Entscheidungsstichwort (Thema)

Beendigung des Rechtsstreits durch Vergleich. Anerkenntnis oder Klagerücknahme

 

Leitsatz (amtlich)

Ein vom Kläger in der mündlichen Verhandlung angenommenes Anerkenntnis der Beklagten beendet den Rechtsstreit auch dann, wenn der notwendig Beigeladene dem Anerkenntnis nicht zustimmt (vgl BSG 1972-06-22 12/3 RK 82/68 = USK 7283; BVerwG 1968-06-07 IV B 165.67 = DVBl 1970, 283; BVerwG 1971-12-08 III B 111.70 = Buchholz BVerwG 310 § 106 VwGO Nr 6).

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei einem Rechtsstreit zwischen Einzugsstelle und Arbeitnehmern über deren Rentenversicherungszugehörigkeit ist die Einzugsstelle nicht gehindert, den Prozeß durch Vergleich, Anerkenntnis oder Klagerücknahme zu beenden; dies gilt jedoch nicht, wenn von seiten der Beigeladenen (zB von einem Rentenversicherungsträger) Rechtsmittel eingelegt worden sind.

 

Normenkette

SGG § 75 Fassung: 1953-09-03, § 101 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 16.04.1975; Aktenzeichen I KRBf 9/74)

SG Hamburg (Entscheidung vom 02.08.1974; Aktenzeichen 13 AN 1177/73)

 

Tenor

Die Revision der Beigeladenen zu 2) gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 16. April 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene zu 2) hat den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Berufungsverfahren durch ein von den Klägern angenommenes Anerkenntnis der Beklagten beendet worden ist, obwohl die Beigeladene zu 2) dem Anerkenntnis nicht zugestimmt hat.

Die Kläger sind Maschinenmeister in H Krankenhäusern. Sie werden arbeitsrechtlich als Angestellte nach dem Bundesangestelltentarif (BAT) beurteilt und waren sozialversicherungsrechtlich der Rentenversicherung der Angestellten zugeordnet. Nach Arbeitsplatzbesichtigungen stellte die Beklagte als Einzugsstelle nach § 1399 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Versicherungspflicht der Kläger zur Rentenversicherung der Arbeiter fest und teilte dies der Beigeladenen zu 3) - der Arbeitgeberin der Kläger - mit Schreiben vom 17. Oktober 1972 mit. Der hiergegen erhobene Widerspruch der Kläger blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 1973). Auf die Klagen hat das Sozialgericht (SG) Hamburg in den gemäß § 113 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verbundenen Streitsachen die Verwaltungsakte der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben und festgestellt, daß die Kläger Angestellte im Sinne des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) sind (Urteil vom 2. August 1974). In dem auf die Berufung der Beigeladenen zu 2) anhängig gewordenen Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 1975 die Angestelltenversicherungspflicht der Kläger anerkannt. Die Kläger haben dieses Anerkenntnis angenommen. Am 11. Februar 1975 beantragte die Beigeladene zu 2), das Berufungsverfahren fortzusetzen. Das Anerkenntnis sei unwirksam, weil sie als Beigeladene ihm nicht zugestimmt habe. Mit Urteil vom 16. April 1975 hat das LSG dahin erkannt, daß der Rechtsstreit durch das von den Klägern angenommene Anerkenntnis erledigt sei.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beigeladenen zu 2) hat das Bundessozialgericht (BSG) die Revision gegen das Urteil des LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen (Beschluß vom 11. November 1975 - 3 BK 20/75 -). Die Beigeladene zu 2) hat Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 75 Abs. 2, 101 Abs. 2 SGG, der §§ 1399 Abs. 3 und 4, 1227 RVO sowie der §§ 2 und 3 AVG. Sie ist der Auffassung, das LSG hätte den Rechtsstreit nicht als erledigt ansehen dürfen, sondern eine materiell-rechtliche Entscheidung treffen müssen. Sie sei notwendig Beigeladene und der durch ihr Rechtsmittel in die Rechtsmittelinstanz gelangte Rechtsstreit habe nicht ohne ihre Zustimmung beendet werden können. Der notwendig Beigeladene könne gegen den Willen der "Hauptbeteiligten" Rechtsmittel einlegen und müsse nicht hinnehmen, daß sich die Parteien ohne sein Mitwirken vergleichen. Wenn ihm das Recht eingeräumt werde, ein seiner Ansicht nach mit seinen berechtigten Interessen nicht vereinbares Urteil anzufechten, dann dürfe die Durchsetzung dieses Rechts auf richterliche Überprüfung nicht durch Vereinbarung der Hauptbeteiligten - möglicherweise allein zu seinen Lasten - vereitelt werden. Während typischerweise die Prozeßentscheidung für und gegen den notwendig Beigeladenen wirke, sei sie im vorliegenden Fall die eigentliche Beklagte. Die RVO habe das besondere Institut der Einzugsstelle aus rein prakmatischen Gründen der Kostenverringerung und Vereinfachung des Einzugsverfahrens geschaffen. Im Innenverhältnis bestehe aber zwischen der Einzugsstelle und dem Versicherungsträger eine als Prozeßstandschaft anzusehende Rechtsbeziehung. Die Einzugsstelle besorge für den Rentenversicherungsträger ein Rechtsgeschäft. Entgegen der Auffassung des LSG handele es sich hinsichtlich der Kläger und ihrer Versicherungszugehörigkeit um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nach § 1399 Abs. 4 RVO.

