. Es genügt, daß zwischen dem früheren Beitragsstreit und der Beitragsforderung, deren Verjährung droht, ein innerer Zusammenhang besteht. Diese innere Verknüpfung ist bei Identität des Versicherungsverhältnisses verwirklicht und diese Identität ist wiederum bei der Versicherung sowohl nach dem Handwerkerversorgungsgesetz als auch nach dem Handwerkerversicherungsgesetz gewahrt. Auf die Erwägungen, aus denen heraus der Senat zu seiner Ansicht gelangt ist, braucht hier nicht nochmals im einzelnen eingegangen zu werden; es kann auf die Gründe des angefochtenen Urteils verwiesen werden. Ein Grund, davon abzugehen, besteht nicht.
Die Beklagte war ferner nicht gehindert, nachträglich Beiträge für 1960 und 1961 zu erheben, obgleich sie zunächst nur Beiträge für eine spätere Zeit beansprucht hatte. Die nachträgliche Geltendmachung der Beitragsforderung könnte allenfalls nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen sein (vgl. BSG SozR Nr. 4 zu BGB § 242). Deshalb wäre von einer Verwirkung zu sprechen, wenn die Beklagte die Beitragsforderung mit unangemessener Verzögerung erhoben und vorher durch ihre lange Untätigkeit in dem Beitragsschuldner den Eindruck erweckt hätte, sie werde von ihrem Forderungsrecht keinen Gebrauch mehr machen (BSG SozR Nr. 9 zu BGB § 242). Dazu ist es jedoch nicht gekommen. Die Beklagte hat lediglich längere zeit gewartet, bis sie die hier in Rede stehenden Beiträge verlangte. Der Grund hierfür mag und kann in dem bereits schwebenden Beitragsstreitverfahren gelegen haben. Jedenfalls reicht der Zeitablauf für sich allein zur Annahme der Verwirkung nicht aus. Es müssen spezifische Umstände hinzukommen, die den Schluß rechtfertigen, das Schweigen des Forderungsberechtigten sei endgültig. In dieser Beziehung gab aber der Geschehensablauf dem Kläger keinen positiven Anhalt für eine entsprechende Vorstellung. Er kann infolgedessen auch nicht in begründeten Erwartungen enttäuscht worden sein. Außerdem müßte, wenn der Tatbestand der Verwirkung erfüllt sein sollte, dargetan sein, daß sich der Kläger auf ein Verhalten der Beklagten eingerichtet hatte, welches in dem besprochenen Sinne zu deuten wäre (BSG SozR Nr. 9 zu BGB § 242). Es ist jedoch weder festgestellt noch vorgetragen worden, daß der Kläger im Vertrauen auf ein konsequentes Tun oder Unterlassen der Beklagten wirtschaftliche Dispositionen getroffen hätte und daß er jetzt bei einer Mißachtung dieses Vertrauens geschädigt werden würde.
Mithin ist die Beitragsforderung der Beklagten nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen