Leitsatz (amtlich)

1. Ein Versicherter hat bis zum Inkrafttreten des AnVNG von dem Recht der Weiterversicherung (AVG § 21 aF iVm RVO § 1244 aF) keinen Gebrauch gemacht, wenn er erstmals im Dezember 1958 freiwillige Beiträge zur Angestelltenversicherung für Zeiten vor dem 1957-01-01 entrichtet (AnVNG Art 2 § 5 Abs 1).

2. Es verstößt nicht gegen das Grundgesetz, daß ein Versicherter das ihm bis zum 1956-12-31 zustehende, aber nicht genutzte Recht der Weiterversicherung auch durch die bis dahin zulässige Nachentrichtung freiwilliger Beiträge (AVG § 190 aF iVm RVO § 1442 Abs 1 aF) nicht mehr ausüben kann.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 5 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 4 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; GG Art. 2 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 14 Fassung: 1949-05-23, Art. 20 Fassung: 1949-05-23, Art. 28 Fassung: 1949-05-23; AVG § 21 Fassung: 1945-03-17; RVO § 1244 Fassung: 1937-12-21; AVG § 190 Fassung: 1937-12-21; RVO § 1442 Abs. 1 Fassung: 1937-12-21

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. März 1961 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger berechtigt ist, sich freiwillig in der Angestelltenversicherung (AnV) weiterzuversichern.

Der Kläger war von Januar bis Dezember 1955 und wiederum von März 1957 bis August 1958 als angestellter Chemiker in der AnV pflichtversichert. Im Dezember 1958 entrichtete er sieben für das Jahr 1956 bestimmte freiwillige Beiträge.

Die Beklagte beanstandete mit Bescheid vom 4. Januar 1960, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 4. April 1960, die nachentrichteten Beiträge: Dem Kläger stehe ein Recht zur Weiterversicherung nach Art. 2 § 5 Abs. 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) nicht zu, weil er nicht bereits vor dem 1. Januar 1956 einen Beitrag zur Selbstversicherung oder vor dem 1. Januar 1957 einen Beitrag zur Weiterversicherung entrichtet gehabt habe.

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) folgte in der Auslegung des Art. 2 § 5 Abs. 1 AnVNG der Ansicht der Beklagten. Die Vorschrift sei auch - entgegen der Annahme des Klägers - nicht verfassungswidrig. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) scheide aus, weil alle, die bis zu den maßgeblichen Stichtagen ihren Willen zur Weiterversicherung zum Ausdruck gebracht hatten und damit unter die Übergangsregelung des Art. 2 § 5 Abs. 1 AnVNG fallen, untereinander ebenso gleich behandelt würden wie die, die diese Voraussetzung nicht erfüllen.

Auch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG sei nicht verletzt. Das vor dem Inkrafttreten der Neuregelungsgesetze erworbene Recht zur Weiterversicherung sei kein unter den Eigentumsschutz fallendes Anwartschaftsrecht. Doch selbst wenn man dies annehme, stelle die diese Rechtsposition beseitigende Neuregelung eine gerechtfertigte und sinnvolle Neuabgrenzung der Versichertengemeinschaft und keine verfassungswidrige Enteignung dar. Durch die in § 82 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) geregelte Beitragserstattung seien im Gesetz auch Art und Maß der Entschädigung bestimmt worden (Urteil vom 23. März 1961).

Mit der - zugelassenen - Revision beantragt der Kläger sinngemäß,

unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und der angefochtenen Bescheide der Beklagten festzustellen, daß er zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt sei.

Er rügt die unrichtige Auslegung und Anwendung des Art. 2 § 5 AnVNG.

Entgegen der Annahme des LSG wahre die Vorschrift des Art. 2 § 5 AnVNG das Recht zur Weiterversicherung nicht nur für die, die zufällig vor dem 1. Januar 1957 bereits einen freiwilligen Beitrag entrichtet hatten, sondern auch für den Personenkreis, der bei Inkrafttreten der Neuregelungsgesetze noch innerhalb der zweijährigen Nachentrichtungsfrist (§ 190 AVG aF iVm § 1441 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF) von seinem Recht Gebrauch machen konnte. Denn die völlig gleiche Rechtslage dieser beiden Gruppen sei zur Zeit der Beratung der Neuregelungsgesetze bekannt gewesen, und es könne nicht angenommen werden, daß die letztere gegenüber der erstgenannten habe benachteiligt werden sollen. Anderenfalls habe der Gesetzgeber willkürlich tatbestandsmäßig gleichgelagerte Fälle ungleich behandelt und damit den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.

