Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiladung von Entschädigungsberechtigten bei Streit zwischen Unfallversicherungsträgern über deren Entschädigungspflicht. Vorläufige Fürsorge. notwendige Beiladung. Verfahrensmangel bei Sprungrevision
Leitsatz (redaktionell)
Zu dem Verfahren über die Feststellung des für die Entschädigung endgültig zuständigen Versicherungsträgers (RVO § 1735) ist der Entschädigungsberechtigte beizuladen (SGG § 75 Abs 2 Alt 1).
Orientierungssatz
1. Die Witwe eines tödlich Verunglückten hat durch die ihr von der Berufsgenossenschaft gemäß RVO § 1735 zugewendete vorläufige Fürsorge noch keine Rechtsposition erlangt, die ihr auch in Zukunft Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des Unfalls ihres Ehemannes sichert. Denn damit hat die Berufsgenossenschaft nicht anerkannt, Schuldnerin der Entschädigungsansprüche der Witwe zu sein (vgl BSG 1971-06-29 2 RU 35/69 = SozR Nr 3 zu § 1735 RVO). Die Witwe muß daher an dem Verfahren über die Feststellung des für die Entschädigung endgültig zuständigen Versicherungsträgers durch die in SGG § 75 Abs 2 Alt 1 vorgesehene Beiladung beteiligt werden.
2. Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach SGG § 75 Abs 2 Alt 1 ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten (vgl BSG 1974-03-12 2 S 1/74 = SozR 1500 § 75 Nr 1). Dem steht nicht entgegen, daß eine Sprungrevision nach SGG § 161 Abs 4 nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden kann. Diese Vorschrift bezieht sich nicht auf die von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmängel.
Normenkette
SGG § 75 Abs. 2 Alt. 1 Fassung: 1953-09-03, § 161 Abs. 4 Fassung: 1974-07-30; RVO § 1735 Fassung: 1975-12-11
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 30.09.1977; Aktenzeichen S 3 U 58/77) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 30. September 1977 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin bewilligte der Witwe des bei der Firma F H AG in F ... tätig gewesenen Angestellten H K (K.), B K, durch Bescheid vom 25. Oktober 1976 als vorläufige Fürsorge gemäß § 1735 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Sterbegeld, Überbrückungshilfe und Witwenrente. K. war am 14. Januar 1976 auf dem Werksgelände der F H AG von einem Kraftfahrzeug angefahren und verletzt worden; er starb am 21. Januar 1976. Nach den Feststellungen der Klägerin hat sich K. auf dem Rückweg vom Gebäude des werksärztlichen Dienstes befunden, das er aufgesucht hatte, um sich an der Blutspende für die Firma B AG in M zu beteiligen. Der Arzt der B AG hatte ihn vor der Blutentnahme weggeschickt.
Die Klägerin hat mit ihrer beim Sozialgericht (SG) Frankfurt erhobenen Klage beantragt, die Beklagte für entschädigungspflichtig zu erklären und diese zu verurteilen, ihr die Aufwendungen für die Hinterbliebenen des verstorbenen Angestellten K. zu ersetzen. Das SG hat nach Beiladung des Hessischen Gemeinde-Unfallversicherungsverbandes die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 30. September 1977). Das Blutsammeln durch die B AG, an dem K. als Spender habe teilnehmen wollen, sei eine Betriebsveranstaltung der F H AG gewesen, deren Tochtergesellschaft die B AG sei. Als K. von einem Kraftfahrzeug erfaßt wurde, sei er als Arbeitnehmer der F H AG unfallversichert gewesen.
Dagegen richtet sich die im Einverständnis mit der Beklagten eingelegte Sprungrevision der Klägerin. Sie ist der Auffassung, daß K. als Blutspender nach § 539 Abs 1 Nr 10 RVO gegen Arbeitsunfall versichert gewesen und daher die Beklagte der für die Entschädigung der Witwe des K. zuständige Versicherungsträger sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Frankfurt vom 30. September 1977 aufzuheben, die Beklagte hinsichtlich des Unfalls des K. vom 14. Januar 1976 für entschädigungspflichtig zu erklären und diese zu verurteilen, ihr die Aufwendungen für die Hinterbliebenen des K. zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Klägerin für entschädigungspflichtig.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Den Beteiligten ist mit Verfügung vom 26. Juni 1979 Gelegenheit gegeben worden, sich zur Frage der notwendigen Beiladung der Witwe des K. zum Verfahren zu äußern.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Sprungrevision der Klägerin ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden. Der Zustimmung des Beigeladenen bedurfte es nicht (GemS-OGB SozR 1500 § 161 Nr 18).
Die Revision der Klägerin ist insofern begründet, als das Urteil des SG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen war.
Das SG hat die notwendige Beiladung (§ 75 Abs 2 Alternative 1 SGG) der Witwe des K. unterlassen. Dies ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1). Dem steht nicht entgegen, daß eine Sprungrevision nach § 161 Abs 4 SGG nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden kann. Diese Vorschrift bezieht sich nicht auf die von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmängel (RGZ 154, 144, 147; Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO, 20. Aufl, § 566 a RdNr 10; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 37. Aufl, § 566 a Anm 2; Meyer-Ladewig, SGG, § 161 Anm 10).
Die von der Klägerin erhobene Klage ist zum einen auf die Feststellung gerichtet, daß die Beklagte der für die Entschädigung der Witwe des K. zuständige Versicherungsträger ist (§ 55 Abs 1 Nr 2 SGG) und zum anderen auf die Verurteilung der Beklagten, ihr die für die Witwe des K. gemachten Aufwendungen zu ersetzen (§ 54 Abs 5 SGG). Die Klägerin hat an der Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers auch ein berechtigtes Interesse (§ 55 Abs 1 letzter Halbsatz SGG). Zwar würde wegen der von ihr der Witwe des K. bisher gewährten Leistungen eine auf Ersatz gerichtete Leistungsklage ausreichen. Ein dieser Klage stattgebendes Urteil hätte jedoch keine Rechtskraft hinsichtlich der noch in Zukunft zu erbringenden Leistungen. Das begründet das Interesse der Klägerin an der baldigen Feststellung des letztlich Leistungspflichtigen (BSGE 15, 52, 55; SozR 1500 § 55 Nr 4).
An der von der Klägerin begehrten Feststellung, daß die Beklagte der für die Entschädigung zuständige Versicherungsträger ist - das ist das zwischen der Klägerin und der Beklagten streitige Rechtsverhältnis - ist die Witwe des K. derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Durch die ihr von der Klägerin gemäß § 1735 RVO zugewendete vorläufige Fürsorge hat sie noch keine Rechtsposition erlangt, die ihr auch in Zukunft Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des Unfalls ihres Ehemannes vom 14. Januar 1976 sichert. Denn damit hat die Klägerin nicht anerkannt, Schuldnerin der Entschädigungsansprüche der Witwe des K. zu sein (vgl BSG SozR Nr 3 zu § 1735 RVO). Die Witwe des K. muß daher an dem Verfahren über die Feststellung des für die Entschädigung endgültig zuständigen Versicherungsträgers durch die in § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG vorgesehene Beiladung beteiligt werden.
Da im Revisionsverfahren die Beiladung nicht nachgeholt werden kann (§ 168 SGG), mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache nach § 170 Abs 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das SG zurückverwiesen werden.
Fundstellen