Die Beigeladene zu 2) (Revisionsklägerin) beantragt,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Beklagte und die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag. Sie vertritt wie die Beigeladene zu 2) die Auffassung, daß der Rechtsstreit durch das von den Klägern angenommene Anerkenntnis der Beklagten nicht erledigt worden sei und das LSG daher sachlich über die Berufung der Beigeladenen zu 2) hätte entscheiden müssen.

Die Beigeladene zu 3) hat keinen Antrag gestellt und sich auch zur Sache nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beigeladenen zu 2) ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.

Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Rechtsstreit durch das von den Klägern im Berufungsverfahren angenommene Anerkenntnis erledigt worden ist. Der Eintritt dieser Rechtswirkung war nicht davon abhängig, daß die Beigeladene zu 2) dem Anerkenntnis hätte zustimmen müssen. Mit der Entscheidung über die Zugehörigkeit des Versicherten zu einem Rentenversicherungsträger befindet die Krankenkasse als Einzugsstelle zwar unmittelbar über die Rechtsbeziehungen dieser beiden. Sie nimmt aber die fremden Rechte treuhänderisch wahr, und ihre verfahrensrechtliche Stellung ist die einer Prozeßstandschaft. Sie trifft die Entscheidung allein in völliger Eigenverantwortlichkeit und bedarf hierzu wie auch zur nachträglichen Änderung und Zurücknahme ihrer Entscheidung nicht der Zustimmung der beteiligten Rentenversicherungsträger (Beschluß des erkennenden Senats vom 7. Februar 1977 - 12/3 RK 76/75 -). Nach § 1399 Abs. 4 RVO ist die Einzugsstelle lediglich an Erklärungen des Rentenversicherungsträgers zu Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung gebunden. Ein solcher Fall liegt aber hier schon deshalb nicht vor, weil die Beigeladene zu 2) eine solche Erklärung bis zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 5. Februar 1975 niemals abgegeben hatte.

Die Beendigung des Rechtsstreits durch das von den Klägern angenommene Anerkenntnis in der Berufungsinstanz war auch nicht davon abhängig, daß die Beigeladene zu 2) als Verfahrensbeteiligte dem Anerkenntnis hätte zustimmen müssen. Es kann dahinstehen, ob sie auf Grund der Beiladungsbeschlüsse des SG, die in ihrer Begründung auf die gesetzlichen Voraussetzungen der einfachen Beiladung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG abgestellt haben, überhaupt die rechtliche Stellung eines notwendig Beigeladenen nach § 75 Abs. 2 SGG erlangt hat. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urt. vom 22. Juni 1972 - 12/3 RK 82/68 - USK 7283; vgl. ferner auch BSG, Urt. vom 27. November 1962 - 3 RK 37/60 - BSGE 18, 131 = SozR Nr. 9 zu § 160 SGG = NJW 1963, 1943 = Breith. 1963, 648), die im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht (BVerwG DVBl 1970, 283; Buchholz 310 § 106 Nr. 6), ist für die prozeßrechtliche Beendigung des Rechtsstreits durch ein Anerkenntnis der Beklagten die Zustimmung selbst eines notwendig Beigeladenen nicht erforderlich, weil sich aus dem Umstand der Beiladung eines Dritten für den Kläger und den Beklagten - die Hauptbeteiligten - keine Einschränkung ihrer Dispositionsfreiheit für die Beendigung des Prozesses ergibt, soweit das Gesetz dies nicht ausdrücklich vorschreibt. Die Hauptbeteiligten sind daher nicht gehindert, den Prozeß durch Vergleich, Anerkenntnis oder Klagerücknahme zu beenden, selbst in Fällen, in denen sie das Rechtsmittelverfahren gar nicht in Gang gesetzt haben. Die Herrschaft eines Hauptbeteiligten über den Prozeß ist gegenüber einem Beigeladenen nur dann eingeschränkt, wenn beide ein Rechtsmittel eingelegt haben. In einem solchen Fall kann der Rechtsstreit nicht durch bloße Zurücknahme des eigenen Rechtsmittels beendet werden, weil die Zurücknahme des Rechtsmittels durch einen Hauptbeteiligten - im Gegensatz zu Klagerücknahme, Vergleich und Anerkenntnis - keine Verfügung über den Streitgegenstand ist.

Das in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG abgegebene Anerkenntnis konnte allerdings über die prozeßrechtliche Wirkung der Beendigung des Verfahrens hinaus mangels Zustimmung der Beigeladenen zu 2) gegenüber dieser keine materiell-rechtliche Bindungswirkung erlangen. Der Beigeladenen zu 2) bleibt es daher unbenommen, falls die formellen Voraussetzungen gegeben sind, gegen den in dem Anerkenntnis der Beklagten enthaltenen neuen Verwaltungsakt (und einen dazu ergangenen Ausführungsbescheid) mit den den Versicherungsträgern gegen Bescheide der Einzugsstelle nach § 1399 Abs. 3 RVO zu Gebote stehenden Rechtsbehelfen vorzugehen (vgl. BSGE 15, 118).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659338

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