Orientierungssatz

Wenn das Gesetz den Beginn der 6-Monatsfrist in BVG § 60 Abs 2 S 2 nicht an die Mitteilung (oder den Bescheid) über die Einkommensminderung knüpft, sondern hierfür ausdrücklich auf den "Zugang der Mitteilung" abstellt, so kann dies nur so verstanden werden, daß ein Verwaltungsakt, der die Mitteilung der Einkommensminderung enthält, nicht schon bindend geworden sein muß. Mit dem Begriff "Zugang der Mitteilung" hat der Gesetzgeber für den Beginn den Zeitpunkt gewählt, in dem der Versorgungsberechtigte von der Einkommensminderung Kenntnis nehmen konnte und damit die Möglichkeit hatte, seine sich daraus ergebenden Rechte bei der Versorgungsbehörde geltend zu machen. Dieser Fristbeginn dient der Beschleunigung des Verfahrens und zielt auf eine möglichst baldige Feststellung der "richtigen" Versorgungsleistung ab.

 

Normenkette

BVG § 60 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1964-02-21, § 62 Abs. 1 Fassung: 1964-02-21; KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. April 1970 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin (geb. ... 1940) erhielt vom 1. September 1951 an eine Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Im Jahre 1952 wurde ihr auf Antrag ihrer Mutter auch eine Waisenrente (nach ihrem Vater) aus der gesetzlichen Rentenversicherung bewilligt. Diese Rente wurde laufend gezahlt und vom 1. August 1952 an bei der Feststellung der Ausgleichsrente der Klägerin nach dem BVG berücksichtigt. Ihre Versorgungsbezüge fielen nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres mit Ende April 1958 weg.

Im Jahre 1964 wurde die Mutter der Klägerin auf eine Strafanzeige des Sozialversicherungsträgers zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten verurteilt, die Strafe aber zur Bewährung ausgesetzt. Die Mutter wurde verurteilt, weil sie zur Erlangung der Sozialversicherungsrente für die Klägerin unrichtige Angaben gemacht hatte; sie hatte der Wahrheit zuwider angegeben - und sich dies durch Zeugen bestätigen lassen -, daß ihr Ehemann in einem Beschäftigungsverhältnis als Arbeitnehmer gestanden habe, während er in Wirklichkeit Selbständiger gewesen ist und der Sozialversicherung nicht angehört hat.

Der Versicherungsträger erließ darauf am 30. Juli 1964 einen Bescheid nach § 1744 Abs. 1 Nr. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO), mit dem er feststellte, daß die Waisenrente aus der Sozialversicherung der Klägerin zu Unrecht gezahlt worden ist; er forderte einen Betrag von 2.488 DM zurück. Die Klägerin erhob hiergegen Klage, nahm sie aber am 24. März 1965 zurück.

Im April 1965 beantragte die Klägerin bei der Versorgungsbehörde, ihr im Wege eines Neufeststellungs- bzw. "Zugunsten"-bescheides die Ausgleichsrente rückwirkend vom 1. August 1952 an ohne Anrechnung der Waisenrente aus der Sozialversicherung zu gewähren. Sie macht hierzu geltend, ihr habe eine (ungekürzte) Ausgleichsrente zugestanden, weil ihr die Waisenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu Unrecht gewährt worden sei und sie diese zurückzuzahlen habe. Die Versorgungsbehörde lehnte eine Neufeststellung der Versorgungsansprüche und eine Zugunstenregelung nach § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) ab (Bescheid vom 19. September 1966). Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 28. August 1967).

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Münster mit Urteil vom 19. Dezember 1968 den Beklagten verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. September 1951 bis zum 30. April 1958 die Waisenausgleichsrente nach dem BVG ohne Berücksichtigung der Waisenrente aus der Sozialversicherung zu gewähren; es hat die Berufung zugelassen: Der Klägerin hätte eine höhere Versorgungsrente zugestanden, wenn der richtige Sachverhalt bekannt gewesen wäre; der Beklagte sei deshalb nach § 40 Abs. 1 verpflichtet, die Ausgleichsrente in entsprechender Höhe festzustellen und zu zahlen.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 22. April 1970 das Urteil des SG Münster aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Auffassung des SG, der Beklagte sei verpflichtet, der Klägerin nach dem Wegfall der Rente aus der Sozialversicherung die Ausgleichsrente, die ihr ohne die Sozialrente zugestanden hätte, ohne weitere Rechtsgrundlage und ohne zeitliche Einschränkung im "Zugunstenwege" nachzuzahlen, treffe nicht zu. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf nachträgliche Gewährung einer (ungekürzten) Waisenausgleichsrente. Der Neufeststellung der Versorgungsbezüge nach § 62 BVG stehe entgegen, daß die Antragsfrist des § 60 Abs. 2 BVG für eine rückwirkende Leistungserhöhung versäumt sei. Der Antrag sei innerhalb sechs Monate nach "Zugang der Mitteilung" (über die Änderung des Einkommens) zu stellen. Der Rückforderungsbescheid sei der Klägerin spätestens im August 1964 zugegangen; der Antrag vom April 1965 habe danach die rückwirkende Gewährung einer Leistung nicht mehr bewirken können, da die Rentenberechtigung bereits Ende April 1958 mit Vollendung des 18. Lebensjahres der Klägerin weggefallen sei. Es komme für den Fristbeginn nach § 60 Abs. 2 BVG nicht darauf an, wann die Bindungswirkung des Rückforderungsbescheides eingetreten sei. Der Beklagte habe auch keine Zugunstenregelung nach § 40 Abs. 1 VerwVG, die sich auf eine über vier Jahre zurückliegende Zeit bezog, treffen müssen. Der Umstand, daß die Klägerin, die keine (ungekürzte) Ausgleichsrente erhalten hat und nicht mehr erhalten kann (obgleich sie die Sozialrente zurückzahlen soll), falle allein in ihren Verantwortungsbereich.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat fristgemäß und formgerecht Revision eingelegt. Sie beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Münster zurückzuweisen.

Sie rügt, das LSG habe die Vorschriften der §§ 60 Abs. 2, 62 Abs. 1 BVG verletzt. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, daß die Frist von sechs Monaten des § 62 Abs. 2 Satz 2 BVG schon mit der Zustellung des Rückforderungsbescheides vom 30. Juli 1964, also im August 1964, und nicht erst mit der Rechtsverbindlichkeit dieses Bescheides, die durch die Klagerücknahme am 24. März 1965 eingetreten ist, begonnen habe.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Revision der Klägerin ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sie ist jedoch unbegründet.

Die Klägerin begehrt, den Beklagten zu verpflichten, ihren Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach dem BVG neu festzustellen, und zwar so, daß ihr rückwirkend ab 1. August 1952 bis zum Wegfall der Waisenrentenberechtigung am 1. Mai 1958 eine Ausgleichsrente ohne Anrechnung der ihr gezahlten Waisenrente aus der Sozialversicherung bewilligt wird. Das LSG hat die Bescheide, mit denen der Beklagte dies abgelehnt hat, zutreffend für rechtmäßig gehalten. Der Beklagte ist weder nach § 62 Abs. 1 BVG noch nach § 40 Abs. 1 VerwVG zu der von der Klägerin begehrten "Neufeststellung" des Versorgungsanspruchs verpflichtet.

Der Beklagte hat der Klägerin durch einen - bindend gewordenen - Bescheid eine Hinterbliebenenrente bewilligt und hierbei eine Waisenrente der Klägerin aus der Invalidenversicherung auf die Ausgleichsrente angerechnet. Dieser Bescheid ist nicht von Anfang an unrichtig gewesen. Der Beklagte ist bei Erlaß dieses Bescheides von einem richtigen Sachverhalt ausgegangen, und er hat auch den Sachverhalt rechtlich zutreffend gewürdigt, wenn er die Hinterbliebenenrente, die der Klägerin von dem Träger der Sozialversicherung bewilligt und auch gezahlt worden ist, auf die Ausgleichsrente angerechnet hat.

Der Bescheid der Beklagten ist aber nachträglich unrichtig geworden, und zwar dadurch, daß der Versicherungsträger (mit Bescheid vom 30. Juli 1964) festgestellt hat, daß die Hinterbliebenenrente aus der Sozialversicherung als "zu Unrecht gezahlt" zurückzuerstatten ist. Gleichwohl kann die Klägerin nicht wegen einer Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG eine Neufeststellung ihres Versorgungsanspruchs dahin verlangen, daß ihr für die Zeit vom 1. August 1952 bis zum Wegfall ihrer Rentenberechtigung am 30. April 1958 nachträglich eine höhere Hinterbliebenenrente nach dem BVG, d. h. eine Rente ohne Anrechnung der Rente aus der Sozialversicherung auf die Ausgleichsrente gewährt wird. Dies scheitert, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, daran, daß die Klägerin die Frist des § 60 Abs. 2 BVG versäumt hat. Nach dieser Vorschrift beginnt eine höhere Leistung mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Antragsmonat. Die höhere Leistung beginnt jedoch wegen einer Minderung des Einkommens unabhängig vom Antragsmonat mit dem Monat, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind, wenn der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt der Minderung oder nach Zugang der Mitteilung über die Minderung gestellt wird.

Die Klägerin hätte danach wegen der Rückforderung der Waisenrente aus der Sozialversicherung rückwirkend eine höhere Leistung aus der Kriegsopferversorgung nur erhalten können, wenn sie den Antrag innerhalb von sechs Monaten nach "Zugang" des Bescheides des Versicherungsträgers vom 30. Juli 1964, in dem festgestellt worden ist, daß die Rente zu Unrecht gezahlt worden ist und die Leistungen zurückgefordert werden, gestellt hätte. Dies hat sie jedoch nicht getan; sie hat den Antrag auf nachträgliche Erhöhung der Versorgungsleistungen erst im April 1965 gestellt; in diesem Zeitpunkt hätte der Antrag nur noch die Erhöhung laufender Versorgungsleistungen bewirken können; solche haben aber der Klägerin bereits seit April 1958 nicht mehr zugestanden.

