Leitsatz (amtlich)
Wird während eines vom Rentenversicherungsträger durchgeführten Heilverfahrens (RVO § 1237 Nr 1) eine Operation in einem Krankenhaus erforderlich, so ist dafür der Träger der KV auch dann vorrangig zuständig, wenn die Notwendigkeit der Operation auf derselben Krankheit beruht, die Anlaß des Heilverfahrens war.
Normenkette
RVO § 1237 Nr. 1 Fassung: 1974-08-07, § 1239 Fassung: 1974-08-07; RehaAnglG § 5 Abs. 2 Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
SG Reutlingen (Entscheidung vom 02.05.1978; Aktenzeichen S 1 J 1583/77) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 2. Mai 1978 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) verlangt von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) Ersatz der Kosten einer stationären Behandlung des Versicherten E M. Dieser befand sich vom 11. Mai bis 1. Juni 1977 wegen einer chronischen Polyarthritis auf Kosten der Beklagten zur Heilbehandlung in der S-klinik B W. Dort stellte man im rechten Kniegelenk eine Gelenksinnenhautentzündung mit Überwucherung des Gelenkknorpels fest, die nur operativ beseitigt werden konnte. Da eine solche Operation (Synovektomie) in der S.-klinik nicht möglich war, wandte sich deren - zur kassenärztlichen Versorgung nicht zugelassener - Chefarzt Dr. D an die Klägerin, um sie zu veranlassen, die Kosten für eine Operation in der chirurgisch-orthopädischen Fachklinik Z, einer Einrichtung der LVA Württemberg, zu übernehmen. Die Klägerin erteilte daraufhin eine vorläufige Kostenzusage. In einem ärztlichen Bericht der S.-klinik vom 1. Juni 1977 wurde nochmals auf die Notwendigkeit einer umgehenden Operation hingewiesen, um einen weiteren Stabilitätsverlust des Kniegelenks zu verhindern, dessen Bandapparat bereits vom rheumatischen Prozeß betroffen sei.
Der Versicherte wurde sodann vom 2. bis 30. Juni 1977 in der Z stationär behandelt. Während dieser Zeit wurde die vorgesehene Operation (in Intubationsnarkose) vorgenommen und nach 14 Tagen das Kniegelenk in Kurznarkose mobilisiert. Anschließend befand sich der Versicherte bis zum 29. Juli 1977 zur weiteren Behandlung wieder in der S.-klinik. Die Kosten dafür trug die Beklagte.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Erstattung der in der Z angefallenen Kosten von insgesamt 5.081,47 DM, deren Ersatz die Beklagte gegenüber der Klägerin verweigert hatte, abgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 2. Mai 1978). Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar gehörten auch Operationen zur ärztlichen Behandlung iS von § 1237 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und damit grundsätzlich zu den Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, die der Rentenversicherungsträger übernehmen könne. Tue er dies nicht, so sei auf die den Versicherungsträgern an sich obliegenden Aufgaben abzustellen; denn das Rehabilitationsangleichungsgesetz (RehaAnglG) habe keine grundsätzliche Aufgabenverschiebung zwischen den einzelnen Versicherungsträgern bewirkt. Sofern diese untereinander keine abweichenden Vereinbarungen getroffen hätten, blieben die Träger der Krankenversicherung auch bei Rehabilitationsmaßnahmen im Rahmen des § 182 RVO zuständig.
Mit der Revision, deren Einlegung die Beklagte zugestimmt hat, rügt die Klägerin eine unrichtige Anwendung der §§ 1236, 1237 RVO sowie des § 5 Abs 2 RehaAnglG. Entscheidend sei, daß die Operation in der Z wegen der Leiden erforderlich geworden sei, die die Beklagte veranlaßt hätten, dem Versicherten M eine stationäre Heilbehandlungsmaßnahme zu gewähren. In einem solchen Fall sei ein Wechsel des Kostenträgers sachlich nicht geboten. § 5 Abs 2 RehaAnglG verpflichte vielmehr den Rehabilitationsträger, im Rahmen seiner Zuständigkeit die nach Lage des Einzelfalles erforderlichen Leistungen so vollständig und umfassend zu erbringen, daß Leistungen eines anderen Trägers nicht erforderlich würden. Der Grundsatz des einheitlichen Rehabilitationsvorganges finde nur dort seine Grenze, wo die Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers ende. Operationen seien aber - wie das SG zu Recht angenommen habe - medizinische Rehabilitationsleistungen iS von § 1237 RVO. Da die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Verband deutscher Rentenversicherungsträger am 17. September 1976 über die Zuständigkeit bei derartigen interkurrenten Erkrankungen keine Einigung erzielt hätten, habe sie - die Klägerin - davon ausgehen müssen, die Beklagte werde nicht mit Leistungen eintreten. Sie habe deshalb nach § 43 des Sozialgesetzbuches Allgemeiner Teil (SGB I) vorläufig geleistet. Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 2. Mai 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die stationären Behandlungskosten für den Versicherten E M in der Z in Höhe von 5.081,47 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie ist der Auffassung, die Operation in der Z sei keine Rehabilitationsmaßnahme, sondern eine Krankenhilfeleistung gewesen, so daß der Hinweis der Klägerin auf § 5 Abs 2 RehaAnglG fehlgehe. Die Vorschrift enthalte im übrigen ausdrücklich den Vorbehalt, daß jeder Träger nur "im Rahmen seiner Zuständigkeit" leistungspflichtig sei.
Entscheidungsgründe
Die - zulässige - Revision ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG einen Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte verneint.
Als Anspruchsgrundlage kommt § 43 Abs 3 SGB 1 in Betracht. § 6 Abs 3 RehaAnglG geht hier nicht als speziellere Regelung vor (vgl dazu Thieme in Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 43 RdNr 10); denn Abs 2 Nr 1 dieser Vorschrift normiert eine Vorleistungspflicht des Rentenversicherungsträgers nur bei Zweifeln über die Zuständigkeit für medizinische Rehabilitationsmaßnahmen, während hier streitig ist, ob Krankenhilfe vom Krankenversicherungsträger oder medizinische Rehabilitation durch den Rentenversicherungsträger zu leisten war (so auch Verbandskommentar zur RVO Bd I, Vorbemerkung vor §§ 1236 ff; § 6 RehaAnglG RdNr 2; Wirthle, Krankenversicherung 1978, 208, 209; Tiedt, DRV 1975, 74, 76). Dahinstehen kann, ob und inwieweit § 43 Abs 3 SGB 1 einen Erstattungsanspruch erst begründet (so anscheinend Verbandskommentar zum Sozialgesetzbuch § 43 SGB 1 RdNr 7) oder schon voraussetzt (so Schellhorn in Burdenski/von Maydell/Schellhorn, SGB AT, § 43 RdNr 29). Jeder Erstattungsanspruch entfällt, wenn der vorleistende Träger, wie hier, auch endgültig verpflichtet war.
Die Klägerin hatte dem Versicherten M nach § 184 Abs 1 RVO (idF von § 1 Nr 1 LeistungsverbesserungsG vom 19. Dezember 1973, BGBl I S. 1925) die fragliche stationäre Behandlung als Krankenhauspflege zu gewähren. Denn zur Behandlung seiner Krankheit war "die Aufnahme in ein Krankenhaus erforderlich". Daß die Behandlung der Krankheit (Überwucherung des Gelenkknorpels im rechten Knie) eine Operation (Synovektomie) notwendig machte, die nur in einem Krankenhaus durchgeführt werden konnte, ergibt sich aus den für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des SG. In den von ihm wiedergegebenen Berichten der S vom 1. Juni 1977 und der Z vom 1. Juli 1977 wurde die Dringlichkeit der Synovektomie medizinisch ausführlich begründet. Die Z.-klinik, ein "chirurgisch-orthopädisches Fachkrankenhaus", entsprach auch den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an ein Krankenhaus; insbesondere besaß es eine apparative Mindestausstattung mit der Möglichkeit der Betreuung durch einen jederzeit rufbereiten Arzt und geschultes Pflegepersonal (vgl zB BSG vom 17. Dezember 1969 in SozR Nr 26 zu § 184 RVO, vom 28. August 1970 in BSGE 31, 279, 282 = SozR Nr 30 zu § 184 RVO).
Daß Dr. D, der die Einweisung des Versicherten M in diese Klinik veranlaßte, kein zugelassener Kassenarzt war, ändert nichts an der Verpflichtung der Klägerin, die Kosten der Behandlung zu tragen. Nach § 368e RVO hat der Versicherte Anspruch auf die ärztliche Versorgung, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend ist. Ist dazu Behandlung in einem Krankenhaus erforderlich, dann muß die Krankenkasse für die entsprechenden Kosten aufkommen, auch wenn die Einweisung in das Krankenhaus nicht durch einen zugelassenen Kassenarzt erfolgt war (vgl BSG vom 22. November 1968 - 3 RK 46/67 - ZfSH 1969, 573, 574).
Ob die Z im übrigen nicht nur Krankenhauspflege nach § 184 RVO, sondern auch Behandlung iS des § 184a RVO (Behandlung in einer Kur- oder Spezialeinrichtung) gewährt, kann offenbleiben. Selbst wenn die Z nach ihrer persönlichen und sachlichen Ausstattung auch als eine Kur- oder Spezialeinrichtung iS des § 184a RVO anzusehen wäre, ist jedenfalls im vorliegenden Fall, wie schon ausgeführt, dem Versicherten mit der bei ihm vorgenommenen Operation allein Krankenhauspflege gewährt worden. Die Frage, wie in anderen, weniger eindeutigen Fällen die Krankenhauspflege - als Pflichtleistung der Krankenkasse nach § 184 RVO - von einer nach dem Ermessen der Krankenkasse zu gewährenden Rehabilitationsbehandlung nach § 184a RVO abzugrenzen ist (vgl dazu BSGE 46, 41 für Alkoholentziehungskuren), brauchte deshalb vom Senat nicht entschieden zu werden.
Die Beklagte ist auch nicht etwa deshalb verpflichtet, die Kosten der Behandlung in der Z zu tragen, weil die Operation während eines von der Beklagten durchgeführten Heilverfahrens und wegen derselben Erkrankung erforderlich wurde, die Anlaß des Heilverfahrens war. Zwar kann der Rentenversicherungsträger nach § 1237 Nr 1 RVO (idF von § 21 Nr 68 des RehaAnglG) als medizinische Rehabilitationsleistungen auch ärztliche Behandlung "vor allem in Kur- oder Spezialeinrichtungen" gewähren und damit, wie früher nach § 1237 Abs 2 RVO aF, auch die Kosten von Operationen übernehmen (vgl BSG SozR Nr 7 zu § 1237 RVO). Wenn jedoch gleichzeitig ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung Krankenhilfe zu gewähren hat, geht dessen Zuständigkeit der des Rentenversicherungsträgers als Träger der medizinischen Rehabilitation vor (vgl BSGE 45, 212, 217 = SozR 2200 § 182 RVO Nr 29 S. 53, 54). Dies folgt insbesondere aus § 1239 RVO (idF von § 21 Nr 71 RehaAnglG). Danach kann der Rentenversicherungsträger Leistungen der Krankenhilfe im Benehmen mit dem Krankenversicherungsträger übernehmen, wenn diese während der Durchführung von medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen zu gewähren sind. Das Gesetz geht also auch während einer vom Rentenversicherungsträger durchgeführten Heilmaßnahme von einer Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers aus und bestimmt insoweit den Krankenversicherungsträger als in erster Linie leistungspflichtig (so auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd III S. 666 d II). In der Begründung des Regierungsentwurfs zum RehaAnglG wird dementsprechend bei § 1239 ausgeführt, die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Renten- und Krankenversicherungsträger bleibe auch nach der Einbeziehung des letzteren in den Kreis der Rehabilitationsträger unberührt (BT-Drucks 7/1237 S. 70 § 1239 RVO, vgl auch die Begründung zu § 184a, aaO S. 64).
Dieses Ergebnis widerspricht - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht § 5 Abs 2 RehaAnglG. Danach hat zwar jeder Rehabilitationsträger im Rahmen seiner Zuständigkeit die nach Lage des Einzelfalles erforderlichen Leistungen so vollständig und umfassend zu erbringen, daß Leistungen eines anderen Trägers nicht erforderlich werden. Diese Vorschrift steht jedoch schon nach ihrem Wortlaut unter dem Vorbehalt, daß der Rehabilitationsträger den "Rahmen seiner Zuständigkeit" nicht überschreitet. Demgemäß bestimmt § 9 Abs 1 RehaAnglG, daß Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistungen eines Trägers sich entsprechend den Grundsätzen der §§ 10 bis 20 im einzelnen nach den für den Rehabilitationsträger geltenden besonderen Vorschriften richten. Dies zeigt, daß der Gesetzgeber mit dem RehaAnglG das historisch gewachsene gegliederte System der Rehabilitation nicht beseitigen wollte (vgl dazu BT-Drucks 7/1237 S. 57). Im übrigen umfassen nach der allgemeinen Vorschrift in § 10 RehaAnglG die medizinischen Rehabilitationsleistungen ua ärztliche Behandlung "auch in Krankenhäusern, Kur- und Spezialeinrichtungen", während in der die Rentenversicherung betreffenden Vorschrift in § 1237 RVO nur Kur- und Spezialeinrichtungen genannt sind. Da durch die Art der Einrichtung die Art der Behandlung mitbestimmt wird, folgt auch hieraus die vorrangige Zuständigkeit der Krankenkassen bei Akut- oder Intensivbehandlung vor allem kurzfristiger Erkrankungen (so auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd III S. 664 v; Kugler RehaAnglG S. 43; anderer Ansicht anscheinend Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 6. Aufl, § 1237 Anm 4, die wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Trägerschaft sowie des fließenden Übergangs zwischen Spezialeinrichtungen und Krankenhäusern es als uU notwendig ansehen, daß der Rentenversicherungsträger auch medizinische Maßnahmen durchführt, für die grundsätzlich die Zuständigkeit der Krankenversicherung gegeben ist).
Soweit nach der hier vertretenen Auffassung über die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Renten- und Krankenversicherung bei einer Gesamttherapie in einem Rehabilitationszentrum die Kosten einer zunächst erfolgenden Akutkrankenbehandlung zu Lasten der Krankenkasse, diejenigen einer sich anschließenden Heilbehandlungsmaßnahme dagegen zu Lasten des Rentenversicherungsträgers gehen (vgl Brackmann aaO, Bd III, S. 664 v II), können die Rehabilitationsträger dieses Ergebnis durch entsprechende Vereinbarungen vermeiden, wie sie dies zB in der Empfehlungsvereinbarung der Kranken- und Rentenversicherungsträger bei der Rehabilitation Abhängigkeitskranker vom 20. November 1978, in Kraft seit 1. Januar 1979 (Amtl. Mitteilungen LVA Rheinprovinz 1979, S. 204 ff), getan haben (dort ist die grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich des Krankenversicherungsträgers fallende Entzugsbehandlung dann der Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers unterstellt worden, wenn die Entzugsbehandlung im Anschluß an eine - vom Rentenversicherungsträger zu übernehmende - Entwöhnungsbehandlung erforderlich und in derselben Einrichtung durchgeführt wird).
Da der Klägerin somit kein Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten des Versicherten M in der Z zusteht, war ihre Revision gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen