Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 1979 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Konkursausfallgeld (Kaug) für die Zeit vom 30. September 1975 bis zum 21. November 1975.
Mit Vertrag vom 10. Juni 1975 stellte die G.-H. GmbH den Kläger zum 1. Juli 1975 mit einer Kündigungsfrist von 12 Monaten jeweils zum Ablauf eines Kalenderhalbjahres als Vertriebsdirektor an. Als Vergütung war ein Gehalt von 5.000,– DM monatlich, zahlbar am Monatsende, und eine Erfolgsbeteiligung mit 0,25 % vom Umsatz des Unternehmens, jeweils fällig am 15. Dezember, vereinbart; letztere war für den Rest des Geschäftsjahres 1975 mit 3.000,– DM und für das am 1. Oktober 1975 beginnende Geschäftsjahr 1976 mit 24.000,– DM fest zugesagt. Am 24. September 1975 kündigte der einzige Gesellschafter und Geschäftsführer der G. H.-GmbH, der Zeuge G. S.; das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. September 1975 und beurlaubte ihn zugleich. Die Kündigung beruhte auf Meinungsverschiedenheiten mit dem Kläger. Der Kläger widersprach zwar der Kündigung, erhob jedoch keine Kündigungsschutzklage. Nachdem das Amtsgericht P. mit Beschluß vom 21. November 1975 den Konkursantrag der G.-H.-GmbH mangels Masse abgelehnt hatte, erwirkte der Kläger am 12. April 1976 wegen seiner für die Zeit ab September 1975 behaupteten rückständigen Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis ein Versäumnisurteil über 15.133,33 DM.
Den Antrag des Klägers vom Dezember 1975, ihm für die Zeit von September 1975 bis zum 22. November 1975 Kaug in Höhe von 10.201,80 DM zu gewähren, lehnte das Arbeitsamt D.stadt durch Bescheid vom 31. Mai 1976 ab, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers am 30. September 1975 beendet worden sei und der Zeuge S. mitgeteilt habe, daß die G.-H.-GmbH alle Gehaltsansprüche ihrer Beschäftigten bis Ende Oktober 1975 erfüllt habe. Unter Hinweis auf das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts D. machte der Kläger mit dem Widerspruch geltend, seine Vergütung sei für September 1975 nicht voll und für Oktober und November 1975 gar nicht gezahlt worden. Durch Bescheid vom 7. Oktober 1976 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil der Kläger für die wegen rechtswirksamer Kündigung zum 30. September 1975 allein als Kaug-Zeitraum berücksichtigungsfähigen Monate Juli bis September 1975 nach der Auskunft des Zeugen G. keine Gehaltsansprüche mehr habe. Das arbeitsgerichtliche Versäumnisurteil sei für die Frage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedeutungslos. Eine Erfolgsbeteiligung sei jedenfalls innerhalb des Kaug-Zeitraums nicht fällig geworden.
Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Dortmund durch Urteil vom 11. Mai 1977 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Es hat die außerordentliche Kündigung für wirksam erachtet. Bis zum Ende seiner Beschäftigung habe der Kläger das zustehende Gehalt erhalten. Die Erfolgsbeteiligung sei erst nach Beendigung des Kaug-Zeitraumes fällig geworden.
Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Beklagte am 5. Dezember 1979 in Abänderung des Urteils des SG und der angefochtenen Bescheide verurteilt, an den Kläger Kaug für die letzten drei Monate vor dem Insolvenztag (21. November 1975) zu zahlen.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 13 Abs. 1 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) und des § 141 b des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Sie ist der Auffassung, aus den vom SG angeführten Gründen könne sich der Kläger ohne rechtzeitige Kündigungsschutzklage nicht auf die Rechtsunwirksamkeit der ihm gegenüber zum 30. September 1975 erfolgten außerordentlichen Kündigung berufen. Deshalb, und weil die Beklagte keinen Einfluß darauf gehabt habe, die Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung rechtzeitig überprüfen zu lassen, sei es unbillig, ihr insoweit die Unaufklärbarkeit anzulasten.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 1979 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 11. Mai 1977 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die Rechtskraftwirkung des arbeitsgerichtlichen Urteils sich nicht auf die am arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligte Beklagte erstreckt. Eine Bindung der Beklagten an dieses Urteil hätte allerdings in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Respektierung von Hoheitsakten anderer Staatsorgane durch die Verwaltung in Betracht kommen können (vgl. Stein-Jonas, ZPO, 18. Aufl, § 322 Anm. II 5, Peters-Sautter-Woiff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand: April 1980, § 51 S. 106 zu a); Gagel, Konkursausfallgeld, Rdn 17 zu § 141 b AFG). Ist über den Lohnanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber für einen bestimmten Zeitraum durch Urteil eines Arbeitsgerichts – sei es auch im Wege des Versäumnisurteils – rechtskräftig entschieden, so muß dieses Urteil von allen Behörden bei der Entscheidung über Ansprüche respektiert werden, deren tatbestandliche Voraussetzung gerade dieser Lohnanspruch ist. Ihnen steht, soweit das rechtskräftige Urteil über den Sachverhalt entschieden hat, eine Nachprüfung des Urteils regelmäßig nicht zu. Dieser Grundsatz erfährt indes dadurch eine Einschränkung, daß das arbeitsgerichtliche – wie das zivilgerichtliche – Verfahren nicht vom Amtsermittlungsprinzip beherrscht wird. Das Urteil, namentlich das Versäumnisurteil, beruht nur auf den vorgetragenen und zugestandenen – oder bewiesenen – Tatsachen. Es enthält nur die Entscheidung über die Rechtsfolgen aus diesen Tatsachen und kann deshalb auch nur insoweit als Hoheitsakt von den übrigen Behörden respektiert werden. Diese sind daher nicht gehindert, ihnen zusätzlich mitgeteilte oder bei Ermittlungen bekannt gewordene Tatsachen zu berücksichtigen, die das rechtskräftige Urteil mangels eines entsprechenden Vortrags nicht berücksichtigen konnte und nicht berücksichtigt hat.
Wie der Widerspruchsbescheid der Beklagten erkennen läßt, hat sie das rechtskräftige arbeitsgerichtliche Versäumnisurteil vom 12. April 1976 respektiert. In diesem Urteil war dem Kläger der Anspruch auf rückständige Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis für die Zeit ab September 1975 in Höhe von 15.133,33 DM zuerkannt worden. Das war allein aufgrund des Klagevorbringens geschehen, der Beklagte habe seine Zahlungspflichten aus dem Arbeitsvertrag vom 10. Juni 1975 ab September 1975 nicht voll und ab Oktober 1975 überhaupt nicht mehr erfüllt. Dieses Vorbringen hatte das Arbeitsgericht angesichts der Säumnis des Arbeitgebers des Klägers seinem Urteil zugrunde legen müssen. Auch die Beklagte ist davon ausgegangen, daß arbeitsvertraglich das dort festgelegte Entgelt geschuldet wurde. Sie hat allerdings das im arbeitsgerichtlichen Verfahren unterbliebene Vorbringen, dem Kläger sei der Arbeitsvertrag am 24. September 1975 zum 30. September 1975 gekündigt worden, mit in ihre Prüfung des Kaug-Anspruches einbezogen. Weiter hat sie das ebenfalls im arbeitsgerichtlichen Verfahren unterbliebene Vorbringen des früheren Arbeitgebers des Klägers berücksichtigt, alle Gehaltsansprüche der bei der G.-H.-GmbH Beschäftigten seien bis Ende Oktober 1975 erfüllt worden. Dies durfte sie ohne Mißachtung der Tatbestandswirkung des rechtskräftigen Urteils tun. Sie durfte schließlich auch die darin nicht berührte Frage prüfen, ob der vom Arbeitsgericht bejahte Anspruch auf Erfolgsbeteiligung innerhalb des vom Kaug abzudeckenden Zeitraumes fällig geworden war. Die von der Beklagten über den Inhalt des rechtskräftigen Urteils angestellten Erwägungen waren mithin zulässig und unterlagen damit auch sachlich der gerichtlichen, Kontrolle durch die Vorinstanzen.
Der Anspruch des Klägers aus § 141 b AFG auf Kaug für die Zeit vom 21. August bis zum 20. November 1975 als Ersatz des rechtskräftig zugesprochenen Gehaltsanspruchs von 5.000,– DM monatlich ab 1. Oktober 1975 und des anteiligen Anspruchs auf Erfolgsbeteiligung für die Zeit vom 21. August bis zum 20. November 1975 wäre nur dann nicht begründet, wenn das Arbeitsverhältnis des Klägers infolge wirksamer außerordentlicher Kündigung mit dem 30. September 1975 sein Ende gefunden hätte und bis zu diesem Zeitpunkt auch ein Anspruch auf Erfolgsbeteiligung nicht entstanden wäre. Das ist jedoch nicht der Fall.
Die Rechtswidrigkeit einer außerordentlichen Kündigung kann gemäß § 13 KSchG grundsätzlich nur nach Maßgabe des § 4 Abs. 1 und der §§ 5 bis 7 dieses Gesetzes geltend gemacht werden. Das gilt jedoch nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung im Arbeitsrecht nicht für Arbeitnehmer, die – wie der Kläger – dem Betrieb im Zeitpunkt der außerordentlichen Kündigung weniger als sechs Monate angehören. Diese in BAGE 1, 273 = BAG AP Nr. 5 zu § 11 KSchG begonnene und in BAG AP Nr. 7 zu § 11 KSchG fortgesetzte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat seither eine Änderung nicht erfahren, obwohl dagegen Bedenken erhoben worden sind (zum Stand der Meinungen vgl. Hueck, Kündigungsschutzgesetz, 10. Aufl, § 13, RdNrn 19 bis 22). Der Senat ist zu dem Ergebnis gelangt, daß sowohl für die Auffassung des BAG als auch für die Gegenmeinung gute Gründe sprechen. Unter diesen Umständen besteht kein Anlaß, die vom BAG entwickelte und in der arbeitsrechtlichen Praxis befolgte einheitliche Linie in Frage zu stellen und insoweit ohne schwerwiegende Gründe die Rechtssicherheit zu gefährden (vgl. hierzu BAG 12, 278; BAG in AP Nr. 13 zu § 76 BetrVG; BSGE 40, 292, 296; 44, 163). Das LSG hat mithin § 13 Abs. 1 KSchG nicht verletzt, wenn es mit der Rechtsprechung des BAG § 13 Abs. 1 KSchG nicht auf Arbeitnehmer anwendet, die im Zeitpunkt der Kündigung weniger als sechs Monate dem Betrieb angehören, also auch nicht auf den Kläger.
Da sich der Kläger somit nicht entgegenhalten lassen muß, sein Arbeitsverhältnis sei mangels rechtzeitiger Kündigungsschutzklage mit dem 30. September 1975 beendet worden, hat das LSG zutreffend weiter geprüft, ob die dem Kläger gegenüber ausgesprochene außerordentliche Kündigung durch einen wichtigen Grund iS von § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gerechtfertigt war oder nicht. Insoweit ist es zu dem Ergebnis gelangt, ein solcher lasse sich nicht feststellen, nicht zuletzt auch deshalb, weil der für ein treuwidriges Verhalten des Klägers benannte Zeuge A. nicht auffindbar sei. Diese Feststellung des LSG hat die Revision nicht beanstandet. Sie hat insbesondere nicht geltend gemacht, daß und auf welche Weise das LSG den Aufenthalt des Zeugen A. hätte ermitteln können und müssen. Der Senat ist deshalb gemäß § 163 SGG an die tatsächlichen Feststellungen des LSG gebunden.
Auch gegen die rechtliche Wertung dieser Feststellungen, nämlich gegen das Ergebnis, es lasse sich ein wichtiger Grund daraus nicht herleiten, hat die Revision keine Bedenken erhoben. Sie wendet sich allein dagegen, daß das LSG die Nichterweislichkeit eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung zu ihrem Nachteil hat aus schlagen lassen. Auch dies ist jedoch rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit die Frage, welcher Beteiligte die Folgen der Nichterweislichkeit einer rechtserheblichen Tatsache zu tragen hat, nur aus dem anzuwendenden materiellen Rechtssatz zu beantworten und zwar mit der Folge, daß die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten desjenigen Beteiligten geht, der daraus ihm günstige Rechtsfolgen herleitet (vgl. BSGE 35, 216, 218 mwN). Diese Regelung der objektiven Beweislast oder der objektiven Beweislosigkeit (Feststellungslast) ist ein Ausfluß des das sozialgerichtliche Verfahren beherrschenden Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG). Der Entscheidung dürfen nur die vom Gericht als bewiesen festgestellten Tatsachen zugrunde gelegt werden. Nur sie sind geeignet, die daran geknüpften Rechtsfolgen auszulösen. Nimmt ein Beteiligter eine Rechtsfolge für sich in Anspruch, deren Voraussetzung eine Tatsache ist, die nicht als bewiesen festgestellt werden kann, so ist es dem Gericht verwehrt, die sich daraus ergebende – für den betreffenden Beteiligten günstige und somit für seinen Gegner ungünstige – Rechtsfolge auszusprechen. Bei Anwendung des Grundsatzes der objektiven Beweislosigkeit kommt es also nicht darauf an, ob ein Beteiligter die Möglichkeit gehabt hätte, durch ein ihm mögliches und zumutbares rechtzeitiges Handeln die Aufklärung der später als beweislos bezeichneten Tatsache und damit ihre Feststellung durch das Gericht zu ermöglichen. Das Verhalten der Beteiligten kann vielmehr nur im Rahmen der Beweisanforderungen und der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden. Ist das Gericht aber zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Tatsache nicht als bewiesen festgestellt werden kann, so ist es auf die rechtlichen Folgen der Beweislosigkeit ohne Einfluß, in wessen Herrschafts- oder Verantwortungsbereich die betreffende Tatsache und die Möglichkeit ihrer Aufklärung fallen. Das LSG hat mithin zutreffend erkannt, daß die nur noch unvollständig mögliche Feststellung der Tatsachen, aus denen sich ein treuwidriges Verhalten des Klägers und damit ein wichtiger Grund für seine außerordentliche Kündigung hätte ergeben können, der Beklagten zum Nachteil gereichen muß, weil sie sich auf das Vorliegen eines treuwidrigen Verhaltens als tatbestandliche Voraussetzung der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grunde berufen hat. Das LSG hat mithin die Beklagte unter Beachtung des arbeitsgerichtlichen Urteils zu Recht verurteilt, an den Kläger Kaug für die letzten drei Monate vor dem Insolvenztag (21. November 1975) – also das in diesen Zeitraum fallende um die gesetzlichen Abzüge verminderte vertragliche Gehalt nebst Erfolgsbeteiligung – zu zahlen, das er noch zu beanspruchen hat (§ 141 d AFG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 925833 |
ZIP 1982, 78 |
Breith. 1982, 634 |