Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein Bezieher von Unterhaltsgeld von der weiteren Teilnahme an einer Maßnahme durch den Maßnahmeträger ausgeschlossen, so erfüllt dies den Tatbestand des Abbruchs der Teilnahme iS von § 44 Abs 6 AFG selbst dann nicht, wenn der Bezieher von Unterhaltsgeld den Ausschluß verschuldet hat.

2. Läßt eine unregelmäßige Teilnahme einen erfolgreichen Maßnahmeabschluß nicht mehr erwarten, so daß selbst eine regelmäßige weitere Teilnahme für das Maßnahmeziel keinen vernünftigen Sinn mehr ergäbe, ist die Teilnahme an der Maßnahme als abgebrochen zu betrachten.

 

Normenkette

AFG § 44 Abs 6; AFuU § 10 Abs 7

 

Verfahrensgang

LSG Bremen (Urteil vom 12.01.1984; Aktenzeichen L 5 Ar 2/83)

SG Bremen (Entscheidung vom 13.10.1982; Aktenzeichen S 13 Ar 232/81)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist noch die Rückforderung von Unterhaltsgeld (Uhg) für die Zeit vom 2. Oktober 1978 bis 15. Februar 1979 streitig.

Die Beklagte hatte dem Kläger die Förderung einer Umschulung zum Industriekaufmann bewilligt, die vom 2. Oktober 1978 bis 30. September 1980 stattfinden sollte. Sie zahlte dem Kläger ein Uhg, das sie bis März 1979 um einen anderweitigen Zuschuß und im Juni 1979 um aufgerechnete Rückforderungen wegen unentschuldigter Fehlzeiten (rund 1500,- DM) kürzte. Am 17. Februar 1980 stellte sie die Zahlung ein, weil der Kläger arbeitsunfähig erkrankte und danach kein Uhg mehr beantragte.

Am 16. Mai 1980 nahm die Beklagte eine "Veränderungsmitteilung" über den "Abbruch des Lehrgangs Industriekaufmann" zum 15. Mai 1980 in ihre Akten auf. Anlaß dafür war die Feststellung weiterer unentschuldigter Fehltage ab November 1979 (insgesamt 13) und eine Leistungsbeurteilung des Lehrgangsleiters vom 14. Mai 1980; darin hieß es, in den letzten fünf Monaten habe der Kläger beim einmal wöchentlichen theoretischen Unterricht zu 75% gefehlt und die verlangten vier Klausuren nicht erbracht, "aus heutiger Sicht sei nicht erkennbar", daß er die "Umschulungsmaßnahme erfolgreich abschließt". Nach vom Kläger ungenutzter Anhörungsfrist hob sie dann durch Bescheid vom 7. Mai 1981 die Bewilligung von Uhg ab dem 15. Mai 1980 auf; zugleich forderte sie gemäß § 44 Abs 6 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) das bis 16. Februar 1980 gezahlte Uhg (11250,- DM) zurück, weil der Kläger die Maßnahme ohne wichtigen Grund abgebrochen habe.

Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos, die Klage wies das Sozialgericht zurück. Im folgenden Berufungsverfahren erkannte die Beklagte an, daß dem Kläger für die Zeit ab 15. Februar 1979 ohne die Maßnahme ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe zugestanden hätte; sie beschränkte die Rückforderung daher auf die vorherige Zeit (2860,52 DM). Das LSG hat den insoweit aufrechterhaltenen Rückforderungsbescheid aufgehoben. Nach seiner Ansicht besteht auf der Grundlage von § 44 Abs 6 AFG iVm § 10 Abs 7 der Anordnung Fortbildung und Umschulung (AFuU) kein Rückforderungsanspruch der Beklagten. Dieser scheitere daran, daß nicht der Kläger - ausdrücklich oder konkludent - die Teilnahme an der Maßnahme abgebrochen, vielmehr der Maßnahmeträger ihn im Zusammenwirken mit dem Arbeitsamt durch außerordentliche Kündigung des Ausbildungsvertrages von der weiteren Teilnahme ausgeschlossen habe. § 44 Abs 6 AFG setze unmißverständlich den Abbruch der Maßnahme durch den Teilnehmer voraus. Zwar sei es erwägenswert, dem den durch den Teilnehmer provozierten Ausschluß gleichzustellen. Das Gericht dürfe jedoch einem nach Wortlaut und Wortsinn eindeutigen Gesetz keinen entgegengesetzten Sinngehalt durch abweichende Auslegung geben. Von einer Gesetzeslücke könne nach den Gesetzesmaterialien auch bei Blick auf den vergleichbaren § 119 Abs 1 Nr 4 AFG (Sperrzeit wegen Abbruchs) nicht gesprochen werden. Daß der Kläger den Ausschluß erstrebt habe, um den Rechtsfolgen eines Abbruchs zu entgehen, sei nicht erkennbar.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 44 Abs 6 AFG iVm der AFuU. Sie verweist auf eine Entscheidung des 7. Senats des Bundessozialgerichts (SozR 4100 § 44 Nr 22) zur Gewährung von Uhg; danach liege eine Teilnahme an der Maßnahme dann nicht mehr vor, wenn der Antragsteller den vorgesehenen Unterricht nicht mehr regelmäßig besuche. Da dies beim Kläger der Fall gewesen sei, habe er damit konkludent die Teilnahme an der Umschulung abgebrochen, ohne einen wichtigen Grund dafür vortragen zu können. Im übrigen müsse "bei verfassungskonformer Restriktion des Gesetzeswortlauts" (Gleichbehandlung entsprechend Art 3 des Grundgesetzes) dem Abbruch durch den Teilnehmer der durch dessen Fehlverhalten verursachte Ausschluß gleichgestellt werden.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen, als er sich auch gegen die Rückforderung von 2.860,52 DM wendet.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt und lediglich bemerkt, er habe den Offenbarungseid geleistet; es sei ihm gleich, wie entschieden werde.

Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist mit der Maßgabe begründet, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zu weiteren tatsächlichen Feststellungen zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Nach § 44 Abs 6 AFG kann die Beklagte, wenn ein Bezieher von Uhg die Teilnahme an einer Maßnahme vor deren Beendigung ohne wichtigen Grund abbricht, von ihm das gewährte Uhg insoweit zurückfordern, als ihm für die gleiche Zeit weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe zugestanden hätte. Von diesen Voraussetzungen ist hier nur im Streit, ob der Kläger die Umschulungsmaßnahme ohne wichtigen Grund abgebrochen hat. Das hat das LSG insoweit zu Recht verneint, als es diesen Tatbestand durch den vom Maßnahmeträger im Zusammenwirken mit dem Arbeitsamt verfügten Teilnahmeausschluß weder unmittelbar noch entsprechend als erfüllt angesehen hat. Das gilt auch für den hier wohl gegebenen Fall des vom Teilnehmer verschuldeten Ausschlusses. Der Gesetzeswortlaut stellt eindeutig nur auf den Abbruch der Maßnahme durch den Teilnehmer ab. Für eine Gesetzeslücke - die nicht durch restriktive, sondern durch erweiternde Auslegung geschlossen werden müßte - findet sich kein Anhalt (vgl dazu BT-Drucks V/1420, S 3). Hiergegen spricht zusätzlich die Sperrzeitregelung in § 119 Abs 1 AFG. Dort ist eine Sperrzeit in Nr 1 vorgesehen, wenn der Arbeitslose "das Arbeitsverhältnis gelöst oder durch vertragswidriges Verhalten Anlaß für die Kündigung des Arbeitgebers gegeben hat", in Nr 4 dagegen nur, wenn der Arbeitslose "die Teilnahme an einer ... Maßnahme abgebrochen hat"; eine der Nr 1 vergleichbare Erweiterung auf den Fall, daß der Teilnehmer "durch maßnahmewidriges Verhalten Anlaß für die Beendigung der Maßnahme durch den Träger gegeben hat", ist nicht erfolgt und kann auch nicht für § 44 Abs 6 AFG als gewollt gelten.

Nicht zustimmen kann der Senat dem LSG dagegen darin, daß es ohne weiteres angenommen hat, der Kläger habe nicht - von sich aus - die Teilnahme an der Maßnahme abgebrochen. Der "Abbruch" der Maßnahme mag im Normalfall als volle Beendigung jeder Teilnahme verstanden werden. Das schöpft aber die Tragweite des Begriffs nicht aus. Der Gesetzgeber wollte mit der in § 44 Abs 6 AFG geschaffenen Rückforderungsmöglichkeit den Erfolg langfristiger Bildungsmaßnahmen sicherstellen (BSGE 44, 173, 179). Deshalb muß beim "Abbruch" auch an die Fälle gedacht werden, in denen der Erfolg solcher Bildungsmaßnahmen durch unregelmäßigen Besuch der Veranstaltungen vereitelt wird. Der 7. Senat hat zu Recht entschieden, daß - von bloßen Unterrichtsversäumnissen an einzelnen Tagen abgesehen - eine Teilnahme an der Maßnahme nicht mehr vorliegt, wenn der vorgesehene Unterricht nur noch unregelmäßig besucht wird. Eine solche Art der "Nichtmehrteilnahme" muß freilich nicht immer zugleich auch - weitergehend - den Abbruch der Maßnahme bedeuten. Entscheidend ist, ob ihr für die Erwartung des Maßnahmeerfolgs eine ähnliche Endgültigkeit wie der vollen Beendigung jeder Teilnahme zukommt. Das ist der Fall, wenn (und sobald) die unregelmäßige Teilnahme einen erfolgreichen Maßnahmeabschluß aller Voraussicht nach nicht mehr erwarten läßt, so daß eine selbst nun regelmäßige weitere Teilnahme im Hinblick auf das Maßnahmeziel keinen vernünftigen Sinn mehr ergäbe.

Ob ein solcher Sachverhalt gegeben ist, hat das LSG nicht festgestellt. Das Schreiben des Lehrgangsleiters kann die notwendigen gerichtlichen Feststellungen über den Umfang der Fehlzeiten und sonstiger Versäumnisse und die Auswirkungen auf die Erfolgserwartungen nicht ersetzen. Das LSG wird daher die insoweit erforderlichen Ermittlungen nachzuholen und gegebenenfalls festzustellen haben, ob der Kläger für die unregelmäßige Teilnahme an der Maßnahme (insgesamt) einen wichtigen Grund hatte. Ist das zu verneinen, bliebe zu berücksichtigen, daß § 44 Abs 6 AFG bei Erfüllung der dort genannten Voraussetzungen die Rückforderung dem Ermessen der Beklagten überläßt (BSGE 44, 173, 180 ff); es hat nicht den Anschein, als sei sich die Beklagte dessen bei Erlaß des Rückforderungsbescheides (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides) ausreichend bewußt gewesen (vgl auch die Ausgestaltung des § 10 Abs 7 AFuU).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 84

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