Leitsatz (amtlich)
Ist ein Leiden im Sinne der Verschlimmerung als Schädigungsfolge anerkannt, so ist bei jeder weiteren Leidensverschlimmerung stets zu prüfen, ob und inwieweit diese noch eine Schädigungsfolge ist. Die Auffassung, daß eine sogenannte richtunggebende Verschlimmerung immer dann vorliege, wenn die Erwerbsfähigkeit durch die als Schädigungsfolge anerkannte Verschlimmerung eines Leidens um 50 % oder mehr gemindert sei, ist rechtlich nicht haltbar.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 3 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. September 1955 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin, der bereits im Jahre 1938 asthmatische Beschwerden hatte, leistete im zweiten Weltkrieg bei einer Hafenkommandantur der Kriegsmarine im holländischen Küstengebiet Dienst. Am 12. September 1944 wurde er wegen Verschlimmerung seines Asthmaleidens aus der Wehrmacht entlassen. Das Versorgungsamt (VersorgA.) Köln bewilligte ihm wegen "Asthma bronchiale" als Wehrdienstbeschädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung ein Versehrtengeld nach Stufe II (Bescheid vom 20.12.1944). Die Landesversicherungsanstalt R gewährte ihm nach der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 vom 1. August 1947 ab eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 50 v. H. (Bescheid vom 13.1.1948). Am 23. Januar 1952 beantragte der Beschädigte die Erhöhung der Rente. Gleichzeitig begehrte er die Anerkennung eines Herzmuskelschadens sowie einer Rechtsüberlastung des Herzens als Schädigungsfolge. Nachdem das VersorgA. K die nach der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 gezahlte Rente durch Bescheid vom 29. Mai 1952 auf Grund der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) festgesetzt hatte, lehnte es den Rentenerhöhungsantrag mit Bescheid vom 5. Februar 1953 ab, weil das Asthmaleiden durch die Verhältnisse des Wehrdienstes nur verschlimmert worden sei. Eine über die durch den militärischen Dienst bedingte einmalige Verschlimmerung hinausgehende weitere Verschlimmerung des Leidens und die Herzmuskelschädigung seien keine Schädigungsfolgen. Der Bescheid stützt sich auf das Gutachten des Facharztes für innere Krankheiten Dr. B vom 9. Oktober 1952. Die Beschwerde des Beschädigten hatte keinen Erfolg (Entscheidung des Beschwerdeausschusses V des VersorgA. K vom 11. September 1953).
Das Sozialgericht (SG.) Köln hat die Klage durch Urteil vom 4. Mai 1954 im wesentlichen aus den gleichen Gründen abgewiesen und die Berufung zugelassen.
Das Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 28. September 1955 die Berufung gegen das Urteil des SG. Köln vom 4. Mai 1954 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Entscheidung darüber, ob der Herzmuskelschaden als Schädigungsfolge anerkannt werden könne, hänge davon ab, ob das Asthmaleiden durch wehrdienstliche Einflüsse einmalig oder richtunggebend verschlimmert worden sei. In der Regel müsse das Vorliegen einer richtunggebenden Verschlimmerung angenommen werden, wenn die als Schädigungsfolge anerkannte Verschlimmerung die Erwerbsfähigkeit um 50 v. H. oder mehr mindere. Hier liege aber keine richtunggebende Verschlimmerung vor, weil die Bewertung der MdE. mit 50 v. H. auf einer äußerst wohlwollenden Beurteilung beruhe. Die nach der Entlassung aus der Wehrmacht aufgetretene Verschlimmerung und der Herzmuskelschaden stünden mit wehrdienstlichen Verhältnissen nicht in ursächlichem Zusammenhang; sie seien unabhängig von wehrdienstlichen Einflüssen eingetreten. Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin, die nach dem Tode ihres Ehemannes (29.10.1956) als dessen Rechtsnachfolgerin das Verfahren fortgesetzt hat, rügt mit der Revision die Verletzung des § 1 BVG. Wenn ein Leiden im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung als Schädigungsfolge anerkannt worden sei, dann müßten auch weitere Verschlimmerungen und Folgen dieses Leidens als Schädigungsfolgen anerkannt werden. Zwar sei in dem Rentenbescheid des Beschädigten nicht zu der Frage Stellung genommen worden, ob eine einfache oder eine richtunggebende Verschlimmerung vorliege. Aus den Anhaltspunkten über die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen ergebe sich aber, daß eine richtunggebende Verschlimmerung vorliege, wenn die erste Verschlimmerung eines Leidens, wie hier, mit einer MdE. um 50 v. H. oder mehr anerkannt sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG. Nordrhein-Westfalen vom 28. September 1955 und des Urteils des SG. Köln vom 4. Mai 1954 sowie des Bescheids des VersorgA. Köln vom 5. Februar 1953 und der Entscheidung des Beschwerdeausschusses V des VersorgA. K vom 11. September 1953 den Beklagten zu verurteilen, den Herzmuskelschaden zusätzlich als Schädigungsfolge anzuerkennen und entsprechend zu berenten;
hilfsweise: die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG). Sie ist daher zulässig. Die Klägerin, die das nach § 68 SGG in Verbindung mit § 239 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) durch den Tod ihres Ehemannes unterbrochene Revisionsverfahren fortgesetzt hat, ist dadurch Verfahrensbeteiligte geworden (Urteil des 2. Senats vom 26. Februar 1957 - 2 RU 139/54 SozR. SGG § 68 Bl. Da 1 Nr. 1).