Der Auffassung der Revision, die 6-Monatsfrist des § 60 Abs. 2 BVG sei eingehalten, weil diese Frist erst begonnen habe, nachdem der Bescheid des Versicherungsträgers (vom 30. Juli 1964) durch Rücknahme der gegen ihn gerichteten Klage im März 1965 bindend geworden sei, vermag der Senat in Übereinstimmung mit dem LSG nicht zu folgen.

Wenn das Gesetz den Beginn der 6-Monatsfrist in § 60 Abs. 2 Satz 2 BVG nicht an die Mitteilung (oder den Bescheid) über die Einkommensminderung knüpft, sondern hierfür ausdrücklich auf den "Zugang der Mitteilung" abstellt, so kann dies nur so verstanden werden, daß ein Verwaltungsakt, der die Mitteilung der Einkommensminderung enthält, nicht schon bindend geworden sein muß. Mit dem Begriff "Zugang der Mitteilung" hat der Gesetzgeber für den Beginn den Zeitpunkt gewählt, in dem der Versorgungsberechtigte von der Einkommensminderung Kenntnis nehmen konnte und damit die Möglichkeit hatte, seine sich daraus ergebenden Rechte bei der Versorgungsbehörde geltend zu machen. Dieser Fristbeginn dient der Beschleunigung des Verfahrens und zielt auf eine möglichst baldige Feststellung der "richtigen" Versorgungsleistung ab. Es soll dadurch gerade vermieden werden, daß die höhere Leistung erst nach Eintritt der Bindungswirkung, die möglicherweise durch einen Anfechtungsrechtsstreit in mehreren Rechtszügen aufgehalten wird, neu festgestellt wird und die Neufeststellung damit erheblich verzögert wird. Der Gesetzgeber hat damit in Kauf genommen, daß die Versorgungsbehörde in (den relativ wenigen) Fällen, in denen "die mitgeteilte Einkommensminderung" im Rechtsmittelverfahren mit Erfolg angefochten wird, möglicherweise zu einer mehrfachen Bearbeitung der Versorgungssache genötigt ist. Es ist auch für den betroffenen Versorgungsberechtigten, der die Mitteilung einer Behörde oder des Versicherungsträgers über die Minderung oder den Wegfall bewilligter Leistungen erhält, durchaus zumutbar, bald darauf, jedenfalls innerhalb von 6 Monaten, seine sich daraus ergebenden Ansprüche auf "Richtigstellung" seiner Versorgungsbezüge bei der Versorgungsbehörde anzumelden, selbst wenn er der Auffassung ist, die Mitteilung über die Einkommensminderung sei nicht rechtmäßig. Wenn er diese baldige Anmeldung unterläßt, und sich allein auf den für ihn günstigen Ausgang eines Anfechtungsprozesses verläßt, so hat er damit das Risiko der Versäumung der Antragsfrist, von der eine rückwirkende Leistungserhöhung von Versorgungsbezügen abhängt, auf sich genommen.

Der Bewilligungsbescheid, nach dem der Klägerin die Versorgungsbezüge gewährt worden sind, ist zwar nicht von Anfang, sondern erst nachträglich unrichtig geworden. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob dies einen Bescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG auch dann ausschließt, wenn - wie hier - die Neufeststellung nach § 62 Abs. 1 BVG daran scheitert, daß die Antragsfrist für eine - nur noch in Betracht kommende - rückwirkende Leistungserhöhung versäumt worden ist. Denn der Beklagte wäre auch nicht gehalten, der Klägerin durch eine Zugunstenregelung nach § 40 Abs. 1 VerwVG nachträglich für die Zeit vom 1. August 1952 bis 30. April 1958 die begehrte Leistungserhöhung zu bewilligen. Zu einer Neuregelung des Versorgungsanspruchs, die sich nur auf die Vergangenheit bezog und die Leistungen für eine zurückliegende Zeit betraf, die über vier Jahre hinausging, war der Beklagte jedenfalls nicht verpflichtet (BSG 19, 12, 26, 146 = SozR Nr. 6 und 10 zu § 40 VerwVG). Insoweit hat die Revision das angefochtene Urteil auch nicht angegriffen. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, daß sich der Beklagte mit seiner ablehnenden Entscheidung über die rückwirkende "Berichtigung" nicht im Rahmen seines pflichtgemäßen Verwaltungsermessens gehalten hat. Das LSG hat auch insoweit zutreffend entschieden; es hat bei der Prüfung der Ermessensfrage zu Recht auch berücksichtigt, daß der Nachteil der Klägerin - die zeitweise keine (volle) Ausgleichsrente erhalten hat und diese auch nicht mehr nachträglich erhalten kann - nicht in die Verantwortung der Beklagten fällt. Im übrigen hat der Versicherungsträger die von ihm - zu Unrecht - gewährten Leistungen nur zurückfordern dürfen, soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin zur Zeit der Entscheidung über die Rückforderung vertretbar war (§ 1301 RVO; vgl. auch BSG, SozR Nr. 8 zu § 1301 RVO).

Das LSG hat danach im Ergebnis zutreffend entschieden. Die Revision der Klägerin war somit als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669930

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