Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 18. September 1992 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Höhe des Altersruhegeldes (ARG) des Klägers für die Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1991.
Der 1923 geborene Kläger legte von April 1938 bis August 1941 insgesamt 41 Monate an Pflichtbeitragszeiten, anschließend von Oktober 1941 bis Juni 1949 Ersatzzeiten iS von § 28 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), sodann nach dem Rentenrecht der DDR von Juni 1949 bis Dezember 1956 Beitragszeiten zurück. Vom Januar 1957 bis Ende Oktober 1988 wohnte er im Gebiet der damaligen Bundesrepublik Deutschland. Vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Mai 1961 entrichtete er für insgesamt 52 Kalendermonate Pflichtbeiträge nach dem AVG. Zum 1. November 1988 zog er von Köln nach Falkensee/Brandenburg um. Seither bezieht er dort eine Altersrente. Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) verfügte mit Bescheid vom 2. Dezember 1991, der während des Berufungsverfahrens erging, diese Rente werde ab 1. Januar 1992 nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) im maschinellen Verfahren – „vorläufig” – umgewertet, angepaßt und künftig als Regelaltersrente geleistet.
Den im Dezember 1989 gestellten Antrag des Klägers, ihm ARG nach den Vorschriften des AVG zu gewähren, lehnte die BfA mit dem unangefochten gebliebenen Bescheid vom 14. Februar 1990 unter Hinweis auf § 96 AVG ab. Ebenso verfuhr sie mit dem im Juni 1990 gestellten Überprüfungsantrag des Klägers, weil dieser weiterhin seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der (ehemaligen) DDR habe und der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion (StaatsVertr – vom 18. Mai 1990, BGBl II S 537) ebensowenig wie der Einigungsvertrag (EV – vom 31. August 1990, BGBl II S 889) eine für den Kläger günstigere Regelung getroffen hätten (Bescheid vom 26. Juli 1990; Widerspruchsbescheid vom 2. November 1990).
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Kreisgerichts Potsdam-Stadt vom 30. Oktober 1991; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ für das Land Brandenburg vom 18. September 1992). Das Berufungsgericht ist folgender Auffassung: In dem (noch) streitigen Zeitraum vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1991 habe das AVG im Beitrittsgebiet nicht gegolten (Hinweis auf EV Anlage I, Kapitel VIII, Sachgebiet H, Abschnitt I, Nrn 1 und 3). Im Beitrittsgebiet hätten die bisher dort gültigen rentenrechtlichen Bestimmungen nach Maßgabe des EV Anlage II, Kapitel VIII, Sachgebiet F, Abschnitt III, Nrn 2 bis 4 fortgegolten. Deswegen habe dem Kläger nur die nach den fortgeltenden Bestimmungen des DDR-Rentenrechts berechnete Rente zugestanden. Die Regelungen des SGB VI seien erst ab 1. Januar 1992 in den neuen Bundesländern geltendes Recht geworden. Für den streitigen Zeitraum liege in der Fortgeltung des DDR-Rentenrechts kein Verstoß gegen Art 14 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) oder gegen Art 3 Abs 1 GG. Es sei – insbesondere vor dem Hintergrund von Art 143 Abs 1 GG – nicht grundrechtswidrig, daß die bis zum 2. Oktober 1990 vorhandene Rechtslage bis zur Vereinheitlichung des Rentenrechts im wiedervereinigten Deutschland fortgeschrieben worden sei.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 96 AVG, der og Bestimmungen des EV, soweit darin ausgeschlossen worden ist, daß das AVG – mit Ausnahme des § 96 – im Beitrittsgebiet geltendes Recht geworden ist, sowie eine Verletzung von Art 3 und Art 14 GG. Seit dem 3. Oktober 1990 habe sich der Kläger nicht mehr in einem Gebiet außerhalb des Geltungsbereiches des AVG aufgehalten. Ihm müsse im übrigen eine Teilrente aus den im damaligen Bundesgebiet zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten gewährt werden. Es berühre den Wesensgehalt seiner Grundrechte und sei willkürlich, daß er seit der Wiedervereinigung aus seinen Pflichtbeiträgen keine angemessene Leistung erhalte. Das weitere Vorbringen des Klägers ergibt sich aus seinem Schriftsatz vom 28. April 1993 (Bl 30 bis 37 der Akte des Bundessozialgerichts ≪BSG≫).