Die Revision ist nicht begründet.
Nach § 1 BVG erhält derjenige, welcher durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung. Diese Vorschrift verlangt für die Bewilligung von Versorgung nach dem BVG, daß der ursächliche Zusammenhang gegeben ist. Dieser muß in zweifacher Hinsicht bestehen, nämlich zwischen dem versorgungsrechtlich bedeutsamen Ereignis (militärischer Dienst usw.) und der gesundheitlichen Schädigung (Verwundung usw.) und zwischen der gesundheitlichen Schädigung und den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der Schädigung und den Schädigungsfolgen umfaßt sowohl die Entstehung als auch die Verschlimmerung einer Gesundheitsstörung durch ein schädigendes Ereignis. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des § 1 Abs. 1 BVG, der den §§ 1, Abs. 1, 3 Abs. 1 des Mannschaftsversorgungsgesetzes (MVG) vom 31. Mai 1906 (RGBl. S. 593) und den §§ 1, 2 Abs. 1 des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) vom 12. Mai 1920 (RGBl. S. 989) nachgebildet ist. Nach § 3 Abs. 1 MVG galten als Dienstbeschädigung Gesundheitsstörungen, die u. a. infolge einer Dienstverrichtung verursacht oder verschlimmert worden waren. Das RVG hat die Worte "verursacht oder verschlimmert" durch das Wort "herbeigeführt" ersetzt (§ 2 Abs. 1). Auch hierdurch war sowohl die Verursachung als auch die Verschlimmerung einer Gesundheitsstörung umfaßt (ebenso RVGer. 1, 194 (199)). § 1 Abs. 1 BVG gebraucht diese Begriffe zwar nicht ausdrücklich. Die Wortfassung, "wer eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung Versorgung", kann aber unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift nur bedeuten, daß Versorgung dann gewährt wird, wenn wehrdiensteigentümliche gesundheitsschädigende Einwirkungen eine Gesundheitsschädigung hervorgerufen oder verschlimmert haben. Das BVG erkennt nun den Anspruch auf eine Grundrente nur solange an, als die Erwerbsfähigkeit infolge einer Schädigung (im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG) gemindert ist. Ferner kommt es bei der Bewertung der MdE. nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BVG darauf an, inwieweit die Erwerbsfähigkeit eines Beschädigten durch die Folgen einer Schädigung gemindert ist. Durch diese Vorschriften, die auf den ursächlichen Zusammenhang hinweisen, wird zum Ausdruck gebracht, daß nur die Folgen einer Schädigung einen Anspruch auf Versorgung begründen, nicht dagegen solche gesundheitlichen Schäden, die unabhängig von schädigenden Einwirkungen im Sinne des BVG eingetreten sind. Dies ergibt sich auch aus § 62 Abs. 1 BVG, wonach die Versorgungsbezüge neu festgestellt werden, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung maßgeblich gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche Neufeststellung kommt nur in Frage, wenn sich die Schädigungsfolgen verschlimmert oder gebessert haben, nicht dagegen, wenn in dem Gesundheitszustand unabhängig von der Schädigung eine Änderung eintritt. Somit kann nicht jede Verschlimmerung eines Leidens durch eine höhere Rente entschädigt werden. Vielmehr ist stets zu prüfen, ob und inwieweit die weitere Verschlimmerung Schädigungsfolge ist oder ob andere, von wehrdienstlichen Einflüssen unabhängige Umstände für die Verschlimmerung verantwortlich sind (ebenso für die entsprechende Vorschrift des § 57 RVG: Kommentar von Reichsversorgungsbeamten zum Reichsversorgungsgesetz, Anm. 20, 21 zu § 57; RVGer. 7, 251 (255, 256) und S. 290). Bei der Prüfung der Frage, ob eine weitere Verschlimmerung Schädigungsfolge ist, muß insbesondere die Art des Leidens und seine Entwicklung berücksichtigt werden. Ist nach der wehrdienstbedingten Verschlimmerung ein Stillstand des Leidens oder sogar eine Besserung eingetreten, dann kommt diesen Umständen bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges für die weitere Verschlimmerung eine besondere Bedeutung zu. Es muß ferner beachtet werden, ob ein Leiden aus sich heraus zum Fortschreiten neigt, ob ihm ein schicksalsmäßiger Verlauf eigen ist. Solche Leiden werden durch gesundheitliche Schädigungen im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG meist nur einmalig verschlimmert. Weitere Verschlimmerungen müssen in solchen Fällen dem gewöhnlichen Verlauf des Leidens zugerechnet werden. Daneben kann auch der Grad der anerkannten Verschlimmerung von Bedeutung sein. Wenn z. B. ein so erheblicher Teil der MdE. auf die Verschlimmerung durch eine Schädigung zurückzuführen ist, daß die Anerkennung praktisch einer solchen im Sinne der Entstehung gleichkommt, wird die Prüfung der Zusammenhangsfrage beim Auftreten einer weiteren Verschlimmerung in der Regel ergeben, daß diese von der durch den Wehrdienst bedingten Verschlimmerung nicht getrennt werden kann. Trotzdem ist es aber auch in solchen Fällen durchaus möglich, daß von wehrdienstlichen Einflüssen unabhängige Umstände für die weitere Verschlimmerung verantwortlich sind. Die vom LSG. aufgestellte Regel, daß eine sogenannte richtunggebende Verschlimmerung dann vorliege, wenn die Erwerbsfähigkeit durch die als Schädigungsfolge anerkannte Verschlimmerung eines Leidens um 50 v. H. oder mehr gemindert sei (ebenso Urteil des Bayer. LSG. vom 5.11.1954, Amtsbl. 1955 B S. 153) hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Der Hinweis der Klägerin auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen (1954 Teil A Nr. 10 - S. 13 - ) kann ihre gegenteilige Auffassung nicht stützen. Hier ist ausgeführt, daß "vielfach eine weitere Verschlimmerung nicht als Folge einer Schädigung abgelehnt werden könne, wenn die erste Verschlimmerung nach eingehender Prüfung einwandfrei mit einer MdE. um 50 v. H. oder mehr anerkannt worden sei." Abgesehen davon, daß diese Anhaltspunkte nur eine Hilfe für die ärztlichen Gutachter sein sollen, geht auch aus der angeführten Fassung hervor, daß die Ärzte in den genannten Fällen den ursächlichen Zusammenhang stets neu zu prüfen haben. Die Auswirkungen dieser Rechtsauffassung des Senats auf die Fälle, in denen bereits durch Bescheid oder Urteil eine Gesundheitsschädigung im Sinne einer "richtunggebenden Verschlimmerung" oder einer "nicht richtunggebenden Verschlimmerung" ausdrücklich anerkannt worden ist, brauchten im vorliegenden Fall nicht untersucht zu werden. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend das Begehren des Ehemannes der Klägerin, ihm unter Berücksichtigung der Verschlimmerung des Asthmaleidens und eines Herzmuskelschadens eine höhere Rente zuzusprechen, abgelehnt. Zwar ist die Ansicht des LSG., daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer im Sinne der Verschlimmerung anerkannten Schädigungsfolge und einer weiteren Gesundheitsstörung rechtlich nicht möglich sei, nicht richtig. Denn es ist denkbar, daß eine durch eine Schädigungsfolge bedingte Verschlimmerung für eine weitere Folge dieser Gesundheitsstörung ursächlich ist. Hier ist dies aber nicht der Fall, weil der Herzmuskelschaden nach den nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanz zu dem Krankheitsgeschehen gehört, das sich unabhängig von der wehrdienstlichen Verschlimmerung entwickelt hat. Diese Verschlimmerung ist zwar nicht mehr abgeklungen, war aber doch längere Zeit stationär, bis sich das Asthmaleiden unabhängig von wehrdienstlichen Einflüssen nach einer Lungenentzündung im Dezember 1947 weiter verschlimmerte. Da das LSG. somit keine Vorschriften des BVG verletzt hat, ist die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen