Leitsatz (amtlich)
Ein ehrenamtlich tätiges Vorstandsmitglied in einem Ortsverband des VdK kann beim Einkassieren der Verbandsbeiträge gegen Arbeitsunfall versichert sein - RVO § 537 Nr 10 iVm RVO § 537 Nr 1 - (Fortführung BSG 1962-05-29 2 RU 283/58 = BSGE 17, 73-75).
Normenkette
RVO § 537 Nr. 10 Fassung: 1942-03-09, Nr. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9 . Juni 1959 und des Sozialgerichts Bayreuth vom 18 . Oktober 1955 sowie der Bescheid der Beklagten vom 11 . Juni 1954 Werden aufgehoben .
Die Beklagte wird verurteilt , der Klägerin wegen der Folgen ihres Arbeitsunfalls vom 23 . Dezember 1953 die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren .
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten .
Von Rechts wegen .
Gründe
I
Die Klägerin , eine Kriegerwitwe , war Kassiererin im Ortsverband H ... des Verbandes der Kriegsbeschädigten , Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands e . V . (VdK) . Beim Kassieren der Monatsbeiträge für den VdK rutschte sie am 23 . Dezember 1953 auf der Straße in H ... aus und verletzte sich das rechte Fußgelenk . Die Beklagte lehnte den Entschädigungsanspruch durch Bescheid vom 11 . Juni 1954 ab mit der Begründung , die Klägerin sei für den VdK nur ehrenamtlich als freie Mitarbeiterin tätig gewesen , habe also nicht in einem Arbeits- , Dienst- oder Lehrverhältnis im Sinne des § 537 Nr . 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zum VdK gestanden; auch der Versicherungsschutz nach § 537 Nr . 10 RVO entfalle mangels eines wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses der Klägerin zum VdK .
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 18 . Oktober 1955 die Klage abgewiesen .
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 9 . Juni 1959 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Obschon die Klägerin 10 v . H . der eingehobenen Beiträge erhalten habe , sei sie als Ortsverbandskassiererin rein ehrenamtlich tätig gewesen; bei dieser Vergütung habe es sich nämlich allenfalls nur um eine Aufwandsentschädigung gehandelt . Bei einer rein ehrenamtlichen Tätigkeit komme ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 537 Nr . 1 RVO von vornherein nicht in Betracht . Der Versicherungsschutz nach § 537 Nr . 10 RVO setze zwar das Vorliegen einer persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit nicht voraus , es müsse sich hierbei aber jedenfalls um solche Tätigkeiten handeln , die an sich ihrem Wesen nach unter Nrn . 1 bis 9 dieser Vorschrift fielen . Im Fall der Klägerin komme es für den Versicherungsschutz nach § 537 Nr . 10 RVO darauf an , ob die von ihr ausgeübte Tätigkeit ihrem Wesen und ihrer Art nach an sich gemäß § 537 Nr . 1 RVO versichert sein könnte . Dies sei nicht der Fall . Die Klägerin habe im Unfallzeitpunkt eine Tätigkeit ausgeübt , die den organisatorischen Zwecken des VdK gedient habe und ihrem Wesen nach als reine Organisations- und Vereinstätigkeit aufzufassen sei . Eine solche von einem ehrenamtlichen Organ verrichtete Tätigkeit sei ihrem Wesen nach keine Tätigkeit eines "Beschäftigten" im Sinne des § 537 Nr . 1 RVO . Hieran ändere nichts die Tatsache , daß eine Kassierertätigkeit an sich auch von einem Beschäftigten im Sinne des § 537 Nr . 1 RVO ausgeübt werden könne . Werde sie - wie im vorliegenden Fallehrenamtlich ausgeübt , so könne sie jedenfalls keine "Beschäftigung" im Sinne des § 537 Nr . 1 RVO sein . Damit sei sie auch keine Tätigkeit im Sinne des § 537 Nr . 10 RVO; denn der Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift könne nicht weitergehen als derjenige des betreffenden Grundtatbestandes . - Das LSG hat die Revision zugelassen .
Gegen das am 17 . August 1959 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 24 . August 1959 Revision eingelegt und sie - nach Fristverlängerung bis zum 17 . November 1959 gemäß § 164 Abs . 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - am 3 . November 1959 wie folgt begründet: Versicherungsschutz auf Grund des § 537 Nr . 1 RVO habe zwar zur Zeit des Unfalls nicht bestanden; wohl aber seien die Voraussetzungen des Versicherungsschutzes nach § 537 Nr . 10 in Verbindung mit Nr . 1 RVO gegeben . Das Beitragskassieren bei den Mitgliedern des Ortsverbandes stelle seinem Wesen nach eine Tätigkeit dar , die auch von einem Beschäftigten im Sinne des § 537 Nr . 1 RVO ausgeübt werden könne . Entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht rechtfertige der Umstand , daß die Klägerin das Beitragskassieren ehrenamtlich ausgeübt habe , keine abweichende Beurteilung . Entscheidend für die Anwendung des § 537 Nr . 10 RVO sei nicht die Person , sondern die von der Person ausgeübte Tätigkeit . Die Klägerin beantragt ,
unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile sowie des angefochtenen Bescheids die Beklagte zu verurteilen , den Unfall der Klägerin vom 23 . Dezember 1953 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dafür nach den gesetzlichen Vorschriften Entschädigung zu gewähren ,
hilfsweise ,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen .
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision . Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei .
Die Beteiligten haben sich mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt . Der Senat hat von der Befugnis Gebrauch gemacht , in dieser Weise zu verfahren (§ 124 Abs . 2 SGG) .
II
Die Revision ist statthaft und zulässig . Sie hatte auch Erfolg .
Übereinstimmend mit dem Vorbringen beider Beteiligter hat das LSG mit Recht angenommen , daß die Klägerin als ehrenamtliche Kassiererin des Ortsverbandes H ... des VdK - in dieser Funktion gehörte sie dem Vorstand des Ortsverbandes an - nicht auf Grund eines Arbeits- , Dienst- oder Lehrverhältnisses beschäftigt und somit nicht nach § 537 Nr . 1 RVO versichert gewesen ist . Die vom LSG vertretene Ansicht , auch ein Versicherungsverhältnis auf Grund des § 537 Nr . 10 in Verbindung mit Nr . 1 RVO habe nicht vorgelegen , trifft hingegen nicht zu .
Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (BSG 5 , 168 , 172) , steht es der Annahme eines Versicherungsschutzes gemäß § 537 Nr . 10 in Verbindung mit Nr . 1 RVO nicht entgegen , daß die Klägerin aus rein ideellen Beweggründen für den VdK tätig gewesen ist und zu diesem Verband in keinem persönlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis gestanden hat . Voraussetzung dieses Versicherungsschutzes ist vielmehr , daß es sich um eine Tätigkeit handelt , die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte , die zum VdK als dem hier in Betracht kommenden Unternehmer in einem dem allgemeinen Erwerbsleben zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen; dabei ist es nicht erforderlich , daß - ohne Eingreifen der unentgeltlich tätig werdenden Helfer - der Unternehmer die Tätigkeiten von bezahlten Hilfskräften hätte verrichten lassen (vgl . SozR RVO § 537 Bl Aa 15 Nr . 16) . Der vom LSG gewählte Ausgangspunkt entspricht im wesentlichen diesen Grundsätzen . Die Beurteilung der von der Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls ausgeübten Tätigkeit trägt jedoch den Besonderheiten des hier zu entscheidenden Sachverhalts nicht genügend Rechnung .
Tätigkeiten von ehrenamtlichen Organmitgliedern für den VdK im Bereich des Landesverbands B ... e . V . sind bereits Gegenstand der Rechtsprechung des erkennenden Senats gewesen . In Übereinstimmung mit dem Bayerischen LSG hat dabei der Senat in den Urteilen vom 29 . Mai 1962 (SozR RVO § 537 Bl . Aa 30 Nr . 29) und vom 30 . November 1962 (2 RU 187/59) entschieden , daß ein ehrenamtlich tätiger Ortsverbandsvorsitzender bei der Teilnahme an einer Kreisarbeitstagung bzw . der zweite Vorsitzende eines Kreisverbandes bei der Teilnahme an einer Vorstandssitzung jedenfalls insoweit nicht nach § 537 Nr . 10 in Verbindung mit Nr . 1 RVO unfallversichert waren , als sie bei diesen Veranstaltungen lediglich Aufgaben erfüllten , die ihnen als Repräsentanten des Verbandsvorstandes oblagen . Maßgebend hierfür war die Erwägung , daß eine solche typische Repräsentantentätigkeit wie die Teilnahme an Verbandstagungen oder Vorstandssitzungen und die damit verbundene Mitwirkung an der dem Aufbau und Ausbau des Verbands dienenden Willensbildung nur von einer Person ausgeübt werden kann , die von den Verbandsmitgliedern in das Repräsentativorgan gewählt worden ist , nicht aber von hauptamtlich angestellten Personen auf Grund eines dem allgemeinen Erwerbsleben zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnisses . Demgemäß würde auch der Klägerin als Vorstandsmitglied des Ortsverbandes bei der Ausübung einer solchen typischen Repräsentantenfunktion der Versicherungsschutz nach § 537 Nr . 10 in Verbindung mit Nr . 1 RVO nicht zugestanden haben .
Im Unterschied zu den angeführten Fällen ist die Klägerin jedoch nicht bei einer solchen Repräsentantentätigkeit verunglückt , sondern beim Einkassieren der Monatsbeiträge . Zwar kann auch der Beitragseinzug in einer Weise durchgeführt werden , die für den Ortsverbandskassierer den Versicherungsschutz nach § 537 Nr . 10 RVO ausschließt . Pflegt z . B . der Kassenwart einer Vereinigung die fälligen Beiträge bei Gelegenheit geschlossener Mitgliederzusammenkünfte von den im Versammlungslokal anwesenden Mitgliedern einzuziehen , so kann es sich hierbei um eine dem allgemeinen Erwerbsleben nicht zugängliche Betätigung handeln . Den im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen ist jedoch zu entnehmen , daß die Klägerin z . Zt . des Unfalls damit beschäftigt war , in der Gemeinde H... von Haus zu Haus die einzelnen VdK-Mitglieder zwecks Einkassierens der Beiträge aufzusuchen . Hierbei handelte es sich - was das LSG verkannt hat - um eine Arbeitsleistung , die von Personen , welche im allgemeinen Erwerbsleben zur Verfügung stehen , ausgeübt werden kann . Nach Meinung des Senats unterscheidet sich eine so gestaltete Tätigkeit im Beitragseinzug für den VdK ihrer Art nach nicht erheblich vom Einkassieren des Zeitungsgeldes oder der Prämien für Versicherungsverträge und dgl ., also einer Tätigkeit , die häufig von entgeltlich Beschäftigten verrichtet zu werden pflegt . Insoweit erscheint auch der Umstand nicht ganz unbeachtlich , daß die Klägerin für ihre Kassierertätigkeit eine - freilich nicht als Arbeitsentgelt aufzufassende - geringe Vergütung erhalten hat . Es wäre nicht gerechtfertigt , dem Kassierer eines VdK-Ortsverbandes auch bei dieser arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit allein im Hinblick auf seine Eigenschaft als Organmitglied den Unfallversicherungsschutz abzusprechen . Die Voraussetzungen des Unfallversicherungsschutzes nach § 537 Nr . 10 in Verbindung mit Nr . 1 RVO sind daher in einem Fall der hier gegebenen Art zu bejaht (vgl . auch SG Stuttgart , Breith . 1958 , 521) . Wie das LSG zutreffend dargelegt hat , kommt es für den Entschädigungsanspruch der Klägerin nicht darauf an , ob der VdK für sie Beiträge an die Beklagte entrichtet hat .
Die Revision ist hiernach begründet . Der Senat war auf Grund der tatsächlichen Feststellungen in der Lage , über den Klagenspruch in der Sache selbst zu entscheiden (§ 170 Abs . 2 Satz 1 SGG) . Da dem im Revisionsantrag zum Ausdruck gelangten Feststellungsbegehren auf "Anerkennung" eines Arbeitsunfalls offensichtlich keine selbständige Bedeutung zukommt (vgl . BSG 5 , 121 , 123) , handelt es sich um eine Aufhebungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs . 4 SGG) . Hierzu durfte ein Grundurteil (§ 130 Satz 1 SGG) ergehen; denn nach dem vom LSG angeführten Akteninhalt besteht die begründete Wahrscheinlichkeit , daß der Leistungsanspruch der Klägerin , die wegen des beim streitigen Unfall erlittenen Knöchelbruchs allein etwa drei Wochen stationär behandelt werden mußte , in einer Mindesthöhe gegeben ist (vgl . SozR SGG § 130 Bl . Da 4 Nr . 4) .
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .
Fundstellen