Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 27. September 1996 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist ein Recht des Klägers auf höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU).
Der 1927 in Rumänien geborene Kläger ist anerkannter Verfolgter iS des § 1 Bundesentschädigungsgesetz. 1970 wanderte er nach Israel aus und erwarb die israelische Staatsangehörigkeit. Von Dezember 1970 bis September 1989 entrichtete er für 226 Monate Pflichtbeiträge aufgrund einer abhängigen Beschäftigung zum Träger der israelischen Nationalversicherung. Nach einem Gehirnschlag im Juni 1989 ist der Kläger seit Oktober 1989 im Ruhestand.
Die Beklagte ließ den Kläger antragsgemäß zur freiwilligen Versicherung in der Rentenversicherung der Angestellten zu, worauf dieser für den Monat Januar 1986 einen freiwilligen Beitrag (nach-)entrichtete. Mit bindend gewordenen Bescheiden vom 11. März 1988 und 20. November 1989 merkte sie für ihn nach § 36 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) Ausbildungs-Ausfallzeiten vom 1. April 1944 bis 30. Juni 1946 (Schulausbildung) und vom 1. Dezember 1946 bis 31. Juli 1951 (Hochschulausbildung) vor. Ab 1. Januar 1991 gewährte sie ihm eine Rente wegen EU unter ausschließlicher Berücksichtigung seines für Januar 1986 gezahlten Beitrages (Bescheid vom 28. Dezember 1992: jährliche Rentenhöhe: 9,22 DM). Den dagegen hinsichtlich der Rentenhöhe eingelegten Widerspruch des Klägers wies sie mit der Begründung zurück, seine Ausfallzeiten könnten bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt werden, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen des § 36 Abs 3 AVG nicht vorlägen. Die sog Halbbelegung sei auch unter Berücksichtigung israelischer Pflichtbeiträge nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit vom 17. Oktober 1973 ≪DISVA≫ (BGBl II 1975 S 246) idF des Änderungsabkommens vom 7. Januar 1986 (BGBl II S 863) nicht erfüllt. Der Eintritt in die deutsche Versicherung (hier: der 1. Januar 1986) könne nur mit deutschen Beiträgen begründet werden. Bis zum Eintritt des Versicherungsfalles (30. Juni 1989) seien vom Kläger nicht mindestens 60 Kalendermonate Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt worden. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, daß für die Anrechnung von Ausfallzeit iS von Art 22 Nr 3 DISVA israelische Pflichtbeiträge aus Beschäftigung oder Tätigkeit deutschen Pflichtbeiträgen auch im Blick auf den Eintritt in die Versicherung gleichstünden (Urteil vom 25. Februar 1992, SozR 3-6480 Art 22 Nr 1). Diesem Urteil sei jedoch insoweit nicht zu folgen (Widerspruchsbescheid vom 16. November 1993).
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat – der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 25. Februar 1992 folgend – die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 24. Februar 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 1993 verurteilt, „bei der Berechnung der Rente des Klägers dessen Ausfallzeiten vom 1. April 1944 bis 30. Juni 1946 und vom 1. Dezember 1946 bis 31. Juli 1951 rentensteigernd zu berücksichtigen”. Die Voraussetzungen des § 36 Abs 3 Satz 1 AVG seien erfüllt, da der Kläger bereits im Oktober 1970 in die Rentenversicherung eingetreten und bis kurz vor Rentenbeginn ständig Pflichtbeiträge zur israelischen Rentenversicherung abgeführt habe (Urteil vom 7. Dezember 1994). Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten – unter Neufassung des Tenors des sozialgerichtlichen Urteils – zurückgewiesen (Urteil vom 27. September 1996).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und eine Verletzung des Art 22 Nr 3 DISVA gerügt. Art 22 Nr 3 DISVA enthalte keine ergänzungsbedürftige Lücke, weil die Abkommensstaaten von der Gleichstellung des Eintritts in die israelische Versicherung mit dem Eintritt in die deutsche Versicherung bewußt abgesehen hätten. Dies ergebe sich aus den von ihr vorgelegten Verhandlungsniederschriften aus den Jahren 1970 bis 1973 und den unterschiedlichen Vertragsentwürfen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 27. September 1996 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat ihre Berufung gegen das Urteil des SG Berlin zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat Anspruch darauf, daß bei der Berechnung der Höhe der ihm mit Bescheid vom 28. Dezember 1992 bewilligten Rente wegen EU nach den hier noch anwendbaren Vorschriften des AVG (vgl § 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) nicht nur sein für den Monat Januar 1986 entrichteter freiwilliger Beitrag berücksichtigt wird, sondern darüber hinaus die von der Beklagten mit bindend gewordenen Bescheiden vom 11. März 1988 und 20. November 1989 vorgemerkten Ausfallzeiten.
Ausfallzeiten werden bei der Berechnung des Wertes des Rechts auf Rente wegen EU (vgl §§ 30, 32, 32a, 35 AVG) gemäß § 36 Abs 3 AVG nur angerechnet, wenn die Zeit vom Kalendermonat des Eintritts in die Versicherung bis zum Kalendermonat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, mindestens zur Hälfte, jedoch nicht unter 60 Monaten mit Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt ist (sog Halbbelegung); hierbei werden der Kalendermonat des Eintritts in die Versicherung und der Kalendermonat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, nicht mitgezählt, jedoch die hierfür entrichteten Beiträge (§ 36 Abs 3 Satz 1 AVG). Entgegen der Ansicht der Beklagten erfüllt der Kläger diese Voraussetzung unter der nach Art 22 Nr 3 DISVA gebotenen Berücksichtigung seiner seit Dezember 1970 nach israelischem Recht entrichteten Pflichtbeiträge.
Gemäß Art 22 Nr 3 DISVA gilt für den deutschen Rentenversicherungsträger: Für die Anrechnung von Ausfallzeiten, die – wie hier – nicht pauschal gewährt werden, stehen den nach den deutschen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträgen die nach den israelischen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträge gleich, sofern ein deutscher Pflichtbeitrag anrechnungsfähig ist und die nach den israelischen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträge auf einer Beschäftigung oder Tätigkeit beruhen. Der Vertragstext stellt die israelischen Pflichtbeiträge den deutschen „für die Anrechnung von Ausfallzeiten” schlechthin, dh uneingeschränkt, gleich. Wie der Senat mit Urteil vom 25. Februar 1992 (SozR 3-6480 Art 22 Nr 1) entschieden hat, kann diesem Vertragstext nicht entnommen werden, daß dies für die Anrechnungsvoraussetzungen des Eintritts in die Versicherung nicht gelten soll; vielmehr stehen für die Anerkennung von Ausfallzeiten iS von Art 22 Nr 3 DISVA israelische Pflichtbeiträge aus Beschäftigung oder Tätigkeit deutschen Pflichtbeiträgen auch hinsichtlich des Eintritts in die (deutsche) Versicherung gleich.
Dem steht das Fehlen einer sog Eintrittsklausel im DISVA nicht entgegen. Zwar hat die Bundesrepublik Deutschland mit einer Reihe von Staaten Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen, die „für die Anrechnung von Ausfallzeiten” ebenfalls eine Gleichstellung von Pflichtbeiträgen vorsehen (bzw vorsahen), und zusätzlich die ausdrückliche Klausel enthalten (enthielten), daß dem Eintritt in die deutsche Rentenversicherung der Eintritt in die Versicherung des anderen Abkommensstaates gleichgestellt wird (vgl BSG SozR 3-6480 Art 22 Nr 1 S 8). Daraus, daß das DISVA keine solche „Eintrittsklausel” enthält, kann jedoch nicht – gewissermaßen im Umkehrschluß – gefolgert werden, es komme bei Anwendung von Art 22 Nr 3 DISVA ausschließlich auf den Eintritt in die deutsche Versicherung an. Einer derartigen „Folgerung” steht schon entgegen, daß die Bundesrepublik Deutschland diese Abkommen mit anderen Völkerrechtssubjekten abgeschlossen hat. Es ist nicht ersichtlich, wie und weshalb diese Verträge mit Drittstaaten Aufschluß darüber geben können, was die Bundesrepublik Deutschland und Israel untereinander vereinbart haben. Vielmehr ist das deutsch-israelische Abkommen – wie jeder zweiseitige Vertrag – aus sich selbst heraus auszulegen. Hierbei ist – wie bei der Auslegung aller völkerrechtlichen Verträge – in erster Linie vom Wortlaut des Vertragstextes auszugehen. Diesem kommt bei der Auslegung im allgemeinen größere Bedeutung zu als dem Wortlaut des Gesetzes bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts. Damit sind die Grenzen der Auslegung eng gezogen. Das schließt allerdings die Heranziehung anderer Auslegungskriterien neben dem Vertragstext nicht aus. Mit der gebotenen Zurückhaltung können vielmehr auch andere Auslegungsmethoden als eine reine Wortlautinterpretation angewendet werden. So ist für die Auslegung neben dem Wortlaut des Abkommens auch der Wille der Vertragsparteien zu berücksichtigen, wie er sich aus Entstehung, Inhalt und Zweck des Vertrages und der auszulegenden Einzelbestimmung ergibt (vgl schon BSG SozR 6480 Art 22 Nr 1 S 3 mwN).
Die Beklagte vertritt insoweit unter Bezugnahme auf Polster (DRV 1992, S 592) die Ansicht, der Senat habe in seinem Urteil vom 25. Februar 1992 verschiedene, nicht veröffentlichte (Verhandlungs-)Niederschriften aus den Jahren 1970 bis 1973 nicht zur Kenntnis genommen und sei deshalb zu einem unzutreffenden Auslegungsergebnis gelangt. Die Abkommensstaaten hätten bei der Fassung der Gleichstellungsvorschrift des Art 22 Nr 3 DISVA ganz bewußt auf eine derartige Gleichstellung des Eintritts in die israelische Versicherung mit dem Eintritt in die deutsche Versicherung verzichtet. Während der Entwurf eines DISVA nach dem Stand vom 1. Januar 1971 noch folgenden Wortlaut gehabt habe: „Für die Anrechnung von Ausfallzeiten, die nicht pauschal gewährt werden, … stehen dem Eintritt in die deutsche Versicherung und den deutschen Pflichtbeiträgen die entsprechenden Tatsachen nach den israelischen Rechtsvorschriften gleich, soweit dies für den Berechtigten günstiger ist”, sei im schließlich paraphierten Entwurf formuliert worden: „Für die Anrechnung von Ausfallzeiten, die nicht pauschal gewährt werden, … stehen den nach den deutschen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträgen die nach den israelischen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträge gleich”. Es fehlten somit gegenüber dem Entwurf – Stand: 1. Januar 1971 – „die Gleichstellung des Eintritts in die Versicherung” sowie der Vorbehalt „soweit dies für den Berechtigten günstiger ist”. Dies sei geschehen, weil die Abkommensstaaten angenommen hätten, der Verzicht auf die Gleichstellung wirke sich in der überwiegenden Anzahl der Fälle zugunsten der Betroffenen aus.
Auch im Hinblick auf dieses Vorbringen der Beklagten hält der Senat an seiner Entscheidung vom 25. Februar 1992 im Ergebnis und in der Begründung fest. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen tatsächlich den Schluß zulassen, auf deutscher Seite habe auf eine Gleichstellung israelischer Pflichtbeiträge hinsichtlich des Eintritts in die deutsche Versicherung „bewußt” verzichtet werden sollen. Offizielle Verhandlungsniederschriften, die insoweit möglicherweise Aufschluß geben könnten, existieren nicht. Die aufgezeigte Textgeschichte läßt ebenso den vom Senat für zutreffend erachteten Schluß zu, daß es sich bei der letztlich ratifizierten Fassung des Art 22 Nr 3 DISVA gerade um einen Kompromiß gehandelt hat, und zwar dergestalt, daß zwar eine umfassende Gleichstellung israelischer Pflichtbeiträge mit deutschen Pflichtbeiträgen stattfindet, dies aber nicht nur dann, wenn die Gleichstellung für den Berechtigten günstiger ist; sie greift auch dann ein, wenn sich die umfassende Gleichstellung zum Nachteil von Versicherten auswirken kann, nämlich dann, wenn die Versicherten die Halbbelegung bei einem Abstellen auf den Eintritt in die deutsche Versicherung erfüllen würden, nicht aber bei einem früheren Eintritt in die israelische Versicherung.
Anhaltspunkte dafür, den Wortlaut des Art 22 Nr 3 DISVA einschränkend auszulegen und eine Gleichstellung israelischer Pflichtbeiträge für den Eintritt in die deutsche Versicherung auszuschließen, können den offiziellen Gesetzgebungsmaterialien zum DISVA nicht entnommen werden. Wie der Senat bereits ausgeführt hat, läßt sich aus der Begründung des Entwurfs des Zustimmungsgesetzes zum DISVA (BT-Drucks 7/2783), dem Protokoll über die 63. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages (7. Wahlperiode, 15. Januar 1975, S 45), dem Bericht und Antrag dieses Ausschusses (BT-Drucks 7/3101, S 3) und auch aus der Denkschrift zum Änderungsabkommen vom 7. Januar 1986 (BR-Drucks 166/86, S 7) nichts dafür herleiten, für die Bestimmung des Halbbelegungszeitraumes sei allein auf den Eintritt in die deutsche Rentenversicherung abzustellen. Hingegen zeigt gerade die Entstehungsgeschichte des Änderungsabkommens, daß die von der Beklagten angenommene Einschränkung der Gleichstellung von Pflichtbeiträgen nicht vereinbart worden ist: Der 1. Senat des BSG (SozR 6480 Art 22 Nr 1) hat bereits am 24. Juni 1980 im Blick auf die Anrechnung einer Ausfallzeit beim Altersruhegeld zu dem insoweit durch das Änderungsabkommen unverändert gebliebenen Art 22 Nr 3 DISVA entschieden, daß Ausfallzeiten iS von Art 22 Nr 3 DISVA (aF) sogar dann „anzurechnen” sind, wenn kein deutscher Pflichtbeitrag entrichtet wurde. Aus Anlaß dieser Rechtsprechung haben die Vertragspartner im Änderungsabkommen die Gleichstellung israelischer und deutscher Pflichtbeiträge unter Bezugnahme auf das BSG nur insoweit eingeschränkt, als ein deutscher Pflichtbeitrag anrechnungsfähig sein muß (abgesehen von freiwilligen Beiträgen Verfolgter) und die israelischen Pflichtbeiträge auf einer Beschäftigung oder Tätigkeit beruhen müssen. Hätten die Vertragspartner die Rechtsansicht der Beklagten geteilt, wäre eine ausdrückliche Regelung des Eintritts in die Versicherung unumgänglich gewesen (vgl BSG SozR 3-6480 Art 22 Nr 1 S 9).
Nach allem hat die Beklagte keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, die den Senat veranlassen könnten, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzurücken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen