Leitsatz (redaktionell)

Als Zeitpunkt der Zahlung iS des KOV-VfG § 47 ist der Zeitpunkt anzusehen, in dem die einzelnen Versorgungsbezüge an den Berechtigten bezahlt werden. Zeitlich nach dem Empfang des einzelnen Versorgungsbezuges etwa eingetretener böser Glaube ist rechtlich ohne Belang.

 

Normenkette

KOVVfG § 47 Fassung: 1955-05-02

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. Juni 1958 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Kläger sind die Erben des während des Revisionsverfahrens verstorbenen Kriegsbeschädigten A H P. Sie haben das unterbrochene Verfahren fortgesetzt.

Der Beschädigte erhielt Rente als Erwerbsunfähiger sowie Pflegezulage nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und bezog ab September 1954 Invalidenrente. Am 27. Mai 1955 beantragte er Rente aus der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP.); diese wurde mit Bescheid vom 1. Dezember 1955 in Höhe von monatlich 46,70 DM rückwirkend ab 1. September 1953 bewilligt. Die Nachzahlung dieser Rente ergab 1.307,91 DM, wovon 1.140,91 DM als Nachversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1. Oktober 1940 bis zum 31. Januar 1948 von der VAP. einbehalten wurden. Am 17. Dezember 1955 meldete der Beschädigte die Einkommenserhöhung dem Versorgungsamt. Dieses stellte die Ausgleichsrente mit Bescheid vom 11. Januar 1956 rückwirkend ab 1. Oktober 1953 neu fest. Es ermittelte bei Anrechnung des Einkommens aus der VAP. auf die Ausgleichsrente vom 1. Oktober 1953 bis zum 28. Februar 1956 eine Überzahlung von 799,- DM, für die es aus den laufenden Versorgungsbezügen von März 1956 an monatlich 30,- DM einbehielt. Der Widerspruch des Beschädigten blieb ohne Erfolg. Das Sozialgericht (SG.) wies die Klage ab. Auf die Berufung des Beschädigten änderte das Landessozialgericht (LSG.) mit Urteil vom 25. Juni 1958 das Urteil des SG. vom 3. April 1957, den Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 1956 und den Bescheid vom 11. Januar 1956 dahin ab, daß der Beschädigte nur verpflichtet sei, die ab 1. Juni 1955 überzahlten Versorgungsbezüge zurückzuzahlen. Im übrigen wies es die Berufung zurück. Das LSG. ließ die Revision zu. Über die rückwirkende Anrechnung der VAP.-Rente bestehe kein Streit, so daß der Beschädigte 799,- DM Ausgleichsrente zu Unrecht erhalten habe.

Zum sonstigen Einkommen im Sinne von § 33 Abs. 2 Satz 1 BVG gehöre auch die ab 1. September 1953 rückwirkend bewilligte Rente aus der VAP. Die freiwillige Nachversicherung gehe zu Lasten des Beschädigten, weil sich sein Vermögen vermehrt habe. Entgegen dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG.) in BSG. 5 S. 267 ergebe sich aus § 60 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BVG nur, wann eine Minderung oder Entziehung der Ausgleichsrente eintrete. Erfolge sie nicht rechtzeitig, so sei die Ausgleichsrente zwar zu Unrecht gezahlt worden; in welchem Umfange zu Unrecht gewährte Versorgungsbezüge zurückzuerstatten seien, regle aber nicht § 60 BVG, sondern ausschließlich § 47 Verwaltungsverfahrensgesetz (VerwVG). Einen Forderungsübergang nach § 71 a BVG habe der Beklagte nicht herbeigeführt. Diese Vorschrift stehe auch in keinem rechtlichen Zusammenhang mit § 47 VerwVG. Der Rückforderungsanspruch des Beklagten finde seine Begrenzung im guten Glauben des Empfängers (vgl. AN. 1944 S. II 105 Nr.5555; Urteil des Bayer. LSG. vom 7.9.1956, AMBl. 1957 S. B 43). Die ab 1. September 1953 gewährte Rente der VAP. von 46,70 DM habe der Kläger erst am 27. Mai 1955 beantragt, so daß er erst von diesem Zeitpunkt an wissen mußte, daß ihm die Versorgungsbezüge in der bisherigen Höhe nicht mehr zustanden (§ 47 Abs. 2 VerwVG). Das habe er auch in der mündlichen Verhandlung eingeräumt. Vorher habe der Kläger noch nicht gewußt, ob ihm die Rente aus der VAP. gewährt werden würde. Da ein Antrag nach dem in der Sozialversicherung geltenden Recht sachlich-rechtliche Voraussetzung für den Rentenbezug sei, habe der Beschädigte vor Antragstellung nicht wissen müssen, daß ihm die gezahlten Versorgungsbezüge nicht mehr in der bisherigen Höhe zustanden. Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 VerwVG lägen daher erst ab 1. Juni 1955 vor. Die bis Ende Mai 1955 zu Unrecht gezahlte Ausgleichsrente könne dagegen nicht zurückgefordert und auch nicht einbehalten werden. Die Rückforderung sei auch auf Grund der wirtschaftlichen Verhältnisse des heimatvertriebenen und erwerbsunfähigen Klägers nicht vertretbar.

Die Revision des Beklagten rügt, das LSG. habe § 47 Abs. 2 VerwVG verletzt, weil es die Voraussetzungen für die Rückforderung erst ab 1. Juni 1955 als gegeben angesehen habe. Nach BSG. 5 S. 267 richte sich die Bösgläubigkeit nur nach dem Zeitpunkt der Zahlung, welche die Überzahlung bewirke. Die Rückforderung sei daher auch für die Zeit vor dem 1. Juni 1955 begründet. Die Auffassung des LSG. führe zu dem unbilligen Ergebnis, daß Versorgungsfälle mit gleichem Sachverhalt verschieden behandelt werden müßten, je nachdem, ob ein Forderungsübergang nach § 71 a BVG herbeigeführt worden sei oder nicht.

Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG. Wiesbaden vom 3. April 1957 als unbegründet zurückzuweisen; hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie schließen sich der Rechtsansicht des Berufungsgerichts in der Auslegung des § 47 VerwVG an.

Die Revision des Beklagten ist durch Zulassung statthaft, (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist form- und fristgerecht eingelegt, und daher zulässig. Sachlich ist sie nicht begründet.

Strittig ist nur die Rückforderung der vom 1. Oktober 1953 bis zum 31. Mai 1955 zuviel gezahlten Ausgleichsrente. Über die Rückforderung der Ausgleichsrente vom 1. Juni 1955 bis zum 28. Februar 1956 ist bereits rechtskräftig entschieden.

Durch den Neufeststellungsbescheid vom 11. Januar 1956 hat der Beklagte die Ausgleichsrente wegen wesentlicher Änderung der für ihre Feststellung maßgebenden Verhältnisse teilweise entzogen, und zwar rückwirkend von dem Zeitpunkt an, in dem sich das für die Berechnung der Ausgleichsrente maßgebende Einkommen durch die von der VAP. gewährte Rente erhöht hat. Die Minderung der Ausgleichsrente ab 1. Oktober 1953 war gerechtfertigt, weil die VAP. dem Beschädigten vom 1. September 1953 an Rente bewilligte und die Rente sonstiges Einkommen nach § 33 BVG darstellt (§ 60 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs., § 62 Abs. 1 BVG). Die Neufeststellung war dem Beklagten zwingend vorgeschrieben. Mit der Neufeststellung der Bezüge hat der Beklagte auch die Rückforderung der zu Unrecht gezahlten Bezüge verbinden dürfen (BSG. 11 S. 46).

Die Rüge der Revision, das LSG. habe bei Anwendung des § 47 VerwVG das Gesetz verletzt, greift nicht durch. § 47 VerwVG ist auf alle bei seinem Inkrafttreten (1.4.1955) anhängigen Rückforderungsfälle anzuwenden (BSG. 3 S. 237, 6 S. 11, 11 S. 46). Durch Art. II Nr. 8 des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 (BGBl. I S. 453) ist § 47 VerwVG neu gefaßt worden. Diese am 2. Juli 1960 in Kraft getretene Gesetzesänderung ist jedoch nur auf solche Rückforderungsansprüche anzuwenden, die frühestens an diesem Tage von der Versorgungsverwaltung erhoben worden sind. Auf früher geltend gemachte Rückforderungsansprüche könnte die Novelle nur dann Anwendung finden, wenn ihre rückwirkende Geltung ausdrücklich bestimmt wäre oder wenn sich die Rückwirkung aus dem Sinn und Zweck der Novelle ergeben würde. Beides ist nicht der Fall (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 30.8.1960 - Az. 9 RV 854/57, 9 RV 848/57 -).

Auf den vorliegenden Fall ist daher § 47 Abs. 2 VerwVG a.F. anzuwenden. Da die Überzahlung auf einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse (hier Einkommenserhöhung) beruht, kann danach der zu Unrecht gezahlte Betrag nur zurückgefordert werden, wenn entweder der Empfänger wußte oder wissen mußte, daß ihm die gezahlten Versorgungsbezüge im Zeitpunkt der Zahlung nicht oder nicht in der bisherigen Höhe zustanden, oder wenn die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist.

Wissenmüssen im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn die Unkenntnis des Versorgungsberechtigten darauf beruht, daß er die insoweit rechtserheblichen Umstände aus Nachlässigkeit oder aus anderen Gründen, die er zu vertreten hat, nicht oder nicht genügend beachtet hat (BSG. 11 S. 47). Diese Voraussetzungen sind unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles, der Persönlichkeit und des Verhaltens des Versorgungsberechtigten zu beurteilen (BSG. 5 S. 269). Bezüglich des guten Glaubens des Beschädigten hat das LSG. unangegriffen festgestellt, daß dieser erst am Tage der Stellung des Antrags auf VAP.-Rente (27.5.1955) damit gerechnet hat, daß er diese Rente erhalten und sich sein Einkommen dadurch erhöhen werde. Fahrlässiges Nichtwissen hat das LSG. - gleichfalls unangegriffen - für die vor dem 27. Mai 1955 liegende Zeit nicht angenommen. Wegen dieser tatsächlichen Feststellung des LSG., an die das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG gebunden ist, kann hier dahingestellt bleiben, ob ein Berechtigter in jedem Falle bereits mit der Antragstellung weiß oder wissen muß, daß sich sein Einkommen infolge der auf Antrag zu gewährenden Bezüge erhöht und daß sich deshalb die Versorgungsrente mindert. Der Senat ist mit dem LSG. der Meinung, daß unter dem "Zeitpunkt der Zahlung" im Sinne des § 47 Abs. 2 VerwVG nur der Zeitpunkt jeder einzelnen Versorgungszahlung verstanden werden kann, die infolge veränderter Verhältnisse zu Unrecht geleistet wurde.

An der abweichenden Rechtsauffassung im Urteil vom 31. Juli 1957 (BSG. 5 S. 267) hält der Senat, wie bereits in seinem Urteil vom 18. Dezember 1958 (BSG. 9 S. 48 (53) zum Ausdruck gekommen ist, nicht fest. Nicht in jedem Falle besteht die Änderung der Verhältnisse, die zur Überzahlung führt, in einer Zahlung an den Versorgungsempfänger. In solchen Fällen könnte nach der früheren Auslegung des § 47 VerwVG ein Zeitpunkt für den Eintritt der Bösgläubigkeit überhaupt nicht ermittelt werden. Es muß daher einheitlich vom Zeitpunkt der in jedem Falle feststellbaren Zahlung des einzelnen Versorgungsbezuges ausgegangen werden. Im übrigen stellt auch § 47 Abs. 3 Nr.1 VerwVG a.F. mit der Formulierung "beim Empfang der Bezüge" eindeutig auf diesen Zeitpunkt ab und es ist nicht einzusehen, weshalb die Worte "im Zeitpunkt der Zahlung" in Abs. 2 a.a.O. andere Bedeutung haben sollten.

Der Versorgungsberechtigte ist daher nur dann bösgläubig, wenn er beim Empfang der jeweiligen Monatsrate seiner Versorgungsbezüge wußte oder wenigstens wissen mußte, daß ihm dieser Bezug nicht mehr oder nicht mehr in dieser Höhe zustand. Diese Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis hatte der Beschädigte vor dem 27. Mai 1955 nicht. Steht aber der gute Glaube des Versorgungsberechtigten für die Zeit vor dem 27. Mai 1955 fest, so ist eine Rückforderung der bis zu diesem Zeitpunkt erhaltenen Bezüge nur noch zulässig, wenn sie wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist (§ 47 Abs. 2 letzter Halbsatz VerwVG n.F.).

Das LSG. hat auch verneint, daß die Rückforderung für die Zeit vor dem 1. Juni 1955 wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschädigten vertretbar sei. Die insoweit vom LSG. getroffenen, von der Revision gleichfalls nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen über die Person des Beschädigten (heimatvertrieben, erwerbsunfähig, schwer lungenkrank) rechtfertigen die Schlußfolgerung des Urteils.

Der von dem Beklagten geltend gemachte Rückforderungsanspruch ist somit nach keiner der in § 47 Abs. 2 VerwVG a.F. aufgezählten Voraussetzungen begründet. Das LSG. hat § 47 VerwVG ohne Rechtsirrtum ausgelegt und auf die Streitsache zutreffend angewandt. Die Revision des Beklagten war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325655

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge