Leitsatz (amtlich)

Enthält der Tenor des Urteils keinen Zulassungsausspruch und ergibt sich aus der Urteilsbegründung nicht eindeutig, ob die Berufung vom Sozialgericht gemäß SGG § 150 Nr 1 zugelassen ist, so kann der Wortlaut der Rechtsmittelbelehrung zur Auslegung herangezogen werden. Ein eingehender Hinweis darin auf die Zulässigkeit der Sprungrevision kann hierbei beachtlich sein.

 

Normenkette

SGG § 150 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Februar 1956 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat den Klägerinnen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I. Am 26. November 1953 zeigte die Firma S... Waiblingen, Fabrik moderner Damenbekleidung, beim Arbeitsamt Schwäbisch Gmünd an, daß sie vom 30. November 1953 an Kurzarbeit einführen würde. Am 21. Dezember 1953 beantragte sie Kurzarbeiterunterstützung für 15 Arbeiterinnen für die Zeit vom 30. November bis zum 12. Dezember 1953. Das Arbeitsamt lehnte sie ab, weil der Arbeitsausfall nicht auf Arbeitsmangel aus wirtschaftlichen Gründen beruhe. Der Widerspruch hiergegen wurde zurückgewiesen.

Auf Klage hob das Sozialgericht Stuttgart durch Urteil vom 4. Januar 1955 die Verfügung des Arbeitsamts und den Widerspruchsbescheid auf und verurteilte die Beklagte, die Kurzarbeiterunterstützung für die Zeit vom 30. November 1953 bis zum 12. Dezember 1953 zu gewähren.

Als Beklagte war im Rubrum des Urteils angegeben: "Die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Nürnberg, vertreten durch das Arbeitsamt Schwäb. Gmünd". Das Urteil des Sozialgerichts wurde mit Einschreibebrief an das "Arbeitsamt Schwäbisch Gmünd" am 12. Januar 1955 abgesandt.

Über das zuständige Rechtsmittel enthält die Urteilsbegründung folgenden Satz: "Gegen dieses Urteil ist die Berufung zulässig". Die Rechtsmittelbelehrung verweist zunächst auf die zu beachtenden Frist- und Formvorschriften und schließt mit dem Zusatz:

"Innerhalb der gleichen Frist kann gegen dieses Urteil - wenn der Rechtsmittelgegner schriftlich einwilligt - auch unter Übergehung des Berufungsverfahrens Sprungrevision beim Bundessozialgericht, Kassel, , eingelegt werden. Hierbei sind die Bestimmungen der §§ 161, 164, 167 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu beachten".

Auf Grund eines Antrags der Beklagten vom 4. Februar 1955, das Urteil nach § 138 SGG zu berichtigen, erließ der Vorsitzende der zuständigen Kammer des Sozialgerichts unter dem 11. Februar 1955 folgenden

"Berichtigungsbeschluß":

"Der erste Satz der Rechtsmittelbelehrung des Urteils auf Seite 5 wird wie folgt berichtigt:

"Gegen dieses Urteil wird die Berufung zugelassen".

Begründung:

Wegen der Grundsätzlichkeit der Frage hat das Gericht die Berufung im Sinne des § 150 Ziff. 1 SGG zugelassen. Beim Schreiben des Urteils ist insofern ein Schreibfehler ergangen, als statt "wird zugelassen" "ist zulässig" geschrieben wurde. Gegen diesen Beschluß ist gemäß § 172 Abs. 1 SGG Beschwerde nicht zulässig".

Dieser Berichtigungsbeschluß wurde am 12. Februar 1955 zur Zustellung an die Beteiligten zur Post gegeben.

II. Die Beklagte legte mit Schriftsatz vom 4. Februar 1955 - beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingegangen am 10. Februar 1955 - Berufung ein und beantragte, das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Entscheidung des Arbeitsamts sowie die der Widerspruchsstelle "zu bestätigen". Das Berufungsschreiben ist in Schreibmaschinenschrift unterzeichnet mit "Im Auftrag gez. Dr. G... und enthält neben dem Stempel des Landesarbeitsamts zwischen den gestempelten Worten "Beglaubigt... Angestellte" die handschriftliche Unterschrift "S...". Mit Schriftsatz vom 2. Mai 1955 begründete die Beklagte die Berufung. Dieses Schriftstück ist handschriftlich unterzeichnet vom Präsidenten des Landesarbeitsamts Dr. H...

Mit Schreiben vom 31. Januar 1956 wies der Vorsitzende des zuständigen Senats des Landessozialgerichts die Beteiligten darauf hin, daß die Rechtsmittelbelehrung im Berichtigungsbeschluß unrichtig sei und der Beschluß mit der Beschwerde nach §§ 172 Abs. 1, 66 Abs. 2 SGG ohne zeitliche Beschränkung angefochten werden könne. Werde Beschwerde nicht eingelegt, sei die Berufung als zugelassen anzusehen, sie dürfte jedoch nicht formgerecht eingelegt sein, da das Berufungsschreiben nicht handschriftlich unterzeichnet sei, und deshalb nach § 158 Abs. 1 SGG nicht zulässig sein.

Die Beklagte erklärte dazu mit Schriftsatz vom 16. Februar 1956, der am 17. Februar 1956 beim Landessozialgericht eingegangen ist, nach ihrer Auffassung sei die Berufung ordnungsmäßig schriftlich eingelegt. Sie beantragte aber zugleich vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und holte mit diesem Schriftsatz die versäumte Rechtshandlung nach.

Mit Urteil vom 24. Februar 1956 verwarf das Landessozialgericht die Berufung als unzulässig. Die Berufung sei zwar nach dem Berichtigungsbeschluß zugelassen, den die durch ihn beschwerten Klägerinnen (beteiligte Kurzarbeiterinnen) nicht angefochten hätten. Gegen die Zulässigkeit dieses Beschlusses beständen jedoch insofern erhebliche Bedenken, als weder aus dem Urteil selbst, noch aus jederzeit erreichbaren anderen Urkunden, insbesondere dem Sitzungsprotokoll oder den Schriftsätzen der Beteiligten, "offenbar", d.h. klar erkennbar sei, daß die Vorinstanz bei der Begründung des Urteils den Willen gehabt habe, die Berufung zuzulassen und es nur versehentlich unterlassen habe, diesen Willen zum Ausdruck zu bringen. Dies könne jedoch dahingestellt bleiben, da die Berufung schon deswegen nicht zulässig sei, weil sie nicht "schriftlich" eingelegt sei. Das LSG. schließt sich in seinen weiteren Ausführungen dem Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts vom 13. Oktober 1955 (BSG. 1 S. 243) an, worin die eigenhändige Unterzeichnung der Berufungsschrift gefordert wird.

Der Beklagten habe auch nicht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden können. Es brauche nicht geprüft zu werden, ob sie "ohne Verschulden" gehindert gewesen sei, die Berufungsfrist einzuhalten; denn nach § 67 Abs. 3 SGG sei der Antrag auf Wiedereinsetzung nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist unzulässig. Da das Urteil des Sozialgerichts nach § 4 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) als am 15. Januar 1955 zugestellt gelte, sei die Berufungsfrist am 15. Februar 1955 und die Jahresfrist am 15. Februar 1956 abgelaufen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei jedoch erst am 17. Februar 1956 eingegangen.

Revision ist zugelassen wegen der Frage, ob die Schriftform nach § 151 Abs. 1 SGG dann gewahrt ist, wenn der mit Maschine geschriebene Name des Prozeßbevollmächtigten nur beglaubigt ist.

III. Das Urteil des Landessozialgerichts ist der Beklagten am 30. April 1956 zugestellt worden. Dagegen hat sie am 26. Mai 1956 Revision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart aufzuheben und die Klägerinnen mit der Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen. Mit Schriftsatz vom 11. Juli 1956 - beim Bundessozialgericht nach Verlängerung der Begründungsfrist eingegangen am 13. Juli - hat sie die Revision begründet.

Im Verlauf des Verfahrens beantragte die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. April 1958 beim Sozialgericht Stuttgart, "die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 4. Januar 1955 dahin zu berichtigen, daß die Berufung gegen das Urteil vom 4. Januar 1955 zugelassen worden ist".

Mit Beschluß vom 19. Juni 1958 lehnte der Vorsitzende der 4. Kammer des Sozialgerichts diese Berichtigung ab, weil er nicht verkündet habe, daß die Berufung zugelassen werde, und etwaige Beratungen darüber nicht in das Protokoll aufgenommen werden könnten.

Von ihren Rügen hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nur noch folgende aufrecht erhalten:

Das Landessozialgericht habe zu Unrecht die Berufung als unzulässig verworfen. Es hätte statt eines Prozeßurteils ein Sachurteil fällen müssen, da die Berufung zulässig gewesen sei. Wenn davon ausgegangen werde, daß eine beglaubigte Berufungsschrift nicht dem Erfordernis der schriftlichen Einreichung gemäß § 151 Abs. 1 SGG entspreche, so müsse im vorliegenden Falle jedoch die handschriftlich unterzeichnete Berufungsbegründungsschrift als rechtzeitig eingelegte Berufung angesehen werden; denn anstelle der einmonatigen Berufungsfrist sei die Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 SGG für die Einlegung des Rechtsmittels getreten, da einmal die Rechtsmittelbelehrung im Urteil des Sozialgerichts unrichtig gewesen sei und weiter der Berichtigungsbeschluß keine neue Rechtsmittelbelehrung bezüglich der Berufung enthalten habe. Im übrigen sei das Urteil des Sozialgerichts unzulässigerweise an das Arbeitsamt zugestellt worden anstatt an den Prozeßbevollmächtigten, Regierungsrat Dr. D.... so daß aus diesem Grunde die Rechtsmittelfrist nicht zu laufen begonnen habe.

Die Klägerinnen haben beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

IV. Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.

Streitgegenstand vor dem Sozialgericht war der Anspruch auf Kurzarbeiterunterstützung für 13 Tage. Die Berufung war demnach gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht zulässig, wenn sie nicht nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen worden war. Mit Berichtigungsbeschluß vom 11. Februar 1955 ist der hierfür maßgebliche Satz in der Begründung des Urteils des Sozialgerichts dahin geändert worden, daß die Berufung zugelassen wird.

Das Landessozialgericht hat dahingestellt gelassen, ob die Berufung durch den Berichtigungsbeschluß "wirksam zugelassen ist und ob eine unzulässige Berichtigung für das weitere Verfahren beachtlich ist oder nicht". Es hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen, weil sie nicht "schriftlich" im Sinne des § 151 Abs. 1 SGG eingelegt sei, dagegen hat es nicht geprüft, ob etwa aus besonderen Gründen an Stelle der einmonatigen Berufungsfrist die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG getreten war und während dieser Zeit eine ordnungsmäßig unterschriebene Berufungsbegründungsschrift die unwirksame Berufung ersetzt hatte. Diese Rüge hat die Beklagte jetzt erhoben. Sie kann damit allerdings nicht durchdringen.

§ 66 Abs. 2 SGG sieht bei unrichtiger Erteilung der Rechtsmittelbelehrung vor, daß der Rechtsbehelf noch inner halb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung eingelegt werden kann. Ob eine unrichtige Belehrung erteilt worden war, läßt sich nur unter dem Gesichtspunkt prüfen, welches Rechtsmittel zulässig oder zugelassen war. Da hier die Berufung mit Rücksicht darauf, daß wiederkehrende Leistungen von nicht mehr als 13 Wochen den Streitgegenstand bilden, gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ohne ausdrückliche "Zulassung nach § 150 SGG nicht statthaft gewesen wäre, war zunächst festzustellen, ob die Berufung ausdrücklich zugelassen worden ist. Die Fassung der Urteilsbegründung "Gegen dieses Urteil ist die Berufung zulässig" würde allein jedenfalls nicht ausreichen, eine Zulassung erkennbar zu machen, wenn der Wortlaut auch bestimmter ist als die bei Berufungen nach § 143 SGG sonst vielfach angewandte Fassung "kann eingelegt werden". Wohl aber ist es möglich und statthaft, zur Prüfung der Frage, ob in den angeführten Worten eine Zulassung enthalten ist, den Wortlaut der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrung auszulegen. Insoweit ist hier von ausschlaggebender Bedeutung der eingehende Hinweis auf die Zulässigkeit der Sprungrevision. Sie ist nach § 161 SGG nur gegeben, wenn Urteile nach § 150 mit der Berufung anfechtbar sind, also - sofern es sich nicht um einen wesentlichen Verfahrensmangel handelt - wenn diese nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen ist. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes "jura novit curia" ergibt sich aus dem eingehenden Hinweis auf die Sprungrevision und der darin enthaltenen Verweisung auf die in Frage kommenden gesetzlichen Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes für den erkennenden Senat zur Gewißheit, daß das Gericht die Rechtslage richtig beurteilt und mit den Worten "ist die Berufung zulässig" dieses Rechtsmittel zugelassen hat, da andernfalls der Hinweis auf die Sprungrevision unverständlich gewesen wäre.

