Leitsatz (amtlich)
Es widerspricht nicht dem Grundsatz der Gleichbehandlung, daß die Befreiung von der Versicherungspflicht wegen Vollendung des 50. Lebensjahrs nach AnVNG Art 1 § 1 Abs 1 S 1 Buchst a idF des FinÄndG 1967 nicht auch für Personen vorgesehen ist, die vor dem 1968-01-01 selbständige Unternehmer gewesen sind.
Leitsatz (redaktionell)
AnVNG Art 2 § 1 Abs 1 idF des FinÄndG 1967 ist nur eine Übergangsvorschrift. Sie regelt nicht Tatbestände, die erst nach Inkrafttreten des FinÄndG 1967 eintreten (die Besonderheiten bei den Fristen des Abs 1b und des Abs 2 ändern den Charakter der Vorschrift nicht).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; AnVNG Art. 2 § 1 Abs. 1 S. 1 Buchst. a Fassung: 1967-12-21; ArVNG Art. 2 § 1 Abs. 1 S. 1 Buchst. a Fassung: 1967-12-21
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. November 1970 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung (AnV) zu befreien ist (Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG - idF des Finanzänderungsgesetzes - FinÄndG - 1967).
Der Kläger, geboren am 28. August 1918, war bis Oktober 1968 als Unternehmer selbständig berufstätig. Er hatte eine Lebensversicherung über 150.000,- DM abgeschlossen. Seit November 1968 ist er geschäftsführender Gesellschafter und Direktor im Angestelltenverhältnis. Er beantragte im November 1968 bei der Beklagten, ihn wegen seiner Lebensversicherung und seines Alters von der Versicherungspflicht zu befreien. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil der Kläger weder am 31. Dezember 1967 noch am 1. Januar 1968 in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe; zudem sei der Antrag erst nach Ablauf der bis 30. Juni 1968 bemessenen Antragsfrist gestellt worden (Bescheid vom 7. Januar 1969). Der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen (Bescheid vom 2. Mai 1969). Die Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Speyer vom 24. April 1970, Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Rheinland-Pfalz vom 12. November 1970). Die Revision wurde zugelassen.
Das LSG hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt, der Eintritt in die versicherungspflichtige Beschäftigung nach Vollendung des 50. Lebensjahres sei kein Befreiungstatbestand mehr (§ 15 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - aF, §§ 7, 8 AVG nF). Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967 erfasse nur die Personen, die bereits vor dem 1. Januar 1968 Angestellte gewesen seien. Daran fehle es beim Kläger. Deshalb brauche nicht entschieden zu werden, ob dem Kläger eine Antragstellung nach Ablauf der Anschlußfrist in entsprechender Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestattet werden könne. Der Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) sei in Art. 2 § 1 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a AnVNG idF des FinÄndG 1967 nicht verletzt. Zwischen dem Angestellten, der während seines Arbeitslebens bis nach Vollendung des 50. Lebensjahres in abhängiger Beschäftigung gestanden habe, und dem Unternehmer, der bis zu dieser Zeit nicht abhängig beschäftigt gewesen sei, bestehe ein für die Frage der Befreiung von der Versicherungspflicht wesentlicher Unterschied: Der Angestellte habe während seines gesamten Arbeitslebens dem Zwang zur Altersvorsorge unterlegen, sei es in der Sozialversicherung, sei es durch eine fakultative private Versicherung. Beim Unternehmer sei dies nicht der Fall gewesen. Dieser Unterschied habe den Gesetzgeber berechtigt, diese Personenkreise bei der Befreiung von der Versicherungspflicht unterschiedlich zu behandeln. Daß es für den früheren Unternehmer zu einer Doppelbelastung mit Beiträgen zur Privatversicherung und zur Sozialversicherung kommen könne, sei kein zwingender Grund für eine Befreiung von der Versicherungspflicht. Der Unternehmer, der nach Vollendung des 50. Lebensjahres erstmals versicherungspflichtig werde, könne entweder noch die Wartezeit für die Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit erfüllen oder gegebenenfalls sich die Beiträge nach § 82 AVG erstatten lassen.
Der Kläger hat Revision eingelegt. Er beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit Wirkung vom 1. November 1968 ab von der Versicherungspflicht zu befreien.
Die Revision gibt zu, daß der Kläger keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach einem der gesetzlichen Befreiungstatbestände habe. Sie meint, die Befreiungsmöglichkeit wegen Vollendung des 50. Lebensjahres in Art. 2 § 1 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a AnVNG idF des FinÄndG 1967 verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil nur die Personen erfaßt würden, die bereits vor dem 1. Januar 1968 Angestellte gewesen seien. Es sei nicht einzusehen, daß derjenige, der vor dem 1. Januar 1968 Angestellter gewesen sei, bevorzugt werden solle. Daß der versicherungsfreie Angestellte über 50 Jahre nicht mehr versicherungspflichtig zu werden brauche, wohl aber der Selbständige, sei nicht erklärlich und verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Der Kläger habe den Antrag nicht fristgerecht stellen können, weil er bei Ablauf der Frist noch Unternehmer gewesen sei. Da für ihn nachträglich ein Tatbestand der Versicherungspflicht und Befreiung entstanden sei, müsse er im Interesse der Gleichbehandlung nachträglich die Befreiung beantragen können. Es seien gleichartige Tatbestände gegeben, nur mit dem Unterschied, daß sie für den Kläger zeitlich etwas später eingetreten seien.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Die Auffassung, daß der Kläger nach Art. 2 § 1 Abs. 1 Satz 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967 keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht hat, entspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (1 RA 23/68 vom 26.2.1969; Entscheidungen des 12. Senats vom 28.4.1971 - 12/11 RA 138/70 und 158/70 sowie vom 26.5.1971 - 12/11 RA 190/70); diese Vorschrift erfaßt nur Personen, die sowohl im Dezember 1967 als auch im Januar 1968 Angestellte waren, d. h. in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis standen.
Die Revision, welche die Beschränkung des Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967 auf Personen, die schon vor Inkrafttreten des FinÄndG 1967 (1.1.1968) Angestellte waren, für verfassungswidrig hält und im Ergebnis eine unbegrenzte Befreiungsmöglichkeit wegen Vollendung des 50. Lebensjahres vor erstmaliger Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Angestellter annehmen will, beachtet nicht, daß Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967 nur eine Übergangsvorschrift ist. Sie regelt lediglich, wie sich Änderungen des AVG durch das FinÄndG 1967 auf versicherungsrechtliche Verhältnisse auswirken, die zur Zeit des Inkrafttretens des FinÄndG 1967 am 1. Januar 1968 schon bestanden haben und in die das FinÄndG unmittelbar eingreift, ohne daß sich die tatsächlichen Verhältnisse der durch die Rechtsänderung Betroffenen geändert haben. Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967 regelt nicht Tatbestände, die erst nach Inkrafttreten des FinÄndG 1967 eintreten (die Besonderheiten bei den Fristen des Abs. 1 Buchst. b und des Abs. 2 aaO ändern den Charakter des Art. 2 § 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967 als Übergangsvorschrift nicht). Es ist daher sachgerecht, daß diese Vorschrift nur Personen erfaßt, in deren versicherungsrechtliche Stellung das FinÄndG 1967 mit seinem Inkrafttreten unmittelbar eingreifen kann. Das ist bei Personen der Fall, die bei Inkrafttreten des FinÄndG 1967 schon Angestellte waren. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat diese grundlegende Auffassung von Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967 in dem Beschluß vom 14.10.1970 - 1 BvR 753/68, 695, 696/70 (BVerfG 29, 245 = SozR Nr. 8 zu Art. 2 GG) im Zusammenhang mit dem Fehlen einer dauernden Befreiungsmöglichkeit nach dem AVG bei Doppelbelastung eines Versicherten durch Beiträge (Lebensversicherung und Rentenversicherung) zum Ausdruck gebracht.
Der Grundgedanke, daß das FinÄndG 1967 bei einem nach seinem Inkrafttreten vorgenommenen Berufswechsel nicht in ein bestehendes Rechtsverhältnis eingreift und daß deshalb die Übergangsvorschrift des Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967 nicht angewendet werden kann, gilt aus den gleichen Erwägungen auch für Personen, die erst nach Vollendung des 50. Lebensjahres nach dem 31. Dezember 1967 erstmals eine Beschäftigung als Angestellte aufnehmen. Diese Personen unterwerfen sich durch ihren Berufswechsel dem Recht der AnV, so wie es zur Zeit der Aufnahme der Beschäftigung als Angestellter besteht, d. h. ohne Befreiungsmöglichkeit bei erstmaligem Eintritt in die versicherungspflichtige Beschäftigung nach Vollendung des 50. Lebensjahres. Diese Unterwerfung beruht auf dem eigenen Verhalten der Personen, nämlich dem Berufswechsel, nicht auf einem unmittelbaren Eingriff eines neuen Gesetzes in ein bestehendes Rechtsverhältnis.
Die Revision beachtet bei ihren Ausführungen zu der nur bis 30. 6. 68 bemessenen Antragsfrist nicht, daß gerade auch diese einmalige und begrenzte Fristbestimmung für den Charakter der Vorschrift als einer auf Ende 1967/Anfang 1968 abgestellten einmaligen Übergangsregelung spricht.
Soweit die Revision es für verfassungswidrig hält, daß das AVG keine dauernde Befreiungsmöglichkeit für Personen bietet, die erstmals nach Vollendung des 50. Lebensjahres versicherungspflichtige Angestellte werden und daß bei dieser Rechtslage Art. 2 § 1 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a AnVNG idF des FinÄndG 1967 bestimmte Personengruppen unbegründet bevorzuge, ist eine willkürliche Ungleichbehandlung durch Art. 2 § 1 Satz 1 Buchst. a AnVNG idF des FinÄndG 1967 nicht zu erkennen.
Die früheren Vorschriften über die Befreiung von der Versicherungspflicht bei Eintritt in die AnV nach Vollendung eines bestimmten Lebensalters hingen eng mit dem jeweiligen Anwartschafts- und Wartezeitrecht und der stark eingeschränkten Beitragserstattung zusammen (§ 397 VGfA vom 20.12.1911, § 380 AVG vom 28.5.1924, § 15 AVG idF der VO vom 17.5.1934). Das AnVNG hat das Erfordernis der Erhaltung der Anwartschaft im allgemeinen beseitigt und die Beitragserstattung erweitert (§ 82 AVG). Damit entfiel der wesentliche Grund für die dauernde Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht bei Eintritt in die AnV in einem höheren Lebensalter, in dem die Erfüllung der Wartezeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres nicht mehr möglich war (vgl. BT-Drucks. II/2437, Begründung zu §§ 2 bis 5 des Regierungsentwurfs eines Rentenversicherungsgesetzes; BT-Drucks. II/3080, Begründung des Ausschusses zum AVG, Allgemein, S. 31; BABl. 1957, 260, 261 f). Die übergangsweise zugelassene Befreiungsmöglichkeit wegen Vollendung des 50. Lebensjahres erhält den bisher wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfreien Angestellten die frühere Rechtslage der Befreiungsmöglichkeit bei Eintritt in die AnV in höherem Lebensalter, auf deren Fortbestand sie vertrauen konnten (Art. 2 § 1 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a AnVNG idF vom 23.2.1957).
Es ist richtig, wie die Revision ausführt, daß der Selbständige, der nach Vollendung des 50. Lebensjahres erstmals in die AnV eintritt, die große Wartezeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres ebensowenig erfüllen kann, wie der bisher wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht versicherte Angestellte über 50 Jahre. Dabei werden aber wesentliche Unterschiede nicht berücksichtigt. Zwar hat auch der bisher Selbständige seine Alterssicherung außerhalb der AnV geplant; aber er ist dazu - im Gegensatz zu den nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht versicherungspflichtigen Angestellten - nicht durch die Gestaltung des Rechts der Versicherungspflicht in der AnV mit den bisherigen Jahresarbeitsverdienstgrenzen veranlaßt worden. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Personengruppen besteht darin, daß der bisher versicherungsfreie Angestellte durch die jeweiligen Erhöhungen und jetzt durch den Wegfall der Jahresarbeitsverdienstgrenze ohne sein Zutun betroffen ist und eine Rechtsstellung verliert, von der er bei der Planung seiner Alterssicherung ausgehen mußte. Dem Selbständigen hingegen, der nach Vollendung des 50. Lebensjahres eine Beschäftigung als Angestellter erstmals aufnimmt und damit versicherungspflichtig wird, wird die Beitragspflicht in der AnV nicht ohne sein Zutun aufgezwungen. Sie ist vielmehr eine Folge seiner eigenen Entschließung, Angestellter zu werden.
Aus diesen Gründen kann auch bei einem Vergleich zwischen dem AVG und der Übergangsvorschrift des Art. 2 § 1 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a AnVNG eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gleicher Tatbestände nicht gefunden werden.
Bei dieser Rechtslage kommt es auf die Frage der Einhaltung der Frist für den Befreiungsantrag nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen