Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragserstattung an Jugoslawen

 

Orientierungssatz

Durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12.10.1968 werden Ansprüche auf Beitragserstattung nach § 1303 Abs 1 RVO nicht berührt, wenn der Erstattungsanspruch bereit vor Inkrafttreten des Abkommens entstanden war.

 

Normenkette

RVO § 1303 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1323a Fassung: 1965-06-09; SozSichAbk YUG Art. 39 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 08.07.1971)

SG Landshut (Entscheidung vom 26.08.1970)

 

Tenor

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist und der Revisionsbegründungsfrist gewährt.

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Juli 1971 und des Sozialgerichts Landshut vom 26. August 1970 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13. April 1970 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Hälfte der für die Zeit vom 30. Juli 1962 bis 31. Mai 1967 entrichteten Beiträge zu erstatten.

Die Beklagte hat den Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

I

Zwischen den Beteiligten ist die Beitragserstattung i.S. von § 1303 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) streitig.

Für den die jugoslawische Staatsangehörigkeit besitzenden Kläger sind im Bundesgebiet von 30. Juli 1962 bis 31. Mai 1967 Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet worden. Seit August 1968 ist der Kläger in Jugoslawien versicherungspflichtig beschäftigt. Mit Schreiben von 26. Mai 1969 - eingegangen bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Württemberg am 29. Mai 1969 - stellte er "Antrag auf die Rückerstattung der eingezahlten Gelder".

Die Beklagte lehnte den Beitragserstattungsantrag "vom 19.6.1969" ab, weil nach Art. 11 des an 1. September 1969 in Kraft getretenen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12.10.1968 (BGBl II 1969, 1438) die versicherungspflichtige Beschäftigung in Jugoslawien einer solchen im Bundesgebiet rechtlich gleichstehe und damit die Versicherungspflicht nicht i.S. von § 1303 Abs. 1 Satz 1 RVO entfallen sei (Bescheid vom 13. April 1970).

Klage und Berufung blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) bestätigte die Rechtsauffassung der Beklagten. Es ist dabei davon ausgegangen, daß der Kläger erst am 19. September 1969 einen Antrag auf Beitragserstattung gestellt habe. Darauf beruhen auch die Entscheidungsgründe des LSG-Urteils.

Der Kläger hat die von LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des materiellen Rechts: Die Voraussetzungen für die Beitragserstattung seien bereits am 31. Mai 1969 erfüllt gewesen, weil an diesem Tage ein ordnungsgemäß gestellter Antrag Vorgelegen habe. Der Kläger könne nicht seine zu diesem Zeitpunkt entstandenen Rechte durch das erst am 1. September 1969 in Kraft getretene Deutsch-Jugoslawische Sozialversicherungsabkommen verloren haben.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts und des Sozialgerichts Landshut vom 8. Juli 1971 und 26. August 1970 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. April 1970 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Hälfte der für die Zeit vom 30. Juli 1962 bis 31. Mai 1967 entrichteten Beiträge zu erstatten. Hilfsweise beantragt er, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt außerdem vorsorglich, ihm wegen einer etwaigen Versäumung der Revisionsfrist und Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hat am 22. März 1972 den ersten Satz des angefochtenen Bescheides vom 13. April 1970 in entsprechender Anwendung des § 139 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) wie folgt berichtigt:

"Ihr Antrag vom 29.5.1969 auf Beitragserstattung nach § 1303 Abs. 1 RVO wird abgelehnt".

Die Beklagte ist der Meinung, daß sich "Folgerungen materiell-rechtlicher Art" aufgrund dieser Berichtigung nicht ergäben. Im übrigen macht sie sich die Rechtsauffassung des LSG zu eigen.

II

Die durch Zulassung statthafte Revision ist begründet. Dem Kläger ist nach § 1303 Abs. 1 i.V.m. § 1323 a RVO die Hälfte der im Bundesgebiet für die Zeit vom 30. Juli 1962 bis 31. Mai 1967 entrichteten Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung zu erstatten. Insoweit hat auch die Neufassung des § 1303 Abs. 1 Satz 1 RVO durch das Rentenreformgesetz (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) im vorliegenden Fall keine Änderung der Rechtslage gebracht.

Das LSG hat bei seiner Annahme, der Kläger habe erst am 19. September 1969 einen Antrag auf Erstattung der Beiträge gestellt, außer acht gelassen, daß der Kläger bereits vorher einen Erstattungsantrag gestellt hatte, der bei der LVA Württemberg am 29. Mai 1969 eingegangen war. Von einem bereits zu diesem Zeitpunkt gestellten Antrag geht nunmehr auch die Beklagte aus, wie sich aus der am 22. März 1972 durchgeführten Berichtigung des angefochtenen Bescheids ergibt. Zwar kann der Erstattungsanspruch nach § 1303 Abs. 1 Satz 3 RVO nur geltend gemacht werden, wenn seit dem Wegfallen der Versicherungspflicht zwei Jahre verstrichen sind und inzwischen nicht erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist. Im Hinblick auf die am 31. Mai 1967 beendete Beschäftigung im Bundesgebiet war diese Frist hier mit dem 31. Mai 1969 abgelaufen, weil die seit August 1968 in Jugoslawien entrichteten Beiträge erst durch das am 1. September 1969 in Kraft getretene Abkommen (vgl. Art. 42 i.V.m. der Bekanntmachung von 11.8.1969, BGBl II 1969, S. 1568) mit den deutschen Versicherungszeiten gleichgestellt worden sind (vgl. Art. 2 Abs. 1 Buchst. c i.V.m. Art. 11, 25, 39 des Abkommens).

Der hier zwei Tage vor Ablauf der Zweijahresfrist des § 1303 Abs. 1 Satz 3 RVO gestellte Antrag durfte aber entgegen der Auffassung des LSG nicht unberücksichtigt bleiben, sondern hätte nach Verstreichen der Frist zu einem Beitragserstattungsbescheid führen müssen, weil seit dem 1. Juni 1969 feststand, daß der Kläger inzwischen nicht erneut ein - rechtlich relevantes - versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis aufgenommen hatte (ebenso Gesamtkommentar, Anm. 4 zu § 1303 RVO). Der von Brackmann vertretenen Meinung, daß die vor Ablauf der Frist des § 1303 Abs. 1 Satz 3 gestellten Anträge zurückzuweisen sind (vgl. Handbuch der Sozialversicherung Band III, S. 744 a des 32. Nachtrags), kann nur in den Fällen gefolgt werden, in denen nach dem Zweck der Schutzfrist des § 1303 Abs. 1 Satz 3 RVO, nämlich unüberlegte und sozial ungerechtfertigte Anträge auf Beitragserstattung zu unterbinden (vgl. Verbandskommentar, Anm. 8 zu § 1303 RVO), die Wiederaufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung innerhalb der Zweijahresfrist bis zum Ablehnungsbescheid noch denkbar ist. Eine solche Möglichkeit scheidet hier aber aus zeitlichen Gründen aus: Aufgrund des am 29. Mai 1969 bei der LVA eingegangenen Antrags hätte der Erstattungsbescheid ohnehin erst nach der zwei Tage später ablaufenden Schutzfrist ergehen können. Damit im Einklang hat die Beklagte den Erstattungsantrag vom 29. Mai 1969 im - berichtigten - angefochtenen Bescheid auch nicht mit der Begründung abgelehnt, der Antrag sei vorzeitig gestellt worden. Vielmehr wird die Ablehnung auf die durch Art. 11 des Abkommens erfolgte Gleichstellung der versicherungspflichtigen Beschäftigungen des Klägers in Jugoslawien und in der Bundesrepublik Deutschland gestützt.

Dabei wird übersehen, daß bereits am 1. Juni 1969 - und damit vor Inkrafttreten des Abkommens - alle Voraussetzungen für die Beitragserstattung gegeben waren. Infolge des zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Antrags war der Anspruch auf die Regelleistung des § 1235 Nr. 4 RVO entstanden. Damit war die Leistung - Beitragserstattung - auch vor Inkrafttreten des Abkommens fällig geworden (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundessozialgerichts - BSG - vom. 21.12.1971 - GS 4/71). Die Fälligkeit der Erstattungspflicht konnte aber durch die spätere Inkraftsetzung des Abkommens nicht beseitigt werden. Insoweit hat das LSG aus Art. 39 Abs. 1 des Abkommens zu Recht den (Umkehr-) Schluß gezogen, daß Ansprüche auf Leistungen, die vor Inkrafttreten des Abkommens nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht entstanden waren, vom Abkommen nicht betroffen werden. Der Kläger hatte aber im Hinblick auf den vom LSG unbeachtet gelassenen Antrag vom 29. Mai 1969 bereits vor dem 1. September 1969 einen Rechtsanspruch auf Erstattung der Hälfte der Beiträge erworben.

Im Hinblick auf Art. 5 der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens ist für den Anspruch des Klägers auf Beitragserstattung auch die sachliche Zuständigkeit der Beklagten gegeben, weil sich diese nach dem bei Erlaß des angefochtenen Bescheides vom 13. April 1970 gültigen Recht beurteilt (vgl. BSG in SozR Nr. 10 zu § 1311 RVO mit weiteren Nachweisen). Auch aus dem Gesichtspunkt der Funktionseinheit der Versicherungsträger (vgl. hierzu BSG in SozR Nr. 7 zu § 1311 RVO und die ähnlichen Erwägungen im Urteil des erkennenden Senats vom 1.11.1968 - SozR Nr. 12 zu § 1299 RVO) kann es nicht darauf ankommen, daß die Beklagte vor dem 1. September 1969 und damit zur Zeit der Antragstellung für die Beitragserstattung nicht zuständig gewesen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648341

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