Leitsatz (amtlich)
Überzahlte Versorgungsbezüge, die von den Versorgungsbehörden zurückgefordert werden, sind keine einmaligen Leistungen im Sinne des SGG § 144 Abs 1 Nr 1; es handelt sich bei ihnen auch nicht um Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume im Sinne des SGG § 148 Nr 2. 2. Die Vorschriften des KOV-VfG § 47 Abs 1 und 2 (in Kraft getreten am 1955-04-01) ergreifen auch alle am Tage des Inkrafttretens des Gesetzes anhängigen Rückforderungsfälle.
Normenkette
SGG § 144 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 148 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03; KOVVfG § 47 Abs. 1 Fassung: 1955-05-02, Abs. 2 Fassung: 1955-05-02
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 3. November 1954, soweit es die Rückforderung von Versorgungsbezügen für die Zeit vom 1. April bis 30. September 1952 betrifft, aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Beklagte bezieht seit 1. August 1947 wegen einer Lungentuberkulose eine Kriegsbeschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 100 v.H. Das Versorgungsamt (VersorgA.) M bewilligte ihm nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 1. Oktober 1950 ab die Grundrente von 75,- DM und vom 1. April 1951 ab eine Ausgleichsrente von 90,- DM monatlich. Am 1. November 1951 nahm der Beklagte, der sich vom 21. Februar 1951 bis 4. September 1951 in einer Heilstätte befunden hatte, seine Arbeit bei einem Bruttoverdienst von 370,- DM monatlich wieder auf. Er teilte dies dem VersorgA. in einem am 4. Dezember 1951 bei diesem eingegangenen Schreiben vom 30. November 1951 mit. Am 27. Juni 1952 fragte das VersorgA. bei der Fürsorgestelle Warendorf nach der Höhe des Einkommens des Beklagten seit seiner Entlassung aus der Heilstätte an. Die Fürsorgestelle übersandte am 31. Juli 1952 eine Gehaltsbescheinigung der Arbeitgeberin, in welcher die Angaben des Beklagten bestätigt wurden, und fügte ein Schreiben des Beklagten vom 22. Juli 1952 an das VersorgA. bei, in dem dieser geltend machte, daß sein Schreiben vom 30. November 1951 trotz Erinnerungen nicht beantwortet sei.
Das VersorgA. M hat mit Bescheid vom 20. August 1952 festgestellt, daß der Beklagte wegen der Höhe seines Einkommens vom 1. November 1951 ab keinen Anspruch auf Ausgleichsrente habe. Es hat die Rückzahlung des zu Unrecht empfangenen Betrages von 990,- DM verlangt und ausgeführt, daß vom Oktober 1952 ab von den zu zahlenden Versorgungsbezügen monatlich 25,- DM einbehalten würden.
Der Beschwerdeausschuß 2 des VersorgA. M hat am 19. Februar 1953 entschieden, daß ein Rückforderungsanspruch nur in Höhe von 270,- DM bestehe, weil der Beklagte die Überzahlung nicht veranlaßt habe. Das VersorgA. sei in der Lage gewesen, die Rente spätestens mit Wirkung vom 1. Februar 1952 ab neu festzustellen.
Das Sozialgericht (SG.) Münster, auf das die vom Kläger gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses beim Oberversicherungsamt (OVA.) M eingelegte Berufung nach § 215 Abs. 2 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage übergegangen war, hat in seinem Urteil vom 27. April 1954 festgestellt, daß ein Rückforderungsanspruch in Höhe von 450,- DM bestehe und im übrigen die Klage abgewiesen. Dem VersorgA. sei für die Neufeststellung der Ausgleichsrente eine Frist bis 1. April 1952 zuzubilligen. Die Entscheidung sei nach § 148 Nr. 2 SGG endgültig.
Das Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen in Essen hat die vom Land Nordrhein-Westfalen gegen das Urteil des SG. eingelegte Berufung am 3. November 1954 zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat im Rubrum des Urteils den Versorgungsberechtigten als Kläger und Berufungsbeklagten und das Land als Beklagten und Berufungskläger bezeichnet. Zur Sache hat es ausgeführt: Die Berufung sei zulässig. Bei der geltend gemachten Rückforderung handele es sich nicht um einen Anspruch auf eine einmalige Leistung im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG oder um Versorgung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum (§ 148 Nr. 2 SGG). Die vom 1. April 1952 bis 30. September 1952 gezahlte Ausgleichsrente könne nicht zurückgefordert werden. Zwar gelte der Grundsatz, daß objektiv zu Unrecht empfangene Leistungen grundsätzlich zurückzuzahlen seien, auch im öffentlichen Recht, wobei die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über die ungerechtfertigte Bereicherung jedoch nicht anwendbar seien. Der Versorgungsberechtigte habe aber weder gewußt noch wissen müssen, daß ihm die Ausgleichsrente nicht mehr zustehe, nachdem das VersorgA. erst neun Monate nach Eingang der Anzeige des Beklagten einen neuen Bescheid erteilt habe. Die Rückforderung des noch streitigen Betrages verstoße daher gegen Treu und Glauben. Der Versorgungsverwaltung müsse zwar für die Bearbeitung von Anzeigen über Einkommensänderungen eine angemessene Frist zugestanden werden. Im vorliegenden Fall sei das VersorgA. aber zu spät tätig geworden.
Gegen dieses Urteil hat das Landesversorgungsamt (LVersorgA.) Westfalen am 9. Dezember 1954 Revision eingelegt und beantragt,
die Entscheidungen des Beschwerdeausschusses des VersorgA. Münster vom 19. Februar 1953, des SG. Münster vom 27. April 1954 und des LSG. Nordrhein-Westfalen in Essen vom 3. November 1954 dahin zu ändern, daß der Anspruch auf Rückforderung auch für die Zeit vom 1. April bis 30. September 1952 gerechtfertigt sei.
Es hat ausgeführt: Die noch streitige Rückforderung verstoße nicht gegen Treu und Glauben. Der Beklagte habe nach den Ausführungen des Berufungsgerichts zunächst mit der Änderung der Rente nach der Wiederaufnahme der Arbeit gerechnet. Die Annahme, daß er, und zwar seines Leidens wegen, später nicht mehr mit einer Rückforderung gerechnet habe, sei aber nicht gerechtfertigt. Denn das Leiden und die anerkannte Erwerbsunfähigkeit seien für die Frage der Rückzahlungspflicht ohne Bedeutung. Der Beklagte könne sich auch nicht auf Rechtsunkenntnis berufen, da jeder Bescheid den Hinweis enthalte, daß unrechtmäßig empfangene Bezüge zurückzuzahlen seien. Er habe auch daraus, daß die Rente zunächst weitergezahlt worden sei, nicht entnehmen dürfen, daß das VersorgA. keine Rückforderung mehr geltend machen werde. Schließlich habe das LSG. die Arbeitsüberlastung des VersorgA. nicht genügend berücksichtigt. Die Erledigung der Anzeigen über Einkommensänderungen sei durch den Personalmangel, durch die mit der Umanerkennung und den Änderungsgesetzen zum BVG und durch die mit der großen Zahl der zu erledigenden Anträge zusammenhängenden Arbeiten verzögert worden. Zwischenbescheide hätten nicht erteilt werden können, weil sie einen erheblichen Schriftwechsel erfordert hätten. Die Rechtsansicht der Revision werde durch § 47 des mit Wirkung vom 1. April 1955 ab in Kraft getretenen Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) vom 2. Mai 1955 (BGBl. I S. 202) gestützt. Diese Vorschrift sei bei der Beurteilung der Frage, ob eine Rückforderung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße, auch dann von Bedeutung, wenn der Rückforderungsbescheid vor dem Inkrafttreten des VerwVG erlassen sei. Eine Rückforderung, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes geltend gemacht worden sei, könne nicht gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn sie nach § 47 Abs. 2 a.a.O. zulässig wäre. Ob § 47 a.a.O auf die bei seinem Inkrafttreten anhängigen Sachen unmittelbar anzuwenden sei, überlasse er - der Revisionskläger - dem Bundessozialgericht (BSG.). Das LSG. habe nicht geprüft, ob die Rückforderung bei Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten vertretbar sei (§ 47 Abs. 2 a.a.O.). Das müsse bei der Einbehaltung eines Betrages von 25,- DM von der monatlichen Rente bejaht werden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte hat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hat ausgeführt: Er habe alles getan, was ihm nach Lage der Verhältnisse zuzumuten gewesen sei. Das Berufungsgericht habe mit Recht festgestellt, daß er weder wusste noch wissen musste, daß ihm die Ausgleichsrente nicht mehr zustehe. Spätestens vom 1. April 1952 ab habe er mit einer Rückforderung nicht mehr zu rechnen brauchen, und zwar insbesondere deshalb, weil die Rente ungekürzt weitergezahlt worden sei, obwohl er die Änderung seines Einkommens angezeigt und das VersorgA. wiederholt an die Erledigung der Sache erinnert habe. Die gesetzlichen Vorschriften habe er nicht kennen müssen. Das Verhalten des VersorgA. sei geeignet gewesen, ihn davon zu überzeugen, daß er trotz seines Einkommens Anspruch auf Versorgung in derselben Höhe wie vor der Wiederaufnahme der Arbeit habe. Auf die Arbeitsüberlastung bei den Versorgungsämtern komme es nicht an. Entscheidend sei nur, wie der Beklagte das monatelange Schweigen der Verwaltung - die Erteilung eines Zwischenbescheids sei zumutbar gewesen - nach dem Grundsatz von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte habe auffassen müssen. Die unmittelbare Anwendung des § 47 VerwVG stelle er in das Ermessen des BSG. Auch bei Anwendung dieser Vorschrift verstoße die Rückforderung der vom 1. April bis 30. September 1952 gezahlten Ausgleichsrente gegen Treu und Glauben.
Die Revision ist statthaft, da das LSG. sie zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG). Die Revision ist daher zulässig.
Sie ist auch begründet. Das LSG. hat mit Recht in der Sache entschieden. Die Zulässigkeit der Berufung ist eine Prozeßvoraussetzung, von der das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung, also auch das Verfahren der Revisionsinstanz, in seiner Rechtswirksamkeit abhängt. Sie ist deshalb auch vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 7. Juni 1956 - 8 RV 411/54 -; Urteil des 10. Senats vom 29. 2. 1956 - 10 RV 75/55; ebenso BGHZ. 6 S. 369; Stein-Jonas-Schönke, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., Anm. IV 2a zu § 559; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 6. Aufl., § 143 II 2). Nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist die Berufung bei Ansprüchen auf einmalige Leistungen nicht zulässig. Ansprüche auf Rückerstattung zu Unrecht bezogener Versorgungsgebührnisse sind jedoch keine solchen auf "einmalige Leistungen" im Sinne dieser Vorschrift. Das SGG erläutert den Begriff der "einmaligen Leistungen" nicht. Es sagt nicht, ob damit die von den Versorgungsbehörden der Länder und den Sozialversicherungsträgern nach dem BVG oder anderen Sozialgesetzen zu gewährenden Leistungen gemeint sind, oder ob darunter auch Leistungen zu verstehen sind, die Versorgungsbehörden und Versicherungsträger von den Versorgungsberechtigten oder Versicherten fordern können. Nach der Ansicht des Senats sind nur Leistungen der ersteren Art gemeint. Das folgt vor allem daraus, daß der Ausschluß der Berufung nach dem SGG in Anlehnung an die bisher in der Sozialversicherung und der Kriegsopferversorgung geltenden Verfahrensregelungen vorgenommen worden ist (vgl. Entwurf eines Gesetzes über das Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit (Sozialgerichtsordnung - SGO -) Allg.Teil, Abschn. B Nr. 6 und Begründung zu §§ 92-97 SGG - später 143-149 SGG -, Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949, Drucksache Nr. 4357). Die als Vorbild für die Berufungsausschließungsgründe des SGG dienenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) diesen für den Ausschluß der Revision und des Rekurses nur die den Versicherten oder Versorgungsberechtigten zu gewährenden Leistungen maßgeblich sein (vgl. die bis zum 1. 1. 1954 geltenden §§ 1700 Nr. 6 und 9, 1696 Nr. 2 RVO); unter den erwähnten einmaligen Leistungen im Sinne dieser Verfahrensvorschriften waren nur die von den Versicherungsträgern und Versorgungsbehörden zu gewährenden Leistungen zu verstehen. Die §§ 1696, 1700 RVO wurden von der Rechtsprechung stets eng ausgelegt und bei Ansprüchen auf Rückerstattung zu Unrecht gewährter Leistungen nicht angewendet. Im übrigen bestimmt das SGG im § 149 ausdrücklich, wann bei Ersatz- und Erstattungsstreitigkeiten die Berufung nicht zulässig ist. Verstünde man aber unter einmaligen Leistungen im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG solche jeder Art, dann wäre § 149 SGG überflüssig; die im § 149 SGG genannten Ansprüche würden vielmehr bereits von § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG miterfaßt. Unter einmaligen Leistungen im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG sind daher nur Sozialleistungen des Staates oder öffentlicher Körperschaften zu verstehen. Dagegen werden Ansprüche auf Rückerstattung zu Unrecht bezogener Leistungen nicht von dieser Vorschrift erfaßt (im Ergebnis ebenso Urteil des LSG. Baden-Württemberg vom 25. 2. 1955 - Breith. 1955 S. 1277; Urteil des Hessischen LSG. vom 30. 6. 1954, SGb. 1955 S. 121 mit zustimmender Anmerkung von Rohwer-Kahlmann; Urteil des Bayerischen LSG. vom 19. 2. 1954, Amtsbl. 1954 B S. 119 Nr. 10; Urteil des LSG. Hamburg vom 11. 1. 1956, Breith. 1956 S. 532; Brüning, SGb 1954 S. 67; Kochherr, Das Arbeitsamt 1956 S. 9; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 1 zu § 144 SGG; Miesbach-Ankenbrank, Sozialgerichtsgesetz, Anm. 3 zu § 144; Hofmann - Schroeter, Sozialgerichtsgesetz, Anm. 2 zu § 144; Thannheiser-Wende-Zech, Handbuch des Bundesversorgungsrechts, Bd. II, Erl. zu § 144 SGG).
Die Berufung war auch nicht nach § 148 Nr. 2 SGG ausgeschlossen, wie das LSG. mit Recht festgestellt hat. Nach dieser Vorschrift können Urteile mit der Berufung nicht angefochten werden, wenn sie u.a. nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume betreffen. Zwar könnte man vorliegend annehmen, daß es sich um Versorgung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum handelt, weil das Land einen Geldbetrag zurückfordert, der seiner Höhe nach dem Betrag entspricht, den es dem Versorgungsberechtigten für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum als Versorgung gewährt hat. Diese Betrachtungsweise widerspräche aber dem Ausnahmecharakter der Regelung der Berufungsausschließungsgründe gegenüber dem Grundsatz des § 143 SGG im allgemeinen und der ausdrücklichen Beschränkung des § 148 Nr. 2 SGG auf den Streitpunkt der Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume im besonderen. Das Urteil betrifft die Entscheidung über einen prozessualen Anspruch (vgl. Urteil des 3. Senats vom 21. 12. 1955 - 3 RK 21/55). Dieser ist hier auf Rückerstattung eines Geldbetrages gerichtet und nicht auf Versorgung im eigentlichen Sinn (ebenso Urteil des Bayer.LSG. vom 19.2.1954 a.a.O.). Aus diesen Gründen hat das Berufungsgericht die Berufung mit Recht für zulässig erachtet und in der Sache entschieden.
Bei Entscheidung der Frage, ob das Berufungsgericht die Rückforderung der für die Zeit vom 1. April 1952 bis 30. September 1952 gezahlten Ausgleichsrente mit Recht für unzulässig erklärt hat, war § 47 Abs. 1 und 2 VerwVG zu Grunde zu legen. Das BSG. als Revisionsgericht hat grundsätzlich von dem im Zeitpunkt seiner Entscheidung geltenden materiellen Recht auszugehen. Rechtsänderungen, die vorher wirksam geworden sind, hat es zu berücksichtigen, wenn das streitige Rechtsverhältnis von ihnen erfaßt wird. Ergibt sich insbesondere aus der ausdrücklichen Regelung eines neuen Gesetzes oder aus dessen Sinn und Zweck, daß das neue Gesetz sofortige Geltung auch für früher begründete Rechtsverhältnisse zu beanspruchen hat, dann muß auch das Revisionsgericht über die Berechtigung des Klageanspruchs nach den neuen Rechtsnormen befinden (vgl. Urteil des BGH. vom 26.2.1953 - BGHZ. 9 S. 101 -, in dem die frühere entgegengesetzte Rechtsprechung des Reichsgerichts aufgegeben worden ist). Das BSG hat sich in dieser Frage der Anwendbarkeit neuer Rechtsnormen durch das Revisionsgericht bereits zu diesem Grundsatz bekannt (vgl. Urteil des 1. Senats vom 9.2.1956 - 1 RA 5/55). Auch der erkennende Senat vertritt die Auffassung, daß das Revisionsgericht prüfen muß, ob das Urteil des Berufungsgerichts mit dem im Zeitpunkt seiner Entscheidung geltenden materiellen Recht in Einklang steht oder nicht. Es hat ein nach Erlaß des angefochtenen Urteils ergangenes neues Gesetz zu berücksichtigen, sofern dieses nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfaßt (ebenso Urteil des BAG vom 26.11.1955, NJW. 1956 S. 39). Das ist hier der Fall. § 47 VerwVG regelt die Rückerstattung von zu Unrecht bezogenen Versorgungsleistungen. Daß diese Vorschrift in einem Verfahrensgesetz, nämlich dem für die Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung, enthalten ist, ändert nichts daran, daß sie ihrem Inhalt und ihrer Wirksamkeit nach materiell-rechtlicher Natur ist. Bis zum Inkrafttreten des VerwVG war die Frage der Rückerstattung zu Unrecht bezogener Versorgungsleistungen nicht gesetzlich geregelt. Nach den in dauernder Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen war im Einzelfalle zu prüfen, ob eine Rückforderung nach dem das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben berechtigt war oder nicht. Im § 47 a.a.O. sind nunmehr die von der Rechtsprechung gewonnenen Ergebnisse zusammengefaßt, und zwar so umfassend und erschöpfend, daß daraus der Schluß auf eine nach dem zeitlichen Geltungswillen dieser Vorschrift vorgesehene allgemeine Sofortwirkung zu ziehen ist. Das muß schon deshalb angenommen werden, weil die Vorschrift des § 47 Abs. 2 VerwVG gerade in ihrer zweiten Alternative, daß eine auf einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse beruhende Überzahlung - bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen der ersten Alternative - dann nicht zurückgefordert werden kann, wenn die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers nicht vertretbar ist, eine Verbesserung gegenüber dem bisherigen Rückforderungsrecht darstellt; jedenfalls kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber in den vor dem 1. April 1955 anhängig gewordenen Altfällen diese Rechtswohltat ausschließen wollte. Für eine Allgemeinwirkung spricht auch der Umstand, daß nach § 52 VerwVG in den am Tage des Inkrafttretens des VerwVG anhängigen Sachen - also auch für die Rückforderungsfälle - für das weitere Verfahren die Vorschriften dieses Gesetzes maßgebend sind. Zwar behandelt § 52 a.a.O. ausdrücklich nur die Sofortwirkung der Vorschriften des VerwVG für das Verwaltungsverfahren, woraus indessen zugleich sich der Wille des Gesetzes entnehmen läßt, auch seinen materiell-rechtlichen Vorschriften sofort Geltung zu verschaffen. Die beiden im VerwVG enthaltenen materiell-rechtlichen Vorschriften - §§ 47 und 48 a.a.O. - stehen zudem zusammen in dem mit der Überschrift "Sonstige Vorschriften" bezeichneten XIII. Abschnitt des Gesetzes. Die Sofortwirkung des § 48 a.a.O. ergibt sich daraus, daß eine unterschiedliche rechtliche Behandlung der materiellen Entscheidungen über den Anspruch auf Rückzahlung einer Kapitalabfindung für das Verfahren auf Befriedigung aus einer für den Rückzahlungsanspruch bestellten Sicherungshypothek für die Zeit vor und nach dem Inkrafttreten des VerwVG nicht gewollt sein kann. Dasselbe ist dann aber auch hinsichtlich der zeitlichen Geltung für § 47 a.a.O. anzunehmen. Aus diesen Gründen waren im vorliegenden Fall § 47 Abs. 1 und 2 VerwVG vom BSG. anzuwenden, obwohl die Vorinstanzen vor dem Inkrafttreten des VerwVG und gemäß den vor seinem Inkrafttreten entwickelten allgemeinen Grundsätzen über die Rückforderung überzahlter Versorgungsleistungen entschieden haben. Die der des Senats entgegenstehende Auffassung des Hessischen LSG. (Urteil vom 6. 10. 1955, SGb. 1956 S. 204) und des LSG. Hamburg (Urteil vom 11. 1. 1956, Breith. 1956 S. 532 (535)) vermochte ihn nicht zu einer anderen Beurteilung zu veranlassen. In dem Urteil des Hessischen LSG. fehlt zu diesem Punkte eine nähere Begründung, und das LSG. Hamburg hat auf das Urteil des BSG. vom 24. Mai 1955 (BSG. 1 S. 44) hingewiesen, wobei es indessen übersehen hat, daß es sich bei dem von ihm angeführten Falle darum handelt, ob auf einen Sachverhalt altes oder neues Verfahrensrecht anzuwenden ist, während hier die zeitliche Geltung materiell-rechtlicher Vorschriften in Frage steht. Zu der in der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit streitigen Frage, von welchem Recht bei der gerichtlichen Beurteilung einer Klage auf Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts auszugehen ist (vgl. dazu Haueisen, NJW. 1956 S. 201 mit weiteren Hinweisen), hatte der Senat nicht Stellung zu nehmen. Denn bei der im vorliegenden Fall nach § 215 Abs. 2 und Abs. 4 Satz 1 SGG entstandenen Klage handelt es sich nicht um eine Aufhebungsklage, sondern eine Leistungsklage gegen den Versorgungsberechtigten. Der Tatsache, daß das LSG. im Rubrum des Urteils die Beteiligten unrichtig bezeichnet hat, kommt keine Bedeutung zu.
§ 47 Abs. 1 Satz 1 a.a.O. stellt den allgemeinen Grundsatz für die Zulässigkeit der Rückforderung von zu Unrecht gewährten Versorgungsleistungen auf und schreibt ferner vor, daß der Einwand der nicht mehr vorhandenen Bereicherung ausgeschlossen ist. Abs. 2 a.a.O. regelt die Ausnahme vom Grundsatz des Abs. 1 für den Fall, daß eine Überzahlung auf einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse beruht. Der zu Unrecht gezahlte Betrag kann dann nur zurückgefordert werden, wenn der Empfänger wußte oder wissen mußte, daß ihm die gezahlten Versorgungsbezüge im Zeitpunkt der Zahlung nicht oder nicht in der bisherigen Höhe zustanden, oder wenn die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist. Abs. 2 a.a.O. regelt damit erschöpfend, wann im Gegensatz zu Abs. 1 bei Änderung der Verhältnisse ein Rückforderungsanspruch nicht besteht. Aus § 47 Abs. 2 a.a.O. ergibt sich insbesondere, daß auch in Fällen, in denen der Empfänger der Leistungen nicht wußte oder wissen mußte, daß ihm die gezahlten Versorgungsbezüge im Zeitpunkt der Zahlung nicht oder nicht in der bisherigen Höhe zustanden, die Versorgungsbehörde die überzahlten Beträge gleichwohl zurückfordern kann, nämlich wenn die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist. Die Worte "kann nur zurückgefordert werden" bedeuten dabei nicht, daß die Rückforderung in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellt ist, sondern daß die Behörde in den Ausnahmefällen des § 47 Abs. 2 a.a.O. gewährte Leistungen nicht zurückfordern darf. Im vorliegenden Fall beruht die Überzahlung auf einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse; daher ist § 47 Abs. 2 a. a. O. anzuwenden. Das LSG. hat, weil das VerwVG im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch nicht in Kraft war, nicht geprüft, ob die Rückforderung des noch streitigen Betrages wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten vertretbar ist. Es ist aus anderen Gründen zu einer Verneinung des Anspruchs des Klägers für die Zeit vom 1. April 1952 bis 30. September 1952 gelangt. Da es aber bei der Frage, ob das Berufungsurteil auf der Verletzung eines Gesetzes beruht, darauf ankommt, ob das Urteil objektiv mit dem Gesetz in Einklang steht, das im Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts gilt, mußte das Urteil des LSG. aufgehoben werden. Es besteht die Möglichkeit, daß das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es bei der Prüfung des Rückforderungsanspruches des Klägers und bei seiner Entscheidung die Vorschrift des § 47 Abs. 2 VerwVG angewandt hätte.
Das LSG. wird auch noch einmal zu prüfen haben, ob der Beklagte wußte oder wissen mußte, daß ihm die gezahlten Versorgungsbezüge im Zeitpunkt der Zahlung nicht oder nicht in der bisherigen Höhe zustanden. Die hierzu vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen sind widerspruchsvoll. Auf Seite 11 des Urteils ist ausgeführt, daß der Beklagte nicht wußte oder wissen mußte, daß ihm die Ausgleichsrente mit der Aufnahme der Arbeit bei seiner alten Firma nicht mehr zustand, auf Seite 12 des Urteils hat das LSG. dagegen ausgeführt, daß er auf seine Anzeige vom 30. November 1951 hin mit einer Änderung der Rente gerechnet habe. Allerdings ist es möglich, daß der Beklagte von einem späteren Zeitpunkt ab nicht mehr wußte oder wissen mußte, daß ihm die Rente nicht in der bisherigen Höhe zustand. Ob und gegebenenfalls von welchem Zeitpunkt ab das anzunehmen ist, wird noch aufzuklären sein. Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, daß der Beklagte vom 1. April 1952 ab wußte oder wissen mußte, daß ihm die gezahlte Ausgleichsrente nicht mehr zustand, dass ist der Rückforderungsanspruch des Klägers für den noch streitigen Zeitraum begründet. Verneint es dagegen diese Frage, dann wird noch zu prüfen sein, ob die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten vertretbar ist.
Aus diesen Gründen war das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen wie geschehen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Eine Entscheidung der Sache durch das BSG. war nicht möglich, da die vom LSG. getroffenen tatsächlichen Feststellungen für eine Sachentscheidung nicht ausreichen (§ 170 Abs. 2 SGG).
Über die Kosten einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens hat das LSG. in seinem Schlußurteil zu entscheiden.
Fundstellen