Leitsatz (amtlich)
Rechnet eine KK auf ihre Beihilfe zum Zahnersatz den für Rechnung eines Trägers der Rentenversicherung gewährten Zuschuß zum gleichen Zahnersatz teilweise an - so daß die zugleich rentenversicherten Mitglieder der KK als eigene Leistung ihrer Kasse weniger als die nur krankenversicherten Mitglieder, insgesamt aber doch mehr als diese erhalten-, so verstößt diese Regelung weder gegen den versicherungsmäßigen Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitglieder noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (GG Art 3 Abs 1).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; RAMErl 1943-11-02 Abschn. 1 Nr. 4; RVO § 193 Fassung: 1924-12-15, § 182 Abs. 1 Nr. 1
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Januar 1960 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger ist bei der beklagten Ersatzkasse krankenversichert und bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) rentenversichert. Ein notwendiger Zahnersatz verursachte ihm im Jahre 1956 Kosten von insgesamt 312,40 DM . Die Beklagte erstattete ihm einen Betrag von 169,92 DM , wobei sie einen "Vertragssatz" von 212,40 DM zugrunde legte. Der Erstattungsbetrag von insgesamt 80 % des Vertragssatzes setzte sich zusammen aus
1.) einer eigenen Leistung der beklagten Ersatzkasse in Höhe von 46 2/3 % des Vertragssatzes ,
2.) einer Beihilfe der BfA in Höhe von 33 1/3 % des Vertragssatzes , die die Beklagte neben ihrer eigenen Leistung namens und für Rechnung der BfA festsetzte und auszahlte.
Bei Mitgliedern, die nicht zugleich rentenversichert waren und daher keine Beihilfe zum Zahnersatz von einem Träger der Rentenversicherung erhielten, gewährte die beklagte Ersatzkasse nach ihren damals gültigen "Richtlinien für die Gewährung von Zuschüssen zu Zahnersatz, Zahnkronen und Stiftzähnen" vom 15. Januar 1955 ("Richtlinien") einen Zuschuß in Höhe von 66 2/3 % des Vertragssatzes .
Der Kläger ist der Auffassung, die Regelung der beklagten Ersatzkasse, wonach ihre eigene Leistung bei Mitgliedern, die zugleich rentenversichert waren, nur 46 2/3 % des Vertragssatzes, hingegen bei den anderen Mitgliedern 66 2/3 % des Vertragssatzes betrug, verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Versicherten. Er verlangt von der beklagten Ersatzkasse die Nachzahlung des Unterschiedsbetrags in Höhe von 20 % des Vertragssatzes (= 42,48 DM).
Die beklagte Ersatzkasse lehnte diese Forderung ab (Bescheide vom 24. März und 3. April 1956). Den Widerspruch des Klägers wies die Widerspruchsstelle mit Bescheid vom 14. Juni 1956 als unbegründet zurück. Sie führte aus, daß es sich bei der Vereinbarung zwischen den Trägern der Rentenversicherung und den Trägern der Krankenversicherung über die Abgrenzung der Aufgaben bei der Tbc-Bekämpfung (Tbc-Vereinbarung), durch die auch die BfA zur Gewährung von Zahnersatzbeihilfen verpflichtet worden sei, um eine vertragliche Regelung zwischen den Versicherungsträgern handle, die keinen Einfluß auf das Versicherungsverhältnis zwischen Mitgliedern und Krankenkasse ausüben könne. Ein Rechtsanspruch ihrer Mitglieder auf zusätzliche Gewährung des Zahnersatzzuschusses der Rentenversicherungsträger sei daher nicht gegeben.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger beim Sozialgericht (SG) Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 42,48 DM zu zahlen. Das SG wies die Klage durch Urteil vom 22. Mai 1958 ab und ließ die Berufung zu.
Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Beklagte habe sich bei der Bewilligung der Zahnersatzbeihilfe unstreitig an die in ihren Richtlinien vorgesehenen Beihilfesätze gehalten. Sie sei als Ersatzkasse in der Bemessung ihrer Leistungen innerhalb der durch § 2 Abs. 2 der Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung in der Fassung der Fünfzehnten Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung vom 1. April 1937 (RGBl I 439) gezogenen Grenzen grundsätzlich frei. Für die Bestimmung von Zahnersatzleistungen bestehe nach der genannten Vorschrift in Verbindung mit § 21 Abs. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes vom 6. Juni 1931 (RGBl I 315) lediglich die Bindung an den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung. Eine Verletzung dieses Grundsatzes liege nicht vor. Die Beklagte könne den Zuschuß der BfA - wie das in ihren Richtlinien unter Abschnitt C II zum Ausdruck komme - auf die Beihilfe von 80 % des Vertragssatzes teilweise anrechnen. Denn das zwischen der Beklagten und dem Kläger bestehende Versicherungsverhältnis werde durch die Beteiligung der BfA an der Kostenerstattung auf Grund der Tbc-Vereinbarung nicht berührt.
Bereits dem eindeutigen Wortlaut des § 7 der Tbc-Vereinbarung sei zu entnehmen, daß es sich hierbei ausschließlich um eine Kostenübernahme im Verhältnis der beteiligten Versicherungsträger zueinander handle. Eine solche Regelung sei auch von den Beteiligten gewollt gewesen. Sie habe nämlich eine Entlastung für die auf dem Gebiete der Tbc-Bekämpfung überbeanspruchten Rentenversicherungsträger angestrebt. Um die von den Krankenkassen übernommenen weitgehenden Kostenlasten in der Tbc-Bekämpfung auszugleichen, hätten sich die Rentenversicherungsträger zur Gewährung von Zuschüssen zu Zahnersatzleistungen verpflichtet. Eine andere Bedeutung sei dem § 7 der Tbc-Vereinbarung auch nicht bei Berücksichtigung der Richtlinien des Verbandes der Deutschen Rentenversicherungsträger über die Bewilligung von Zahnersatzbeihilfen in den Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten beizumessen.
Die Höhe der Beihilfe mit 80 % der Vertragssätze für die Versicherten in der Rentenversicherung sei nicht zu beanstanden. Die Beklagte wende allerdings für Kassenmitglieder ohne Rentenversicherung mehr an eigenen Mitteln auf. Die Bindung an den Gleichheitsgrundsatz schreibe lediglich vor, daß gleiche Tatbestände gleich zu behandeln seien, lasse aber eine Differenzierung bei verschiedenen Tatbeständen aus sachgemäßen Erwägungen zu. Eine höhere Zuschußzahlung an Mitglieder ohne Rentenversicherung aus eigenen Mitteln sei aber zweckmäßig, weil sie im Interesse der Versichertengemeinschaft die Leistungen an die verschiedenen Gruppen möglichst angleiche.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide der beklagten Ersatzkasse aufzuheben und die Beklagte dem Klageantrag gemäß zu verurteilen.
Zur Begründung seiner Revision trägt der Kläger folgendes vor: Das LSG habe zu Unrecht angenommen, der Gleichheitssatz sei nicht verletzt. Eine unterschiedliche Betrachtungsweise könne nicht an zufälligen Äußerlichkeiten, sondern müsse an der Beitragsleistung orientiert werden. Die Ersparnisse der Beklagten gegenüber ihren rentenversicherten Mitgliedern - hier sei die Beklagte um 42,48 DM bereichert - seien auch nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen zur Entlastung der Versichertengemeinschaft gerechtfertigt.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision. Sie hält an ihrer Meinung fest, daß eine Verletzung des Gleichheitssatzes nicht vorliege.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht angenommen, daß die beklagte Ersatzkasse ihrer Verpflichtung zur Gewährung einer Beihilfe zum Zahnersatz im vorliegenden Fall voll genügt hat.
Nach Abs. I Nr. 4 des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943 betr. Verbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung - Verbesserungserlaß - (AN 1943, 485) kann die Kasse zu den Kosten für Zahnersatz, Zahnkronen und Stiftzähne Zuschüsse gewähren oder die gesamten Kosten übernehmen. Da die Gewährung dieser Leistung nicht davon abhängt, daß sie durch die Satzung bestimmt wird (vgl. § 179 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung - RVO), sondern bereits durch die - gesetzesgleiche - Regelung im Verbesserungserlaß vorgeschrieben ist, stellt sie eine Regelleistung (§ 179 Abs. 1 und 2 RVO) dar. Ihre Besonderheit liegt darin, daß sie als "Kann-Leistung" - ähnlich der Krankenhauspflege nach geltendem Recht (§ 184 Abs. 1 Satz 1 RVO) - im Ermessen der Krankenkasse steht.
Die beklagte Ersatzkasse hat ihrer Verpflichtung nach § 507 Abs. 1 Satz 1 RVO in Verbindung mit der genannten Regelung des Verbesserungserlasses, die Kosten für Zahnersatz ganz oder teilweise zu übernehmen, dadurch genügt, daß sie in ihren "Versicherungsbedingungen" (§ 14 Abs. 5) bestimmt hat, die Kasse könne nach Maßgabe der von ihrer Geschäftsführung erlassenen Richtlinien Zuschüsse zu den Kosten für Zahnersatz, Zahnkronen und Stiftzähne gewähren. Als Richtlinien der Geschäftsführung stellen diese keine Norm dar, sondern objektivieren und präzisieren in einem Akt der Selbstbindung der Verwaltung das dieser zustehende Ermessen bei der Gewährung von Zahnersatzbeihilfen. Unstreitig hat der Kläger erhalten, was diese Richtlinien in seinem Fall vorsehen: nämlich 46 2/3 % des Vertragssatzes aus eigener Leistung der Kasse und 33 1/3 % des Vertragssatzes für Rechnung der BfA.
Zu Unrecht meint der Kläger, die beklagte Ersatzkasse hätte bei der Gestaltung der "Richtlinien" nicht zwischen den rentenversicherten Mitgliedern, die von ihrer Kranken außer deren eigener Leistung noch eine Zahnersatzbeihilfe für Rechnung des Rentenversicherungsträgers erhalten, und den nicht rentenversicherten Mitgliedern unterscheiden dürfen. Die beklagte Ersatzkasse war zwar nach dem das ganze Sozialversicherungsrecht beherrschenden Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung der Versicherten auch bei Ermessensleistungen verpflichtet, keine willkürlichen Differenzierungen, sei es im begünstigenden, sei es im benachteiligenden Sinn, vorzunehmen (vgl. die Entscheidung des erkennenden Senats vom 20. März 1959 in BSG 9, 232, 236). Willkür in diesem Sinn liegt aber nicht vor. Die unterschiedliche Behandlung der rentenversicherten und nicht rentenversicherten Mitglieder bei der Zahnersatzbeihilfe läßt sich mit sachgerechten, d. h. nach der Eigenart des hier geregelten Lebensverhältnisses zulässigen Gesichtspunkten begründen.
Hierbei ist einmal von Bedeutung, daß die Tbc-Vereinbarung, in der (§ 7) die Träger der Rentenversicherung sich den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber verpflichteten, wieder Zuschüsse zum Zahnersatz entsprechend ihren Richtlinien zu gewähren, keine Verpflichtung für die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung enthält, ihren zugleich rentenversicherten Mitgliedern neben dem Zuschuß der Rentenversicherung eine Beihilfe aus eigener Leistung in gleicher Höhe wie den nicht rentenversicherten Mitgliedern zu gewähren. Eine solche vertraglich übernommene Verpflichtung hätte, auch wenn sie nicht unmittelbar Rechte der Versicherten begründen würde, doch für die Frage von Bedeutung sein können, ob sich das Ermessen der Krankenkasse bei der Zuschußgewährung nach sachgemäßen Gesichtspunkten orientiert hat. Nach der Tbc-Vereinbarung bestand aber nicht nur für die Krankenkassen, sondern auch für die Rentenversicherungsträger volle Freiheit, ihre Zuschüsse zum Zahnersatz unterschiedlich zu gestalten je nachdem, ob noch ein anderer Versicherungsträger im gleichen Fall Zuschüsse gewährt. So hat der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger in seinen Richtlinien über die Bewilligung von Zahnersatzbeihilfen in den Rentenversicherungen - nicht anders als die beklagte Ersatzkasse im umgekehrten Fall - für Rentenversicherte, die nicht krankenversichert sind, höhere Beihilfen als für die zugleich krankenversicherten Mitglieder vorgesehen.