Dies hatten die Beteiligten auch erkannt, wie sich daraus ergibt, daß sie die Urteilsausfertigungen "zur Berichtigung" dem Sozialgericht vorgelegt haben. Daraus muß geschlossen werden, daß sie aus der Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Entscheidungsgründe den Willen des Gerichts hatten entnehmen können, die Berufung zuzulassen. Da dies aber auch schon auf Grund der Auslegung der Rechtsmittelbelehrung ersichtlich war, war kein Raum für eine Berichtigung. Der Berichtigungsbeschluß konnte unter diesen Umständen rechtliche Wirkungen nicht haben. Es kann darum dahingestellt bleiben, ob er etwa insoweit fehlerhaft war, weil er nicht, was die Beklagte für erforderlich hält, eine vollkommen neue - eine weitere Berufungsfrist in Lauf setzende - Rechtsmittelbelehrung enthielt.

Die Berufung war somit als durch das Urteil selbst zugelassen anzusehen und die Rechtsmittelbelehrung demnach richtig, so daß die einmonatige Berufungsfrist in der Zeit vom 16. Januar bis zum 15. Februar 1955 lief. In dieser Frist war aber nur die mit Beglaubigungsvermerk unterzeichnete Berufungsschrift eingegangen. Eine solche ist nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 11. April 1957 (BSG. 5 S. 110) nicht als schriftliche Einlegung zu bewerten und deshalb unwirksam.

Eine weitere Rechtsmittelfrist konnte sich auch nicht, wie die Beklagte meint, aus dem Umstand ergeben, daß das Urteil nicht dem Prozeßbevollmächtigten, Regierungsrat Dr. D.... sondern dem Arbeitsamt als solchem zugestellt worden war. Regierungsrat Dr. D.... war nach dem Wortlaut der Vollmacht vom 23. März 1954 nicht persönlich als Prozeßbevollmächtigter benannt. Die Vollmacht war vielmehr ausgestellt auf den "Direktor des Arbeitsamts Schwäbisch Gmünd, Regierungsrat Dr. Hans D.... Die Beifügung des Namens hatte hier keine entscheidende Bedeutung. Es bedurfte deshalb nicht einer Prüfung, ob Regierungsrat Dr. D... zur Zeit der Zustellung etwa infolge Urlaubs oder Erkrankung abwesend gewesen sein könnte. Die Zustellung an den Direktor des Arbeitsamts reichte aus. Aber da dieser das Arbeitsamt als solches repräsentiert und verkörpert, war, wie der erkennende Senat in dem oben erwähnten Urteil näher ausgeführt hat, der Vorschrift des § 73 Abs. 3 SGG auch dann noch genügt, wenn das Urteil an "das Arbeitsamt" zugestellt wird. An dieser Rechtsprechung wird festgehalten. Wie zu entscheiden gewesen wäre, wenn die Vollmacht auf Regierungsrat Dr. D... Direktor des Arbeitsamts Schwäbisch Gmünd ausgestellt gewesen wäre, konnte hier dahingestellt bleiben.

V. Da somit die Berufung während der Berufungsfrist nicht formgerecht eingelegt, die handschriftlich unterzeichnete Begründungsschrift aber erst nach Ablauf der Berufungsfrist eingegangen war, mußte das Urteil des Landessozialgerichts im Ergebnis aufrechterhalten und die Revision zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2324005

BSGE, 154

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