Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschiedenenwitwenrente. tatsächlicher Unterhalt. Bestimmung der Unterhaltsverteilung bei mehreren in Hausgemeinschaft lebenden Empfängern. angemessener Unterhalt. keine "wirtschaftliche" Verteilung
Orientierungssatz
1. Hat der geschiedene Ehemann an seine geschiedene Ehefrau und an die mit ihr im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder Unterhalt in einem Betrag gezahlt, so darf eine Verteilung der Beträge nach "wirtschaftlichen Gesichtspunkten" auf alle im gemeinsamen Haushalt befindlichen Personen nicht vorgenommen werden, sondern es muß zunächst erforscht werden, ob der Versicherte eine Bestimmung durch konkludente Handlung vorgenommen hat.
2. Sollte nicht festgestellt werden können, welche Bestimmung der Versicherte (stillschweigend) getroffen hat und wie die Zuwendungen für den Unterhalt der geschiedenen Ehefrau und der im Haushalt befindlichen Kinder verwendet wurden, so kann jedenfalls auch dann nicht eine "wirtschaftliche Verteilung" unterstellt werden in der Weise, daß der geschiedenen Ehefrau und den Kindern gleichhohe Beträge zuzurechnen seien.
3. Wenn mehrere gleichrangig Unterhaltsberechtigte vorhanden sind, erfolgt die Aufteilung unter diesen nach dem jeweiligen Bedarf sowie unter Berücksichtigung etwaiger sonstiger Mittel, jedenfalls nicht ohne weiteres zu gleichen Teilen.
Normenkette
RVO § 1265 S 1 Fassung: 1957-02-23; BGB §§ 1609, 1610 Abs 1
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 12.07.1979; Aktenzeichen L 6 J 1219/78) |
SG Gießen (Entscheidung vom 02.10.1978; Aktenzeichen S 11 J 212/76) |
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin als früherer Ehefrau des am 17. Mai 1975 verstorbenen Versicherten Hinterbliebenenrente zusteht (§ 1265 der Reichsversicherungsordnung -RVO-).
Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde 1968 aus der überwiegenden Schuld der Klägerin geschieden. Von den vier aus der Ehe hervorgegangenen Kindern lebten im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten drei im Haushalt der Klägerin, der am 14. März 1953 geborene B und die am 25. Mai 1957 geborenen Zwillingsbrüder K-H und H-J. Die monatliche Miete für diese Wohnung betrug 304,-- DM. Die Klägerin bezog seit 1972 eine Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit, die sich einschließlich der Kinderzuschüsse von Juli 1974 bis zum Tode des Versicherten auf 733,80 DM monatlich belief. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) leistete der Versicherte zuletzt ausschließlich der Zeit ab März 1975 monatlich Unterhaltszahlungen zwischen 600,-- und 800,-- DM. Den Antrag der Klägerin auf Gewährung der Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 4. August 1976).
Das Sozialgericht (SG) Gießen hat durch Urteil vom 2. Oktober 1978 die Beklagte verpflichtet, der Klägerin ab Oktober 1975 Geschiedenen-Witwenrente zu gewähren. Das Hessische LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat im Urteil vom 12. Juli 1979 ausgeführt:
Der Klägerin stehe ein Anspruch nach § 1265 Satz 1 RVO zu, weil ihr der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tod Unterhalt geleistet habe. Mit Recht sei vom SG die Zeit ab März 1975, dem Beginn der Krankheit des Versicherten, nicht mehr in die Betrachtung einbezogen worden, weil es sich bei dieser Krankheit um ein außergewöhnliches, letztlich zum Tode führendes Ereignis gehandelt habe. Die überwiesenen Beträge hätten zum Unterhalt sowohl der Klägerin als auch der gemeinsamen Söhne beitragen sollen. Daß die Klägerin eine Rente bezogen habe, während die drei Kinder ohne eigenes Einkommen gewesen seien, stehe dem nicht entgegen; denn die in der Rente enthaltenen Kinderzuschüsse müßten wirtschaftlich den Kindern zugerechnet werden. Hieraus folge, daß auch die Unterhaltszahlungen des Versicherten wirtschaftlich verteilt werden müßten, zumal dieser nie zu erkennen gegeben habe, die Zahlungen seien ausdrücklich für seine Söhne bestimmt. Es erscheine angebracht, die Verteilung so vorzunehmen, daß auf die Klägerin ein Viertel und auf die Söhne drei Viertel entfielen. Ein geringerer Anteil der Klägerin sei im Hinblick auf deren niedrige Rente und die Mietbelastung nicht zu rechtfertigen. Der sich danach für die Klägerin ergebende Unterhaltsbetrag von durchschnittlich 150,-- bis 200,-- DM monatlich überschreite 25 % des örtlichen Mindestbedarfs.
Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1265 Satz 1 RVO. Die letzte Alternative dieser Bestimmung erfordere die Feststellung, daß und in welcher Höhe Zahlungen des Versicherten für den Unterhalt der geschiedenen Frau bestimmt waren. Dies sei aber nicht festgestellt, sondern lediglich eine pauschale Aufteilung vorgenommen worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts
vom 12. Juli 1979 und das Urteil des Sozialgerichts
Gießen vom 2. Oktober 1978 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie meint, der Versicherte sei seiner Unterhaltspflicht ihr gegenüber nachgekommen. Da ihre Söhne teilweise selbst den Unterhalt verdient hätten, müßten die Zahlungen des Versicherten zu 50 % ihr angerechnet werden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des landessozialgerichtlichen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht begründet. Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend entscheiden zu können.
Als Anspruchsgrundlage kommt § 1265 Satz 1 RVO in Betracht. Danach wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn ihr dieser zZ seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat.
Das Berufungsgericht hat nicht erörtert, ob eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung oder eine solche "aus sonstigen Gründen" bestand. Zwar wird in der Revisionserwiderung ohne näheren Hinweis eine Unterhaltspflicht des Versicherten gegenüber der Klägerin angenommen. Indessen war hier eine Unterhaltspflicht nach dem EheG schon dem Grunde nach - ungeachtet der beiderseitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse - ausgeschlossen, weil das Verschulden der Klägerin an der Scheidung überwogen hatte. Der Sachverhalt bietet auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Versicherte zZ seines Todes aus sonstigen Gründen zur Unterhaltszahlung verpflichtet gewesen sein konnte. Damit entfällt zugleich die Anwendung des § 1265 Satz 2 RVO, weil diese Bestimmung an das Bestehen eines - wenigstens potentiellen - Unterhaltsanspruchs anknüpft (vgl BSG vom 28. März 1978 - 4 RJ 3/78 = SozR 2200 § 1265 Nr 4 S 127, 130).
Entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Ansicht kann aber unter Berücksichtigung der bisher getroffenen Feststellungen auch noch nicht gefolgert werden, ob der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode der Klägerin (tatsächlich) Unterhalt geleistet hat (§ 1265 Satz 1 RVO letzte Fallgruppe).
Nicht zweifelsfrei sind bereits die Ausführungen des LSG, die Zeit ab März 1975 brauche deshalb "nicht mehr in die Betrachtung des für die regelmäßige Unterhaltsleistung maßgebenden wirtschaftlichen Dauerzustandes" einbezogen zu werden, weil die damals beginnende Krankheit ein außergewöhnliches Ereignis gewesen sei, das letztlich zum Tode geführt habe. Die vom LSG in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung (BSG, Urteil vom 16. Juni 1961 - 4 RJ 25/59 - = BSGE 14, 255 = SozR Nr 8 zu § 1265 RVO) gibt jedenfalls für ein solches Verständnis der dritten Fallgruppe des § 1265 Satz 1 RVO nichts her. Zwar hat die Rechtsprechung in "besonderen Ausnahmefällen" vom Erfordernis der tatsächlichen Unterhaltsleistung für das volle letzte Jahr vor dem Tode des Versicherten abgesehen, nämlich dann, wenn ihn außergewöhnliche Umstände, die er weder beeinflussen noch gar beheben konnte, an der Zahlung für den gesamten Einjahreszeitraum gehindert haben (vgl Urteile vom 20. Juli 1960 - 1 RA 144/59 = BSGE 12, 279 = SozR Nr 7 zu § 1265 RVO, vom 13. März 1964 - 11/1 RA 274/61 = BSGE 20, 252 = aaO Nr 18, vom 28. Juni 1966 - 11 RA 288/64 = BSGE 25, 86 = aaO Nr 34, vom 14. Januar 1969 - 4 RJ 71/68 = BSGE 29, 92 = aaO Nr 48 und vom 17. Februar 1970 - 1 RA 241/68 = aaO Nr 55). Eine Krankheit vor dem Tode ist aber für sich allein nicht schon als außergewöhnlicher, unbeeinflußbarer Hinderungsgrund angesehen worden, sofern die Einkommensverhältnisse unverändert bestehen geblieben sind (vgl SozR Nr 48 zu § 1265 RVO, Aa 58, Rücks. - insoweit in BSGE 29, 92 nicht abgedruckt -; ferner SozR aaO Nr 55). Hiernach könnten im vorliegenden Fall die letzten zweieinhalb Monate vor dem Tode des Versicherten nur dann außer Ansatz bleiben, wenn der Versicherte aufgrund stark verringerten Einkommens zur Unterhaltszahlung außerstande oder - möglicherweise wegen der Art und Schwere seiner Krankheit - tatsächlich vorübergehend hieran gehindert war. Denkbar ist freilich auch, daß höhere Zahlungen in den Anfangsmonaten des Jahres 1975 bereits einen über März hinausgehenden Zeitraum abdeckten; dann wäre ohnehin keine Unterhaltslücke entstanden. Der vom LSG festgestellte Sachverhalt läßt zuviel offen, als daß bereits eine Schlußfolgerung in der einen oder anderen Richtung gezogen werden könnte.
Insbesondere steht aber nicht fest, in welcher Höhe der Versicherte Unterhalt für die Klägerin geleistet hat. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß die vom Versicherten überwiesenen Beträge zum Unterhalt nicht nur der Klägerin, sondern auch der gemeinsamen Söhne hätten beitragen sollen. Es hat an den Hinweis, die in der Erwerbsunfähigkeitsrente der Klägerin enthaltenen Kinderzuschüsse seien wirtschaftlich den Kindern zuzurechnen, die Folgerung geknüpft, auch der vom Versicherten gezahlte Unterhalt müsse "wirtschaftlich verteilt" werden, zumal der Versicherte nie zu erkennen gegeben habe, die Zahlungen seien ausschließlich für seine Söhne bestimmt. Der mit diesen Ausführungen aufgestellte allgemeine Grundsatz, mit dessen Anwendung das LSG eine Verteilung der Beträge auf die Klägerin und die Söhne zu je einem Viertel als angebracht angesehen hat, hält jedoch einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Zu Recht hat zunächst das LSG daraus, daß zumeist die Klägerin und in geringem Ausmaß zwei der Söhne Zahlungsempfänger der Beträge gewesen sind, keine entscheidenden Rückschlüsse dafür gezogen, wie die Gelder zu verteilen gewesen seien. Denn postalischer Zahlungsempfänger und Empfangsberechtigter brauchen nicht identisch zu sein. Gerade wenn Unterhaltsbeträge eines Elternteils auch für minderjährige Kinder bestimmt sind, die im Haushalt des anderen Elternteils wohnen, sprechen für die Wahl dieses Elternteils als Zahlungsadressat, abgesehen von der Übertragung des Sorgerechts, praktische Gesichtspunkte.
Das LSG hat eine ausdrückliche Bestimmung des Versicherten darüber, wie dieser seine Unterhaltsleistungen auf die Klägerin und die Söhne aufgeteilt wissen wollte, nicht festgestellt. Bei dieser Sachlage hätte es aber eine Verteilung der Beträge nach "wirtschaftlichen Gesichtspunkten" auf alle im gemeinsamen Haushalt mit der Klägerin befindlichen Personen nicht vornehmen dürfen, sondern zunächst erforschen müssen, ob der Versicherte eine Bestimmung durch konkludente Handlung vorgenommen hat. Hierfür sind die gesamten Umstände heranzuziehen und zu würdigen. So bietet es sich an zu ermitteln, ob der Versicherte im Hinblick auf die jahrelangen Zahlungen wußte, in welcher Weise die Klägerin die Beträge verwendete. Könnte beides - die Verwendung durch die Klägerin und die Kenntnis des Versicherten - festgestellt werden, dann wäre davon auszugehen, daß der Versicherte mit der Art der Verwendung einverstanden war und diese seiner Bestimmung entsprach. Möglicherweise lassen sich auch Schwankungen hinsichtlich der Höhe der geleisteten Zahlungen näher ermitteln und Anhaltspunkte dafür gewinnen, ob der Versicherte seine Zuwendungen der jeweiligen Bedarfslage der Klägerin und der Söhne angepaßt hat. Um die hiernach erforderlichen Ermittlungen und Feststellungen nachholen zu können, war der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Sollten auch die erneuten Ermittlungen keinen Aufschluß darüber geben können, welche Bestimmung der Versicherte (stillschweigend) getroffen hat und wie die Zuwendungen für den Unterhalt der Klägerin und der im Haushalt befindlichen Söhne verwendet wurden, so kann jedenfalls auch dann nicht eine "wirtschaftliche Verteilung" unterstellt werden in der Weise, daß der Klägerin und den drei Söhnen gleichhohe Beträge zuzurechnen seien. Denn das Unterhaltsrecht richtet sich im Grundsatz nach (dem Ausmaß) der Bedürftigkeit des Unterhaltsempfängers, es geht in der Regel vom angemessenen Unterhalt aus (vgl § 1610 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-). Sogar wenn mehrere nach dem Gesetz gleichrangig Unterhaltsberechtigte vorhanden sind, erfolgt die Aufteilung unter diesen nach dem jeweiligen Bedarf sowie unter Berücksichtigung etwaiger sonstiger Mittel, also jedenfalls nicht ohne weiteres zu gleichen Teilen (vgl Palandt, BGB, Komm 40. Aufl, § 1609 Anm 2).
Möglicherweise wird auch die von der Beklagten nicht angegriffene Feststellung, die monatlichen (Gesamt-)Beträge hätten sich auf "zwischen 600,-- und 800,-- DM" belaufen, noch näher zu konkretisieren sein, sofern es für das Erfordernis, daß ein für die Klägerin gezahlter Unterhaltsbetrag ca 25 % des örtlichen und zeitlichen Mindestbedarfs reichen muß, um als Unterhalt iS des § 1265 RVO gelten zu können, darauf ankommen sollte. Schließlich könnte noch erwogen werden, ob in diesem Zusammenhang die Miete von 304,-- DM monatlich nicht voll als Unterkunftsbedarf der Klägerin zu veranschlagen wäre, sondern etwa nur zu zwei Fünfteln, ausgehend davon, daß auf die Söhne jeweils die Hälfte entfällt (vgl hierzu Rehnelt, ZfF 1970, 52).
Fundstellen