Bei der vom LSG angenommenen Bedeutung des Art. 2 § 5 AnVNG verstoße diese Vorschrift aber auch gegen Art. 14 GG. Der Kläger, der unter Anrechnung von Ersatzzeiten die Wartezeit erfüllt habe, habe in der AnV ein Anwartschaftsrecht erworben, das ihm nur entzogen werden könne, wenn dies dem Wohle der Allgemeinheit diene. Die Neuabgrenzung der Versichertengemeinschaft sei insoweit kein rechtfertigender Grund. Auch stelle die Möglichkeit, auf Grund der bisher zurückgelegten Versicherungszeiten eine entsprechend geringe Rente zu erhalten oder die Rückerstattung des Arbeitnehmeranteils der Beiträge keine angemessene Entschädigung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG dar. Dies gelte um so mehr, als der nachträglich aus der Versicherung Ausgeschlossene eine private Versicherung nur unter wesentlich schlechteren Bedingungen abschließen könne.

Der Ausschluß des Klägers von der freiwilligen Weiterversicherung nach Art. 2 § 5 Abs. 1 AnVNG stehe schließlich auch nicht in Einklang mit dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip (Art. 20 und 28 GG). Das Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand der nach dem früheren Recht erworbenen Weiterversicherungsberechtigung dürfe nicht enttäuscht werden.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger war weder nach § 10 AVG noch nach Art. 2 § 5 AnVNG berechtigt, im Jahre 1958 freiwillige Beiträge für das Jahr 1956 nachzuentrichten.

Nach § 10 AVG idF des AnVNG kann der die Versicherung freiwillig fortsetzen, wer nicht versicherungspflichtig ist und innerhalb von zehn Jahren während mindestens 60 Kalendermonaten Pflichtbeiträge entrichtet hat. Diese Voraussetzungen hat der Kläger nicht erfüllt.

Der Kläger kann aber auch nach der Übergangsregelung des Art. 2 § 5 Abs. 1 AnVNG keine freiwilligen Beiträge leisten. Nach dieser Vorschrift kann die Versicherung fortsetzen, wer durch die Entrichtung eines Beitrags vor dem 1. Januar 1956 die Selbstversicherung (§ 21 AVG aF) begonnen oder bis zum Inkrafttreten des AnVNG (1. Januar 1957) von dem Recht der Weiterversicherung (§ 21 AVG aF) Gebrauch gemacht hat. Zu Recht hat das LSG angenommen, daß nach dem klaren Wortlaut dieser Regelung die Möglichkeit, die Versicherung fortzuführen, nur dann gegeben ist, wenn vor den genannten Stichtagen ein Beitrag tatsächlich verwertet, nicht aber wenn er später für die Zeiten vorher nachentrichtet worden ist. Hinsichtlich der Selbstversicherung hat bereits der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seiner Entscheidung vom 19. Januar 1966 - 11 RA 58/65 - diese Ansicht vertreten und dazu auf den gesetzlichen Sprachgebrauch hingewiesen; danach werden unter Beiträgen, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt "entrichtet" sind, stets Beiträge verstanden, die bis dahin tatsächlich verwertet worden sind (vgl. Art. 2 § 41 AnVNG, Art. 2 § 42 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG - und die dazu ergangene Rechtsprechung in BSG 10, 139; 15, 271; 18, 1; 19, 133; BSG SozR Nr. 9 und Nr. 18 zu Art. 2 § 42 ArVNG). Dem 11. Senat ist auch darin zu folgen, daß diese Auslegung dem Sinn und Zweck der Stichtagsregelung des Art. 2 § 5 Abs. 1 Satz 1 AnVNG entspricht, insbesondere die Selbstversicherten aus der Versicherung auszuschließen, die erst während der Verhandlungen über die Abschaffung dieser Einrichtung die Selbstversicherung aufgenommen hatten (vgl. Jantz/Zweng, "Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten", Art. 2 § 4 ArVNG Anm. I). Nicht minder eindeutig ist der Wortlaut der Vorschrift, soweit er das Recht zur Fortsetzung der Weiterversicherung betrifft. Die Fassung "wer bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes von dem Recht Gebrauch gemacht hat" stellt klar auf ein aktives Handeln des Versicherten (Gebrauch machen) ab, das bis zum Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossen sein mußte ("gemacht hat"). Unter diesen Umständen ist kein Raum für die Annahme, die Versicherung könne auch dann fortgesetzt werden, wenn das Recht dazu nach den früheren Vorschriften zwar bestanden habe, aber erst nach Inkrafttreten der Neuregelungsgesetze genutzt worden sei. Art. 2 § 5 Abs. 1 AnVNG enthält keine Lücke, die vom Gericht ausgefüllt werden kann. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird auch durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. Die Härte, die die Erschwerung der Weiterversicherung für die Versicherten bedeuten konnte, die nach altem Recht die Versicherung freiwillig hätten fortsetzen können, wurde bei der Beratung der Neuregelung im Bundestag eingehend erörtert. Noch in der zweiten Lesung wurden daher von sämtlichen Parteien Änderungsanträge eingebracht (vgl. Niederschrift über die 186. Sitzung des II. Bundestages vom 18. Januar 1957, S. 10447 ff und Umdruck 888 Ziff. 27; 889 Ziff. 69, 70; 891 Ziff. 72, 73; 893 Ziff. 101, 102, 896 Ziff. 27, 28). Schließlich wurde jedoch lediglich Art. 2 § 4 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes durch einen weiteren Absatz ergänzt, der für gewisse Fälle die Möglichkeit einräumt, noch innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des ArVNG von dem bis dahin nicht genutzten Recht der Weiterversicherung Gebrauch zu machen.

Eine entsprechende Ergänzung ist jedoch in Art. 2 § 5 AnVNG nicht aufgenommen worden. Da der Kläger die Voraussetzungen für die günstigere Regelung des Art. 2 § 4 Abs. 2 ArVNG (1 Pflichtbeitrag innerhalb der letzten drei Monate vor Inkrafttreten des ArVNG) nicht erfüllt, kann es dahinstehen, ob die unterschiedlichen Regelungen des ArVNG einerseits und des AnVNG andererseits gerechtfertigt sind oder ob darin ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG liegen könnte.

Demnach ist der Kläger nicht auf Grund der Übergangsregelung des Art. 2 § 5 Abs. 1 AnVNG zur freiwilligen Fortsetzung seiner Versicherung berechtigt.

Der Ausschluß der Versicherten von der Weiterversicherung, die nicht mehr bis zu den in Art. 2 § 5 Abs. 1 AnVNG genannten Stichtagen die nach früherem Recht mögliche Versicherung begonnen haben, verstößt nach der Auffassung des Senats auch nicht gegen Grundsätze des Verfassungsrechts.

Soweit Art. 2 § 5 Abs. 1 Satz 1 AnVNG die Fortführung der nach dem 31. Dezember 1955 in der AnV begonnenen Selbstversicherungen ausschließt, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 11. Dezember 1962 - 1 BvL 14/58 - (BVerfGE 14, 306 ff = SozR Ab 4 Nr. 9 zu GG Art. 14) die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz bejaht. Dieser Ausspruch hat nach § 31 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) Gesetzeskraft und ist für den erkennenden Senat bindend.

Hinsichtlich der Regelung über die Weiterversicherung haben zwar mehrere Gerichte das BVerfG nach Art. 100 GG zur Entscheidung darüber angerufen, ob die Vorschriften des § 10 AVG, Art. 2 § 5 Abs. 1 Satz 1 AnVNG mit dem Grundgesetz vereinbar sind, soweit sie die Fortführung einer auf Grund des früheren Rechts noch vor der Verkündung des AnVNG, aber nach dessen Inkrafttreten, d. h. in der Zeit vom 1. Januar bis 23. Februar 1957, begonnenen Weiterversicherung nicht zulassen. Es kann hier dahinstehen, ob der Ausschluß von der Weiterversicherung unter diesen besonderen Umständen (Fall einer echten Rückwirkung) als verfassungswidrig zu betrachten ist, weil der vorliegende Fall hiervon nicht berührt wird.

Soweit die Versicherten betroffen sind, die - wie der Kläger bis zur Verkündung des AnVNG die Möglichkeit der Weiterversicherung nicht genutzt haben, ergeben sich nach Ansicht des erkennenden Senats jedenfalls keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die grundgesetzliche Gewährleistung des Eigentums ist nicht verletzt, weil die Erschwerung der Weiterversicherung in diesen Fällen keine Enteignung im Sinne des Art. 14 GG bedeutet.

Allerdings greift die Neuregelung der Weiterversicherung in eine Position ein, die für den Versicherten von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sein konnte. Dies nicht nur, weil sich die in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anwartschaften in der Vergangenheit als wertbeständiger als private Sicherungen erwiesen haben, sondern auch, weil Versicherte - worauf der Kläger nicht zu Unrecht hingewiesen hat - in fortgeschrittenerem Lebensalter evtl. nur unter ungünstigeren Bedingungen eine private Lebensversicherung abschließen können. Jedoch unterliegt nicht jede öffentlich-rechtliche wirtschaftlich belangvolle Position dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG; vielmehr sind derartige Vermögenspositionen nur dann als "Eigentum" anzuerkennen, wenn sie Äquivalent und Ausdruck eigener Leistung sind (vgl. BSG 6. Sen., Urt. v. 19. März 1957 in BSG 5, 40 ff, 43; BVerfGE 11, 221 ff, 226; 14, 288 ff, 293, 294). Das ist bei der nicht verwirklichten Möglichkeit, sich freiwillig weiterzuversichern, nicht der Fall. Allerdings knüpfte § 21 AVG aF (§ 1244 RVO aF) die Berechtigung zur Weiterversicherung an eine Vorleistung von mindestens sechs Monatsbeiträgen auf Grund einer versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit. Das Äquivalent für diese eigene Leistung ist jedoch nicht das Recht zur Weiterversicherung, sondern das Versicherungsverhältnis insgesamt, von dem die Möglichkeit, die Versicherung fortzuführen, nur einen Teilbereich bildet. Die Beeinträchtigung in diesem einen Teil aber stellt keine Enteignung dar, sondern eine neue inhaltliche Bestimmung des Versicherungsverhältnisses. Denn wenn auch durch die Neuregelungsgesetze von 1957 die Voraussetzungen für die Weiterversicherung verschärft worden sind, so sind doch die einmal entrichteten Beiträge damit keineswegs entwertet. Sie können nach wie vor Grundlage einer Versicherungsleistung bilden. Günstiger als im früheren Recht kann die Anwartschaft aus ihnen nicht mehr verfallen, und in weitergehendem Ausmaße als nach den alten Vorschriften können sie zur Anrechnung von Ersatz- oder Ausfallzeiten führen. Die Neuregelung stellt danach eine umgreifende Umgestaltung des Versicherungsverhältnisses dar, die es in seinem Inhalt verändert, aber nicht in seinem Kern angreift oder entwertet.

Auch der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Das vom Gesetzgeber in Art. 2 § 5 Abs. 1 Satz 1 AnVNG gewählte Differenzierungsprinzip - die Unterscheidung, ob von der Möglichkeit der Weiterversicherung bis zu den Neuregelungsgesetzen bereits Gebrauch gemacht worden war oder nicht - muß als sachgerecht angesehen werden. Denn die genutzte Chance, das verwirklichte Recht ist Ausdruck aktiven, persönlichen Einsatzes und damit stets als schutzwürdig anzusehen (vgl. BSG 5, 40 ff, 44; Dürig in "Staat und Bürger", Festschrift für Willibalt Apelt zum 80. Geburtstag S. 27 und in JZ 1958, 20 ff, 23 unter Hinweis auf § 51 GewO, §§ 42 I c u. d. i. V. m. § § 72 II PrPVG und den Schutz des "eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes").

Damit ist auch die Stichtagregelung, die an das Datum des Inkrafttretens des AnVNG anknüpft, als sachdienlich zu betrachten.

Die Frage, ob das rückwirkende Inkrafttreten des AnVNG (Art. 3 § 7 AnVNG) insoweit zu verfassungsrechtlichen Bedenken Anlaß geben könnte, bedarf im vorliegenden Fall keiner Antwort, weil der Kläger hiervon nicht betroffen worden ist.

Entgegen der Meinung der Revision ist auch das Rechtsstaatsprinzip nicht verletzt. Zwar hat das AnVNG das Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand seiner Rechtsposition insoweit enttäuscht, als er im Jahre 1958 - anders als nach früherem Recht - zur freiwilligen Weiterversicherung durch Nachentrichten von Beiträgen für 1956 nicht mehr berechtigt war. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht aber - insbesondere wenn die beeinträchtigte Rechtsposition wie beim Recht der freiwilligen Weiterversicherung vorwiegend auf staatlicher Gewährung beruht - nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Schmälerung seiner Rechte zu bewahren. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist hier vielmehr abzuwägen zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens einerseits und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit andererseits (BVerfG aaO).

Die Interessen der Allgemeinheit sind zu beurteilen nach dem wesentlichen Inhalt der umfassenden Neuregelung der Rentenversicherung und der im Gesetz vorgesehenen Begrenzung des von ihr künftig begünstigten Personenkreises. Der Vertrauensschaden des Klägers und der in gleicher Weise Betroffenen ist zu beurteilen nach dem Verlust der ihm im vorher geltenden Recht eingeräumten Position einerseits und den auch ihm durch das neue Recht zuwachsenden Verbesserungen seiner versicherungsrechtlichen Stellung andererseits.

Der Kläger hat durch das neue Recht die Möglichkeit verloren, seine Versicherung zu einem beliebigen Zeitpunkt fortzusetzen (§ 10 AVG), er konnte aber auch nicht - und darum handelt es sich hier - durch Nachentrichtung freiwilliger Beiträge für die Zeit vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts innerhalb der nach altem Recht zulässigen Frist das ihm bisher zustehende Recht auf Weiterversicherung wahren. Auf der anderen Seite brauchte er für die Aufrechterhaltung der einmal erworbenen Anwartschaften keine Beiträge mehr zu entrichten und erhielt das Recht, die Erstattung der Hälfte der nach dem 24. Juni 1948 für ihn entrichteten Beiträge zu fordern.

Das Interesse der Allgemeinheit - vor allem der großen Versichertengemeinschaft - ist bestimmt durch die grundlegende Neuordnung des Leistungsrechts: die wesentlich erweiterten Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit (§§ 13 ff AVG), die Bemessung der Renten nach der individuellen Leistung (§§ 32-34 AVG), die sogenannte dynamische Rente (§ 49 AVG), die wesentlich erweiterte und erleichterte Anrechnung beitragsloser Zeiten für die Erfüllung der Wartezeit und die Berechnung der Rente (Ersatzzeiten nach § 28 Abs. 1 AVG), die Anrechnung anderer beitragsloser Zeiten für die Rentenhöhe (die Ausfallzeiten § 36 AVG und die Zurechnungszeit § 37 AVG), die wesentliche Erhöhung der Familienleistungen (Kinderzuschuß § 39 AVG) und die Erweiterung und Verbesserung der Hinterbliebenenversorgung (§§ 40-47 AVG). Wegen dieser außerordentlichen Verbesserung der Leistungen und wegen ihrer Finanzierung, die im wesentlichen auf den Beiträgen der Pflichtversicherten beruht, war es das berechtigte Bestreben des Gesetzgebers, die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung in der Rentenversicherung auf solche Arbeitnehmer zu beschränken, die bereits echte Mitglieder der Versichertengemeinschaft geworden waren, d. h. auf solche, welche die Wartezeit für die Rente mit mindestens 60 Beitragsmonaten bereits erfüllt hatten. Diese schon im Entwurf der Bundesregierung zu § 1233 RVO = § 10 AVG enthaltene Beschränkung (vgl. BT-Drucks. Nr. 2437 zu § 1233 RVO S. 9 und Begründung dazu S. 65) ist auch gegenüber den Änderungsvorschlägen des Bundesrates beibehalten worden (vgl. Stellungnahme der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen und der Stellungnahme des Bundesrates zur BT-Drucks. Nr. 2437 S. 17). Angesichts dieser gesetzlichen Konzeption kann aber der Kläger, der als Pflichtversicherter der AnV bis zur Verkündung des AnVNG nur kurze Zeit (= 12 Monate) angehört und sein Interesse an der freiwilligen Weiterversicherung bis dahin nicht schon durch Entrichtung mindestens eines freiwilligen Beitrages zur AnV bekundet hatte, nicht verlangen, daß der Gesetzgeber einer von ihm früher erlangten Rechtsposition in allen Teilen Rechnung trägt. Sein Schutzinteresse an dem Fortbestand der früheren Weiterversicherungsberechtigung muß vielmehr gegenüber der neuen und umfassenden Gesamtregelung im AnVNG zurücktreten. Es sei in diesem Zusammenhang nur darauf verwiesen, daß der 4. Senat in seinem Urteil vom 23. März 1961 - 4 RJ 42/60 (BSG 14, 133) - in längeren Ausführungen dargetan hat, daß und warum er die dem § 10 AVG entsprechende Vorschrift des § 1233 Abs. 1 RVO für mit dem Grundgesetz vereinbar hält und daß er allenfalls Zweifel für möglich hielt, ob diese Vorschrift deshalb gegen Art. 3 des Grundgesetzes verstoße, weil sie gegenüber den Übergangsregeln des Art. 2 § 4 ArVNG (entspricht Art. 2 § 5 AnVNG) die freiwillige Weiterversicherung wesentlich erschwert. Er hat geglaubt, diese Zweifel dadurch beheben zu können, daß der Versicherte in den vom Übergangsrecht begünstigten Fällen sein Interesse an der Weiterversicherung kundgetan habe und damit aktiv tätig geworden sei (BSG 14, 137).

Ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip kann ebenfalls nicht angenommen werden. Der Gesetzgeber konnte die Voraussetzungen für die Weiterversicherung für die Zukunft erschweren und damit die Versichertengemeinschaft neu abgrenzen, ohne seine Verpflichtung zu verletzen, auch sozial schwachen Personenkreisen eine menschenwürdige Existenz zu sichern. Er hat vielmehr nur eine der Formen möglicher Existenzsicherung - die gesetzliche Rentenversicherung - mehr als zuvor auf eine bestimmte Personengruppe - die Pflichtversicherten - zugeschnitten. Es mag zweifelhaft sein, ob dies notwendig war und die Interessen derjenigen Berufsgruppen hinreichend berücksichtigt, die zunächst der Pflichtversicherung unterliegen, die aber nach dem üblichen Verlauf ihres Berufs bereits nach verhältnismäßig kurzer Zeit, jedenfalls in der Regel vor Erfüllung der Voraussetzungen des § 10 AVG, weil sie selbständig werden oder ihr Verdienst die Versicherungspflichtgrenze übersteigt, aus der Versicherung ausscheiden, ohne evtl. je Leistungen aus den entrichteten Beiträgen erhalten zu können. Diese Bedenken reichen jedoch nicht aus, um die Regelung für unvereinbar mit dem Sozialstaatsprinzip zu erachten. Denn wo Möglichkeit und Fähigkeit zu eigener privater Vorsorge bestehen, ist weder eine Verpflichtung zur Einbeziehung in die Sozialversicherung noch eine solche zur Aufrechterhaltung bisher nicht genutzter Versicherungsmöglichkeiten anzuerkennen.

Der Senat hält schließlich auch den Grundsatz der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG nicht für verletzt. Denn nach dem Ausgeführten hält sich die Regelung des Art. 2 § 5 Abs. 1 Satz 1 AnVNG über die Weiterversicherung derjenigen Personen, die die nach früherem Recht bestehende Möglichkeit der Weiterversicherung nicht rechtzeitig genutzt haben, im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung und begrenzt als deren Bestandteil in zulässiger Weise die in Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Freiheit.

Danach sieht der Senat auch keinen Anlaß zu der vom Kläger hilfsweise beantragten Aussetzung des Verfahrens und zur Einholung einer Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 GG. Es braucht nicht geprüft zu werden, ob eine Vorlage an das BVerfG überhaupt zulässig wäre, weil möglicherweise der Anspruch des Klägers auch bei Ungültigkeit des Art. 2 § 5 AnVNG unbegründet ist (vgl. Urteil des Senats vom 15. Mai 1965 - 1 RA 245/62 - BSG 23, 69 = SozR Aa 1 Nr. 3 zu FRG § 16).

Da sich danach unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Berechtigung des Klägers zur freiwilligen Weiterversicherung feststellen läßt, hat das Berufungsgericht zu Recht die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 170

MDR 1967, 78

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge