Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 15.05.1957) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Mai 1957 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I
Der Kläger war im Jahre 1951 als Steinformer in Haiger (Dillkreis) beschäftigt. Den 10 km langen Weg von seinem damaligen Wohnort Rabenscheid zur Arbeitsstätte und von dort nach Hause legte er bis zum 31. Oktober 1951 regelmäßig mit seinem eigenen Motorrad zurück. Vom 1. November 1951 an fuhr er als Sozius auf dem Motorrad seines Arbeitskameraden Qu. aus Liebenscheid, der auf seiner Fahrt nach Haiger Rabenscheid berührte. Am 9. November 1951 hatte der Kläger Nachtschicht. Sie begann um 16.30 Uhr und endete um 1 Uhr in der Nacht zum 10. November 1951. Der Kläger und Qu. verließen jedoch schon um 22.30 Uhr die Arbeitsstätte, weil sich auf der Hinfahrt zur Arbeit ein Schaden an der Lichtmaschine des Motorrades gezeigt hatte, ohne dessen Beseitigung die Heimfahrt in der Nacht nicht hätte durchgeführt werden können. Eine Fahrgelegenheit nach Rabenscheid mit einem öffentlichen Verkehrsmittel bestand erst am frühen Morgen um 5 Uhr. Das Motorrad wurde in einer Werkstatt in Haiger repariert; die Arbeit dauerte bis 4 Uhr. Auf der anschließenden Heimfahrt geriet Qu. im Nebel von der Strasse ab und stürzte. Dabei wurde der Kläger schwer verletzt.
Die Beklagte lehnte die Entschädigungsansprüche des Klägers durch Bescheid vom 26. Mai 1952 mit der Begründung ab, durch die mehr als vierstündige Reparatur des Motorrades sei der Nachhauseweg erheblich unterbrochen und somit der Zusammenhang des weiteren Weges mit der Betriebstätigkeit gelöst worden.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG.) Koblenz durch Urteil vom 21. Oktober 1955 den ablehnenden Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Unfall des Klägers vom 10. November 1951 als Wegeunfall zu entschädigen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, daß durch die Reparatur des Motorrades, die den Antritt der Heimfahrt erst ermöglicht habe, der Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit nicht gelöst worden sei, zumal da der nächste Omnibus erst um 5 Uhr gefahren und es dem Kläger nicht zumutbar gewesen sei, den Heimweg in der Nacht zu Fuß zurückzulegen.
Die von der Beklagten hiergegen eingelegte Berufung ist durch Urteil des Landessozialgerichts (LSG.) Rheinland-Pfalz vom 15. Mai 1957 im wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen worden. Der Versicherungsschutz sei nicht dadurch entfallen, daß der Kläger, anstatt ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen, sich von Qu. habe auf dem Motorrad mitnehmen lassen. Es sei auch unerheblich, daß der Kläger die Arbeitsstätte vor Schichtende verlassen habe; ebenso wie der zu spät kommende sei auch der zu früh gehende Arbeiter gegen Wegunfälle versichert. Da dem Kläger nicht zuzumuten gewesen sei, den Heimweg zu Fuß zurückzulegen, habe er entweder bis zur Abfahrt des ersten Omnibus oder bis zur Fertigstellung der Motorradreparatur warten dürfen. Rechtlich bedeutungslos sei es, ob er bei der Reparatur geholfen habe. Ebensowenig sei die Dauer der Reparatur von Bedeutung. Dies könnte nur der Fall sein, wenn der Kläger über die Abfahrtzeit des Omnibus hinaus bei der Instandsetzung mitgewirkt und so auf eine Möglichkeit zur Heimfahrt verzichtet hätte. –
Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist der Beklagten am 4. Juni 1957 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 1. Juli 1957 Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Sie führt aus: Das LSG. habe die in Rechtslehre und Rechtsprechung herrschende Auffassung außer acht gelassen, daß eine mehrstündige Ausbesserung des zum Heimweg benutzten Kraftrades ihres rein eigenwirtschaftlichen Charakters wegen den Zusammenhang mit der vorangegangenen Arbeitstätigkeit löse. Im vorliegenden Falle habe das vorzeitige Verlassen der Arbeitsstätte eindeutig den auch in die Tat umgesetzten Willen des Klägers zu erkennen gegeben, sich vom Betrieb zu lösen und eigenwirtschaftlichen Interessen in Gestalt der Motorradreparatur nachzugehen. Deshalb habe er fünfeinhalb Stunden nach Beendigung seiner Arbeitstätigkeit den Zusammenhang mit dem Betrieb nicht wieder herstellen können.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er stützt sich im wesentlichen auf die Begründung des Berufungsurteils.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist kraft Zulassung statthaft, sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, also zulässig; sie hatte jedoch keinen Erfolg.
Das LSG. hat mit Recht angenommen, daß auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach oder von der Arbeitsstätte Versicherungsschutz unabhängig davon besteht, ob der Weg zu Fuß, mit einem öffentlichen Verkehrsmittel, mit einem eigenen Fahrzeug oder unter Mitbenutzung des Fahrzeugs eines Arbeitskameraden zurückgelegt wird (so schon RVA., EuM. 33 S. 268). Diese Auffassung wird von der Revision auch nicht beanstandet. Weiter hat das LSG. zutreffend ausgeführt, der Versicherungsschutz für die Heimfahrt entfalle nicht schon deshalb, weil der Kläger die Arbeitsstätte vor der normalen Beendigung der Arbeitsschicht verlassen habe. Dies gilt selbst dann, wenn der Kläger – hierüber hat das LSG. keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen – es unterlassen haben sollte, die Erlaubnis des Unternehmers oder des zuständigen Meisters zur vorzeitigen Beendigung der Arbeit einzuholen. Auch in einem solchen Falle ist der nach § 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erforderliche Zusammenhang mit der vorangegangenen Arbeitstätigkeit gegeben, sofern er nicht aus anderen Gründen gelöst worden ist
Eine Lösung des Zusammenhangs sieht die Revision darin, daß der Kläger nicht sofort nach der Einstellung der Arbeit den Heimweg angetreten, sondern zunächst mehrere Stunden lang der Reparatur des Motorrades beigewohnt und möglicherweise – das LSG. hat dies unaufgeklärt gelassen – hierbei geholfen hat. Dabei wertet die Revision die vorzeitige Beendigung der Arbeit als besonderes Indiz dafür, daß die Betätigung des Klägers bis zum Antritt der Heimfahrt eigenwirtschaftlicher Natur gewesen sei. Dieser Auffassung ist der Senat nicht gefolgt.
Es erscheint schon zweifelhaft, ob, wie das LSG. angenommen hat, eine Unterbrechung des Heimwegs – hier in Gestalt der Hinauszögerung des Antritts des Heimwegs (vgl. BSG. SozR. RVO § 543 Bl. Aa 4 Nr. 7) – vorliegt oder ob nicht das Warten auf die Reparatur des Motorrades, auf dem der Heimweg zurückgelegt werden sollte, deshalb als Teil des unter Versicherungsschutz stehenden Weges, d. h. des Sichhinbewegens von der Arbeitsstätte nach Hause, anzusehen ist, weil der Kläger keine Möglichkeit hatte, zu einem früheren Zeitpunkt den Weg anzutreten (vgl. RVA., EuM. 25 S. 2; LSG. Schleswig ZfS. 1955 S. 115) Selbst wenn man in Übereinstimmung mit der Revision der Auffassung ist, das Warten auf die Fertigstellung der mit oder ohne Hilfe des Klägers durchgeführten Reparatur sei nicht dem unter Versicherungsschutz stehenden Heimweg zuzurechnen, so war der Zusammenhang des weiteren Verhaltens des Klägers mit seiner versicherten Arbeitstätigkeit nicht endgültig gelöst, vielmehr stand die um 4 Uhr angetretene Fahrt mit dem Motorrad wieder in ursächlichem Zusammenhang mit jener Tätigkeit. Nach einer Unterbrechung des Weges zu oder von der Arbeitsstätte steht der Rest des Weges anerkanntermaßen nur in Ausnahmefällen, und zwar nur dann außer Zusammenhang mit der versicherten Beschäftigung, wenn Dauer und Art. der Unterbrechung auf eine endgültige Lösung des Zusammenhangs schließen lassen (vgl. RVA., Breith. 1927 S. 221; BSG. SozR. RVO § 543 Bl. Aa 4 Nr. 7; Lauterbach, Unfallversicherung, 2 Aufl., S. 78). Einen solchen Ausnahmefall hat das LSG. mit Recht nicht angenommen. Zwar hat der Kläger den Heimweg erst fünfeinhalb Stunden nach Beendigung der Arbeit angetreten; diese allerdings große Zeitspanne rechtfertigt jedoch für sich allein nicht, den Zusammenhang als endgültig gelöst zu betrachten. Der Kläger hätte nämlich, auch wenn er davon abgesehen hätte, sich von Qu. nach Hause bringen zu lassen, den Heimweg nicht früher antreten können; denn die erste Fahrgelegenheit mit einem öffentlichen Verkehrsmittel bestand erst um 5 Uhr morgens. Dem Kläger war auch, wie das LSG. mit Recht angenommen hat, nicht zuzumuten, den Weg von 10 km bei Nacht und Nebel zu Fuß zurückzulegen, zumal da er damit rechnen konnte, der Schaden an der Lichtmaschine werde sich in der Reparaturwerkstätte in kurzer Zeit beheben lassen. Gegen eine endgültige Lösung von der versicherten Tätigkeit spricht im vorliegenden Falle eindeutig, daß nach den vom LSG. getroffenen Feststellungen an dem Motorrad nur Schäden behoben wurden, welche die Fahrbereitschaft und Verkehrssicherheit für die Nachtfahrt beeinträchtigten, daß also die Reparatur ausschließlich dem Ziele diente, den Kläger und Qu. von ihrer nächtlichen Betriebstätigkeit alsbald nach Hause zu bringen. Deshalb stand die Fahrt, auf welcher der Kläger verunglückt ist, trotz der langen Dauer der vorausgegangenen Motorradreparatur in ursächlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Dieser Betrachtungsweise steht nicht entgegen, daß der Kläger seine Arbeitsschicht vorzeitig beendet hatte. Mag er dabei entweder von der Erwägung geleitet worden sein, daß er in dem Zeitpunkt, in welchem das Motorrad fahrbereit sein werde, alsbald zur Mitfahrt bereit stehen müsse, oder aber die Absicht gehabt haben, bei der Reparatur zu helfen, um seinem Arbeitskameraden gefällig zu sein oder auch nur seine eigene Wartezeit zu verkürzen, in keinem Falle wurde dadurch der Zusammenhang zwischen der späteren Heimfahrt und der versicherten Arbeitstätigkeit ausgeschlossen.
Die Revision weist zu Unrecht darauf hin, daß nach der Rechtslehre und der von Lauterbach (a.a.O. S. 78) angeführten Rechtsprechung eine mehrstündige Ausbesserung des zum Heimweg benutzten Fahrzeugs ihres eigenwirtschaftlichen Charakters wegen den ursächlichen Zusammenhang mit der vorangegangenen Arbeitstätigkeit löse. Die angeführten Entscheidungen (RVA., EuM. 30 S. 320, ablehnend besprochen von Fink in BG. 1955 S. 251; LSG. Nordrh.-Westf., Soz. Entsch. UV § 543 RVO Nr. 31) vermögen die Auffassung der Revision schon deshalb nicht zu stützen, weil ihnen Sachverhalte zugrunde liegen, die sich von dem hier zu beurteilenden in einem wesentlichen Punkt unterscheiden: in jenen Fällen hatte sich die Reparatur des Fahrzeugs so lange hingezogen, daß andere – zumutbare – Gelegenheiten für den Heimweg versäumt worden waren.
Nach alledem hat das LSG. den Unfall, den der Kläger am 10. November 1951 zwischen 4 und 5 Uhr auf dem Wege von Haiger nach Rabenscheid erlitten hat, jedenfalls im Ergebnis mit Recht als einen zur Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung berechtigenden Wegeunfall im Sinne des § 543 RVO angesehen. Die Revision mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Brackmann, Hunger, Schmitt
Fundstellen