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 18. September 1992 und das Urteil des Kreisgerichts Potsdam-Stadt vom 30. Oktober 1991 sowie den Bescheid vom 20. Juli 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 1990 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1991 Altersruhegeld in Anwendung oder Teilanwendung der Vorschriften des AVG unter Außerachtlassung des § 96 dieses Gesetzes zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das LSG zurückzuverweisen,
weiterhin hilfsweise,
das Verfahren auszusetzen und den Rechtsstreit dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art 100 Abs 1 GG vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Rechtsmittel für unbegründet. Da der Kläger am 18. Mai 1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet gehabt habe, erhalte er gemäß Art 20 Abs 7 StaatsVertr von dem bisher zuständigen Rentenversicherungsträger eine nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften berechnete Altersrente. Das AVG, das mit Ablauf des 31. Dezember 1991 ohnehin durch das SGB VI abgelöst worden sei, sei im Beitrittsgebiet nicht mehr in Kraft getreten. Eine Rente nach dem AVG könne der Kläger danach nicht begehren. Nach § 96 dieses Gesetzes, der verfassungsgemäß sei (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht – BVerfG -SozR 2200 § 1319 Nr 5), durften im übrigen Leistungen in das Beitrittsgebiet nicht erbracht werden. Eine vom Kläger erstrebte Teilrentenregelung habe der Gesetzgeber für den streitigen Zeitraum weder eingeführt noch für diese Übergangszeit einführen müssen. Ein völliger Verlust der Rentenanwartschaften aus den Beitragszeiten im früheren Bundesgebiet liege schon deswegen nicht vor, weil die im alten Bundesgebiet zurückgelegten Beiträge auch nach dem früheren DDR-Rentenrecht berücksichtigt worden und damit dem Kläger zugute gekommen seien. Es liege auch keine willkürliche Ungleichbehandlung vor. Im Rahmen der schwierigen Probleme der Rentenangleichung im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung habe der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum (Hinweis auf Art 143 GG; BVerfG SozR 2200 § 1317 Nr 8; SozR 2200 § 1319 Nr 5). Der Gesetzgeber habe zwei Grundentscheidungen getroffenen: zum einen habe er sich für die Zeit vor dem 1. Januar 1992 dafür entschieden, Renten nach jeweils zwei verschiedenen Systemen zu berechnen; zum anderen habe er für die Frage, welche Personen welchem Rentenversicherungssystem unterfallen, an den gewöhnlichen Aufenthalt am 18. Mai 1990 angeknüpft. Dies sei im Blick auf die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Vereinheitlichung des Rentenrechts für eine relativ kurze Übergangszeit hinnehmbar. Das Vorbringen der Beklagten ergibt sich im übrigen aus ihrem Schriftsatz vom 1. Juni 1993 (Bl 40 bis 45 der BSG-Akte).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Er hat im streitigen Zeitraum vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1991 keinen Anspruch auf ARG nach den Vorschriften des AVG oder auf Gewährung eines um einen AVG-Anteil erhöhten ARG nach den Rentenvorschriften, die im Beitrittsgebiet gegolten haben.
Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß der Kläger, der seit November 1988 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hat, im streitigen Zeitraum von der beklagten BfA schon deswegen keine Rentenleistung nach dem AVG begehren kann, weil er sich nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhielt. Keiner Darlegung bedarf, daß der räumliche Anwendungsbereich des AVG vor dem 3. Oktober 1990 auf den damaligen Geltungsbereich des GG, dh auf das damalige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland begrenzt war. Hierzu gehörte Falkensee/Brandenburg nicht. Einem Berechtigten mit gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des AVG durften Leistungen der Rentenversicherung der Angestellten nur soweit gewährt werden, als die §§ 96 bis 102 AVG dies bestimmten (§ 95 Abs 1 Satz 1 AVG). Für Berechtigte mit gewöhnlichem Aufenthalt im jetzigen Beitrittsgebiet war die Gewährung von Leistungen aus der Rentenversicherung der Angestellten ausgeschlossen (§ 96 AVG). Diese Vorschrift war mit Wirkung vom 1. Juni 1979 neu gefaßt (Art 3 Nr 8, Art 20 Nr 2 des Rentenanpassungsgesetzes ≪RAG≫ 1982 vom 1. Dezember 1981, BGBl I S 1205) und ist vom BVerfG (Beschluß vom 22. Oktober 1985 – 1 BvL 2/82, in: SozR 2200 § 1319 Nr 5) mit Art 3 Abs 1 GG und Art 14 GG sowie mit dem Sozialstaatsprinzip des GG für vereinbar erklärt worden.