Ebensowenig wie eine vertragliche Verpflichtung besteht ein gesetzliches Verbot für die Krankenkassen, bei der Gewährung von Kann-Leistungen den Umstand zu berücksichtigen, daß ein Versicherungsträger eines anderen Versicherungszweiges für denselben Versicherungsfall eine gleichartige Leistung gewährt. Im Gegenteil ist festzustellen, daß der Gedanke der Anrechnung von Leistungen eines Versicherungsträgers auf diejenigen eines anderen Versicherungsträgers dem Grundgedanken der Sozialversicherung - angemessenen Schutz und angemessene Hilfe für den Einzelnen in den Wechselfällen des täglichen Lebens (BSG 9, 232, 236) - nicht widerspricht und im Gesetz wiederholt seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. z. B. § 183 Abs. 3, § 189 Abs. 2, § 1241 Abs. 3, §§ 1278 ff, § 1291 Abs. 2 RVO; § 18 Abs. 3, § 68 Abs. 2 AVG). Deshalb steht es auch nicht mit dem Wesen der gesetzlichen Krankenversicherung in Widerspruch, wenn eine Krankenkasse im Rahmen ihres pflichtmäßigen Ermessens die Zahnersatzbeihilfe des Rentenversicherungsträgers auf ihre eigene Leistung teilweise anrechnet. Eine solche Anrechnung müßte sogar in sinngemäßer Anwendung des Grundsatzes, daß die Hilfe im Krankheitsfall nicht das Maß des Notwendigen überschreiten darf (vgl. § 182 Abs. 2 RVO), als erforderlich angesehen werden, wenn die von mehreren Versicherungsträgern geleisteten Zahnersatzbeihilfen insgesamt mehr als 100 % des Vertragssatzes ausmachen würden. Aber auch wenn - wie im vorliegenden Fall - eine solche Notwendigkeit nicht vorliegt, muß jedoch zum mindesten eine teilweise Anrechnung der für den gleichen Beihilfefall gewährten Leistung eines anderen Versicherungsträgers als zulässig erachtet werden. Die beklagte Ersatzkasse hat den Zuschuß des Rentenversicherungsträgers (33 1/3 % des Vertragssatzes) nur in Höhe von 20 % des Vertragssatzes auf ihre eigene Leistung (statt 66 2/3 % nunmehr 46 2/3 % des Vertragssatzes) angerechnet mit dem Ergebnis, daß die gleichzeitig rentenversicherten Mitglieder immer noch mehr (nämlich insgesamt 80 % des Vertragssatzes) als die nur krankenversicherten Mitglieder (66 2/3 % des Vertragssatzes) erhalten. Eine solche Regelung trägt einerseits dem Umstand des Mehrfachversichertseins Rechnung, mildert aber andererseits im Interesse eines sozialpolitisch erwünschten Ausgleichs die Unterschiedlichkeit der für den gleichen Bedarfsfall aus öffentlichen Mitteln gewährten Leistungen. Sie beruht daher auf sachgerechten Erwägungen und verstößt weder gegen den versicherungsmäßigen Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitglieder noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
Demnach ist die Klage unbegründet, wie das LSG zutreffend entschieden hat. Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen