Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslandsrentner. Beitragszuschuß. Ausschlußpflichtversicherung

 

Orientierungssatz

Zur Frage, ob eine ausländische Pflichtversicherung (hier: Brasilien) einen Beitragszuschuß schon dann ausschließt, wenn diese in ihren Leistungen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung auch nur annähernd vergleichbar ist, oder erst dann, wenn sie im Leistungsumfang - selbst wenn nur Kosten erstattet werden - der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung im wesentlichen gleicht (im Ergebnis gleichkommt), also von ihr nur unwesentlich oder geringfügig abweicht.

 

Normenkette

RVO § 1304e Fassung: 1977-06-27

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 26.08.1982; Aktenzeichen L 8 Jz 12/82)

SG Berlin (Entscheidung vom 21.01.1982; Aktenzeichen S 24 J 1256/80)

 

Tatbestand

Im Revisionsverfahren ist ein Anspruch auf Beitragszuschuß zur privaten Krankenversicherung der Rentner für die Zeit ab Juni 19787 streitig.

Der 1913 (und nicht wie im angefochtenen Urteil offensichtlich irrig angegeben 1919) geborene, in Brasilien lebende Kläger bezieht seit März 1978 (und nicht seit 1968) Altersruhegeld von der Beklagten und seit Juni 1978 ferner eine Altersrente von der nationalen brasilianischen Altersversicherung Instituto Nacional de Providencia Social (INPS), bei der er zugleich gesetzlich krankenversichert ist. Daneben ist er seit März 1978 bei dem privaten Versicherungsunternehmer Unimed Ijui - Sociedade Cooperativa de Servicos Medicos - krankenversichert.

Die Beklagte lehnte den vom Kläger im März 1978 beantragten Beitragszuschuß zur privaten Krankenversicherung ab (Bescheid vom 4. Februar 1980; Widerspruchsbescheid vom 18. August 1980). Die Beklagte wurde zur Zahlung des Beitragszuschusses ab 1. Juni 1978 in beiden Vorinstanzen verurteilt (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 21. Januar 1982; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 26. August 1982). Das LSG meint, die Pflichtzugehörigkeit zur INPS-Krankenversicherung stehe dem Anspruch auf Beitragszuschuß nicht entgegen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe zwar zunächst die gegenteilige Ansicht vertreten (SozR 2200 § 381 Nr 16). Während das BSG jedoch in dieser Entscheidung für den Ausschluß des Anspruchs auf Beitragszuschuß noch eine ausländische Pflichtversicherung als ausreichend angesehen habe, die wenigstens annähernd der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar sei, habe das BSG in ständiger Rechtsprechung seither gefordert, daß die ausländische Pflichtversicherung im Leistungsumfang der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung im Ergebnis gleichkomme, also von ihr nur unwesentlich oder geringfügig abweiche (SozR 2200 § 381 Nrn 33, 34 und insbesondere 41). Das sei bei der INPS nicht der Fall, da der Versicherte keine freie Arztwahl habe, kein Anspruch auf Hilfsmittel bestehe und eine zahnärztliche Versorgung, die über einfaches Plombieren und Zähneziehen hinausgehe, erst im Aufbau begriffen sei.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte sinngemäß Verletzung des § 1304e Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie meint, der Gesetzgeber habe eine Zahlung des Beitragszuschusses in das "vertragslose" Ausland im Rentenanpassungsgesetz 1982 (RAG 1982), abgesehen von Fällen des Besitzschutzes, nicht mehr zugelassen; damit stehe fest, daß die zu einer Ausweitung der Zahlungen führende neuere Rechtsprechung des BSG nicht in seinem Sinne liege. Es sei deshalb an der früheren Entscheidung festzuhalten, nach der eine Versicherung bei der INPS den Zuschußanspruch ausschließe.

Die Beklagte beantragt, die Urteile des LSG vom 26. August 1982 und des SG vom 21. Januar 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht nach § 166 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten konnte keinen Erfolg haben.

1. Auf das Rechtsmittel war die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Beitragszuschusses für die Zeit von Juni 1978 bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 26. August 1982 zu überprüfen. Für diesen Zeitraum galt § 1304e RVO idF des 20. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1040). Die Vorschrift wurde zwar durch Art 3 § 1 Nr 16 des 21. RAG vom 25. Juli 1978 (BGBl I 1089) mit Wirkung vom 1. Januar 1982 aufgehoben; die Aufhebungsvorschrift des 21. RAG ist jedoch ihrerseits vor ihrem Inkrafttreten durch Art 17 des RAG 1982, der am 4. Dezember 1981 inkraftgetreten ist, aufgehoben worden, so daß § 1304e idF des 20. RAG über den 1. Januar 1982 hinaus unverändert weitergalt. Der zu überprüfende Zeitraum bis zum 26. August 1982 wird von den Änderungen des § 1304e RVO durch Art 2 Nr 30 des RAG 1982 für die Zeit ab 1. Januar 1983 (Art 20 Abs 2 Nr 4 des Gesetzes), durch das Beschäftigungsförderungsgesetz vom 3. Juni 1982 (BGBl I 641) mit Wirkung vom 1. Januar 1984 und durch Art 19 Nr 38 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I 1857) mit Wirkung vom 1. Januar 1983 nicht berührt, so daß auch auf die jeweiligen Übergangsvorschriften nicht einzugehen ist.

2. Die in § 1304e RVO aF ausdrücklich festgelegten Leistungsvoraussetzungen sind zweifelsfrei erfüllt. Der Kläger bezieht eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter und er ist nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, womit nur die deutsche gesetzliche Krankenversicherung gemeint ist, versicherungspflichtig; er bezieht auch keinen der in Satz 2 vorgenannter Vorschrift näher bezeichneten zielgleichen Zuschüsse. Schließlich ist er bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert, da nach den Feststellungen des LSG dieses für die stationäre Behandlung eine komplette Kostenübernahme und damit einen "Krankenversicherungsschutz von nennenswerter Bedeutung" (vgl BSG SozR 2200 § 1304e Nr 5) gewährt. Dem Anspruch auf Beitragszuschuß steht ferner nicht entgegen, daß sich der Kläger im Ausland aufhält (vgl BSGE 31, 288 = SozR Nr 24 zu § 381 RVO). Das ist im Revisionsverfahren nicht umstritten.

3. Umstritten ist vielmehr allein, ob die Zugehörigkeit zur brasilianischen Pflichtkrankenversicherung den Anspruch ausschließt, insbesondere ob eine ausländische Pflichtversicherung einen Beitragszuschuß schon dann ausschließt, wenn diese in ihren Leistungen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung auch nur annähernd vergleichbar ist, wie in der älteren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) angenommen (SozR 2200 § 381 Nr 22 und BSGE 47, 64 = SozR aaO Nr 30; vgl auch Nrn 33 und 34 sowie SozR 2200 § 1304 Nr 5), oder erst dann, wie der erkennende Senat unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung im Urteil vom 5. November 1980 (SozR 2200 § 381 Nr 41 = DAngVers 1981, 372 mit kritischer Anmerkung Schötz) entschieden hat, wenn sie im Leistungsumfang - selbst wenn nur Kosten erstattet werden - der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung im wesentlichen gleicht (im Ergebnis gleichkommt), also von ihr nur unwesentlich oder geringfügig abweicht.

Die gegen die Aufgabe der früheren Rechtsprechung vorgebrachten Bedenken können jedoch eine Rückkehr zu ihr nicht rechtfertigen. Das gilt zunächst für die vor der Begründung der Revisionszulassung geäußerte Meinung, daß das "sehr weitgehende" Urteil des erkennenden Senats vom 5. November 1980 bedeutende sozialpolitische Auswirkungen haben könnte. Für den Senat kann nur maßgebend sein, welche Rechtsauffassung dem Gesetz entspricht. Wenn das LSG, obgleich es der jüngeren Rechtsprechung folgte, insoweit Zweifel oder Bedenken gehabt hätte, so mußte es diese näher bezeichnen. Sollte, wie dies Schötz (aa0 S 374) annimmt, gegen die neuere Rechtsprechung angeführt werden, sie berücksichtige nicht, daß sich der Zuschußanspruch des Auslandsrentners nicht aus dem Gesetz allein, sondern erst iVm Art 3 des Grundgesetzes (GG) ableite, so beruht das auf einem falschen Ausgangspunkt, der der Richtigstellung bedarf. Der Anspruch des Auslandsrentners ergibt sich, wie in BSGE 31, 288 = SozR Nr 24 zu § 381 RVO) als der maßgebenden Entscheidung klar dargelegt worden ist, aus dem Gesetz, dh aus der gesetzlichen Regelung des Beitragszuschusses. Dies ist in der genannten Entscheidung im einzelnen unter Berücksichtigung des Wortlauts, der Entstehungsgeschichte und von Sinn und Zweck der Vorschrift dargelegt worden; im weiteren ist dort ausgeführt, daß weder das Territorialitätsprinzip noch die (damaligen) Regelungen der §§ 1315 ff RVO = §§ 94 ff des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG- die Gewährung von Beitragszuschüssen in das Ausland ausschlössen. Den Gleichheitssatz des Art 3 GG hat die Rechtsprechung des BSG maßgeblich erst später zur Einschränkung dieses Anspruchs herangezogen, um Auslandsrentner, die einer ausländischen Pflichtkrankenversicherung angehören, nicht besser zu stellen als Inlandsrentner, die bei einer inländischen Pflichtkrankenversicherung kraft Gesetzes keinen Beitragszuschuß neben dieser Versicherung erhalten können Nr 5). Hieran vermögen auch die gelegentlichen Hinweise, das Gesetz stelle nicht auf einen Inlandswohnsitz des Rentners ab und behandele somit Inlands- und Auslandsrentner gleich (etwa BSGE 31, 288, 290 = SozR Nr 24 zu § 381 RVO; BSGE 35, 15, 16 = SozR Nr 32 zu § 381 RVO) nichts zu ändern. Es ist jedoch ein wesentlicher Unterschied, ob der Grundsatz der Gleichbehandlung zur Begründung eines Anspruchs oder zum Ausschluß eines Anspruchs benötigt wird. Im ersteren Falle mag eine bloß annähernde Gleichheit genügen; im letzteren Falle darf er dagegen nicht zum Ausschluß des Anspruchs führen. Deshalb hat der Senat für den Ausschluß des Anspruchs aufgrund einer ausländischen Pflichtversicherung gefordert, daß diese der inländischen Pflichtversicherung wirklich gleichkommt (so schon BSGE 48, 286, 287; 49, 141, 142 = SozR aa0 2200 § 381 Nrn 33 und 34 sowie aa0 Nr 41), weil nur dann der Auslandsrentner ebenso wie der Inlandsrentner nicht einer privaten Krankenversicherung bedarf. Die Formel von der bloß annähernden Gleichheit mutet dem Auslandsrentner im Gegensatz zu Inlandsrentnern nicht unerhebliche Lücken im Versicherungsschutz zu; sie behandelt den Auslandsrentner mithin schlechter als den Inlandsrentner.

Der Beklagten ist zuzugeben, daß der mit dem Urteil des Senats vom 5. November 1980 eingeleitete Wechsel der Rechtsprechung zu einer Ausweitung der Zuschußzahlung ins Ausland geführt hat. Die Beklagte meint jedoch zu Unrecht, der Gesetzgeber habe mit dem RAG 1982 zum Ausdruck gebracht, daß er die angeführte Rechtsprechung seinem Willen nicht entspreche. Das RAG 1982 sieht die Zahlung des Beitragszuschusses ins Ausland abgesehen von Besitzstandsfällen und Besonderheiten, die sich aus dem über- oder zwischenstaatlichen Recht ergeben können, nicht mehr vor. Begründet wird dies mit der einleuchtenden Erwägung, daß es nicht Aufgabe der deutschen Rentenversicherung ist, für die Rentner außerhalb des Geltungsbereichs der deutschen Rentengesetze Leistungen zur Sicherung gegen das Krankheitsrisiko zu erbringen (BT-Drucks 9/458). Dessen ungeachtet ist die Zahlung des Zuschusses ins Ausland aber grundsätzlich nur für die Zukunft ausgeschlossen worden. Für die Vergangenheit und für Besitzstandsfälle enthält das RAG 1982 nichts darüber, unter welchen Voraussetzungen eine Auslandspflichtversicherung einem Beitragszuschuß entgegenstehen soll; der Tatbestand einer Auslandspflichtversicherung ist weder im Gesetz noch in den bekannt gewordenen Gesetzesmaterialien erwähnt worden. Aus dem künftigen Ausschluß kann daher nichts darüber entnommen werden, wie der Gesetzgeber die frühere oder neuere Rechtsprechung des BSG zum Beitragszuschuß beurteilt. Daß er für den künftigen Ausschluß des Anspruchs eine Vorschrift in § 1321 Abs 3 RVO für erforderlich gehalten hat, bekräftigt aber doch offenbar den Ausgangspunkt des Senats, daß § 1304e RVO einen solchen Ausschluß noch nicht rechtfertigen kann.

4. Die damit geforderte Gleichheit des Krankenversicherungsschutzes im wesentlichen hat das LSG zu Recht verneint. Auszugehen ist von demjenigen Versicherungsschutz, der dem berechtigten Rentner als Pflichtmitglied der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung in der streitigen Zeit zuteil geworden wäre. Dieser hätte nach § 182 Abs 1 RVO idF des Gesetzes vom 7. August 1974 und den späteren Fassungen uneingeschränkt die zahnärztliche Behandlung (Nr 1 Buchst a) sowie die Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln (Nr 1 Buchst c) umfaßt. Demgegenüber besteht nach der brasilianischen Pflichtversicherung kein Anspruch auf Hilfsmittel. Eine zahnärztliche Versorgung, die über einfaches Plombieren und Zähneziehen hinausgeht, ist nach den nicht angefochtenen Feststellungen des LSG "erst im Aufbau begriffen", steht also noch nicht zur Verfügung. Beide Einschränkungen zusammen sind so wesentlich, daß sie Anlaß für eine ergänzende Privatversicherung sein können, deren ein im Inland pflichtversicherter Rentner nicht bedarf (BSGE 49, 141, 143 = SozR 2200 § 381 Nr 34). Mit dem Ausschluß freier Arztwahl konnte hingegen ein unzureichender Umfang der ausländischen Pflichtversicherung nicht begründet werden. Dabei bedarf es keiner Erörterung, inwieweit nach § 184 Abs 2 und § 368d Abs 1 RVO die Arztwahl eingeschränkt wird (vgl hierzu SozR 2200 § 368d Nr 4). Die vom Senat geforderte wesentliche Gleichheit bezieht sich nur auf den Leistungsumfang, nicht aber auf die Leistungsart (Kostenerstattung oder Sachleistungsprinzip), wie schon im Urteil des Senats vom 5. November 1980 hervorgehoben (SozR 2200 § 381 Nr 41 auf Bl 110), nicht auf das Leistungssystem (staatlicher Gesundheitsdienst oder Krankenversicherung) und somit auch nicht auf die Arztwahl. Denn auch diese ist der Art und Weise zuzuordnen, in der die ärztliche Behandlung gewährt wird.

Da das LSG die Beklagte demnach im Ergebnis zu Recht verurteilt hat, war deren Revision mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658743

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