Schon deswegen ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß dem Kläger am Tage der Wiedervereingigung (3. Oktober 1990) nur dann ein Rentenanspruch oder „Teilrentenanspruch” nach den Bestimmungen des AVG zugestanden haben könnte, wenn dies im EV vorgesehen worden wäre. Das Berufungsgericht hat in Begründung und Ergebnis zutreffend aufgezeigt, daß der EV eine derartige, für den Kläger günstige Regelung nicht getroffen hat. Dem tritt der Senat bei: Nach dem EV Anlage I, Kapitel VIII, Sachgebiet H, Abschnitt I, Nr 3 ist von dem Inkrafttreten des Bundesrechts gemäß Art 8 des EV ua ausgenommen das AVG. Gemäß EV Anlage II, Kapitel VIII, Sachgebiet F, Abschnitt III, Nrn 2 ff, aaO und Sachgebiet H, Abschnitt III, Nrn 1 ff wurde die Fortgeltung des Rentenrechts der DDR mit den dort genannten Maßgaben bis zur Inkraftsetzung des SGB VI im Beitrittsgebiet am 1. Januar 1992 angeordnet. Auch Art 20 Abs 7 des StaatsVertr hatte weder den Geltungsbereich des AVG noch die Möglichkeit der Gewährung von Leistungen der Rentenversicherung der Angestellten in das DDR-Gebiet für diejenigen Personen erweitert, die bis zum 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem früheren Bundesgebiet in das jetzige Beitrittsgebiet verlegt hatten. Da der Kläger Ende 1988 den Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse dauerhaft nach Brandenburg verlegt hatte, gibt es somit keine gesetzliche Vorschrift, welche die Gewährung von (Voll- oder Teil-)Leistungen der Rentenversicherung der Angestellten nach dem AVG im streitigen Zeitraum erlaubt. Insbesondere ist der Auffassung des Klägers entgegenzutreten, er habe seit dem 3. Oktober 1990 „im Geltungsbereich des AVG” gewohnt. Im übrigen weist die Beklagte richtig darauf hin, daß in der nach den fortgeltenden Vorschriften des Beitrittsgebiets (§ 2 Abs 2 Buchst n iVm § 5 Abs 1 Buchst b und Abs 2 Buchst b der Rentenverordnung vom 23. November 1979 – GBl I Nr 38 S 401) berechneten Altersrente des Klägers die Zeiten von Januar 1957 bis Mai 1961 berücksichtigt worden sind, wenn auch nicht mit dem wirtschaftlichen Wert, den sie im Rahmen eines nach dem AVG begründeten Anspruches gehabt hätten.
Dem Berufungsgericht ist auch in seiner verfassungsrechtlichen Würdigung des Streitfalles beizutreten. Die gesetzgebenden Körperschaften haben weder bei der Zustimmung zum StaatsVertr noch bei der zum EV noch durch späteres Unterlassen gegen Art 3 Abs 1, 14 Abs 1 und 20 Abs 1 GG verstoßen. Die Aufrechterhaltung des verfassungsgemäßen Zustandes, daß Rentenleistungen nach dem AVG in das Gebiet der früheren DDR nicht gewährt werden durften (§ 96 AVG), für die Übergangszeit zwischen dem Zeitpunkt der Wiedervereinigung und dem der grundsätzlichen Vereinheitlichung des Rentenrechts im wiedervereinigten Deutschland am 1. Januar 1992 ist im Blick auf die außerordentlichen Schwierigkeiten bei der Vereinheitlichung des Rentenrechts sowie auf die Kürze der Übergangszeit weder eine den Wesensgehalt des Eigentums (als Einrichtungsgarantie und als Grundrecht) berührende oder dem Übermaßverbot nicht genügende rechtswidrige Inhaltsbestimmung des Eigentums noch eine willkürliche (insbesondere keine unverhältnismäßige) Ungleichbehandlung des Klägers mit anderen Versicherten, die im Geltungsbereich des AVG wohnten und Ansprüche auf Leistungen nach diesem Gesetz erworben hatten. Der Kläger selbst hat durch sein Verhalten das Leistungshindernis errichtet. Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, es mit dem Zeitpunkt der Wiedervereinigung oder in einem kürzeren Zeitraum als fünf Vierteljahren zu beseitigen. Er hat es mit Wirkung ab 1. Januar 1992 durch die §§ 254b Abs 2 und 307a Abs 10 SGB VI ausgeräumt. Auf eine Überprüfung seines für die Zeit seit Januar 1992 nur im pauschalierten Verfahren vorläufig festgestellten Anspruches nach dem SGB VI hat der Kläger ab 1. Januar 1994 Anspruch (§ 307a Abs 8 Satz 5 SGB VI).
Nach alledem war die Revision des Klägers gegen das richtige Urteil des LSG für das Land Brandenburg zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen